Hohe, schneebedeckte Gipfel zwischen blauen Wasserschleifen, unberührte Singletrails, die sich durchs Unterholz schlängeln, weiß schimmernde Birken und dieses ganz besondere Licht – wegen solcher Vorstellungen steht Norwegen für viele auf der Reiseliste ganz oben. Wir sind hingefahren und eine Woche lang die Fjorde entlanggeschippert, auf der Suche nach den besten Trails.

Begleitet vom unregelmäßigen Knistern des Funkgeräts machen wir im Hafen von Molde die Leinen los und starten in Richtung des Gipfelgewirrs, das den Horizont ausfüllt. Das Licht tanzt in Flecken über die Seekarten, bis die Sonne hinter den Bergen untergeht und die endlose Abenddämmerung einsetzt. Wir sind in Norwegen, und unser Heim und Begleiter für die Reise ist die Gåssten, ein ehemaliges Minensuchboot, das nun im Ruhestand die Fjorde patrouilliert, auf der Jagd nach dem Singletrail-Paradies im Sommer und unberührten Powderhängen im Winter. Ihre Zeit beim Militär hat sie lange hinter sich und die vierköpfige Crew – Captain Sven, Skipper Tash, Guide Ole und Koch Izzy – gehört nicht zu der Sorte, die ein strenges Regiment führt, was das Bootsleben wesentlich angenehmer macht.

Segel setzen und auf ins ewige Dämmerlicht

Das leise Brummen des Motors zusammen mit dem Geräusch der Wellen, die gegen den Bootsrumpf schlagen, gehört zu den angenehmsten Wecktönen, die ich je gehört habe. Nach vier Tagen auf dem Wasser bin ich noch immer jeden Morgen aufgeregt, bevor ich an Deck gehe und die Landschaft entdecke, die sich um das Boot herum auftürmt. Der Sonar der Gåssten meldet piepsend, dass wir dem Ziel Åndalsnes näherkommen, was wir den nautischen Fähigkeiten von Sven und Tash verdanken. Doch unterdessen lockt mich das von der Kombüse heraufziehende Aroma von gebratenem Speck nach unten und ich lasse die beiden wieder in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen. Es ist der vorletzte Tag einer einwöchigen Reise, die uns vorbei an Gletscherseen, durch majestätisch gewundene Fjorde und über die Straße der Trolle geführt hat – und zu einigen der besten Singletrails, die ich je gesehen habe.

Als ich den Kopf wieder aus der Luke stecke, muss ich blinzeln und mir die Augen reiben angesichts des tiefblauen Himmels. Das Wasser glitzert im Morgenlicht und es ist, als wäre ich in einem anderen Land aufgewacht. Zum Glück sind die klatschnassen Schuhe vom Vortag im mollig warmen Maschinenraum über Nacht getrocknet. Heute können wir die Regenklamotten auf dem Boot lassen und die kurzärmeligen Jerseys aus den Taschen kramen. Unser Ziel ist oberhalb von uns klar zu erkennen, als wir mit Unterstützung der gesamten Crew im Hafen von Stranda anlegen. Ich sage „der gesamten Crew“, aber nachdem ich ein paar Minuten hilflos mit dem Seil herumgefummelt habe, erlöst mich Mitfahrer Euan mit den Worten: „Lass mich das machen, du würdest den Knoten nicht hinkriegen, wenn’s um dein Leben ginge.“ Nachdem wir uns eine Weile auf der Straße und auf Feldwegen abgequält haben, um die Beine aufzuwärmen, finden sich unsere Bikes doch schnell auf unseren Schultern wieder und wir manövrieren seitwärts durch eine Herde grüblerisch dreinblickender Kühe, die wir beim Frühstück gestört haben. Dann erreichen wir die Baumgrenze und betreten die offene Bergflanke, von wo sich ein Ausblick tief in die Fjorde hinein und hoch auf die schneebedeckten Gipfel eröffnet. Ein großer Steinhügel markiert unseren höchsten Punkt auf den geschwungenen Hügeln, von hier aus ist buchstäblich alles Downhill.

