Wer auf das Pole Stamina 180 steigt, sollte vorher auf jeden Fall eine sehr große Tasse des stärksten Kaffees trinken, den er auftreiben kann. Das edle Luxus-Bike mit radikaler Geometrie und 180 mm Federweg ist ein Frontalangriff auf die eigenen Synapsen und hat uns während des Tests so einige Überraschungen beschert!

POLE Stamina 180 | 180/180 mm (v/h) | 14,28 kg (29” Gr. L) | 7.950 €

Bei der finnischen Bike-Firma Pole scheint in den letzten Monaten niemand zu schlafen. Bereits wenige Wochen nachdem die Finnen mit dem Pole MACHINE für mächtig Furore gesorgt haben, präsentieren sie direkt die nächsten Modelle. Was das Pole MACHINE und das brandneue Stamina 180 und Stamina 140 gemeinsam haben, ist ihre einzigartige Fertigungsmethode und das radikale Geometrie-Konzept, welches ihr Schöpfer Leo Kokkonen bei den Rädern umsetzt. So werden die Rahmen in mehreren Teilen aus Aluminium gefräst und dann mit einem Superkleber miteinander verbunden. Dies hat gleich mehrere Vorteile. So wird der Prozess nahezu komplett von Maschinen durchgeführt, monotone Schweißarbeiten oder Carbon-Schichtungen müssen nicht von Menschenhand durchgeführt werden. Außerdem können bei jedem neuen Bike direkt Änderungen und Anpassungen vorgenommen werden, da keine teuren Formkosten nötig sind, sondern nur Updates des Fräsprotokolls. Zu guter Letzt kann außerdem das deutlich robustere 7075 T6-Aluminium verbaut werden, welches sich konventionell nur sehr schwer schweißen lässt.

Fahrwerk und Geometrie bilden hier eine Einheit mit herausragenden Fahreigenschaften!

Speed is the answer to everything

Leo Kokkonen ist nahezu besessen von Geschwindigkeit. Jedes Mal wenn der Finne ein Bike oder neue Komponenten testet darf dabei ein Tool nicht fehlen: die Stoppuhr. Diese Sucht nach Geschwindigkeit hat zu dem radikalen Geometrie-Konzept geführt welches bereits von den EVOLINK-Modellen und dem MACHINE bekannt ist. Das Pole Stamina 180 setzt diese Entwicklung nun fort, kombiniert den extrem langen und flachen Rahmen aber noch mit satten 180 mm Federweg in Front und Heck. Pole bietet das Stamina 180 in drei verschiedenen Build-Kits sowie als Frame-Kit an. Wir haben für unseren Test einen Prototypen-Rahmen mit dem Pole Stamina 180 EN-Kit erhalten. An der Ausstattung des 7.950 € teuren Bikes gibt es fast nichts zu kritisieren. Alle verbauten Teile sind bewährt und passen perfekt zum Einsatzzweck. Mit nur einer Ausnahme: Die Reifen mit dünner EXO-Karkasse werden dem Rad trotz Huck Norris-Durchschlagschutz nicht gerecht und einige Platten waren die Folge.

Federgabel ROCKSHOX LYRIK RC2 180 mm
Dämpfer ROCKSHOX SUPER DELUXE RCT 180 mm
Bremsen SRAM CODE RSC 200/200 mm
Antrieb SRAM XO1 Eagle 1×12
Sattelstütze BIKEYOKE REVIVE 125/160/185 mm
Vorbau TRUVATIV DESCENDANT
Lenker TRUVATIV DESCENDANT CARBON 800 mm
Laufradsatz MAVIC DEEMAX PRO 29″
Reifen Maxxis MINION DHF/DHR II 2,50″/2,40″

