Tastaturkrieger, es wird Zeit, die Finger aufzuwärmen, die Mistgabeln zu schärfen und den wütenden Mob zu versammeln, denn Marin hat gerade ein neues Naild-Bike veröffentlicht. Das neue Marin Mount Vision mag zwar einen polarisierenden Look aufweisen, aber es erscheint mit neuer Geometrie und einem steiferen Hinterbau. Die große Frage lautet daher: was kann es?

Das 14,9 kg schwere Marin Mount Vision ist ein aggressives Trail-Bike mit den Eckdaten 150 mm / 150 mm / 27,5” und zielt stark darauf ab, euch auch in forderndem Terrain einen Heidenspaß zu ermöglichen

Der Naild R3ACT 2 Play-Hinterbau

Man kann das markanteste Merkmal des Marin Mount Vision wirklich nicht übersehen: Die Silhouette des Bikes wird dominiert von der mächtigen Schwinge des Naild R3ACT 2 Play 4-Gelenker-Hinterbaus. Im Inneren der mächtigen einarmigen Schwinge befindet sich eine gleitende Strebe, die das vordere und hintere Bauteil des Rahmens miteinander verbindet und die Kinematik im Verlauf des Dämpferhubs verändert. Das Mount Vision weist zudem eine größenspezifische Kinematik für die Modelle in S/M and L/XL auf. Die Kennlinien der beiden Bikes sind nahezu identisch: regressiv bis zum SAG-Point, dann zusehends progressiv. Die Bikes in S/M weisen geringfügig höhere Anti-Squat- und Anti-Rise-Werte auf, um so die niedrigeren Kräfte beim Pedalieren der kleineren Fahrer auszugleichen. Wo wir gerade bei Anti-Squat sind: Wie schon das Wolf Ridge besitzt Marins Mount Vision Werte, die sich über die gesamte Bandbreite bei 100 % im Bereich des 50-Zahn-Ritzels der Kassette bewegen und bei 125 – 225 % beim 10er-Ritzel. Man muss sich allerdings im Klaren darüber sein, dass das Naild-System sich derart von allem anderen auf dem Markt unterscheidet, dass es schwer fällt, es mit gängigen Begrifflichkeiten zu beschreiben.

Mit größenspezifischer Kinematik und 150 mm Federweg an Front und Heck soll das Naild R3ACT 2 Play 4-Gelenker-Design inklusive der neuen Gleitstrebe die Masse des Fahrers von den Beschleunigungskräften entkoppeln
Der Hinterbau besitzt nun eine extra Umlenkwippe, die die Dämpferaufnahme stabilisiert. Daraus resultiert ein spürbarer Unterschied in puncto Steifigkeit auf dem Trail
Uns ist zwar aufgefallen, dass wir anfingen, die breite Schwinge mit unseren Fersen zu zerkratzen, jedoch spürten wir das nicht beim Fahren

Geometrie des Marin Mount Vision

Während das Marin Wolf Ridge hinsichtlich seiner Geometrie sicherlich auf der konservativen Seite angesiedelt war, ist beim neuen Mount Vision klar, dass Marin es topaktuell herausbringen wollte. Größe Large beschreitet einen Mittelweg, verglichen mit den neuesten, kompromisslos aggressiven Trail-Bikes. Der Reach beträgt 471,5 mm, kombiniert mit einem 65 Grad Lenkwinkel, superkurzen 420 mm Kettenstreben, einem Radstand von 1.213 mm sowie 618 mm Stack. Der Sitzwinkel mit seinen 75,1 Grad fällt trotzdem etwas flach aus.

