Die Hebel sind perfekt eingestellt, die Züge sauber verlegt und die Lieblingsgriffe montiert – das perfekte Cockpit, oder? Fast! Wer die Wahl des richtigen Lenkers vernachlässigt, lässt viel Fahrspaß liegen. Wir zeigen euch in unserem MTB-Lenker-Guide, warum genau das zu vielen Ridern passiert und wie ihr den perfekten MTB-Lenker für euch findet.
Was ist mitunter das Beste an einem „New Bike Day”? Die edlen Parts perfekt auf sich einzustellen! Erst wenn sich alles satt anfühlt, ist das Rad wirklich unseres. Und vieles spüren wir in unseren Händen. Am Bremshebel optimieren wir den Abstand zum Griff, die Position am Lenker und den Druckpunkt ganz nach Gusto. Schon der Trockentest zeigt, was sich gut anfühlt und was gar nicht geht. Auch bei den Griffen erkennt man sofort, welche gut in der Hand liegen. Ist das Cockpit damit schon perfekt? Nicht ganz. Was ist eigentlich mit dem Lenker, dieser offensichtlich notwendigen, aber doch irgendwie leidenschaftslosen Verbindung zwischen Griffen, Vorbau und den Hebelchen dazwischen? Hier tunen? Oh ja! Und zwar längst nicht nur für ein paar Gramm Gewichtsersparnis.
Der Einfluss des Lenkers auf das gesamte Handling unseres Mountainbikes ist schwer in Zahlen zu fassen, aber im Gelände deutlich zu spüren. Im besten Fall überträgt er Lenkimpulse unmittelbar auf den Trail, gibt uns dabei Rückmeldung vom Untergrund und gleichzeitig Dämpfung in der Hand, versetzt uns in eine gute Körperhaltung und lässt uns den ganzen Bike-Tag schmerzfrei durchziehen. Ach ja, und schön anzusehen, leichtgewichtig und erschwinglich darf er auch sein. Alles klar, oder? Ähm … Wer sich an die Suche nach dem perfekten MTB-Lenker herantraut, braucht etwas Geduld, wird aber mit Fahrspaß belohnt. Wir haben all unsere Erfahrungen zusammengeworfen, dazu Experten von NEWMEN, SQlab, MERIDA und Orbea mit ins Boot geholt und euch daraus diesen MTB-Lenker-Guide geschmiedet, mit dem ihr euch erfolgreich durch den Lenker-Dschungel hangelt.
Mein MTB-Lenker passt doch – oder?
Klar passt der Lenker, der jetzt gerade auf eurem Bike montiert ist – so lange, bis ihr einen ausprobiert, der besser passt. Es gibt einige deutliche Anzeichen dafür, dass ein Wechsel sinnvoll sein könnte. Dazu zählen taube Finger, schmerzende Handflächen oder Schultern, Armpump, das Bedürfnis, die Hände auszuschütteln, oder häufiges Umgreifen auf der Suche nach einer komfortablen Position. Dass ein Lenkerwechsel hilfreich wäre, ist aber nicht immer so offensichtlich, weil man sich an vieles gewöhnt. Doch habt ihr den richtigen Lenker in der Hand, werdet ihr den Unterschied merken! Vielleicht nicht gleich in der Werkstatt oder beim ersten kurzen Test auf dem Parkplatz, aber spätestens auf dem Trail.
Dieser gewisse Aufwand schreckt viele Rider bereits vom Testen ab – leider! Denn so werden Lenker oft nach ebenso simplen wie fragwürdigen Überlegungen ausgewählt und nie mehr in Frage gestellt: Carbon ist edler und hochwertiger als Alu, 35 mm Durchmesser am Vorbau sehen schön fett aus und volle 800 mm Breite bringen massig Stabilität auf dem Trail, oder? Diese oberflächliche Checkliste kann für einige Rider zum Erfolg führen, viele andere liegen damit aber kapital daneben. Doch warum?
Der häufigste Fehler, den wir und auch die von uns befragten Experten draußen auf dem Trail beobachten, sind zu breite Lenker. Vor allem kleinere Rider, die sich nicht ans Kürzen des Lenkers herantrauen, nehmen dadurch echte Handling-Nachteile in Kauf. Doch den Lenker abzusägen, kann wiederum andere Probleme mit sich bringen. Dazu weiter unten mehr. Vorsicht ist außerdem bei dicken Lenkern mit 35 mm Klemmmaß am Vorbau geboten! Die sehen fett aus und machen optisch mehr her als die dünnere 31,8-mm-Alternative, könnte man zwar urteilen. Doch ein größerer Durchmesser bedeutet tendenziell mehr verbautes Material und damit mehr Steifigkeit. Das kann gut sein – oder aber auch zu viel des Guten. Interessant ist, dass sich unsere befragten Markenvertreter in diesem Punkt in zwei Lager aufteilen: Zwei von ihnen fahren an ihrem eigenen Bike lieber das dickere 35-mm-Maß, zwei bevorzugen Lenker mit schlankem 31,8 mm Durchmesser.
