Dass die Komponenten eines Bikes einen enormen Einfluss auf die Fahr-Performance haben, ist bekannt. Welchen Einfluss die Rahmengröße darauf hat und welchen Aufwand Hersteller dafür betreiben, wird jedoch häufig unterschätzt. Zudem fließen dabei eure Vorlieben und euer Fahrstil ein. Wir erklären euch, worauf ihr bei modernen Bike-Größen achten müsst und wie sich das auf dem Trail auswirkt.

Die Wahl eures neuen Mountainbikes kann sich schnell zu einem waschechten „First World Problem“ entwickeln – denn Möglichkeiten gibt es unzählige (bei denen wir euch mit unserer ausführlichen Kaufberatung gerne weiterhelfen). Habt ihr dann die Fragen bezüglich des passenden Einsatzbereichs, der Marke, dem Modell und natürlich der Farbe beantwortet – und könnt ihr euch mit dem Gesamtkonzept des Bikes identifizieren –, bleibt noch die knifflige Frage nach der richtigen Rahmengröße. Hier wird oft vorschnell entschieden: „Ich fahre immer Größe L“ oder „Mein altes Bike war auch ein M“. Doch die Wahl der Rahmengröße sollte nicht auf Gewohnheit beruhen, denn sie beeinflusst maßgeblich die Kontrolle, den Komfort und auch die restlichen Fahreigenschaften maßgeblich. Zudem unterscheiden sich vermeintlich gleiche Rahmengrößen – wie eben Größe Large – massiv zwischen den Herstellern und teils sogar zwischen Modellreihen und Baujahren einer Marke.


Auch wenn wir uns das alle wünschen würden: Ein einfaches Schema zur Größeneinteilung gibt es leider nicht. Simple Zuordnungen, basierend auf Körpergröße oder Maßen wie der Beinlänge, sind längst veraltet und relevantere Faktoren spielen jetzt eine Rolle. Anhand von welchen Werten Hersteller ihre Bikes nun in Größen einteilen und worauf ihr bei der Größenauswahl besonders achten müsst, erklären wir euch weiter unten – egal, ob das Bike nun mit S4, XLong, Extra Medium oder Größe 12 ausgezeichnet wird. Doch wie kommt es eigentlich, dass Bike-Größen auf einmal so kompliziert sind?
Wie interpretieren Hersteller ihre Mountainbike-Größen?
Die meisten Hersteller folgen einem vergleichbaren Schema und geben die Größe ihrer Bikes von XS bis XXL an, ähnlich Kleidergrößen. Doch genau wie eine Levi’s Jeans in Größe M nicht unbedingt genauso passt wie eine in Größe M von Wrangler, verhält es sich bei Mountainbikes. Ein modernes Canyon in Größe M kann beispielsweise größer sein als ein YT oder Santa Cruz in Rahmengröße L. Sogar innerhalb einer Marke gibt es Unterschiede: Ein Canyon L von vor zwei Jahren entspricht heute eher einem M – schon verwirrt? Waren wir zunächst auch. Denn die meisten Hersteller bieten dann pro Modell vier bis sechs verschiedene Rahmengrößen an, um ein möglichst breites Spektrum an Körpergrößen abzudecken. Das hat aber auch seinen Preis – wortwörtlich. Denn für jede dieser Größen müssen z. B. eigene Carbon-Moulds gefertigt werden, was mitunter ein Grund für teilweise recht hoch angesiedelten Kosten von Bike sind.
Früher wurden Rahmengrößen klassisch in Zentimetern angegeben, basierend auf der Sitzrohrlänge – also der Distanz vom Tretlager bis zum oberen Ende des Sitzrohrs. Bei Rennrädern ist das auch noch gängig, da die Beinlänge dort entscheidend für die Passform ist. Im Mountainbike-Bereich hingegen spielen andere Faktoren eine viel größere Rolle – unter anderem durch die Verwendung von Dropper Posts und dem Fakt, dass die Rahmengröße in stehender Position relevanter ist. Deshalb erfolgt die Größenbestimmung moderner Bikes nicht mehr nach der Höhe, sondern nach der Länge des Rahmens.

