Wer ist Leo Kokkonen? Querdenker, Umweltschützer, verrückter Erfinder, Unternehmer, Visionär oder einfach nur ein Wahnsinniger? Wer ist der Mann, der hinter dem Pole MACHINE steckt?

Wenn man Leo Kokkonen, den CEO von Pole Bicycles, zum ersten Mal trifft, weiß man sofort, dass man es mit einem starken Charakter zu tun hat. Er vertritt leidenschaftlich seine Überzeugungen und Werte und ist ganz offensichtlich gesegnet (oder vielleicht auch verflucht) mit einem höchst analytischen Geist. Für ihn als Ingenieur bedeutet das, dass er alles hinterfragt, analysiert und dekonstruiert, um es dann gedanklich neu und besser wieder zusammenzubauen. Dieser Prozess scheint die ganze Zeit über stattzufinden, egal ob er über die Zugführung an seiner neuesten Kreation grübelt oder über das Design des Bürostuhls nachdenkt, auf dem er zufällig gerade sitzt.

Pole Bicycles war nicht der erste Hersteller, der ein radikales Geometriekonzept auf den Markt brachte, aber es war der erste, der es erfolgreich für den Mainstream-Markt umsetzte – eine extreme Geometrie nicht nur beim Monsterbike für Hardcore-Racer, sondern auch bei der Allzweckwaffe für jedes Niveau. Binnen zwei Jahren ging die kleine, relativ unbekannte Marke, die das EVOLINK auf den Markt gebracht hatte, völlig durch die Decke und plötzlich fanden alle ihre eigenen Bikes zu klein. Und schnell war das Teil auch noch! Das Pole EVOLINK erreichte eine fast kultische Anhängerschaft, die Rahmen waren ausverkauft, auf Facebook schossen die Fangruppen aus dem Boden. Damit hätte der Zenit erreicht sein können, aber dann tauchten auf den Social-Media-Profilen von Pole erste Fotos des neuen Bikes auf – und das wirkte wahnsinnig homogen und organisch. Nun drehte der Buschfunk so richtig durch. War das Carbon? Nein, eindeutig Metall. Aber es waren keine Schweißnähte zu sehen, was zur Hölle war das?

  Wir können als Unternehmen keinen Erfolg haben, wenn wir nichts Neues ausprobieren. Bei Preisen und Volumen können wir mit Trek oder Canyon niemals mithalten, so viel Geld haben wir einfach nicht.

Es war das Pole MACHINE, Leos neueste Kreation. Ein 29er-Endurobike mit 160 mm Federweg, das wie die zwei Hälften einer Muschel aus riesigen Aluminium-Rohlingen gefräst und dann mit speziellem Kleber zusammengefügt wird. Ein Donnerschlag auf einem Markt, auf dem der Unterschied zwischen zwei Marken oft kaum mehr ist als die Farbgebung. Es schien unmöglich – so ein Herstellungsverfahren müsste doch so teuer, aufwendig und ungeprüft sein, dass es sich von selbst verbietet, sonst hätte es doch schon mal jemand gemacht! Leo bestreitet das: Das Bike wird bereits gebaut und aufs Härteste getestet. Er gibt offen zu, dass das Konzept nicht auf einem Erleuchtungsmoment beruht. Vielmehr ist es seiner Frustration darüber geschuldet, dass er keine Lösung für sein Carbonprojekt finden konnte, die seinen moralischen Standards entsprochen hätte. „Als ich in China war, hat es mich so traurig gemacht, manche Arbeitsbedingungen mit eigenen Augen zu sehen. Da wurde mir klar: Das ist nicht, was ich machen will. Radfahren ist ein Hobby, wir sind erwachsene Leute, die Bikes sind unser Spielzeug, wir brauchen die nicht – sollten wir also nicht lieber ein wenig mehr bezahlen oder ein etwas höheres Gewicht in Kauf nehmen, wenn wir dafür wissen, dass die Leute bessere Arbeitsbedingungen haben?“ Nach seiner Rückkehr aus China war Leo niedergeschlagen, seine großen Hoffnungen für das Carbonprojekt hatten sich in Luft aufgelöst und er suchte neue Inspiration.

