„Live Uncaged“ ist das Firmenmotto einer der aktuell angesagtesten Bikemarken weltweit – die Rede ist von YT Industries. Wir sind mit YT-Gründer und CEO Markus Flossmann Biken, Boxen und Bier trinken gegangen, um herauszufinden, was das Motto wirklich bedeutet.

Auf den ersten Blick wirkt Markus nicht wie der klassische CEO einer internationalen Firma: Tattoos, ein breites Kreuz und eine stämmig-sportliche Figur – Markus sieht eher aus wie eine Mischung aus Bodybuilder und Business-Punk. Kommt man mit ihm ins Gespräch, merkt man schnell, dass er auch nicht der klassische, ernste und nur in Zahlen und Jahresabschlüssen denkende CEO ist. Vielmehr steckt in ihm ein Kind, dessen Augen vor Begeisterung funkeln, wenn er über neue Projekte spricht. Ein Mann, der vor allem dabei sein will: bei den Athleten, auf den Trails, beim Bike-Design und natürlich bei seinem Steckenpferd, den Marketing-Kampagnen. Das sieht man auch auf seinem privaten Instagram-Channel, wo klar wird, wo Markus und YT machen keine halben Sachen: Klotzen, nicht kleckern – geiler Scheiß und Good Times, egal was die anderen denken. Und genau diese Einstellung sieht man auch an dem rasanten Aufstieg der Marke YT Industries selbst, die in vielerlei Hinsicht neue Wege eingeschlagen hat: ein Bike-Video mit Hollywoodstar Christopher Walken, eine Bike-Werbung ohne Bike oder die Film-Inszenierung von Enten-Jagd und Fahrradfahren.

Mit teils ausgefallenen, teils tiefgründigen Kampagnen und Storys versucht sich die Marke aus Forchheim von der Masse der Bike-Marken abzuheben. Und das hat viel mit der Vision eines Mannes zu tun. Eines Mannes, der sein Lebensmotto „Live Uncaged“ zum Motto der Firma und zur Inspirationsquelle von Tausenden Bikern rund um den Globus gemacht hat.

Den Grundstein dafür legte Markus 2008. Und zwar zu einer Zeit, als scheinbar alles bestens lief: Markus hatte einen super (bezahlten) Job als Marketingchef einer der erfolgreichsten deutschen Fitnessstudioketten, seine Tochter war gerade eingeschult worden und es gab eigentlich keinen Grund, etwas zu verändern. Im Gegenteil: Die meisten hätten ihn für verrückt erklärt, wenn er ihnen erzählt hätte, dass er sein Angestellten-Leben aufgeben und neu durchstarten will. Doch während andere Risiken sahen, sah Markus Chancen.

Die Idee zur eigenen Firma kam Markus, als er zwei Kids auf den lokalen Dirt Jumps auf echt schlechten Bikes antraf und realisierte, dass Dirt-Jump-Bikes viel zu teuer waren und es nicht sein konnte, dass die jungen Talente auf solchem Material mit dem Sport beginnen. Ein Jahr später, im Alter von 33 Jahren, schraubte Markus dann die ersten 150 Bikes in der Garage seiner Schwiegermutter zusammen, ein Kumpel programmierte die Website für seine neue Marke: Young Talent Industries, kurz YT. Die Idee dahinter: Nachwuchsförderung und geile Bikes zum geilen Preis dank Direktvertrieb übers Internet.

In der Hoffnung auf eine kleine Story fuhr Markus mit dem ersten Muster zu Dimitri Lehner vom Freeride Magazin. Dimi nahm das Bike in einen Vergleichstest auf, in dem es direkt Preis-Leistungs-Sieger wurde – 10 Tage später war die Garage von Markus’ Schwiegermutter direkt ausverkauft. Im zweiten Jahr ließ Markus dann schon 650 Bikes produzieren, neue Modelle kamen hinzu und das Unternehmen wuchs über die Jahre rasant. Doch auf jeden Erfolg und jeden Wachstumsschub folgten auch immer neue Herausforderungen. „Jedes Jahr sind wir immer All-In gegangen“, sagt Markus, als er darüber spricht, wie er ohne Investoren wichtige Investitionen für die Zukunft des Unternehmens tätigen und bei Banken hausieren gehen musste, um ein Darlehen zu bekommen. Wie in jedem Unternehmen gab es auch Rückschläge und für Markus manchen Zweifel, ob es eine gute Entscheidung war, seinen damaligen Job an den Nagel zu hängen. „In der Retrospektive hätte ich nie gedacht, dass YT so groß werden würde.“ Heute kann Markus sagen: „Unterm Strich war es alles wert!“

