Ihr wolltet schon immer wissen, wie euer Traum-Bike entsteht? Doch vor welche Herausforderungen werden die Entwickler gestellt und wie viel Wissen aus dem Rennsport findet sich tatsächlich an unseren Serien-Bikes? Wir haben uns mit der Forschungs- und Entwicklungsabteilung OOLab von Orbea getroffen und Antworten gesucht!

Fahrräder haben bei Orbea Tradition. Die Spanier bauen Bikes nämlich schon seit 1931. Der Hauptsitz liegt im Baskenland und in den Anfängen vor mehr als 100 Jahren war Orbea noch für die Herstellung von Waffen bekannt. In den 1930er Jahren wurde dann auf die Produktion von Fahrrädern umgestellt und das hat sich bis heute nicht verändert. Dabei werden nicht nur Bikes entwickelt und designt, sondern auch vor Ort lackiert und montiert, wobei die Bike-Marke immer sehr zukunftsorientiert und dem Trend voraus ist.
So zum Beispiel durch die Steep’n Deep-Geometrie, die es ermöglicht, durch das gerade und dennoch niedrige Sitzrohr möglichst viel Sattelstützenhub nutzen zu können. Oder mit dem Light-Konzept Orbea Rise, das 2020 für ordentlich Wirbel gesorgt hat. Ein gedrosselter Shimano EP8-Motor hat 60 Nm Drehmoment geliefert und trotz robuster Ausstattung und ausreichend Federweg hat es weniger als 19 kg gewogen. Auch das 2024 vorgestellte Orbea Rise LT setzt neue Maßstäbe und vereint Full-Power mit geringem Gewicht.
Mittlerweile präsentiert die Marke ein breites Portfolio an verschiedenen Bikes – von City-E-Bikes wie das Orbea Diem 20 über Rennräder bis hin zu (E-)Mountainbikes. Und dass Orbea gute MTBs baut, haben die Spanier schon längst bewiesen. Das Orbea Occam LT hat in unserem großen Trail-Bike-Vergleichstest unsere Test-Crew beeindruckt und ist nur knapp einem Testsieg entgangen. Das Orbea Rallon ist die Wahl für das Orbea-Enduro-Team bei der Teilnahme des Enduro World Cups. Aber auch gute E-MTBs rollen aus dem spanischen Werk in Mallabia. Sowohl das Light-E-MTB Rise als auch das bisherige WILD-Full-Power-E-MTB konnten sich schon mehrmals den Testsieg oder den begehrten Kauftipp in unseren großen E-MTB- oder Light-E-MTB-Vergleichstests sichern.
Doch so viele innovative Ideen und Erfolge fallen nicht einfach vom Himmel: Für gute Bikes sind eine gute Forschung sowie Entwicklung das A und O. Innovationen müssen früh erkannt und vorangetrieben werden und hier kommt OOLab ins Spiel.


Was genau ist OOLab?
OO steht für Orbea Optimization und ist die Ideenwerkstatt der Spanier. Das Symbol für Unendlichkeit spiegelt aber auch wider, wie frei die Entwickler in der Forschung sein können, ganz ohne den Druck, Erfolg haben zu müssen. Hier wird aus Ideen und Träumen Realität in Form von außergewöhnlichen Prototypen, coolen Accessoires und Sonderlösungen.
Gestartet hat alles 2022 und das OOLab ist losgelöst von der normalen Entwicklung herkömmlicher Bikes und nur dafür gedacht, zu lernen und bestehende Grenzen zu hinterfragen. Neben umfangreichen Labortests werden die Projekte auch unter den härtesten Bedingungen, beispielsweise im Renneinsatz des Enduro World Cups oder Downhill World Cups, auf Herz und Nieren getestet.

Entwicklung und Forschung des Lab
Da wir ja bekanntlich Fans von analogen MTBs sind und unsere Finger nur schwer von Downhill-Bikes lassen können, war ein Projekt des OOLabs besonders spannend für uns. Gemeinsam mit dem Teamfahrer Martin Maes von Orbea waren wir deshalb für einen Tag auf den Trails unterwegs, um einen Blick hinter die Entwicklungsarbeit zu werfen. Wer den DH World Cup in der Saison 2024 verfolgt hat, dem dürfte aufgefallen sein, dass Teamfahrer Martin nicht auf einem herkömmlichen DH-Bike unterwegs war, sondern auf einem umgebauten Orbea WILD-E-MTB. Doch wie kommt man auf die Idee, ausgerechnet auf einem E-Mountainbike im Downhill-Worldcup zu starten?

