Glaubt man den Marketingabteilungen, ist fast jedes neue Bikes irgendwie lang, flach und tief. NICOLAI und Pole treiben die Debatte auf die Spitze und setzen die radikalsten Geometrien der gesamten Bikebranche um. Aber wie sinnvoll ist das an Trail-Bikes? Und welches der beiden Bikes hat die Nase vorn?

POLE STAMINA 140 vs. NICOLAI SATURN 14

Sowohl bei Kalle Nicolai als auch bei Leo Kokkonen, den Masterminds hinter unseren Test-Bikes, dreht sich alles um Aluminium. Carbon als Rahmenmaterial kommt ihnen nicht in die Tüte. Stattdessen kreiert die deutsche Manufaktur NICOLAI Rahmen aus extrem hochwertig verschweißten, geraden Alurohren und gefrästen Einzelteilen. Auch Pole verarbeitet Aluminium – aber auf eine völlig andere Art und Weise. Aus massiven Blöcken werden die zwei Rahmenhälften des Hauptrahmens in ihre organisch geschwungene Form gefräst und anschließend miteinander verklebt: ganz ohne Schweißnähte oder Schrauben.

Obwohl es beide Namen suggerieren, hat nur das Stamina 140 tatsächlich 140 mm Federweg am Heck, die mit 140 oder 150 mm Länge in den Gabeln kombiniert werden. Das SATURN 14 liefert mit den großen 29″-Laufrädern nur 130 mm am Heck, die maximal mit 140-mm-Federgabeln kombiniert werden.

Obwohl die Herstellung beider Bikes grundlegend unterschiedlich ist, haben sie doch eines gemeinsam: Ihre Geometriewerte galten vor einigen Jahren noch als unfahrbar. Mit einem Reach von 500 mm (Größe L) und einem Radstand deutlich über 1.200 mm stechen sie noch heute aus der Masse hervor. Mit seinem 64°-Lenkwinkel ist das Pole noch einmal 1,5° flacher als das NICOLAI, das auch beim Sitzwinkel nicht ganz so radikal ist: 76,5° gelten zwar noch immer als steil, können mit dem gefühlt senkrechten Sitzrohr des Stamina 140 von 78,5° jedoch nicht mithalten. Dafür liegt das NICOLAI mit seinem Tretlager (30 mm BB-Drop) einen Zentimeter tiefer als das Pole Stamina 140 (20 mm BB-Drop).

Das POLE STAMINA 140 im Detail

POLE STAMINA 140 | 140 mm (v/h) | 14,58 kg | 9.600 €

Das von uns getestete Pole Stamina 140 für rund 9.600 € war noch nicht ganz serienreif und zeigte bei seinen Komponenten einen Mix aus verschiedenen Ausstattungsvarianten. So waren SRAM CODE RSC-Bremsen, Mavic Deemax-Laufräder und MAXXIS Minion-Reifen aus der EN-Ausstattungsvariante verbaut. Die RockShox PIKE mit 140 mm Federweg kombinierte Pole für uns wie in der LE-Ausstattung mit einem Super Deluxe-Dämpfer. Alternativ lässt sich das Stamina 140 auch mit einem Cane Creek DB Air Inline- oder einem EXT STORIA LOK Stahlfeder-Dämpfer ordern. Die elektronische SRAM AXS-Schaltgruppe gibt es an der LE-Variante des Stamina 140. Generell ist Pole aber sehr offen und realisiert auf Nachfrage fast alle Kundenwünsche.

Gabel RockShox PIKE Ultimate 140 mm
Dämpfer RockShox Super Deluxe 140 mm
Schaltung SRAM X01 Eagle AXS 12-fach
Bremsen SRAM CODE RSC 200/200mm
Laufräder Mavic Deemax 29″
Reifen MAXXIS Minion DHF/DHR II 2,5″/2,4″
Vorbau TRUVATIV DESCENDANT 45mm
Lenker Race Face Next R 780mm
Sattelstütze BikeYoke REVIVE 185mm
Gewicht 14,58 kg
Preis 9.600 €