Vorreiter waren Hersteller wie Specialized mit ihrer S-Sizing genannten Größenanpassung oder Norco mit der nummerierten Größenstaffelung. Durch diesen kleinen Trick der Umbenennung ist es ihnen gelungen, dass sich die Käufer intensiver mit Geometriewerten und dem Größenkonzept des Herstellers auseinandersetzen, anstatt einfach nur nach Gewohnheit seine Größe, z. B. ein L zu kaufen.
Der wichtigste Wert für die Definition der Rahmengröße ist heute der Reach – der horizontale Abstand zwischen dem Tretlager und dem Steuerrohr. Mit anderen Worten, wie weit eure Hüfte von euren Händen entfernt sind, was maßgeblich bestimmt, wie groß bzw. lang sich das Bike auf dem Trail anfühlt. Da man bergab immer im Stehen fährt, ist dieser Wert für das Gefühl auf dem Trail weitaus relevanter als die Sitzrohrhöhe. Beim Uphill kommen hingegen weitere Faktoren ins Spiel, insbesondere der Sitzwinkel: Ein steiler Sitzwinkel sorgt für eine aufrechte, kompakte Position, während ein flacher Winkel die Sitzposition weiter nach hinten verlagert und euch in eine gestrecktere, sportliche Fahrposition bringt.
Die meisten Hersteller setzen bei ihren Rahmen auf gleichmäßige Reach-Abstufungen von 20 bis 25 mm pro Rahmengröße – so etwa Specialized, Propain, YT und Canyon. Santa Cruz hingegen nutzt eine ungleichmäßige Staffelung, um bei den beliebtesten Größen M und L feinere Abstufungen der Reach-Werte zu ermöglichen. Ibis oder Trek bieten dagegen Zwischengrößen wie „XM“ oder „M/L“ an. Ibis geht zudem bei ihrer Größenstaffelung ganz eigene Wege: Sie teilen Bikes nach der Oberrohrlänge auf, wodurch sich der Reach indirekt aus den übrigen Geometriewerten ergibt. Atherton Bikes treibt das Konzept auf die Spitze: Mit 22 verfügbaren Größen, die 11 verschiedene Reach-Werte in 10-mm-Schritten bieten, kann man die perfekte Passform nahezu maßgeschneidert wählen.
Der große Vorteil der modernen Größenordnung nach Länge? Ihr habt meist mehrere Optionen, die euch passen – anstatt an eine Größe gebunden zu sein, die nur auf eure Beinlänge abgestimmt ist. So könnt ihr eure persönlichen Vorlieben oder das besondere Einsatzgebiet mit in die Wahl einfließen lassen – praktisch!
Damit dieses System aber reibungslos funktioniert, spielt die Sitzrohrhöhe – die früher die Rahmengröße bestimmt hat – weiterhin eine entscheidende Rolle. Denn das Sitzrohr muss niedrig genug sein, damit ihr auch bei den größeren Rahmengrößen noch ausreichend Bewegungsfreiheit habt. Ist das Sitzrohr zu hoch, kann es passieren, dass der Sattel selbst in der tiefsten Position noch stört – gerade in technischen Abfahrten ein echtes Problem. Umgekehrt muss aber das Sitzrohr ausreichend Einschubtiefe für lange Sattelstützen bieten, damit ihr im Falle einer kleineren Größe dennoch eine lange Sattelstütze fahren könnt, um eure optimale Sitzposition zu erreichen. Also müssen hier viele Punkte miteinander harmonieren, was durchaus technische Raffinesse beim Rahmendesign erfordert.


Welche Größe passt zu mir? Ein Guide für verschiedene Fahrertypen
Okay, der Reach-Wert ist also ausschlaggebend für die Rahmengröße des Bikes. Und ist das Konzept vollständig durchdacht, ermöglicht es euch, aus mehreren passenden Größen zu wählen. Doch welche Reach-Länge passt zu euch? Genau hier wird es etwas knifflig, denn das lässt sich nicht pauschal beantworten. Ein guter Ausgangspunkt für die Größenwahl sind natürlich weiterhin eure Körpergröße und Proportionen. Aber sie allein reichen nicht aus und weitere wichtige Faktoren sind dein Einsatzbereich und deine persönlichen Vorlieben. Grundsätzlich gilt: Kürzere Bikes sind agiler, reagieren direkter auf Lenkimpulse und machen es leichter, spielerisch mit dem Trail zu interagieren. Hingegen bieten längere Bikes mehr Laufruhe, Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten und ein sicheres Fahrgefühl im steilen, technischen Gelände. Das Ziel ist es, den für euch perfekten Mix aus Agilität und Laufruhe zu finden – passend zu dem, was ihr mit eurem Mountainbike am liebsten macht.

