„Was macht ihr eigentlich, wenn es das Internet nicht mehr gibt?“ Diese Frage kam uns in den Anfangszeiten von ENDURO absurd vor. Doch heute fragen wir: Was machen wir Biker, wenn es keine MTBs ohne Motor mehr gibt? Klingt ebenfalls absurd – aber das dachten wohl auch Kodak, Nokia und AOL, als sie vor dem Umbruch standen.

Der Tag, an dem ich mir das erste Mal richtig Sorgen um meine berufliche Zukunft gemacht habe, war der 24.01.2019. Es war ein sonniger Tag im Januar, ich war auf einem Bike-Ride und gerade dabei, einen super flowigen Single-Trail in der Toskana herunterzucruisen, als mir klar wurde, dass Mountainbiken sich in den nächsten Jahren drastisch verändern würde.

Es war ein sonniger Tag im Januar, als Christoph sich das erste Mal richtig Sorgen um seinen Job gemacht hat

Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich schon unzählige E-Mountainbikes getestet. Egal wie teuer und gut die Bikes auch waren, es war immer ein komplett anderes Fahrgefühl als auf herkömmlichen Mountainbikes. Kein wirklich schlechteres, aber eben ein anderes. Bergauf schob die enorme Power einen so schnell den Berg hoch, dass man vor Kurven im Uphill anbremsen musste, und in der Abfahrt erforderte das hohe Gewicht der Bikes ein anderes Handling. Nur um es klarzustellen: E-Mountainbiken ist genial und macht höllisch Spaß, aber es ist eben nicht Mountainbiken. Und so war ich bis dato von einer Koexistenz klassischer MTBs und E-MTBs überzeugt. Wir fahren Rennrad, wir fahren Mountainbike und wir fahren eben auch E-Mountainbike.

Doch dann kam dieser eine Tag im Januar und das Bike, das meine Weltsicht verändern sollte: das brandneue Lapierre eZesty. Mit knapp über 18 kg Gesamtgewicht dank des leichten FAZUA-Antriebs und einer gelungenen Geometrie fuhr es bergab genauso agil wie ein potentes Enduro-Bike. Allerdings war das Rad noch nicht perfekt – sowohl der Antrieb als auch seine Integration sowie das Fahrwerk boten damals noch Raum für Verbesserungen. Dennoch stand das Rad für eine neue Generation an E-Mountainbikes, wie wir damals in einem exklusiven Test für unser Schwestermagazin E-MOUNTAINBIKE feststellten.

2019 stand das Lapierre eZesty für eine neue Generation von E-Mountainbikes.

Nahezu exakt ein Jahr später waren wir wieder in Massa Vecchia – diesmal, um die 15 spannendsten Trail-Bikes der Saison 2020 zu vergleichen. Wie schon bei unserem großen Enduro-Bike-Vergleichstest hatten wir auch wieder ein E-Mountainbike im Gepäck. Grund dafür war das wachsende Interesse, dass ihr bei unserer Leserumfrage zum Thema E-Mountainbike geäußert habt: Von 18.930 Teilnehmern bei der letzten Umfrage haben knapp 47 % angegeben, ein Interesse an E-Mountainbikes zu haben. 40 % unserer Leser sind E-MTBs bisher egal und nur 13 % sehen sie als No-Go an. Immer häufiger hören wir auch die Frage: „Soll mein nächstes Bike ein E-Mountainbike sein?“ Die Integration von E-Mountainbikes in unsere Vergleichstest erschien uns daher interessant. Schließlich eignet sich der direkte Vergleich perfekt, um die Unterschiede der einzelnen Bike-Typen herauszuarbeiten und Vor- und Nachteile zu analysieren. Wer uns kennt, der weiß, dass wir nicht in Kategorien denken und auf Teufel komm raus nur ähnliche Bikes gegeneinander testen. Wir suchen die beste Lösung für einen bestimmten Einsatzbereich, und da dürfen außergewöhnliche Bikes natürlich nicht fehlen!

Bei unserem Test in San Remo hatten wir 2019 bereits ein Specialized Kenevo in den Vergleich integriert – damals war es als Ersatz eines klassischen Enduros aber undenkbar

Als wir in San Remo 2019 das Specialized Turbo Kenevo gegen die 17 spannendsten Enduro-Bikes antreten ließen, war das E-MTB noch ein absoluter Außenseiter. Zwar konnten wir klar die Vorteile und Möglichkeiten erkennen, die der Motor bot. Doch keiner unserer Tester hätte auch nur im Traum daran gedacht, sich ein E-Mountainbike statt eines klassischen Enduros zu kaufen. Zum einen war der Unterschied im Handling bergab aufgrund des Gewichts noch immer signifikant, zum anderen waren Touren mit Kumpels schlicht nicht möglich, wenn sie nicht auch ein E-Mountainbike besaßen. Selbst im Eco-Modus war man im Vergleich zu ihnen noch immer maximal übermotorisiert. Last but not least fuhr sich ein Bike mit so viel Power auch einfach anders: E-Mountainbiken fühlte sich schlichtweg anders an als das klassische Mountainbiken aus eigener Kraft.