Größe XS S M L
Sitzrohr 395 mm 430 mm 465 mm 502 mm
Oberrohr 516 mm 538 mm 563 mm 585 mm
Steuerrohr 90 mm 105 mm 125 mm 138 mm
Lenkwinkel 65° 65° 65° 65°
Sitzwinkel 75.5° 75.3° 75.1° 75°
Kettenstreben 420 mm 420 mm 420 mm 420 mm
Tretlagerhöhe 330 mm 330 mm 330 mm 330 mm
Radstand 1,160 mm 1,187 mm 1,213 mm 1,240 mm
Reach 432 mm 453 mm 472 mm 493 mm
Stack 587 mm 600 mm 618 mm 630 mm
Die Geometrie des Marin Mount Vision ist eine Blaupause für ein knallhartes, aggressives Trail-Bike
Der Sitzwinkel ist steiler als beim Wolf Ridge, fühlt sich im Sitzen jedoch trotzdem flach an. Das ist zum Teil den superkurzen 420 mm-Kettenstreben geschuldet.
Von nahem betrachtet ist die Verarbeitungsqualität des Marin sehr schick. Sie sieht wertig aus und fühlt sich auch so an.

Das Marin Mount Vision 8 im Detail

Wir empfanden es als durchaus erfrischend, die Möglichkeit zu bekommen, das erschwinglichste Modell des Mount Vision-Lineups zu testen (obwohl es mit 5.299 € noch immer ein Premium-Bike ist). Die Testbikes bei Markteinführungen sind schließlich oftmals die luxuriösen Topmodelle, die sich niemand wirklich leisten kann. Von daher kam das Marin Mount Vision 8 in einem geradezu realitätsnahen Aufbau bei uns an. Nichts ausgefallenes, sondern einfach eine zuverlässige und solide Ausstattung. Die RockShox Pike RC kann zwar mit einer FOX 36 nicht mithalten, liefert jedoch eine gute Performance und der einfache RockShox Deluxe R-Dämpfer bietet eine spitzenmäßige Feinabstimmung auf das Bike. Wir waren außerdem erfreut zu sehen, dass Marin nicht an den Bremsen gespart hat und mit den neuen Shimano XT 4-Kolben Bremssätteln auftrumpft – auch wenn sich etwas schwächer ausgestattete Bremshebel an unser Test-Bike gemogelt haben. Die dicken 2,6 x 27,5” WTB Trail Boss-Reifen runden den Aufbau ab und boten gewaltigen Grip auf den trockenen Test-Trails.

Gabel RockShox Pike RC 150 mm
Dämpfer RockShox Deluxe R 150 mm
Schaltung SRAM GX/NX Eagle
Bremsen Shimano XT 4 Pot 203/180 mm
Lenker Marin Mini-Riser 6061 780 mm
Vorbau Marin 3D Forged 35 mm
Sattelstütze KS Lev Integra 150 mm
Laufradsatz Stan’s No Tubes Sentry S1
Reifen WTB Trail Boss 27.5 x 2.6”

Nach unseren Bedenken hinsichtlich der Verwundbarkeit des exponierten Unterbauchs des Naild-Designs am Wolf Ridge waren wir erfreut, eine neue, stabile Plastikabdeckung zu entdecken – gut für alle, die auf felsigen Trails unterwegs sind.

Andere Modelle im Lineup

Marin wird außerdem zwei weitere Modelle anbieten: Das 8.999 € teure Spitzenmodell Mount Vision Pro mit komplettem Shimano XTR-Antrieb und Bremsen, einer FOX 36 Factory Gabel und dem Float X2 Dämpfer sowie einem E*Thirteen TRS Race Carbon-Laufradsatz. Ein wenig erschwinglicher präsentiert sich das 6.699 € teure Mount Vision 9 mit komplettem SRAM X01 Eagle-Antrieb, Shimano XT 4-Kolben-Bremsen, einer FOX 36 Performance Elite-Gabel sowie dem Float X2 Performance-Dämpfer. Vollendet wird der Aufbau von einem Satz Stan’s NoTubes Sentry-Laufrädern.

Das Marin Mount Vision 8 im Test

Es fetzt einfach, Bikes auf den Home-Trails zu testen und lässt einen besser erkennen, wo die Stärken und Schwächen liegen

Marin schickte uns ein Mount Vision 8 in Größe Large zum Herumtoben auf unseren Hometrails und wir sind nicht gerade zimperlich mit ihm umgegangen. Das Setup entpuppte sich als Kinderspiel. Der RockShox Deluxe R-Dämpfer besitzt keine Druckstufen-Einstellung, daher wählte unser 180 cm großer Tester 30 % SAG am Heck und passte die RockShox Pike RC-Gabel an seine persönlichen Vorlieben an.