Fangen wir ganz vorne an: Die Entwickler wollten von einer existierenden Basis starten und erstmal kein komplett neues DH-Bike aus dem Boden stampfen. 2022 waren die ersten Versuche im Downhill-Worldcup – mit einem modifizierten Orbea Rallon-Enduro-Bike – zu sehen. Für die 2024er Saison wurde dann auf das E-MTB WILD gewechselt, da es laut den Entwicklern mehr Potenzial in Sachen Kinematik im Vergleich zum Rallon bietet und sich durch die Option auf einen Alurahmen besser an die Bedürfnisse von DH-Bikes anpassen lässt.
Um dem UCI-Reglement gerecht zu werden, wurden natürlich der Motor und der Akku entfernt. Was sich unter dem schwarzen Cover befindet, können wir nur vermuten und ist ein stark gehütetes Geheimnis der Spanier. Vielleicht eine Verstrebung zur Stabilisierung des Rahmens? Verschiebbare Gewichte, um den Schwerpunkt des Rahmens beeinflussen zu können? Oder ein Staufach für den kleinen Hunger zwischendurch? Hier kann man nur mutmaßen und wir sind gespannt, wann das Geheimnis gelüftet wird.

Neben den Anpassungen im Motorbereich wurde auch der Federweg des Orbea WILD-DH-Bikes ordentlich aufgebohrt. An der Front werkelt eine massive FOX 40 Factory-Federgabel mit 200 mm Federweg anstatt der serienmäßigen 170 mm. Am Heck wurde der Standard-Umlenkhebel durch eine längere Version ersetzt, was darauf schließen lässt, dass in Kombination mit dem FOX FLOAT X2-Luftdämpfer auch deutlich mehr Federweg generiert wird als die standardmäßigen 160 mm. Die restlichen Komponenten wie Schaltgruppe und Bremsen wurden auch für den harten Downhill-Einsatz optimiert. Immer wieder wurden unzählige Testläufe abgespult und das Bike im Detail verbessert.




Auch das neue Orbea Rise ist durch die Hände des OOLab-Teams gelaufen. Ganz oben im Lastenheft stand die Verbesserung des Handlings und eine höhere Reichweite ohne Abstriche beim Gewicht zu machen. Für ein optimiertes Handling wurde der Rahmen steifer gemacht. Aber die richtige Steifigkeit festzulegen und zu testen, ist ein komplexer Prozess. Hier geht der Labortest Hand in Hand mit dem Praxistest, denn letztendlich muss sich das Bike auf dem Trail gut anfühlen.
Eine höhere Reichweite wurde durch neu entwickelte Akkus erreicht. Hier haben die Art der verwendeten Zellen und die Anordnung im Akku eine deutliche Auswirkung auf die Leistung und Baugröße. Dank moderner Zellen konnte das Team im bisherigen Bauraum eine höhere Ladekapazität unterbringen, ohne das Gesamtgewicht zu erhöhen. Außerdem lässt sich bei Labortests jede Zelle einzeln überwachen, was wiederum hilft, die Hitzeentwicklung zu minimieren und die Effizienz und damit auch die Reichweite zu steigern.



Labortests spielen eine zentrale Rolle in der Entwicklung von Mountainbikes und sind ein wesentlicher Bestandteil des Entwicklungsprozesses. Sie dienen dazu, die Leistung, Haltbarkeit und Sicherheit der einzelnen Komponenten und des gesamten Bikes unter kontrollierten Bedingungen zu prüfen. Aber nur durch intensive Praxistests auf Trails lässt sich sicherstellen, dass ein Mountainbike nicht nur auf dem Papier gut funktioniert, sondern auch auf echten Trails seine Versprechen hält. Praxistests sind entscheidend, um die theoretischen Erkenntnisse aus der Entwicklungsphase und den Labortests unter realen Bedingungen zu überprüfen.
Wie viel Einfluss hat man als Athlet auf das Projekt OOLab?
Während unserer Test-Session nach dem DH World Cup in Andorra haben wir uns mit Martin Maes unterhalten und ihn gefragt, wie viel Einfluss er als Athlet auf die Entwicklung bei OOLab hat. Er fährt hauptsächlich Rennen im Enduro World Cup oder Downhill World Cup und das ist auch seine Hauptaufgabe: Das Bike so schnell wie möglich den Berg runterzubringen – klingt cool, oder? Aber es gehört noch viel mehr dazu als das. Nach den Rennen und während Testsessions sind die Athleten in engem Austausch mit den Mechanikern und Entwicklern. So können auch unterwegs Anpassungen vorgenommen werden, die im Zweifel auch über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Ohne Frage sind Athleten ein wichtiger Bestandteil im Entwicklungsprozess von Mountainbikes, denn durch ihre Fahrskills sind sie in der Lage, detaillierte Rückmeldungen zu geben und die Grenzen der Bikes und Komponenten auszuloten. Würden die Bikes allerdings nur nach dem Feedback der Athleten entwickelt werden, wäre es für den Großteil der späteren Käufer nahezu unfahrbar. Gerade im Performance-Bereich wie Enduro- oder Downhill macht der Einfluss von Profis wie Martin Maes durchaus Sinn, dennoch ist es wichtig, auch hier die richtige Balance zwischen intuitivem Handling und sportlichem Fahrgefühl zu finden, um eine möglichst breite Zielgruppe anzusprechen. Wir wollen niemanden zu nahe treten, aber die wenigsten – uns eingeschlossen – werden mit dem Speed von Martin Maes über die Trails fliegen. Und auch Profis profitieren auf langen und technischen Abfahrten von einem einfachen Handling.