  Ich bilde mir gerne ein, dass ich ein schlauer Typ bin. Mein fachlicher Hintergrund ist nicht Bike- sondern Industriedesign, und auch wenn Carbon sehr nach Hightech klingt – wenn man sich den Verarbeitungsprozess anschaut, sieht das nicht nach Industrie aus, sondern nach sehr altmodischer Technologie, nach Handarbeit. Ich wusste, da gibt es eine bessere Lösung.

Die Inspiration kam unerwartet – von einem finnischen Traktorhersteller. Bei einer Führung durch die Produktion stellte Leo fest, dass nichts von Hand gemacht wurde, alle Schritte waren automatisiert, fortschrittliche Technologie verbesserte die Effizienz und Qualität jedes einzelnen Arbeitsprozesses. Lag hier die Lösung für das Problem? Die Recherche begann, zunächst dachte Leo über Schweißen nach, dann darüber, das Bike aus zwei Aluminiumhälften zusammenzupressen. Bei jeder Idee kontaktierte er führende Experten und Universitäten auf dem Gebiet. Schließlich wurde das MACHINE-Konzept bei einer zufälligen Unterhaltung in der Fabrik geboren: „Warum fräst du nicht die Teile und verklebst sie?“ Diese Frage brachte Leo zum Nachdenken. Die Idee war da, und Leo überlegte, wie weit er das Ganze wohl treiben konnte. Würde es möglich sein, das gesamte Bike zu fräsen? Er holte sich Input von Kollegen aus der Raumfahrttechnik, das MACHINE-Konzept nahm Fahrt auf, und nach und nach fügte sich alles zusammen.

  Ein Prototyp wurde gebaut und der ist zweifellos das teuerste Bike, das ich je hatte. Die Leute denken, 10.000 € wären teuer für ein Bike, aber das ist Blödsinn. Das erste, das ist richtig, richtig teuer!

Leo begann, an die verrückte Idee mit der CNC-Fräse zu glauben, sie ließ ihn nicht mehr los. Doch zu welchem Preis? Die Kosten für das Verfahren sind sehr hoch, man muss viel Zeit und Geld investieren, um diese Formen aus 7075-Aluminium herauszufräsen. Es mussten Lösungen her. Wie lange es nun dauert „The MACHINE“ zu fräsen, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Aber auch für Pole ist Zeit Geld, deshalb setzte sich Leo mit neuen 3D-Programmen auseinander, um den Rahmen CNC-freundlicher zu machen, das Design zu optimieren und die Wanddicke zu kontrollieren. Wenn man ihn fragt, warum sich die Branche nicht früher mit dieser Technologie auseinandergesetzt hat, bekommt man eine klare Antwort: „Es ist nicht einfach, in der Bike-Industrie einen Fuß in die Tür zu bekommen. Es ist leichter, wenn man Teile herstellt, aber ganze Bikes zu produzieren, ist viel schwieriger, man muss sehr viel investieren. Ich ticke da vielleicht etwas anders als viele Leute. Ich vertrete starke Werte und habe klare Vorstellungen davon, wie die Dinge laufen sollen.“

Die Zyniker mögen sagen, Poles jüngste virale Story über den Verzicht auf Carbon als Werkstoff setze auf den Umwelt-Joker und sei nichts anderes als cleveres Marketing. Auch hier hält Leo mit seiner Meinung nicht hinterm Berg: „Wir wollen einfach keinen unnötigen Schaden verursachen. Wir Menschen machen nichts anderes, als natürliche Ressourcen zu konsumieren. Als wir unser Unternehmen gründeten, schrieben wir einen Business-Plan, ein Konzept, wie wir arbeiten wollen, und das hat sich in der ganzen Zeit nicht verändert. Der Business-Plan war keine To-do-Liste, sondern eine Sammlung von Zielen, und eines davon lautete schlicht und einfach, das beste Bike der Welt bauen. Das beste Bike der Welt muss schnell sein, haltbar, und am wichtigsten: ethisch vertretbar. Und heute können wir sagen: Der MACHINE-Rahmen ist schnell, er ist haltbar, und vor allem ist er ethisch vertretbar.“