Downhill-Bremse am Trail-Bike? – Ja, bitte! Mit dem Stamina 140 ist man so schnell unterwegs, dass man alle Bremspower braucht, die man kriegen kann.
Passt besser – Die silberne RockShox PIKE passt optisch hervorragend zum Stamina 140. Auch auf dem Trail arbeitet sie so gut, dass wir ihren großen roten Bruder nicht wirklich vermisst haben.
Kein Zufall – Pole hat viel Zeit in das Fräsverfahren investiert. Das schöne Fräsmuster ist kein Zufall, sondern das Ergebnis penibler Planung.
Keine Decals, kein Problem – Der Firmenname wird bei Pole nicht, wie sonst üblich, mit Decals zur Schau gestellt, sondern im großen Stil in die Kettenstrebe eingraviert.
In Serie besser – Bei unserem Vorserien-Bike schleift die Kette im kleinsten Gang an der Verstrebung zwischen Sitz- und Kettenstrebe. In Serie soll das Problem behoben sein.
Größe S M L XL
Sattelrohr 400 mm 400 mm 420 mm 440 mm
Oberrohr 570 mm 600 mm 630 mm 650 mm
Steuerrohr 110 mm 120 mm 120 mm 135 mm
Lenkwinkel 64° 64° 64° 64°
Sitzwinkel 77,5° 77,5° 77,5° 77,5°
Kettenstreben 450 mm 450 mm 450 mm 450 mm
BB Drop 20 mm 20 mm 20 mm 20 mm
Radstand 1.230 mm 1.260 mm 1.290 mm 1.310 mm
Reach 440 mm 470 mm 500 mm 520 mm
Stack 598 mm 608 mm 608 mm 618 mm

Das NICOLAI SATURN 14 im Detail

NICOLAI SATURN 14 | 140 mm (v/h) | 13,76kg | 6.749 €

Bei NICOLAI wird Individualisierung groß geschrieben, fast jedes Bike wird an Kundenwünsche angepasst. Außer Farben, Decals und Rahmendetails kann man auch bei den Komponenten viel selbst auswählen. Unser 6.749 € teures Test-Bike kam mit einem FOX Factory-Fahrwerk mit 34er-Federgabel und FLOAT DPX2-Dämpfer, außerdem mit einer SRAM GX Eagle-Schaltung und einer MAGURA MT Trail Sport-Bremse, die hinten auf lediglich zwei Bremskolben setzt. Wie bei NICOLAI üblich, rollt auch das SATURN 14 auf Continental-Reifen: hinten auf dem sehr flach profilierten Mountain King und vorne auf einem Baron Projekt 2.4, den man so gar nicht im Konfigurator des SATURN 14 findet. Eine richtig griffige Reifenkombination gibt es nicht zur Auswahl.

Gabel FOX 34 Factory 140 mm
Dämpfer FOX FLOAT DPX2 Factory 140 mm
Schaltung SRAM GX Eagle 12-fach
Bremsen MAGURA MT Trail Sport 200/180 mm
Laufräder Tune 29er Race
Reifen Continental Der Baron Projekt/Mountain King 2,4″/2,3″
Vorbau Intend 55 mm
Lenker Renthal Fatbar Carbon 780 mm
Sattelstütze BikeYoke REVIVE 185 mm
Gewicht 13,76 kg
Preis 6.749 €

Vorne top, hinten Flop – Die MAGURA MT Trail Sport setzt hinten nur auf zwei Bremskolben und eine kleine 180-mm-Bremsscheibe. Für lange, steile Anfahrten ist das zu wenig.
Handwerkskunst – Absolute Profis schweißen jedes NICOLAI von Hand. Das erkennt man an den wunderschönen Schweißnähten die alle Bikes besitzen.
Fräsen können sie auch – Auch beim NICOLAI werden aufwendig gefräste Aluminiumteile verbaut. Am schönsten ist aber die „Kühlerfigur“ auf dem Steuerrohr.
Anpassbar – Mit den sogenannten Mutatoren an der Sitzstrebe lassen sich Sitz- und Lenkwinkel feintunen. Wir waren nur auf der Standardeinstellung unterwegs.
Bodybuilder? – Der Hinterbau des SATURN 14 arbeitet straff und definiert, sonderlich sensibel ist er aber nicht.
Größe S M L XL XXL
Sattelrohr 405 mm 440 mm 455 mm 475 mm 520 mm
Oberrohr 595 mm 626 mm 648 mm 668 mm 693 mm
Steuerrohr 110 mm 120 mm 130 mm 140 mm 150 mm
Lenkwinkel 65,2° 65,5° 65,5° 65,5° 65,5°
Sitzwinkel 74,9° 75,2° 75,2° 75,2° 75,2°
Kettenstreben 446 mm 446 mm 446 mm 446 mm 446 mm
BB Drop 27 mm 30 mm 30 mm 30 mm 30 mm
Radstand 1.206 mm 1.241 mm 1.264 mm 1.291 mm 1.313 mm
Reach 450 mm 480 mm 500 mm 520 mm 540 mm
Stack 600 mm 610 mm 618 mm 627 mm 637 mm

