Das NICOLAI ION G15 wird nie ein Bike für jedermann und genau das ist seine große Stärke. In unserer schnelllebigen Zeit gewinnen Produkte mit Charakter immer mehr an Bedeutung. Wir sehnen uns nach Individualität, handwerklicher Kunst und Authentizität. All das bietet das NICOLAI ION G15, doch kann es auch mit seinem Handling überzeugen?

NICOLAI ION G15 | 14,75 kg | 6.349 €

Obwohl NICOLAI nicht zu den Big Playern der Mountainbike-Welt gehört, kennt fast jeder ambitionierte Radsportler die Marke. Die deutsche Edelschmiede hat sich mit Rahmen „Made in Germany“ einen echten Namen gemacht. Die Jungs und Mädels lieben das Thema Maschinenbau und das sieht man ihren Bikes auch an. Da macht auch das brandneue ION G15 keine Ausnahme. Überall am Rahmen findet man feinste Frästeile und perfekte Schweißnähte, abgerundet von farblich abgestimmten Eloxal-Parts.

The Nicolai ION G15 is confidence inspring at high speeds.

 Länge läuft! Das NICOLAI vermittelt bergab extrem viel Sicherheit.

Seit einigen Jahren sorgt NICOLAI aber noch mit etwas anderem für Aufsehen. Neben der Maschinenbau-Optik sorgt vor allem das Geolution-Geometrie-Konzept noch immer für viel Gesprächsstoff beim Szene-Talk. Was steckt dahinter?
Gemeinsam mit dem Briten Chris Porter hat NICOLAI das Thema Geometrie völlig neu gedacht. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf einem sehr flachen Lenkwinkel (64°) in Kombination mit einem sehr langen Hauptrahmen (Reach 515 mm Gr. L). Das soll dem Fahrer den nötigen Bewegungsspielraum auf dem Bike bieten und die Fahrsicherheit erhöhen. Damit das Rad dennoch eine optimale Balance besitzt, sind die Kettenstreben mit 445 mm ebenfalls eher lang. Die Werte zusammen ergeben einen Radstand von satten 1.341 mm. Nur zum Vergleich: Ein Specialized Demo-Downhillbike in gleicher Rahmengröße ist 62 mm kürzer!

NICOLAI bietet das ION G15 als Rahmenkit mit verschiedenen Dämpfer-, Farb- und Ausstattungsoptionen an. In diesem Test haben wir uns das QLFLINE-Komplettbike für 6.349 € genauer angesehen.

Das NICOLAI ION G15 in Größe Large ist ein echter Brummer. Neben ihm sehen gewöhnliche Bikes aus wie Kinderräder. Nimmt man jedoch auf dem Sattel Platz, fällt die Sitzposition deutlich weniger extrem aus. Der steile Sitzwinkel rückt den Fahrer sehr zentral ins Rad. Man sitzt angenehm aufrecht und sehr komfortabel. Das relativ hohe Gewicht von 14,75 kg (inkl. Schläuche) fällt nicht negativ auf, das NICOLAI klettert erstaunlich angenehm. Auch bei richtig steilen Rampen hält das Vorderrad stets Bodenkontakt. Allerdings gerät hier die Übersetzung der 11-fach-Schaltung (30-Zahn-Kettenblatt) bzw. die Kraft in den Beinen ans Limit. Wer lange Zeit richtig steil bergauf fährt, montiert besser ein kleineres Kettenblatt.

Das NICOLAI ION G15 im Detail

Federgabel FOX 36 FLOAT Factory 150 mm
Dämpfer FOX FLOAT X2 Factory 150 mm
Bremsen Hope Tech 3 E4 (Ab 2018: Magura MT7) 200/180 mm
Schaltung SRAM X1 Hope Kurbeln
Sattelstütze RockShox Reverb Stealth 170 mm
Vorbau Hope AM 35 mm
Lenker Renthal Fatbar Carbon 780 mm
Reifen Continental Der Baron 2,4″/Mountain King 2,4″
Laufradsatz DT Swiss EX 1501 (Serie: Hope Tech Enduro)
Gewicht 14,75 kg
Preis 6.349 €

Lange gerade Rohre stilisieren das Nicolai ION G15.
Super lang
Die geraden Rohre ohne Knicke lassen das Rad optisch noch länger wirken.
Überflüssig
Den Flip-Chip an der Dämpferaufnahme könnte sich NICOLAI unserer Meinung nach sparen. Wir sind das Rad die meiste Zeit im flachen Setup gefahren.
Genau angenehm
Der Lenker wirkt auf den ersten Blick viel zu hoch. Doch gerade bei einem sehr langen Rahmen ist das Verhältnis von Reach und Stack entscheidend. Wir fanden, dass sich das NICOLAI mit dem höheren Lenker deutlich besser gefahren hat.
Fräs-Porn!
Wer auf gefräste Aluteile steht, wird beim Anblick vom ION G15 schnell bemerken, wie ihm Sabber aus den Mundwinkeln läuft.

Nichts für Weicheier – wer auf homogene Carbonformen steht, sollte besser die Augen schließen.