Auf was kommt es bei der Entwicklung und Forschung von Bikes an?
Wie progressiv soll der Hinterbau beim Einfedern arbeiten? Wie steif muss der Rahmen an welcher Stelle sein, um die gewünschten Eigenschaften zu erzeugen? Und welchen Einfluss hat das auf die übrige Konstruktion? Ein neues Bike entwickelt man nicht einfach so und bedarf viel Know-how und Erfahrung. Bei der Entwicklung von Mountainbikes spielen zahlreiche Faktoren eine entscheidende Rolle, vergleichbar mit einem Getriebe: Wird eine Komponente im System falsch dimensioniert, hat es enorme Auswirkungen auf das gesamte System. Was bringt einem also das teuerste Fahrwerk, wenn die unausgereifte Hinterbaukinematik die Performance zunichtemacht.
Ein weiterer wichtiger Punkt fängt schon vor der eigentlichen Entwicklung an und das ist die Ausrichtung des Konzepts. Jedes Mountainbike ist auf einen bestimmten Einsatzbereich hin optimiert: Cross Country, Trail, Enduro oder Downhill. Der spezifische Einsatzbereich bestimmt die Eigenschaften des Bikes in Bezug auf Federweg, Geometrie und Komponentenwahl. Das Verständnis der Zielgruppe und deren Bedürfnisse ist essentiell, um das passende Produkt zu entwickeln. Ein Downhill-Bike mit schwach profilierten Reifen und pannenanfälliger Karkasse macht genauso wenig Sinn wie ein Cross-Country-Bike mit Stahlfederdämpfer und Reifen mit schwerer Downhill-Karkasse.


Hier hat Orbea aber mit dem MyO-Konfigurator noch ein zusätzliches Ass im Ärmel. Durch den Online-Konfigurator könnt ihr beim Kauf unzählige Komponenten auswählen, um euer Bike perfekt an eure Bedürfnisse anzupassen. Neben unterschiedlichen Fahrwerken, Bremsen, Reifen und Co. gibt es auch eine riesige Auswahl an verschiedenen Farben, um euer Mountainbike zu individualisieren.
Einen so ausführlichen Konfigurator bietet kein anderer Bike-Hersteller und er ist ein riesiger Benefit, denn jeder hat ganz unterschiedliche Anforderungen an sein Bike. Ein solches Programm erfordert aber auch einen großen Testaufwand, denn alle Komponenten und unzählige Kombinationen müssen auf dem Trail getestet werden, bevor sie zum Kauf angeboten werden.
Die Situationen, denen Mensch und Material im Wettkampf ausgesetzt sind, lassen sich nicht im Labor reproduzieren, und nur im Rennsport können wir die Technik so an ihre Grenzen bringen. – Orbea
Wie viel der Entwicklung und Erkenntnisse fließen bei OOLab in die Serien-Bikes ein?
Jeden Tag werden mit verschiedenen OOLab-Projekten in Labor- und Praxistests unzählige neue Erkenntnisse gesammelt. Natürlich können nicht alle gewonnenen Erkenntnisse in die späteren Serien-Bikes einfließen. Nur die besten und ausgereiftesten Ideen schaffen den Weg an das fertige Mountainbike. Zwar sind die Serienmodelle oft weniger extrem und auf eine größere Bandbreite an Nutzern ausgelegt, aber die Technologien, die ursprünglich für den Renneinsatz entwickelt wurden, machen Mountainbikes für den Alltagsfahrer heute leistungsfähiger, leichter, vielseitiger und benutzerfreundlicher.

Fazit zur OOLab-Forschungs- und Entwicklungsabteilung
Ohne die hiesigen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Bike-Marken würden wir vermutlich immer noch mit Hardtails und Starrgabeln über die Trails dieser Welt poltern. Brands wie Orbea bringen im OOLab nicht nur neue Innovationen hervor, sondern erhöhen auch die Nutzerfreundlichkeit und den Fahrspaß. Hersteller profitieren enorm von dem Wissen und den Erfahrungen, die im Rennsport gewonnen werden, und setzen diese in ihren Produkten um, um die bestmögliche Performance auch Freizeitfahrern zugänglich zu machen.
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Text: Mike Hunger Fotos: Mike Hunger