„Aber Carbon ist besser als Alu, oder?” Darauf ein klares „Jein”. Aufgrund ihres mehrlagigen Aufbaus, ihres ganz spezifischen Lay-Ups also, können Carbon-Parts wie Lenker je nach Konstruktion von butterweich über genau richtig bis hin zu knüppelhart so ziemlich alles sein – ähnlich wie Aluminium, das je nach Materialeinsatz und Wandstärke ebenso unterschiedliche Steifigkeitswerte bietet. Wie steif perfekte MTB-Parts tatsächlich sein sollten, haben wir schon in diesem Artikel besprochen. Einen eindeutigen Werkstoff-Sieger kann man bei Lenkern nicht benennen. Was wir aber wissen, ist, dass hochwertige Carbon-Lenker leichter, aber auch deutlich teurer sind als Metall-Alternativen. Testet daher lieber preiswert mit Alu und greift erst dann zur Kohlefaser, wenn ihr eine Vorstellung davon habt, welche Maße und Specs euer Wunschlenker haben sollte.
„Schön breit, schön dick und möglichst aus Carbon” sind also gefährliche Ratgeber bei der Kaufentscheidung. Doch auf welche Eigenschaften solltet ihr tatsächlich achten, um wirklich zum richtigen Lenker zu greifen?
MTB-Lenker-Guide: Wie wichtig sind Upsweep, Backsweep & Rise?
Ein Lenker ist viel mehr als nur seine Breite, seine Dicke und sein Werkstoff. Zu seinen Eigenschaften gehört außerdem, in welchem Winkel seine Enden vertikal nach oben (Upsweep) und horizontal zum Fahrer hin abgewinkelt sind (Backsweep). Diese Werte werden in Grad angegeben und das Optimum ist stark von persönlicher Vorliebe abhängig. Viele Modelle bewegen sich aber bei ähnlichen Sweep-Maßen.
Der populäre FatBar von Renthal kommt beispielsweise mit 5° Upsweep und 7° Backsweep. Der ebenfalls oft anzutreffende Race Face Next R 35 wählt die Geo mit 5° Upsweep und 8° Backsweep ganz ähnlich. Beim 3OX-Lenker der Ergonomie-Fetischisten SQlab sind es 4° Upsweep und je nach Modell 9°, 12° oder extreme 16° Backsweep. Letztere Variante richtet sich vor allem an XC-Racer, die trotz dynamisch gestreckter Sitzposition einen ergonomischen Übergang vom Unterarm zum Handgelenk finden sollen. Für den Enduro- und Downhill-Einsatz empfiehlt auch SQlab Modelle mit etwas unter 10° Backsweep.
Solange ihr ohne Schmerzen oder auffällige Ermüdung in Händen, Armen oder Schultern unterwegs seid, müssen euch die Sweep-Werte eures Lenkers keine Sorgenfalten bereiten. Falls ihr mit der Ergonomie eures aktuellen Lenkers nicht zufrieden seid, kommt ihr am Durchprobieren einiger Optionen nicht vorbei, könnt euch aber an den Maßen beliebter Modelle orientieren.
Heiß diskutiert wird aktuell der Rise von MTB-Lenkern, also der absolute Höhenunterschied von Klemmung zum Griffende. Wie auch beim Stack von MTB-Rahmen, also der Höhendifferenz zwischen Tretlager und dem oberen Ende des Steuerrohrs, ist auch bei Lenkern ein Trend zu mehr Rise zu erkennen. Je höher das Cockpit, desto aufrechter ist die Position auf dem Rad und desto weiter verschiebt sich der Körperschwerpunkt in Richtung Hinterrad. Das entlastet zum einen strapazierte Handflächen, zum anderen kann mehr Rise Sicherheit auf steilen Abfahrten bringen, weil er uns tendenziell hinter statt über dem Lenker aka dem Abgrund platziert. Der Pro-Downhiller Dakotah Norton machte im Worldcup von sich reden, als er einen Lenker mit gewaltigen 75 mm Rise montierte und sein Cockpit dadurch sichtbar erhöhte – was ihm in der Szene den Spitznamen „Stackotah” einbrachte.