Im Geschäftsleben ist es manchmal wie in der Geschichte von Ikarus: Ein Unternehmen kann zu früh zu hoch fliegen. Pole hatte mit der Finanzierung zu kämpfen. „Unser Problem ist, dass wir immer alle unsere Bikes komplett ausverkauft haben“, erklärt Leo. „Deshalb müssen wir wachsen, wir brauchen mehr Geld. Die Produktionszeit in Taiwan ist ein halbes Jahr ab dem Zeitpunkt, zu dem wir das Go geben, und bevor wir das tun können, brauchen wir das Geld. Deshalb zahlen sich die Investitionen nur langsam aus. Viele Investoren scheuen die Bike-Branche, weil sie woanders schneller Geld verdienen können, z. B. mit Software oder Gaming. Ein Bereich, in dem wir uns auskennen, ist die Highend-Bike-Industrie. Schau dir Tesla an: Deren Erfolge und Zahlen sind besser als die von General Motors, obwohl Tesla nur einen Bruchteil des Volumens produziert. Ich kann mir nicht vorstellen, ein Bike zu konzipieren, dass einfach nur okay ist – dafür bin ich viel zu leidenschaftlich dabei. Die Leute, die ihren Umsatz mit gewöhnlichen Sportbikes machen, die können von mir aus nach Taipeh gehen und mit dem Finger auf das zeigen, was sie wollen. Wir bei Pole wollen aber einfach das beste Produkt bauen.“

Leo’s neues Bike besticht nicht nur durch sein innovatives Rahmendesign, es stellt auch die Arbeitsweise der gesamten Industrie in Frage. Große Marken müssen jedes Jahr aufs neue ihre Produktionszahlen abschätzen und gehen dabei ein großes finanzielles Risiko ein. Pole dagegen produziert das MACHINE erst bei Bestellung und hat keine Räder auf Lager. Das ist eine Traumvorstellung für alle Marken und ihre Vertriebsmitarbeiter. Es reduziert nicht nur Kosten, sondern garantiert auch stabile Preise und schützt vorm Verramschen der Ware im Abverkauf. Ein Problem mit dem speziell kleinere Bike-Shops sehr zu kämpfen haben.

Ob man ihn als Umweltaktivist, Humanist oder einfach als wachen Geist sieht, gegen Leos Werte und Überzeugung kann man nur schwer argumentieren. „Ich denke, wir sollten danach streben, die Dinge besser zu machen“, sagt Leo. „Wir sollten Neues erfinden, wir haben Gehirne und können abgefahrene Sachen damit erschaffen. Mir macht es Freude, gut durchdachte Produkte zu betrachten, zu sehen, wie innovativ Menschen sein können. Bei Pole wollen wir dynamisch sein. Wenn jemand eine Idee hat, warum sollen wir ein Jahr warten, wenn wir es auch nächste Woche machen können? Wenn beim MACHINE ein Problem auftritt, können wir es in der nächsten Generation beheben, wie bei Software auch, Version 1.1, 1.2 etc. Wer eins unserer Bikes kauft, weiß immer, dass es die aktuellste Version ist. Man kann sich sicher sein, immer das neueste, innovativste Produkt zu kriegen – so sollte es doch sein.“

Ob das Pole MACHINE auf dem Trail hält, was es verspricht, ob es tatsächlich das beste Produkt überhaupt ist, müssen wir noch abwarten. Ohne Frage ist es das innovativste Bike seiner Generation. Während ihr das lest, kommen die Pole MACHINEs gerade aus riesigen CNC-Maschinen, und wir können euch hoffentlich bald mehr darüber berichten.

Dieser Artikel ist aus ENDURO Ausgabe #032

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Text: Fotos: Toni Rutanen