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen

Wie es sich für echte Trail-Bikes gehört, mussten sich das Stamina 140 und das SATURN 14 in unserem Test sowohl auf langen und quälenden Forststraßen als auch im technischen Uphill beweisen. Die Sitzposition auf dem NICOLAI ist dabei sportlich gestreckt. Der lange Hauptrahmen und die relativ niedrige Front bringen viel Druck aufs Vorderrad und somit auch auf die Hände. Auf langen Transfers kann das etwas unangenehm sein, erleichtert aber das Klettern, sobald es steiler wird, denn dann scheint das Vorderrad am Boden zu kleben. Die Sitzposition auf dem Stamina 140 ist im direkten Vergleich weniger gestreckt. Der super steile Sitzwinkel ist zunächst ungewohnt, positioniert den Fahrer aber auch in Steilstücken mittig auf dem Bike. Wie auch beim NICOLAI bleibt man auf dem Stamina 140 selbst in verblockten Steilstücken entspannt im Sattel sitzen, die Geometrie sorgt von alleine für ausreichend Druck am Vorderrad und das Fahrwerk liefert ausreichend Traktion am Hinterrad. Im direkten Vergleich lässt sich das Pole etwas mehr bitten und erfordert die strammeren Waden. Das liegt aber weniger am Fahrwerk, das bei beiden Bikes ausreichend effizient arbeitet, sondern vielmehr an den abfahrtsorientierten Reifen und Laufrädern des Pole.

Trail-Bike oder Mini-Enduro?

Obwohl sich das Stamina 140 und das SATURN 14 in der Geometrietabelle relativ ähnlich sind, unterscheiden sie sich im Fahrverhalten und ihrem Charakter bergab sehr. Doch erst zu den Gemeinsamkeiten: Beide Bikes positionieren den Fahrer inmitten der großen Laufräder und bieten ihm dank tiefgezogener Oberrohre und langem Hauptrahmen sehr viel Bewegungsfreiheit. Bei beiden Bikes ist die Balance zwischen Vorder- und Hinterrad gut gelungen, wodurch in Kurven stets viel Grip an beiden Reifen zur Verfügung steht. Hier ist der Unterschied, dass das NICOLAI mit seiner niedrigen Front im Flachen leichter zu handeln ist und das POLE mit der höheren Front und dem flacheren Lenkwinkel auf steileren Trails einfacher um Kurven geht. Eine nervige Gemeinsamkeit beider Bikes ist das Kettenschlagen, das bei beiden Bikes trotz Kettenstrebenschutz bzw. Slapper-Tape sowohl bei harten Landungen als auch auf ruppigen Passagen deutlich zu hören ist.

Wird es steil, ruppig und schnell, ist das Pole Stamina 140 in seinem Element und steht den meisten Enduro-Bikes in nichts nach.

Folgt der Trail nicht der direkten Linie vom Gipfel ins Tal, zieht das NICOLAI auf flacheren Passagen davon. In Kurven und über Wellen lässt sich mit ihm durch aktives Pushen deutlich leichter Geschwindigkeit generieren. An Kanten bietet das SATURN 14 mehr Pop und Gegenhalt, wodurch es sich auch leichter in die Luft ziehen lässt. Kürzere Wurzel-Passagen oder Steinfelder überspringt man mit dem spritzigen NICOLAI am besten. Der Hinterbau des SATURN 14 arbeitet sehr definiert und informiert den Fahrer stets über die Bedingungen auf dem Trail, ohne zu unkomfortabel zu sein. Da kann die FOX 34 an Front nicht ganz mithalten und ist entweder zu harsch oder sackt zu tief in den Federweg ein. Die FIT4-Kartusche bietet nur wenig Einstellbarkeit, weshalb sie auch nach intensivem Tuning nicht mit dem Heck oder der RockShox PIKE am Pole mithalten kann.