Einzigartig
Der gefräste Look des Stamina 180 ist einzigartig. Die zwei Hälften des Hauptrahmens werden miteinander verklebt. Die Verschraubungen, wie man sie am MACHINE findet, gehören jetzt der Vergangenheit an.
Ausgewogenheit ist Trumpf
Eine der größten Stärken des Stamina 180 ist seine extrem ausgewogene Geometrie. Obwohl die Werte alle extrem sind, fährt sich das Rad sehr gutmütig und einfach.
Mehr Federweg = mehr Performance
Satte 180 mm Federweg besitzt das Pole Stamina an Front und Heck. Das sind enorme Reserven für härteste Trails. Trotz so viel Federweg fährt sich das Rad aber dennoch erstaunlich direkt.
Pragmatisch
Die Züge werden beim Stamina extern geführt. Das erleichtert bei Bedarf den Service, geht aber natürlich auf Kosten einer sehr cleanen Optik.
Nachgebessert
Die hier zu sehende Strebe zwischen Sitz- und Kettenstrebe wurde von Pole überarbeitet. Bei unserer Version schlug die Kette häufig auf die Strebe. Kunden, die ein Rad mit dieser Variante besitzen, erhalten kostenlos Ersatz.
Viel Platz
Im Hauptrahmen des Stamina ist Platz für bis zu zwei große Trinkflaschen. Außerdem kann eine weitere unter dem Rad platziert werden.
Asymmetrisch
Pole bietet das Rad mit verschiedenen Dämpfer-Optionen an. Je nach Modell kommt das Rad mit einer unterschiedlichen Aufnahme.
Überfordert
Bei harten Landungen oder in großen Kompressionen wie Anliegern und Senken verliert die Kette ihre Spannung. Federt das Stamina wieder aus, schnalzt das Schaltwerk lautstark zurück und setzt die Kette wieder unter Spannung. Einen direkten Einfluss auf die Fahr-Performance konnten wir nicht feststellen. Trotzdem ist das Geräusch sehr irritierend und wenig vertrauenserweckend.

Form follows function

Wer Leo kennt, weiß das er ein sehr pragmatischer Typ sein kann. Er redet nicht lange um den heißen Brei und macht nur das, wovon er selbst überzeugt ist. So ist das auch beim Stamina 180. Wer sich eine interne Kabelführung wünscht, wird leider enttäuscht. Die Züge verlaufen alle leicht austauschbar an der Außenseite und werden dort nur mit Kabelbindern fixiert. Auch einen aufwändig gefertigten eigenen Kettenstrebenschutz, wie ihn andere Firmen herstellen, gibt es nicht – MarshGuard Slapper Tape genügt. Im Gegenzug bietet das Rad gleich Platz für bis zu drei große Wasserflaschen, in die man entweder Flüssigkeit füllen oder auch Werkzeug verstaut kann. Bei der Stamina 180 LE-Topversion wird außerdem das OneUp-Components EDC-Tool serienmäßig im Steuerrohr integriert.

Eine neue Dimension an Geschwindigkeit

So aufregend das Pole Stamina 180 mit seiner enormen Größe im Stand aussieht, so unaufgeregt sind die ersten Meter. Trotz des massiven Radstand (1.336 mm), dem super flachen Lenkwinkel (63,5°) und den enormen Reach (510 mm Gr. L) wirkt das Rad beim ersten Proberollen gar nicht so massiv. Als Fahrer steht man super integriert im Rad, Lenkbefehle werden direkt und gutmütig umgesetzt. Sobald man aber auf einen Trail einbiegt, wird schnell klar: Das Stamina sprengt nicht nur Konventionen, es hat auch das Potenzial, KOMs zu pulverisieren und seinen Fahrer in eine ganz neue Form des Geschwindigkeitsrausches zu versetzen – und zwar nicht nur auf krassen Downhill-Strecken. Der Grip, den das Rad mit seinem satten Hinterbau und seiner Geometrie generiert, ist enorm. Wir haben im Verlauf des Tests den Druck in unseren Reifen um ca. 0,2 bar erhöht, da wir mit deutlich mehr Druck und Geschwindigkeit durch Kurven gepresst sind und der Reifen sonst unschön walgt bzw. komplett von der Felge springen kann.

Wir wollen nicht zum Drogenkonsum aufrufen, aber das Bike ist berauschend schnell!

Größe S M L XL
Sattelrohr 400 mm 400 mm 420 mm 440 mm
Oberrohr 570 mm 600 mm 630 mm 660 mm
Steuerrohr 110 mm 120 mm 120 mm 135 mm
Lenkwinkel 63,5° 63,5° 63,5° 63,5°
Sitzwinkel 78,3° 78,3° 78,3° 78,3°
Kettenstrebe 455 mm 455 mm 455 mm 455 mm
Tretlager Höhe 385 mm 385 mm 405 mm 425 mm
Radstand 1.276 mm 1.306 mm 1.336 mm 1.361 mm
Reach 450 mm 480 mm 510 mm 540 mm
Stack 636 mm 645 mm 645 mm 658 mm