Bei dem diesjährigen Trail-Bike-Test sollte sich all das ändern. Mit 17,7 kg war das neue Specialized Levo SL Expert Carbon nicht nur in Sachen Gewicht viel näher an den anderen Bikes des Tests dran, auch der bewusste Verzicht auf maximale Motorpower und die Trail-Bike-Geometrie des Levo SL rückten es viel näher an die anderen Bikes im Test. Am Ende unseres ersten Test-Tages stieg dann der erste Tester auf das Bike. Bis dahin hatten wir bereits fünf Abfahrten auf unserem Test-Track gemacht und hatten ein gutes Gefühl dafür entwickelt, wie die unterschiedlichen Bikes auf der Strecke performten. Die große Überraschung: Es war nicht das Handling bergauf, das Fred so überzeugte – für ihn war das Levo SL an dem Tag das mit Abstand beste Bike bergab! „Satt, agil, verspielt und einfach super spaßig“, das waren seine Worte. Auch der Rest des Test-Teams erfuhr in den nächsten Tagen, was dieses Bike so besonders macht. Bei weiteren Tests fanden wir dann schnell heraus, dass die Möglichkeiten des Levo SL nahezu endlos sind.

Agil und super spaßig – das Levo SL fährt sich wie ein klassisches Trail-Bike!

Das Specialized Levo SL fährt man nicht wie ein normales E-Mountainbike, man fährt es wie ein Trail-Bike. Das wird ab der ersten Kurbelumdrehung klar. Statt mit maximaler Power den Trail hinaufzufliegen, verlangt das Bike noch ordentlich Input vom Fahrer. Dieses Bike ist ein Sportgerät und will genauso gefahren werden. Der Motor arbeitet dabei super natürlich, fadet an der 25-km/h-Schwelle unmerklich aus und lässt sich im technischen Uphill klasse dosieren. Würde man ihn nicht hören, würde man ihn gar nicht wahrnehmen. Gleichzeitig sorgt der zusätzliche Schub für ein echtes Superman-Gefühl. Stellt euch einfach vor, ihr habt gerade die besten Beine der Saison und auch noch spürbaren Rückenwind! Das Levo SL kann den fiesen und schmerzhaften Rampen ihren Schrecken nehmen, wenn man das will. Aber es erlaubt es einem auch, einfach noch etwas mehr zu fahren, und ohne groß zu überlegen noch einen extra Trail anzuhängen. Aus diesen Gründen hat es sich bei unserem großen Vergleichstest den Kauftipp gesichert. Die Auszeichnung erhielt das zugegebenermaßen sehr teure Bike nicht für seine Komponenten, sondern für die Möglichkeiten, die man sich mit ihm erkauft. Müssten wir uns gerade für ein einziges Bike entscheiden – das Levo SL wäre unsere Wahl!


Mehr zum Handling des Bikes erfahrt ihr im großen Vergleichstest und in einem exklusiven Vergleich mit dem Stumpjumper und dem Levo. Außerdem haben wir einen ausführlichen Einzeltest zum Bike veröffentlicht, in dem das gesamte Konzept noch einmal ausführlich erklärt wird.


Während das Lapierre eZesty für uns vor einem Jahr den Beginn einer neuer Kategorie von E-Mountainbikes markierte, ist das Specialized Levo SL jetzt der Beginn einer neuen Ära im Mountainbiken. Nach mittlerweile zwei Monaten voller intensiver Tests sehen wir hier bei ENDURO in diesem Rad mit seinem Motorkonzept die nächste große Innovation nach der Federgabel, der Scheibenbremse oder der absenkbaren Sattelstütze.

2020 steht das Levo SL für eine neue Ära im Mountainbiken und ist nach der Scheibenbremse, der Federgabel oder der Teleskopstütze die nächste große Innovation in der Mountainbike-Welt

Wir sind uns sicher, dass Bikes wie das Levo SL oder das eZesty die Art und Weise, wie wir in Zukunft Mountainbiken gehen, grundlegend verändern werden. Die Elektrifizierung des Mountainbikes ist in vollem Gange: von Fahrwerk über Schaltung bis hin zum Antrieb. Statt uns gegen das Neue zu sträuben, werden wir uns – wie man es von uns gewohnt ist – in Zukunft intensiv mit diesen Themen beschäftigen, Potenziale hervorheben und euch bestmöglich über all die neuen Entwicklungen informieren. Doch keine Angst, ENDURO wird deshalb nicht zu einem E-Bike-Magazin. Dafür gibt es nach wie vor unser Schwestermagazin E-MOUNTAINBIKE. Für ENDURO geht es vor allem um drei Dinge: ambitionierten Trailspaß, aussagekräftige Tests für die Core-Mountainbike-Zielgruppe und einfach eine verdammt gute Zeit auf dem Bike. Und das ist es, was die Ausrichtung unserer Inhalte auch in Zukunft bestimmen wird – egal ob mit oder ohne Motor! Wir freuen uns drauf!

Cheers,
Christoph

Natürlich sind wir uns darüber bewusst, dass dieses Thema enorm polarisiert – und wir wollen wissen, wie ihr darüber denkt! Sagt mir bitte eure Meinung und schreibt mir an christoph@enduro-mtb.com

Hier findet ihr mehr zum Thema Specialized Levo SL und E-MTB Light:


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Text: Fotos: ENDURO-Team