Heute hat YT rund 120 Mitarbeiter, die Geschäfte laufen prächtig und auch das neue Firmengebäude zeugt vom Erfolg des Selfmademan, der gerade schon wieder vor neuen Herausforderungen steht.

Das operative Tagesgeschäft raubt dir manchmal die Kreativität für Neues und ehe du es checkst, bist du schon wieder in deinem Käfig.

Deshalb arbeitet Markus gerade sehr viel am statt im Unternehmen, holt neue, namhafte Verantwortungsträger mit viel Erfahrung ins Team und hofft, sich dadurch wieder mehr auf das konzentrieren zu können, was er am besten kann und was ihm am meisten Spaß bereitet – denn das wäre eine Win-Win-Situation für ihn und die Firma.

Markus weiß: „Das Team ist die Marke und es ist gar nicht einfach, dass jeder von der Buchhaltung bis zur Werkstatt den Spirit versteht. In Zeiten des Wachstums verselbstständigt sich vieles. Da musst du den Leuten vertrauen können.“ Dazu gehört es auch, loszulassen. Früher war Markus ganze Tage in seinem Büro, diese Zeit hat sich deutlich reduziert – er ist nun deutlich mehr in den Abteilungen unterwegs und verbringt viele Stunden damit, sich mit der Geschäftsleitung abzustimmen.

Trotz des Wachstums und der Größe der Firma versucht Markus, so gut es geht, eine familiäre Atmosphäre beizubehalten: „Mein Traum ist es, irgendwann wieder nachmittags Zeit in der Werkstatt zu verbringen, an Bikes zu schrauben und dabei ein Bier zu trinken – wie damals zu unseren Gründerzeiten.“

Ob er das tatsächlich schafft, hängt vermutlich von den Prioritäten ab, die er sich selbst setzt. Denn wirklich viel macht ihm offensichtlich unglaublich Spaß: Wenn er kann, jettet Markus mit seinen Athleten durch die Welt, steht auf Bike-Präsentationen gerne auch mal selbst hinterm Grill, lässt sich auf einen Business-Talk in Badelatschen am Pool ein, übernimmt Rollen in YT-Werbefilmen und redet nach wie vor viel bei Design- und Marketing-Konzepten mit. Für Markus ist der Launch eines neuen Bikes wie die Geburt von Zwillingen: Das Produkt, an dem YT jahrelang gearbeitet hat, ist das eine Baby; das andere ist die dazugehörige Werbekampagne, für die stets etwas Ausgefallenes hermuss. Einschränkungen? Gibt es nicht, dafür eine Offenheit für spontane Ideen und Potenziale. Denn Markus weiß aus seinem eigenen Werdegang, dass genau durch diese Offenheit die besten Dinge entstehen.

„Mein Leben ist immer durch Zufälle entstanden, es war nie so geplant. Mein Arzt hat nach einer Verletzung im Jahr 1997 gesagt, ich solle mal mountainbiken und nicht immer nur an Gewichten reißen [Anm. d. Red: Markus war Deutscher Meister im Bodybuilding]. Und das habe ich gemacht und so eine neue Leidenschaft entdeckt. Wenn etwas Unerwartetes passiert, bricht erst mal ein bisschen die Welt zusammen, man fragt sich: Scheiße, warum ich? Und am Ende, wenn man sich auf die neuen Umstände einlässt, wird was viel Geileres draus!“

Bei einer Firma wie YT, deren Athleten Worldcups gewinnen und die mit krassen Schauspielern wie Christopher Walken ihre Kampagnen dreht, könnte man denken, dass es ständig um die Suche nach den Extremen geht. Doch weit gefehlt!