Helm: MET ROAM | Trikot: VOID Orbit | Hose: ENDURA Singletrack | Schuhe: FIVE TEN Hellcat

Von der ersten Kurbelumdrehung an wird klar, dass das Marin Mount Vision nicht wie die meisten Bikes klettert. Ein hohes Maß an Anti-Squat bedeutet, dass das Mount Vision spritzig nach vorn geht, wenn man Gas gibt, euch nach oben schiebt und mit Feuereifer vorwärts treibt. Selbst ohne Druckstufen-Einstellung am relativ einfachen Dämpfer geht keinerlei schaukeln von der einarmigen Schwinge aus – an diesem Bike gibt es daher keinen Grund für irgendeinen Lockout. Das macht den Hinterbau so wahnsinnig gut bei langgezogenen Anstiegen auf Forstwegen. Geht man jedoch aus dem Sattel und gibt bergauf alles, dann kann diese brutale Effizienz gelegentlich dafür sorgen, dass das Bike auf losem Untergrund und über Hindernissen Grip verliert und etwas hüpft, da dem Hinterbau die Sensibilität konventioneller Systeme fehlt. Obwohl der Sitzwinkel des Mount Vision steiler ist als beim Wolf Ridge, fühlten wir uns in der Kletterpostion trotzdem etwas weit nach hinten versetzt. Die super kurzen 420 mm-Kettenstreben lassen die Sitzposition flacher wirken, als sie eigentlich ist und befördern das Hinterrad an steileren Anstiegen unter euch. Wir reagierten auf diesen Umstand, indem wir den Sattel für eine bessere Balance auf seinen Streben weit nach vorn schoben. Vergleicht man das Marin Mount Vision Kopf an Kopf mit Bikes gleicher Federwegskategorie, so empfanden wir das hohe Maß an Effizienz als Ausgleich für die hecklastige Sitzposition und das massigere Mount Vision konnte unbeschwert mithalten.

Wir hatten eine Menge Spaß auf dem Marin Mount Vision, die neue Umlenkwippe spendiert eine gute Portion lateraler Steifigkeit und animiert zu wilden Fahrmanövern

Neigt man das Bike bergab, gestalten sich die Dinge noch eine ganze Menge spaßiger. Die progressive Geometrie des Mount Vision zeigt, was sie wirklich drauf hat und erlaubt es euch, den hinteren Federweg voll auszunutzen. Der Naild R3ACT 2 Play-Hinterbau funktioniert sehr gut, donnert mit Leichtigkeit durch schnelle Schläge und hält sowohl Stabilität als auch Verspieltheit im Gleichgewicht. Es ist ein schwierig zu beschreibendes Gefühl, aber das Hinterrad fühlt sich sehr frei an, um auf Schläge zu reagieren – ganz so, als sei es unabhängig vom Gewicht des Fahrers und gibt bei Bedarf den gesamten Federweg frei, jedoch ohne harte Durchschläge. Wir sind normalerweise keine Fans von ultra kurzen Kettenstreben, aber das Mount Vision schneidet mühelos durch Kurven, speziell da die 2,6” WTB Trail Boss-Reifen Grip bieten wie verrückt. Wenn ihr es doch mal versaut, retten euch die neuen starken und großartig dosierbaren Shimano 4-Kolben-Bremsen den Hals.