Auf flowigen Strecken erfordert das Pole Stamina 140 deutlich mehr Körpereinsatz, um an Wellen oder in Landungen Geschwindigkeit zu generieren. Die schweren Mavic Deemax Downhill-Laufräder am Pole machen das Beschleunigen aus Anliegern oder kurze Sprints am Gegenhang zum Kraftakt. Dadurch erfordern Flowtrails die volle Konzentration, um die einmal aufgebaute Geschwindigkeit nicht zu verlieren. Im Umkehrschluss erledigt das Fahrwerk des Stamina 140 die Arbeit, sobald es ruppiger wird. Wurzelteppiche, Steinfelder und Bremswellen bügelt es einfach platt. Dabei ist es nicht zwangsläufig das Plus an Federweg, das den großen Unterschied zum SATURN 14 ausmacht, sondern vielmehr die Abstimmung des Fahrwerks. Das Stamina 140 reagiert spürbar sensibler auf kleine Unebenheiten und liegt etwas satter, aber kaum minder definiert als das straffe SATURN 14 auf dem Trail.

Spontan die Linie wechseln oder doch einfach über die Hindernisse gappen? Das NICOLAI SATURN 14 ist trotz seiner Länge wendig und agil.

Wird der Trail steiler und verblockter, ist das Pole in sein Element. Sobald ein ordentlicher Grundspeed auf dem Tacho steht, wird klar, dass das Stamina 140 der kleine Bruder des Stamina 180 ist und viel Speed benötigt, um seine Stärken auszuspielen. Hohe Drops, steile Rinnen und fiese Steinfelder meistert das Stamina 140 besser als so manches Enduro-Bike. Aber auch das NICOLAI SATURN 14 muss sich nicht vor richtig ruppigen Strecken verstecken. Es bietet dem Fahrer mit seiner Länge ausreichend Sicherheit und Laufruhe, gibt aber deutlich mehr Informationen vom Trail an ihn weiter. Nicht zuletzt wegen der Allround-orientierten Ausstattung ist man mit dem SATURN 14 in richtig ruppigem Gelände zwar sicher, aber deutlich langsamer als mit dem Pole Stamina 140 unterwegs.

Absolut fahrbar! Wer sich einmal an die Sicherheit gewöhnt hat, die einem das Pole und das NICOLAI bieten, möchte so schnell nicht mehr auf ein kurzes Bike zurück.

Was muss ein Trail-Bike können und was nicht?

Ein Trail-Bike sollte das perfekte „Do-it-all“-Bike sein, mit dem lange Touren in den Alpen ebenso drin sind wie die schnelle Feierabendrunde auf dem gebauten Hometrail oder Ausflüge auf die Flowtrails im Bikepark. Die Nehmerqualitäten des Pole Stamina 140 stehen außer Frage und es wäre auch auf den meisten Enduro-Rennen nicht fehl am Platz. Die downhilllastige Ausstattung und Auslegung des Bikes machen es aber nicht vielseitig genug, um auf jedem Trail zu brillieren. Auch das NICOLAI SATURN 14 spielt trotz seines straffen Fahrwerks oberhalb seiner Federwegskategorie und seine Geometrie im Downhill bietet ebenfalls viel Sicherheit und Selbstbewusstsein. Trotzdem bewahrt es sich aber die Spritzigkeit und den Fahrspaß anderer Trail-Bikes mit 130/140 mm Federweg und überzeugt so auch auf flowigen Strecken.

Sowohl das NICOLAI SATURN 14 als auch das Pole Stamina 140 sind verdammt lange und extrem schnelle Trail-Bikes. Ist es steil und technisch, spielt das Stamina 140 in einer Liga mit den meisten Enduro-Bikes. Dafür ist es auf flowigen Strecken, im Antritt und bei Sprüngen spürbar träger als das NICOLAI SATURN 14. Trotz ihrer Länge sind auch technische, verwinkelte Trails mit beiden Bikes möglich. Sobald der Trail mehr Geschwindigkeit zulässt, sind sie in ihrem Element und liefern Fahrspaß pur! Ginge es rein um den Speed, würde das Stamina 140 als klarer Sieger vom Platz gehen. Doch bei einem Trail-Bike zählt neben den Allround-Eigenschaften vor allem eines: der Fahrspaß. Und den liefert das SATURN 14 auch auf flacheren Trails und bei gemäßigter Fahrweise.


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