Auf den Trails der Trolle

Gestärkt durch Izzys selbstgebackenen Proviant (Erdnuss-Brownies, für alle, die es interessiert) und mit tatkräftiger Unterstützung der Schwerkraft heizten wir los Richtung Boot.

Über die Heide schießen wir auf einem schmalen Trail zwischen grasbedeckten Hütten durch, die sich an den Berghang klammern, und verschwinden dann unter Nadelbäumen und Birken. Ab hier wird es technisch: Such dir eine Line, halt den Lenker fest, und hoffe, dass es gut geht. Der steile, noch immer schlammige Untergrund und die puzzleartigen Steinfelder ergeben eine Kombi, die es in sich hat. Am Rand eines Wasserfalls duckt sich der Trail unter dichten, hohen Nadelbäumen hindurch, wird breiter, behält dabei aber seinen spaßigen, dennoch ziemlich fiesen Charakter. Da wir alle den Trail nicht kennen, gibt es zahlreiche fragwürdige Entscheidungen bei der Linienwahl. Der Wald hat uns verschluckt und spuckt uns am Ortsrand von Stranda wieder aus, wo wir ein kurzes Stück zwischen den holzverkleideten Häusern hindurchheizen bis zum Hafen, wo das Boot geduldig auf uns wartet.

Zurück an Bord chillen wir alle zufrieden mit einem Bier in der Hand und genießen die Sonne, als wir in den Geirangerfjord einfahren. Der Motor kommt stotternd zum Stehen, Sven kommt von der Brücke und lässt mit einem breiten Grinsen erkennen, dass der Badeplatz für den Nachmittag gefunden ist, direkt unterhalb der Wasserfälle, die „die Sieben Schwestern“ genannt werden. Das eiskalte Wasser raubt uns den Atem, ist nach einem harten Tag auf dem Bike aber ultra erfrischend. Das Abendessen köchelt auf dem Herd vor sich hin, die Sonne versinkt im Nachbarfjord – der perfekte Zeitpunkt, um das Paddelboot rauszuholen und sich die Küste genauer anzusehen.

Après-Bike-Eisbad

„Haut beim Frühstück ordentlich rein“, rät uns Ole und zeigt auf unser Ziel, das über 1.000 m hoch die Skyline dominierte.

Das Größte und Beste haben wir uns für den Schluss aufgespart. Wir beladen das Beiboot (Tetris-Style), verlassen die Gåssten und fahren volle Kraft voraus zur Anlegestelle neben einer Reihe roter Bootshäuser. Niemand ist in der Stimmung, auf dem Bike vorauszupreschen, wir kämpfen uns mit mühsamen Pedaltritten eine Serpentine nach der nächsten hoch. Wir passieren einen verlassenen Bauernhof samt uralter Gerätschaften und halten bei einem weiteren Weiler aus grasgedeckten Hütten, wo wir zu Mittag essen. Auf dem Weg nach oben bin ich beinahe neidisch auf die bikelosen Wanderer, die munter von Stein zu Stein hüpfen, ungehindert durch einen Haufen Plastik und Metall auf ihrem Rücken, doch ich weiß, ich werde später für alles entschädigt.