Markus erzählt: „Spaß und Partys sind ein wichtiger Teil meines Lebens, aber nicht alles. Ich bin ein Landei, ich liebe die Ruhe. Wenn ich zu Hause bin, suche ich die Bodenständigkeit. Du brauchst etwas, das dich erdet. Umso mehr genieße ich es, wenn ich dann unterwegs bin.“

Wer mit Markus abhängt, dem wird schnell klar, dass „Live Uncaged“ nicht nur Marketing-Geschwafel oder ein Firmenmotto ist, sondern sein Lebensmotto: „Live Uncaged bedeutet nicht, dass du zwanghaft ein Rockstar sein musst – durchgeknallt und ohne Limit. Vielmehr bedeutet es, bewusst zu leben und deine Optionen zu kennen, Entscheidungen selbst zu treffen ohne Rechtfertigung und ohne dich nicht von der Gesellschaft und ihren Normen einengen zu lassen.“

Hätte ich Bock auf Stricken, würde ich es morgen ausprobieren – warum auch nicht?

So hat der 44-jährige vor 4 Jahren mit Motocrossen angefangen und ist seitdem komplett on fire: „Motocross hilft mir, meine Limits zu verschieben. Wenn du mit dem MX-Bike einen 15-m-Sprung machst, dann sind 5 m auf dem Mountainbike kein großes Ding mehr.“ Vor Kurzem hat Markus seine erste Bergbesteigung gemacht und Backcountry-Skiing ausprobiert.

Während er erzählt, sieht man in seinen glänzenden Augen, dass er noch lange nicht müde ist, dass es für ihn noch wahnsinnig viel da draußen zu entdecken gibt. Doch wie jeder hat auch Markus Limits. Sein größtes ist Zeit. Neben Arbeit, Familie und sechsmal Sport pro Woche muss man schon genau wissen, was man tun will und was nicht. Couch oder Training? Netflix oder an den Träumen arbeiten? Dass das selbst für ihn oftmals harter Tobak ist und auch er seinen inneren Schweinehund und Ängste überwinden muss, sagt uns Markus schweißüberströmt in dem YT-eigenen Fitnessstudio „Box“.

Markus ist der Überzeugung, dass jeder selbst für sein Leben verantwortlich ist. Viele Leute fänden es schön, ihr eigenes Ding zu machen oder sich selbst zu entfalten, aber wissen nicht, wie und wo sie anfangen sollen. Sein Tipp? „Klar brauchst du einen Plan, aber du kannst gar nicht alles planen. Das Wichtigste ist, den ersten Schritt zu tun – egal wie klein er ist – und dann immer weiterzulaufen und den Kurs ständig anzupassen. Du wirst überrascht sein, wie gut sich das anfühlt.“ Dabei vertraut Markus vor allem auf eines, nämlich sein Herz: „Was das Herz sagt, ist meist richtig – probier es aus und dann weißt du mehr!“ Am Ende unseres Besuches ist klar: Markus ist weit mehr als ein erfolgreicher CEO. Er ist ein leidenschaftlicher Mensch, der aus seinem mentalen Käfig ausgebrochen ist, schon lange nicht mehr mit dem Strom schwimmt, und der versucht, seine Träume zu leben – von Hollywood bis Forchheim. Dass das geht, hat er bewiesen.


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Text & Fotos: Robin Schmitt

Über den Autor

Robin Schmitt

Robin ist einer der zwei Verlagsgründer und Visionär mit Macher-Genen. Während er jetzt – im strammen Arbeitsalltag – jede freie Sekunde auf dem Bike genießt, war er früher bei Enduro-Rennen und ein paar Downhill-Weltcups erfolgreich auf Sekundenjagd. Nebenbei praktiziert er Kung-Fu und Zen-Meditation, spielt Cello oder mit seinem Hund (der eigentlich seiner Freundin gehört!), bereist fremde Länder und testet noch immer zahlreiche Bikes selbst. Progressive Ideen, neue Projekte und große Herausforderungen – Robin liebt es, Potenziale zu entdecken und Trends auf den Grund zu gehen.