„Wie viel wiegt das Bike?“ Trifft man andere Fahrer, wird keine Frage häufiger gestellt als die nach dem Gewicht. Doch was nützt die Information? Ist ein schweres Bike ein schlechteres Bike? Lässt sich Fahrperformance durch eine Zahl definieren? Oder sollten wir möglicherweise sogar aufhören, unsere Fahrräder zu wiegen?
Leicht ist gut, schwer ist schlecht, so lautet seit Jahrzehnten die Devise im Radsport. In den 90er-Jahren führte das so weit, dass viele Fahrer durch übertriebenen Leichtbau auf fast jeder Tour ihr Leben aufs Spiel setzten. Lenkerbrüche gehörten damals fast genauso zur Tagesordnung wie ein platter Reifen. Dank immer besserer Prüf- und Fertigungsverfahren hat sich dieses Problem über die Jahre jedoch zum Glück gelöst. Die Bedeutung von Gewicht hat für viele Fahrer aber nicht nachgelassen.

Ja, es stimmt: Bikes wurden über die Jahre tendenziell schwerer
Für viele klingt es paradox: In einem Sport, in dem Gewicht lange Zeit als das entscheidende Kriterium galt, scheint in den letzten Jahren der technologische Fortschritt einen Rückschritt zu erleben. Fakt ist: Trail- und Endurobikes wurden in den letzten Jahren immer schwerer. Doch das hat gute Gründe. Denn parallel zum Gewicht stieg auch die Fahrperformance und dadurch auch der Fahrspaß.
Seit es Mountainbikes gibt, haben sie sich ständig weiterentwickelt. Am Anfang war es die Federgabel, dann die Scheibenbremse, die das Gewicht in die Höhe trieb. Es folgten die Teleskopsattelstütze, größere Laufräder, breitere Lenker und einige weitere Faktoren. Würden wir auch nur auf einen davon verzichten wollen? Sicherlich nicht! Und so entwickelten sich langweilige Tourenbikes für Forstwege in richtig potente Abfahrtsbikes für maximale Trailperformance. Heute kann man problemlos mit einem 140-mm-Trailbike einen Tag im Bikepark verbringen – vor wenigen Jahren war das undenkbar.

Rahmen werden schwerer – aber auch durchdachter, stabiler und haltbarer
Die immer bessere Performance der Bikes führt völlig automatisch dazu, dass viele Fahrer immer härtere Strecken mit immer höheren Geschwindigkeiten fahren. Die logische Konsequenz sind steigende Belastungen fürs Material und bei falscher Komponentenwahl auch ein steigender Verschleiß. Klar, dass hierfür der Rahmen und seine Lagerung angepasst werden müssen. Ein gutes Beispiel für diese Entwicklung ist das neue Canyon Spectral. „Ja, das neue Modell ist etwas schwerer“, sagt Daniel Oster, Senior Product Manager. „Doch es ist jetzt genauso klassifiziert wie das Endurobike Strive und dank des neuen Linkage-Designs, der externen Zugführung mit extra Rahmenprotektor und der überarbeiteten Sattelstützenklemmung ist es noch haltbarer und zuverlässiger.“ Weiter sagt er: „Für mich sind Haltbarkeit und somit der Serviceaufwand und die Sicherheit des Kunden wichtiger als ein paar Gramm. Das Spectral ist ein Bike, um mit Kumpels entspannt bergauf zu pedalieren und sich dann bergab zu batteln und maximalen Spaß zu haben.“
Ein weiteres Beispiel: Für Specialized wäre es ein Leichtes, den Rahmen des Enduro oder des Stumpjumper ohne eine SWAT-Box noch ein paar Gramm leichter zu konstruieren, doch würde das den Fahrspaß erhöhen? Oder ist es nicht viel praktischer, auch mal ohne Rucksack auf die Feierabendrunde zu starten, mit dem Wissen, alles Nötige an Bord zu haben?

Downhill-Komponenten an Trail- und Endurobikes
Es ist keine Kunst, ein bezahlbares 12-kg-Trailbike oder 13-kg-Endurobike zu bauen. Doch wer hat schon Bock, mit dünnwandigen Reifen den Trail hinunter zu eiern? Allein hier würden sich locker 500 g sparen lassen. Ein anderes Beispiel sind Bremsen. Noch vor Kurzem kamen Shimano Saint-Bremsen ausschließlich an Downhillbikes zum Einsatz. Mittlerweile sieht man immer mehr Enduro-Räder mit den großen Stoppern. Auch Trailbikes besitzen mittlerweile meist 200-mm-Bremsscheiben für mehr Sicherheit und Performance. Klar, dass sich dadurch das Gewicht etwas erhöht.