Um das Potenzial des Bikes auszuschöpfen, muss man allerdings seinen eigenen Fahrstil etwas anpassen. Am auffälligsten ist das bei Kurven. Lenkt man mit klassischen Enduro-Bikes im ähnlichen Stil ein, will das Pole viel mehr wie ein Motorrad über Schräglage gefahren werden. Außerdem lohnt es sich, das Fahrwerk aktiv mit einzubeziehen. Ähnlich wie bei einem Downhill-Bike lohnt es sich das Rad sehr aktiv zu pushen und zu entlasten. Wer hier den Dreh raus hat, kann selbst enge Richtungswechsel zügig bewältigen und das Stamina fährt sich trotz seiner enormen Länge agil. Allerdings ist dabei etwas mehr Körpereinsatz nötig und es wäre vermessen, das Rad als verspielt zu bezeichnen. Ein Nachteil des enormen Radstand zeigt sich beim Versetzen des Hinterrads auf sehr engen Trails – hier bleibt das Heck leichter an der Hangkante hängen. Allerdings wird dies nur die wenigsten Fahrer wirklich stören.

Nach nur wenigen Metern mit dem Stamina 180 wird man als Fahrer in eine neue Dimension in Sachen Trail-Speed entführt. Wo man früher mit anderen Bikes immer ähnlich schnell unterwegs war, fliegen Bäume jetzt viel schneller auf einen zu. Das erfordert super wachsame Sinne. Wir sind tatsächlich mehrfach gestürzt, weil die Geschwindigkeit, zu der das Bike verleitet, uns zunächst überfordert hat. Das Rad fährt sich extrem stabil, liegt super satt auf der Strecke und vermittelt enorme Sicherheit. Dies wird auch von der enormen Bewegungsfreiheit dank des tiefen Oberrohr unterstützt. Das Fahrwerk filtert Unebenheiten extrem sensibel weg und ist gleichzeitig angenehm lebendig. So lässt sich das Pole an Wellen und bei Sprüngen leicht in die Luft ziehen und bietet guten Gegenhalt in Anliegern. Generell fährt es sich in Kurven sehr ausbalanciert. Der lange Hinterbau hilft, immer ausreichend Druck auf dem Vorderrad aufzubauen. Wer das Rad gern im Manual aus der Kurve schiebt, muss aber einiges an Kraft aufbringen. Generell sind Fahrmanöver, bei denen man das Rad in den Manual zieht, kräftezehrend.

Zum Teil hatten wir fast schon Angst, mit dem Stamina 180 zu fahren – so schnell ist man mit ihm unterwegs!

Nicht zuletzt aufgrund der leichten Reifen ist das von uns getestete Bike, mit einem Gewicht von 14,28 kg angenehm leicht. In Kombination mit dem steilen Sitzwinkel und der daraus resultierenden sehr zentralen Sitzposition pedaliert man sehr entspannt bergauf. Ein steigendes Vorderrad im Uphill gibt es bei diesem Rad nicht. Im Gegenteil: Man kann sich entspannt zurücklehnen und dennoch bleibt das Bike auf Kurs. Kritik gibt es nur bei engen, technischen Uphills, hier macht sich der enorme Radstand und der flache Lenkwinkel negativ bemerkbar.

Ein Hinweis in eigener Sache

Wir haben von Pole für diesen Test ein Vorserien-Bike erhalten, bei dem uns einige negative Punkte aufgefallen sind. Nach Rücksprache mit Leo werden diese für die Serie überarbeitet und Kunden, die bereits ein Rad mit diesen Punkten erhalten haben, erhalten zeitnah Ersatz. Ein Problem bei unserem Test-Bike war unter anderem die Strebe zwischen Ketten- und Sitzstreben, an der die Kette im leichtesten Gang geschliffen hat und generell häufig angeschlagen ist. Außerdem sind einige Bemaßungen sehr eng gehalten und die vorgeschriebenen Toleranzen stark ausgereizt.

Unser erstes Fazit zum neuen Pole Stamina 180

Für ein finales Fazit ist es aufgrund des Prototypen-Rahmen leider zu früh. Jedoch lässt sich bereits jetzt festhalten, dass wir noch nie ein Enduro-Bike gefahren sind, das bergab mit einer solch enormen Geschwindigkeit punktet. Das Stamina 180 verschiebt den Horizont seines Piloten und lässt sich gleichzeitig noch sehr gut bergauf pedalieren.

Tops

  • neue Definition von Speed
  • extrem laufruhig und sicher
  • dennoch agil und nicht behäbig

Flops

  • in echt engen Sektionen sperrig
  • Kettenklappern bei harten Schlägen
  • Kette schleift beim Vorserien-Bike

Mehr Infos findet ihr unter: polebicycles.com

Dieser Artikel ist aus ENDURO Ausgabe #039

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