Das Naild-System ist allerdings ziemlich laut und keucht bei tieferen Einschlägen, während die Gleitstrebe ihre Arbeit verrichtet. Pressten wir das Heck saftig in Anlieger, konnten wir ein wenig Quietschen vernehmen, verstärkt durch die hohle Schwinge, spürten dabei jedoch keinen unerwünschten Flex. Die neue Umlenkwippe verbessert die laterale Steifigkeit dramatisch, das Hinterrad schneidet satt durch enge Kurven und das ganze Bike fühlt sich stabil und vorhersehbar an. Das System rollt extrem geschmeidig dahin und findet überall Grip. Einzig bei Sprints auf flacheren Sektionen empfanden wir das Bike als widerspenstig. Also dort, wo der starke Anti-Squat das Heck in den höheren Gängen bei Schlägen abheben and hüpfen lässt, wenn man pedaliert. Die Kehrseite davon ist, dass sich das Mount Vision flink und direkt anfühlt – es ist ein sehr gutmütiges Bike, wenn man es richtig krachen lässt.

Das Mount Vision wird am liebsten ordentlich durchgeschüttelt: schnelle Schläge, Wurzeln und Steinfelder kann man wie ein Vollidiot durchqueren.

Flext es noch immer?

Nun, uns gefielen schon am Wolf Ridge eine Menge Dinge. Seine Treteffizienz war außergewöhnlich gut bei Anstiegen auf langgezogenen Forstwegen. Allerdings besaß es einige Eigenheiten, die dem einzigartigen Hinterbau geschuldet sind – so zum Beispiel spürbaren Flex an der unversteiften unteren Dämpferbefestigung. Leichtere Tester spürten dies zwar nicht, doch schwerere Fahrer empfanden, dass das Hinterrad in Kurven seine eigene Linie nahm. Marin hat darauf deutlich reagiert, mit dem Hinzufügen der extra Umlenkwippe, um die untere Dämpferbefestigung zu stabilisieren. Das funktioniert sehr gut, reduziert die unversteifte Distanz um die Hälfte und ist auf dem Trail deutlich spürbar.

Ist der Naild-Hinterbau besser als konventionelle Systeme?

Nun zur großen Frage: Ist das Naild Hinterbau-System die Wunderwaffe, auf die wir alle gewartet haben? Der Naild-Hinterbau weist eine Menge Vorzüge auf, die man nur mögen kann: Die Stabilität der einarmigen Schwinge beim Klettern ist branchenführend, ganz ohne Feedback von den Pedalen. Auch seine Fähigkeit, überall Grip zu erschnüffeln, während man dahingleitet, ist sehr beeindruckend – speziell angesichts der einfachen Einstellmöglichkeiten am RockShox Deluxe R-Dämpfer. Allerdings gilt es wie bei allen Hinterbau-Typen stets, eine Balance zu finden. In unseren Augen führte das sehr hohe Maß an Anti-Squat im Verlauf des Federwegs in den höheren Gängen zu einem unvorhersehbaren Fahrwerksverhalten. Und zwar dann, wenn man auf ruppigem Untergrund kräftig in die Pedale tritt. Letztendlich gibt es ausgewogenere Hinterbauten auf dem Markt, aber wenn euch das Marin Mount Vision anspricht, dann ist es durchaus eine Testfahrt wert – um dabei herauszufinden, ob seine Vorteile zu eurem Fahrstil passen.

Es gibt Hinterbau-Systeme, die ein ausgewogeneres Fahrverhalten aufweisen, aber das Marin Mount Vision bietet ein einzigartiges Fahrgefühl, das für einige von uns durchaus funktionieren wird

Fazit

Mit einigen wichtigen Änderungen seit der Markteinführung des Wolf Ridge besitzt das neue Marin Mount Vision eine verbesserte Geometrie und Seitensteifigkeit. Wir hätten uns außerdem über einen steileren Sitzwinkel oder längere Kettenstreben gefreut, um die brutale Effizienz des Naild R3ACT 2 Play-Hinterbaus bestmöglich auszunutzen. Aber wenn ihr auf ein Bike steht, dass nach vorn drängt und sich verspielt anfühlt, wenn man saftig in die Pedale tritt – gepaart mit einem potenten Verhalten bergab – dann sollte eine Testfahrt mit dem Mount Vision oben auf eurer Liste stehen.

Mehr Infos unter marinbikes.com


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Text: Fotos: Finlay Anderson, Trevor Worsey