Trotz mehr Gewicht geht’s immer besser bergauf
Es ist ein hartnäckiges Vorurteil: Ein schweres Bike fährt sich schlecht bergauf. Doch welche Faktoren zählen im Uphill wirklich? Ist Gewicht hier so entscheidend oder kommt es nicht vielmehr auf Aspekte wie eine zentrale Sitzposition (Stichwort: steiler Sitzwinkel) oder ein effizientes Fahrwerk an? Bikes wie das NICOLAI G15, das Pole EVOLINK oder das RAAW Madonna beweisen, wie entspannt es trotz hohem Rahmengewicht und maximaler Abfahrtsperformance bergauf gehen kann – vorausgesetzt, die Geometrie stimmt. Das leichteste Bike nützt nichts, wenn man bei ausgefahrener Sattelstütze halb über der Hinterradnabe sitzt.
Mehr Gewicht für ein verbessertes Handling bergab
Für viele klingt es verrückt, aber Mehrgewicht an den richtigen Stellen kann tatsächlich das Handling verbessern. E-Mountainbikes sind dafür ein eindrucksvoller Beweis: Speziell in wirklich schnellen und anspruchsvollen Sektionen vermitteln die schweren Bikes ein enormes Maß an Sicherheit und begeistern in Kurven mit ungeahntem Grip. Der Visionär Chris Porter geht sogar so weit und packt Bleigewichte an seine Rahmen für mehr Laufruhe. Das sind natürlich extreme Beispiele und gewiss sind sie nicht der Weisheit letzter Schluss, aber es sind interessante Denkanstöße für die Diskussion über zu schwere Bikes.

Die Industrie reguliert sich selbst
Wenn ein neues Produkt wie z. B. eine neue Federgabel präsentiert wird, kann man davon ausgehen, dass sie sicherlich nicht schwerer geworden ist als ihr Vorgänger – außer es gibt dafür wirklich gute Gründe. Für Produktmanager ist das Thema Gewicht bei der Entwicklung neuer Teile immer ein zu berücksichtigender Faktor, denn sie stehen ja auch in einem ständigen Wettkampf mit der Konkurrenz. Und Bike-Hersteller achten bei der Spezifikation ihrer neuen Bikes letztlich auch immer aufs Gesamtgewicht und pushen dadurch ihre Zulieferer dazu, hier nicht über die Stränge zu schlagen. Aus diesem Grund pendeln sich Bikes mit ähnlichem Einsatzbereich und ähnlicher Ausstattung auch immer in einem ähnlichen Gewichtsbereich ein.
Was machen die, denen moderne Trail- und Endurobikes zu schwer sind?
Was aber, wenn man als Fahrer all dieses Plus an Fahrperformance, Sicherheit und Haltbarkeit gar nicht benötigt? Wenn man einfach ein leichtes Rad sucht, um damit auf Forststraßen unterwegs zu sein oder möglichst schnell den Berg hinaufzufahren, und die Abfahrt dann nur wenig Bedeutung hat? Die Lösung ist einfach: Man greift zu einem Rad in einer Kategorie tiefer. Immer mehr Hersteller bieten mittlerweile sehr potente Cross-Country- oder Touren-Bikes an wie z. B. das SCOTT Spark, das Specialized Camber oder das Canyon Neuron, die in diesem Einsatzbereich deutlich mehr Sinn ergeben.

Das Gewicht hat als Orientierungshilfe ausgedient
Noch vor einigen Jahren waren Räder ziemlich einfach vergleichbar. Doch mit dem Einzug von verschiedenen Laufradgrößen und immer differenzierteren Einsatzbereichen lassen sich Bikes heute deutlich schwerer vergleichen. Wie bereits erwähnt, kann allein durch einen anderen Satz Reifen oder den Umbau auf Tubeless das Gewicht eines Bikes um mehrere Hundert Gramm variieren. Der Blick aufs Gesamtgewicht als Orientierungshilfe hat daher ausgedient. Wenn man das Gewicht eines Bikes betrachten will, müsste man das sehr differenziert tun und bspw. das Laufradgewicht oder das reine Rahmengewicht vergleichen. Doch das bringt uns wieder zurück zur Ausgangsfrage: Lässt sich daran das Fahrverhalten eines Bikes ablesen? Sicherlich nicht! Wenn ihr also wissen wollt, wie gut ein Rad wirklich bergauf klettert und wie es sich bergab fährt, macht eine Probefahrt oder vertraut auf unsere Testberichte. Eine Zahl allein hilft euch sicherlich nicht weiter!
Was ist deine Meinung zum Thema Gewicht? Schreib mir eine E-Mail: cbayer@enduro-mtb.com
Dieser Artikel ist aus ENDURO Ausgabe #033
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Text: Fotos: Christoph Bayer, Fabian Scholz