Wenn ihr gerne mit Highspeed durch das Gelände ballert und die Straightline durchs Steinfeld nehmt, kann ein längeres Bike sinnvoll sein. Das Gleiche gilt auch, wenn ihr ein Trail-Bike fahren wollt, aber hin und wieder mit ihm einen Bikepark ansteuert. Liegt euer Fokus eher darauf, mit dem Trail zu spielen, an jeder Kante abzuheben und schnelle Richtungswechsel zu fahren, kann eine kleinere Größe die bessere Wahl sein. Auch wenn ihr euer Enduro hauptsächlich für moderate Hometrails nutzt, kann ein kürzeres Bike passender sein.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist euer Fahrstil: Fahrt ihr aggressiv und habt gerne viel Gewicht auf der Front, kann ein kürzeres Bike besser zu euch passen. Wenn ihr aber mehr Wert auf Komfort legt und euch in steilen Passagen ein hohes Sicherheitsgefühl wichtig ist, kann ein längeres Bike die bessere Wahl sein. Doch was, wenn dein absolutes Traumbike nicht ganz den perfekten Reach hat? Kein Problem, denn es gibt zahlreiche Möglichkeiten zur Anpassung: So lässt sich über die Vorbaulänge die Reichweite zum Lenker verändern – allerdings solltet ihr es hier nicht übertreiben, da es auch schnell Auswirkungen auf das Lenkverhalten haben kann. Durch den angepassten Rise und mithilfe von Spacern unter dem Vorbau könnt ihr die Lenkerposition feintunen. Die praktischste Lösung ist die Reach-Anpassung mithilfe von speziellen Steuersatzschalen, was allerdings nicht jedes Bike zulässt.



Als guter Anhaltspunkt für den passenden Reach kann auch euer aktuelles Bike dienen, solange es auch in Bezug auf die restlichen Geometriewerte relativ aktuell ist. Sollte euer aktuelles Bike schon älter als ca. 5 Jahre sein, wird sich in dieser Zeit so viel an Mountainbikes verändert haben, dass wir euch davon abraten würden, euch an dem damaligen Reach zu orientieren.
Zukunft der MTB-Größen: Wohin geht der Trend?
In den letzten zehn Jahren haben sich die Geometrien moderner Mountainbikes massiv weiterentwickelt. „Longer and slacker“ war das Motto – längere Reach-Werte, flachere Lenkwinkel und der fast flächendeckende Wechsel auf 29-Zoll-Laufräder haben das Fahrverhalten grundlegend verändert. Es hat jedoch einige Zeit gedauert, bis die Hersteller die optimalen Geometrien für die größeren Laufräder gefunden hatten. Inzwischen hat sich die Geometrie-Revolution jedoch deutlich abgeflacht. Die meisten Marken haben ihren Sweet Spot erreicht, weshalb die Reach-Werte mittlerweile auch bei neuen Modellen weitgehend konstant bleiben.
Ein Bereich, in dem weiterhin ein deutlicher Trend erkennbar ist, sind die niedrigeren Sitzrohre. Ein Blick auf die Enduro-Tests der letzten Jahre zeigt, dass die Sitzrohrhöhen stetig gesunken sind, während sich die nutzbare Dropper-Länge vergrößert hat. 2022 lag die durchschnittliche Sitzrohrhöhe bei 443 mm, kombiniert mit einer Variostütze von 179 mm. Ein Jahr später waren es bereits 434 mm mit einer 191-mm-Dropper, und 2024 haben viele Bikes Sitzrohre um die 435 mm, während Dropper Posts mit bis zu 197 mm Hub verbaut werden. Gleiches gilt für die Entwicklung von modernen Trail-Bikes. Die Tendenz ist also klar: Längere Dropper Posts ermöglichen mehr Bewegungsfreiheit auf dem Bike, was sich positiv auf die Abfahrts-Performance auswirkt. Wer mehr über Variostützen erfahren möchte, kann sich in unserem aktuellen Dropper Post-Vergleichstest umsehen.


Wenn ihr also bei den Größenangabe Bezeichnungen wie S3, XLong oder einfach nur eine Nummer seht, bedeutet das in der Regel, dass der Hersteller auf ein modernes Größensystem setzt. Das Ziel dahinter ist klar: Anstatt blind eine gewohnte Größe zu wählen, sollt ihr euch bewusst mit den Geometriewerten auseinandersetzen und das Bike finden, das am besten zu eurem Fahrstil passt.

Die Wahl der richtigen Bike-Größe bietet heutzutage viel Flexibilität, ist dadurch aber auch ein komplexes Thema. Die große Geometrie-Revolution ist vorbei und bei den meisten Herstellern liegt der Fokus auf Feintuning und mehr Bewegungsfreiheit durch kürzere Sitzrohre. Diese Entwicklung ermöglicht es, zwischen mehreren Größen zu wählen und das Bike gezielt auf persönliche Vorlieben abzustimmen – für mehr Kontrolle, Komfort und Spaß auf dem Trail. Jetzt, da ihr wisst, worauf es ankommt, könnt ihr im Geometrie-Dschungel ohne Probleme eine Größe finden, die perfekt zu euch passt.
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Text: Simon Kohler Fotos: diverse