Vorne groß, hinten klein – so fahren wir seit Jahren die Bremsscheiben an unserem Mountainbike. Im Idealfall montieren wir manchmal die gleiche Scheibengröße an Front und Heck. Wir sind der Meinung: Vorne groß, hinten noch größer wäre für viele Biker die noch bessere Lösung. Warum?

Vorne groß, hinten größer – für viele Fahrer ist das die Lösung!

Wer gern schnell fährt, muss auch in der Lage sein, schnell zu verzögern. Scheibenbremsen am Mountainbike sind extremen Belastungen ausgesetzt und werden heute noch immer häufig für den Einsatzzweck unterdimensioniert. Problem ist meist, dass ein Hersteller versucht, Gewicht zu sparen. Auch bei unserem Vergleich zwischen der SRAM CODE und G2 haben wir herausgefunden, dass die SRAM CODE eigentlich für fast jeden Biker die bessere Alternative zur SRAM G2 darstellt. Nur wenige Gramm Mehrgewicht bringen deutliche Benefits bei der Fahr-Performance, dem Fahrspaß und auch der Sicherheit. Ein Weg, die Power der eigenen Bremse zu erhöhen ist, eine größere Bremsscheibe zu montieren.

Schwerer Fahrer und steiles Gelände – Eine fiese Kombination

Leichte Fahrer, die meistens nur kurze Abfahrten absolvieren, werden in der Regel keine Probleme mit einer Scheibenbremse bekommen wie sie auf den meisten Bikes montiert ist. Doch wer 80 kg und mehr wiegt und häufig auch mal längere Abfahrten über mehrere hundert Höhenmeter absolviert, sollte sich mal die Anlassfarben seiner Bremsscheiben genauer ansehen. In fast allen Fällen ist es nämlich die hintere Scheibe, die beim Bremsen glüht und nach dem Abkühlen sehr dunkel ist, vorne dagegen hat die Scheibe in der Regel ihre normale silberne Farbe.

Unterschiedlich große Fahrer brauchen häufig nicht nur unterschiedlich große Rahmen, sondern auch angepasste Bremsen – und in diesem Trio ist noch niemand wirklich schwer!
Kennst du das Bild? Eine schwarze Scheibe hinten, während die vordere noch silbern funkelt? Zeit, umzudenken und auch hinten eine große Scheibe zu montieren!

Mythos Bremskraftverteilung – Aber wie bremst man wirklich?

Vorne braucht man mehr Power als hinten – das ist in der Regel das Hauptargument vieler, die vorn auf größere Scheiben als hinten setzen. Das ist prinzipiell auch richtig: Wenn man vor einer Kurve voll in die Eisen tritt, hat man garantiert eine Verteilung von 70 % Bremskraft vorn und 30 % hinten – womöglich sogar mehr. Der entscheidende Faktor, der zu einer verglühten Scheibe führt, sind aber nicht die kurzen harten Bremsmanöver, sondern das, was wir Biker während der gesamten Abfahrt machen. Während Motorräder über eine Motorbremse verfügen, die das Hinterrad über die Kette mit der Kraft des Motors bremst, sobald man vom Gas geht und deshalb eine kleinere Scheibe nutzen können, dosieren wir unsere Grundgeschwindigkeit nur mit der Scheibenbremse. In der Regel nutzen wir dafür zum Großteil die Hinterradbremse, da ein lastfreies Vorderrad Lenkimpulse besser übertragen kann und mehr Grip generiert. Außer beim Umsetzen von Kurven mit dem Hinterrad will man kein blockiertes Vorderrad. Durch diese konstante Reibung entstehen am Heck deutlich höhere Temperaturen, die dann zu Fading, und letzten Endes zu den schwarzen, verglühten Scheiben führen.

Auf langen, steilen Abfahrten dosieren wir unsere Geschwindigkeit vermehrt mit der Hinterradbremse. Durch die konstante Reibung entsteht viel Hitze.

Warum Hersteller ungern große Bremsscheiben verbauen

Große Bremsscheiben haben zwar den Vorteil, mehr Bremsmoment zu liefern und hitzestabiler zu sein, sie besitzen aber auch Nachteile. Zunächst einmal ist es das Gewicht, denn eine größere Scheibe ist schwerer und in Zeiten, in denen das Gewicht von Bikes leider für viele noch immer super wichtig ist, investiert keiner gerne mehr davon in eine große Scheibe. Wir bei ENDURO sind schon länger der Meinung, dass wir aufhören sollten, unsere Bikes zu wiegen, und haben dazu bereits in der Vergangenheit einen Artikel verfasst. Ein weiterer Grund dafür, dass große Bremsscheiben seltener Anwendung finden, ist, dass sie schneller dazu neigen, sich zu verziehen und dann an den Belägen schleifen und Geräusche verursachen. Für einen Händler kann das ein echtes Problem sein, wenn ein Kunde wiederholt den Laden betritt, um seine Scheibe neu ausrichten zu lassen.

Bei gleicher Belastung sinkt beim Wechsel von 200 auf 220 mm Scheiben die Temperatur am Belag um 39 °C – das bedeutet gleichzeitig einen Zuwachs der Bremspower um 10%!