Mehr Rise bringt vor allem in steilen Trail-Passagen zusätzliche Sicherheit. Wird es flacher, kann dieser Vorteil in einen Nachteil umschlagen. Denn ein sehr hoher Lenker bringt auch die Gefahr mit sich, nötigen Druck und damit Reifengrip am Vorderrad einzubüßen. Das macht sich vor allem auf flacheren Trail-Sektionen und in offenen Kurven bemerkbar. Übrigens: Die von uns für diesen Artikel befragten Experten haben sicherlich Schlüssel zum Materiallager und damit freie Auswahl. Sie fahren an ihren eigenen Bikes Lenker mit 25 bis 40 mm Rise, wie ihr in der folgenden Tabelle seht. An den Mountainbikes des Branchenriesen MERDIA finden sich heute serienmäßig oft Lenker mit 30 mm Rise, wo bis letztes Jahr noch 18-20 mm Standard waren. Auch SQlab, Orbea und Race Face sehen Vorteile und bieten Optionen mit maßvoll erhöhtem Rise. Es brauchen ja nicht gleich Extreme sein. Aber ein bisschen hat Dakotah vielleicht Recht.
Lenker der Wahrheit: Welche Modelle fahren die Experten?
Stephan Seitz (170 cm), Product Manager MTB MERIDA |
Race Face ERA Carbon: Breite 770 mm, Dicke 35 mm, Rise 40 mm Upsweep 5°, Backsweep 8° |
Tim Jürgensen (184 cm), R&D / Product Manager NEWMEN |
NEWMEN Advanced VGS 318.25 Carbon: Breite 775 mm, Dicke 31,8 mm, Rise 25 mm Upsweep 8°, Backsweep 8° |
Markel Uriarte (181 cm), Global MTB Product Manager Orbea |
OC MC10 Carbon: Breite 770 mm, Dicke 35 mm, Rise 35 mm |
Uli Plaumann (175 cm), R&D Manager SQlab |
SQlab 3OX med 12° Carbon: Breite 740 mm, Dicke 31,8 mm, Rise 30 mm Upsweep 4°, Backsweep 12° |
MTB-Lenker-Guide: Welche Breite für MTB-Lenker ist richtig?
Ja, eine breite, bullige Position der Hände am Lenker vermittelt zunächst Stabilität. Doch wer zu breit greift, verlässt den Bereich der optimalen Kraftentfaltung, belastet seine Handgelenke auf ergonomisch kritische Weise und riskiert sogar, dass sich Hände und Knie auf engen, technischen Trails in die Quere kommen. Außerdem verlangt ein längerer Lenker mehr Bewegung am Griff, um den gewünschten Lenkimpuls am Vorderrad zu erzeugen. Das Resultat ist, je nach eigener Empfindung und Fahrstil, ein angenehm stabiles oder aber ein unangenehm träges Lenkgefühl. Ein Extrembeispiel: Setzt ein BMXer oder Slopestyler zum Barspin an, greift er seinen Lenker weit innen, weil der Bewegungsimpuls seiner Hand über den kürzeren Hebel effektiv mehr Rotation bringt, als dieselbe Bewegung weit außen am Griff. Auch wenn ihr auf dem Rad nicht trickst, kann aus diesem Grund ein kürzerer Lenker auf einem engen Trail oder tighten, schnell aufeinanderfolgenden Anliegern euer Freund sein, wenn Wendigkeit und schnelle Richtungswechsel gefragt sind – oder die Bäume schlicht eng stehen.
Ein zentraler Schritt auf dem Weg zum perfekten Lenker ist, die für sich richtige Breite herauszufinden. Das braucht ein paar simple Tests, die aber kein Geld kosten, sondern nur einen vorhandenen Lenker und etwas Entschlossenheit erfordern. Mit einem Blick auf eure Körpergröße, Armlänge und Schulterbreite könnt ihr schon mal über den Daumen peilen, ob ihr im Spektrum von 740 mm bis 800 mm, in dem MTB-Lenker meist gefahren werden, eher am oberen Rand, in der Mitte oder am unteren Ende zuhause seid. Ballert ihr am liebsten schnell und hart in der Falllinie, dann denkt euch ein paar Millimeter für mehr Stabilität dazu. Tänzelt ihr lieber verspielt durch enge Waldtrails, dann startet ein bisschen kürzer für extra Agilität.