„Mit so einem langen Bike kann man ja garantiert keine Kurven fahren!“, das ist eines der meistgenannten Vorurteile gegenüber der extremen Geometrie. Doch weit gefehlt! Das NICOLAI ION G15 ist natürlich kein BMX, doch es fährt sich agiler, als es seine Optik vermuten lässt. Das Zauberwort heißt Balance. Denn weil einfach alles an diesem Rad lang ist, steht man als Fahrer sehr zentral und mit einer guten Gewichtsverteilung zwischen den Laufrädern. Die Eingewöhnungsphase ist erstaunlich kurz. Als Fahrer hat man einfach viel mehr Raum auf dem Bike. Das erfordert natürlich generell mehr Impuls, um einen Richtungswechsel einzuleiten, liefert jedoch ein enormes Maß an Fahrsicherheit.

Bei den ersten Fahrten hatten wir den Eindruck, die lange Front würde den Fahrer im steilen Gelände mit dem Oberkörper stark nach vorn ziehen. Wir fühlten uns wenig integriert, konnten uns nicht entspannt zurücklehnen und das Bike die Arbeit erledigen lassen. Die Lösung ist ein Lenker mit deutlich mehr Rise. Kaum hatten wir ein Modell mit 40 mm montiert, ging das Konzept des Bikes voll auf und die Geometrie des ION G15 vermittelt ein sehr hohes Maß an Sicherheit. Überschlagsgefühle? Fehlanzeige! Das Handling ist gutmütig und sehr berechenbar – auch bei hohen Geschwindigkeiten. Das einzige, was mit dem ION G15 wirklich viel Kraft erfordert, sind Manuals. Doch nach ein paar Versuchen sind auch sie kein Problem – vorausgesetzt man konnte sie schon vorher.

Wie es der Name vermuten lässt, besitzt das ION G15 rund 150 mm Federweg. Um genau zu sein, sind es 150 mm an der Front und 145 mm am Heck, die von einem edlen FOX Factory-Fahrwerk verwaltet werden. Der Hinterbau ist straff abgestimmt, besitzt eine hohe Progression und vermittelt dadurch viel Feedback vom Untergrund. Das führt dazu, dass sich das G15 sehr direkt fahren lässt und man gut an Kanten abziehen oder durch Pushen Geschwindigkeit aufbauen kann.
Einzig in Sachen Sensibilität und beim Ansprechverhalten gibt es beim Hinterbau noch etwas Luft nach oben. Das kostet wiederum Traktion und das Rad saugt sich nicht wirklich auf dem Trail fest. Dafür steckt das NICOLAI auch so manche verpatzte Landung und die fiesesten Kompressionen problemlos weg.

Die Geometrie des NICOLAI ION G15

Größe S M L XL XXL
Sattelrohr 420 mm 450 mm 470 mm 500 mm 520 mm
Oberrohr 606 mm 636 mm 662 mm 686 mm 710 mm
Steuerrohr 110 mm 110 mm 120 mm 130 mm 150 mm
Lenkwinkel 64,5°/64° 64,5°/64° 64,5°/64° 64,5°/64° 64,5°/64°
Sitzwinkel 77,2°/76,7° 77,2°/76,7° 77,2°/76,7° 77,2°/76,7° 77,2°/76,7°
Kettenstreben 445 mm 445 mm 445 mm 451 mm 457 mm
Tretlagerabsenkung -22/-30 mm -22/-30 mm -22/-30 mm -22/-30 mm -22/-30 mm
Radstand 1251 mm 1280 mm 1310 mm 1341 mm 1375 mm
Reach 460 mm 490 mm 515 mm 535 mm 555 mm
Stack 618 mm 618 mm 627 mm 637 mm 655 mm
Helm POC Tectal | Brille Adidas Zonyk | Jersey ION Tee LS Seek_Amp | Shorts ION Bikeshort Scrub_Amp

Kritikpunkte wie etwa die zu schwachen Hope-Bremsen oder der zu harte Kettenstrebenschutz, der zu nervigem Klappern führt, wurden von NICOLAI bereits ausgebessert und sind daher nicht mehr der Rede wert.

Fazit

Das NICOLAI ION G15 ist ein Bike mit Charakter. Es polarisiert sowohl mit seiner Optik als auch mit seinem Handling. Wer ein edles, handgemachtes Bike für maximalen Trailspeed sucht, das zudem ein hohes Maß an Laufruhe und Fahrsicherheit bietet, wird hier fündig. Doch das G15 hat nicht nur optisch Ecken und Kanten. Der Hinterbau ist nicht gerade super feinfühlig und wer gerne Manuals zieht und auf ein sehr agiles, verspieltes Handling steht, sollte sich besser woanders umsehen.

Stärken
  • geniale Fräsoptik
  • vermittelt viel Sicherheit
  • für „Made in Germany“ gutes
  • Preis-Leistungsverhältnis

Schwächen
  • nichts für Fahrer, die ein super agiles Bike suchen
  • Hinterbau unsensibel
  • Front serienmäßig zu niedrig

Uphill:
Downhill:
Laufruhe:
Agilität:
Preis/Leistung:


Mehr Infos findet ihr unter: nicolai-bicycles.com

Dieser Artikel ist aus ENDURO Ausgabe #032

Das ENDURO Mountainbike Magazin erscheint auf Deutsch und Englisch im digitalen App-Format. Ladet euch jetzt die App für iOS oder Android und lest alle Artikel auf eurem Tablet oder Smartphone. Kostenlos!


Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als ENDURO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die Mountainbike-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!

Text: Fotos: Toni Buckenlei / Christoph Bayer