Mehr Hitzebeständigkeit dank größerer Scheibe

Tauscht man eine 180 mm kleine Bremsscheibe durch ein 200 mm großes Modell, wächst die Bremsfläche um rund 11 %. Upgradet man von 180 mm direkt auf 220 mm, sind es sogar über 24 %. Gleichzeitig wächst die Hitzebeständigkeit der Bremse enorm. Der Gewichtsunterschied hängt stark von der Scheibe ab. Eine SRAM Centerline in 180 mm wiegt ca. 151 g. Die 200-mm-Scheibe ist rund 37 % schwerer und liegt bei 207 g. Der Unterschied von einer 200-mm-Scheibe zu einer 223 g schweren 220-mm Scheibe-liegt nur bei rund 11,5 %. Entscheidend für die Bremskraft einer Bremse ist vor allem die Temperatur am Bremsbelag. Laut SRAM sinkt diese am Prüfstand bei gleicher Belastung um 39 °C (beim Wechsel von 200 auf 220 mm). Diese 39 °C Temperaturreduktion wiederum soll rund 10 % mehr Bremspower liefern.

Mehr Dosierbarkeit und Grip dank „kleinerer“ Scheibe vorn

Bei der Suche nach den perfekten Scheibengrößen gibt es einiges zu beachten. Dazu gehört natürlich das eigene Körpergewicht, der Fahrstil und auch das Gelände, in dem man unterwegs ist. Bei seinen Selbstversuchen hat unser Redakteur Christoph über die Jahre immer erst mal zu größeren Bremsscheiben gegriffen. Von 200/180 hat er schnell auf 200/200 gewechselt und seit 220-mm-Scheiben verfügbar sind, auf 220/220 mm. Die großen Scheiben ermöglichen nicht nur noch härtere Bremsungen, durch die geringeren Bedienkräfte entspannen sie auch die Unterarme und Schultern, wodurch man deutlich aktiver fahren kann. Je nach Terrain und Untergrund hat die riesige Scheibe vorn aber auch einen Nachteil: Es leidet die Dosierbarkeit. Da die Power einer 200-mm-Scheibe vorn — in Kombination mit einer kraftvollen Vierkolbenbremse — grundsätzlich ausreicht, lohnt sich im Fall von Christoph gegebenenfalls ein Downgrade. Ein weiterer Grund: Viele Federgabeln sind mit 29”-Laufrädern und den Kräften, die beim Bremsen wirken, schon heute überfordert und neigen schnell zum Knacken. Sie sind gar nicht für die riesigen Scheiben freigegeben. Aus diesem Grund fährt Christoph nun 220-mm-Scheiben hinten und eine kleinere 200 mm Scheibe vorn.

Greift man mit 220 mm in Front voll in die Eisen, blockiert das Vorderrad entsprechend schnell. Für viele Fahrer reichen 200 mm vorn voll aus.

Weitere Tipps für mehr Power und eine bessere Dosierbarkeit

Neben der Wahl der richtigen Bremsscheibengröße gibt es noch weitere Punkte, wie ihr die Performance eurer Bremse erhöhen könnt. Wir haben die sechs nützlichen Tipps für mehr Power in einem separaten Artikel zusammengefasst. Christoph beispielsweise fährt in der Regel immer organische Beläge in Front und gesinterte Modelle am Heck. Durch ihre weichere Struktur beißen die organischen Beläge vorne initial fester zu und lassen sich feinfühliger dosieren, die Modelle aus Metall am Heck dagegen sind hitzestabiler. Ein wichtiger Faktor, der die Power unabhängig von der Scheibengröße erhöht, ist das richtige Einbremsen.

Hier sieht man, wie die Bremskraft durch das Einbremsen steigt: Der Bremshebel wurde bei 40 Wiederholungen jeweils 1 Sekunde lang gezogen. Ergebnis: Das Bremsmoment verdoppelte sich fast!

Wer bietet 220 mm große Bremsscheiben an?

Aktuell gibt es 220 bzw. 223 mm große Bremsscheiben unter anderem von MAGURA, SRAM, Trickstuff und GALFER. Bevor ihr diese an eurem Bike nachrüstet, ist es wichtig zu checken, ob die Federgabel und der Rahmen dafür freigeben sind. Bei FOX ist dies z. B. bei der neuen FOX 38 der Fall, die Federgabel haben wir euch in einem extra Artikel ausführlich vorgestellt.

Unser Fazit zum Thema Bremsscheibengröße

Nachdem wir über die letzten Jahre jede Bremse mit nahezu jeder Bremsscheiben-Kombination gefahren sind, lautet unser Fazit:

  • Bremsen am Mountainbike sind häufig noch immer unterdimensioniert, speziell bei großen Rahmengrößen, die von schweren Fahrern genutzt werden.
  • Vorne bremst man zwar härter, hinten aber länger und konstanter – daher entsteht dort mehr Hitze.
  • Für aggressive Enduro-Fahrer mit großen 29”-Laufrädern sind 200-mm-Scheiben Pflicht – für schwere Fahrer lohnt ein Upgrade auf 220 mm.
  • Auch Trail-Bikes profitieren von standfesten Bremsen. Hier würden wir bei schwachen Bremsen immer auf 200-mm-Scheiben setzen bzw. kraftvolle Bremsen wie die SRAM CODE oder eine Shimano Vierkolbenbremse montieren.
Mit dem guten Gewissen, rechtzeitig zum Stehen zu kommen, kann man an einer Kante auch mal abziehen!

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Text: Fotos: Trevor Worsey, Christoph Bayer