Wir verdopplen zu Fuß noch unsere Höhe, es ist die Art Aufstieg, wo man am Schluss jeden Meter spürt. Schweißüberströmt und mit rotem Gesicht dank der sengenden Sonne erklimme ich die letzte Steigung, das Boot ist von hier aus nicht mehr als ein Pixel im Wasser. Unsere Körper lassen uns spüren, was für eine Woche wir hinter uns haben – aber wen interessiert so was, wenn ewig weit nur hohe Gipfel und dazwischen türkises Wasser zu sehen ist und der Trail mitten durchführt? Ich erhole mich in Rekordzeit von diesem Anstieg, hauptsächlich, weil ich es nicht erwarten kann, den Trail mit seinen Felsblöcken und den Hero dirt zu fahren, den wir gerade hochgeklettert sind. Abwärts geht es Richtung Boot, ich flirte mit der Schwerkraft, während sie mit meinen heulenden Bremsscheiben kämpft. Das Grinsen in allen Gesichtern wird breiter, als wir über Felskanten abziehen, die einen ziemlichen Kontrast zum weichen Boden dazwischen bilden.

Im Clinch mit der Schwerkraft

Man wünscht sich ja immer, es könnte nur noch ein bisschen so weitergehen … Wir lassen die liebgewonnene offene Flanke hinter uns, erreichen die Baumgrenze, wo uns ein finaler norwegischer Höhepunkt auf einem Trail namens „Blowjob“ erwartet. Was dann passiert, hätte ich eigentlich kommen sehen müssen, immerhin habe ich heute schon mehrfach das Vorderrad versenkt und musste meinen Fuß zum Stabilisieren nutzen. Vielleicht bin ich bei dem Anblick übermütig geworden, oder mich hat das Talent oder das Glück oder beides verlassen – jedenfalls hat das Loch, das mich erwischt, die praktische Größe von 29”. Ich gehe über den Lenker, unsanft. Eine Stunde später sind wir alle wieder an Deck und genießen mit einem Bier in der Hand den letzten Abend auf den Fjorden. Wir werfen den Anker am Rand von Ålesund und versammeln uns unter Deck zu einem gemütlichen Abendessen. Die Stimmung ist ausgelassen und der Abend der krönende Abschluss, bevor wir morgen in alle Himmelsrichtungen nach Hause fliegen.

Wir haben die ganze Woche keine anderen Fahrer und auch keine Reifenspuren gesehen – dieser Teil Norwegens fängt gerade erst an, sein Mountainbike-Potenzial zu entdecken. Doch die Ansätze sind da und es dauert nicht mehr lang, bis er aufblüht. Die tiefen Fjorde und die steilen Hänge gehören nicht zu den am leichtesten zugänglichen Orten der Welt, doch die Trailschätze, die hier verborgen liegen, sind die Mühe allemal wert. Die Gåssten sucht jetzt Trails statt Minen und ist der ideale Begleiter, wenn man das Labyrinth der norwegischen Fjorde erkunden will.


Dieser Artikel zeigt einen Ausschnitt aus einer einwöchigen Expedition mit H+I, an Bord eines ehemaligen militärischen Minensuchboots, dessen Aufgabe heute ist, Trails und Abfahrten für Bikes, Boards und Skier ausfindig zu machen.

Wo buchen?

Alle Details und die Reiseroute findet ihr auf der Website von H+I Adventures.

Wie hinkommen?

Der Trip beginnt in Molde und endet in Ålesund; beide Städte haben Flughäfen, auch wenn Direktverbindungen eher unwahrscheinlich sind. Per Flugzeug reist man definitiv am leichtesten und effizientesten an.

Was mitnehmen?

H+I Adventures führt diese Tour unter dem Skill-Level „Advanced+“, ihr müsst also erfahren sein, mit hoher Fitness und guten Fahrfähigkeiten. Die Trails sind steil und technisch, ein 150-mm-Fully ist ein guter Startpunkt. Spart nicht an Schutzausrüstung und Equipment für jedes Wetter. Wir haben von Regenfahrten bei einstelligen Temperaturen bis zu perfektem blauen Himmel und 20 °C alles erlebt.

Wann ist die beste Reisezeit?

Die beste Zeit, um in der Region mit dem Bike unterwegs zu sein, ist der Hochsommer. Touren werden von Juni bis September angeboten.


Dieser Artikel ist aus ENDURO Ausgabe #031

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Text & Fotos: Ross Bell