Next Step: kürzeren Lenker simulieren! Versetzt die Hebel eurer aktuellen Cockpit-Einstellung mitsamt den Griffen exakt um den Wert nach innen, den ihr als Kürzung des Lenkers simulieren wollt. Wenn eure Lock-On-Griffe das nicht mitmachen, ersetzt sie für die Testphase durch ein anderes, vielleicht schon abgenutztes Paar, das ihr an den Enden kappt, sodass ihr sie beliebig weit nach innen schieben könnt. Es sieht beknackt aus, wenn die Lenkerenden wie bei abgerockten Kinderrädern aus den Gummis herausragen? Oh ja, das tut es! Aber solange ihr die Kunststoffstopfen im Lenker lasst, um ihn nicht zu einem Stanzwerkzeug zu machen, heiligt der Zweck hier die Mittel. Wenn ihr jetzt mit unterschiedlichen Settings ein paar Testfahrten auf dem Trail macht und Buch führt, seid ihr auf einem verdammt guten Weg, die wirklich passende Lenkerbreite für euch herauszufinden – stark! Und wem Abschneiden zu endgültig ist, der kann es immer noch mit dem von uns getesteten NEWMEN VariGrip-Lenker probieren, bei dem die Breite schlicht verstellt werden kann.
Knackpunkt Flex am MTB-Lenker: Kürzen oder kaufen?
Okay, Test abgeschlossen und 750 mm Breite fühlten sich am besten an? Das ist eine geniale Erkenntnis! Doch was macht ihr nun mit dem noch immer 800 mm langen Lenker? Einfach abschneiden wäre ein einfacher Job für jeden, der eine Metallsäge und eine Schneidehilfe im Werkzeugkoffer liegen hat – oder sogar einen Rohrschneider. Doch eine Kürzung des Lenkers verändert auch dessen Flex – das wird umso deutlicher spürbar, je weiter man von der ursprünglichen Länge abweicht. Labortests von MERIDA mit Lenkern verschiedener Brands haben gezeigt, dass die Steifigkeit mit jeder Kürzung um 20 mm recht gleichmäßig um jeweils 10 % zunimmt. Das gilt für Alu ebenso wie für Carbon.
Wer also einen Lenker, der in seiner Originalbreite von 800 mm noch angenehm flexte, auf 740 mm zusammenstutzt, muss mit etwa 30 % mehr Steifigkeit rechnen. Das ist ungefähr vergleichbar mit einem Sprung auf ein Bett ohne Matratze (übrigens nicht Teil der Testergebnisse von MERIDA). Aus genau diesem Grund sind Lenkerkürzungen um mehr als 20 mm bereits kritisch. Mit Strichmarkierungen suggerieren manche Hersteller zwar, dass ihre Lenkstangen auch deutlich kürzer abgeschnitten werden können, doch das treibt deren Steifigkeit auf dem Trail in die Höhe.
Um nicht nur die Länge, sondern auch das Fahrgefühl und den Flex eines Lenkers perfekt zu erwischen, ist es ratsam, ihn möglichst nahe an der Breite zu kaufen, in der er nach dem Zuschnitt auch tatsächlich gefahren wird. Das setzt voraus, dass Hersteller ihre verschiedenen Lenkerbreiten auch tatsächlich unterschiedlich konstruieren und einen angemessenen Flex bewahren – anstatt abgeschnittene 800er-Lenker schlicht als 740er-Lenker auf den Ladentisch zu werfen, die dann tendenziell zu steif sind.
Wer sich die Erkenntnisse zu idealer Breite, Flex und Klemmmaß zu Herzen nimmt und bereit ist für einige Testfahrten, hat gute Chancen, für sich einen Lenker zu finden, der wirklich passt. Vielleicht ist es das Modell, das bereits auf dem Bike montiert ist und nur geringfügig gekürzt werden muss. Vielleicht wird es aber auch eine Neuanschaffung. Da Carbon zwar teurer, am Lenker aber nicht per se besser als Aluminium ist, kann das eine überschaubare Ausgabe sein – eine Ausgabe, die das Fahrgefühl und den Spaß auf dem Fahrrad massiv steigern kann.
Der Lenker hat einen enormen Einfluss auf die Körperhaltung, das Handling und den Komfort auf dem Mountainbike. Carbon-Lenker wie auch Alu-Modelle werden durch Kürzen deutlich steifer. Superlative wie „möglichst breit und dick“ sind beim Kauf meist schlechte Ratgeber und ein Grund, warum viele Rider Fahrspaß auf der Strecke lassen. Doch wer zu ein paar Tests bereit ist, kann im Lenker-Dschungel voller Falschannahmen das perfekte Setup für sich finden.
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Text: Moritz Geisreiter Fotos: Diverse