Das Thema, bei dem alle Keyboard-Warrior wunde Finger bekommen, ist die interne Zugverlegung durch den Steuersatz. Aufregung und Ablehnung sind riesig. Doch ist die Kritik gerechtfertigt? Was sind Vor- und Nachteile? Wir haben uns in der Werkstatt eingeschlossen und verschaffen euch einen Überblick über alle gängigen Systeme.
Inhaltsverzeichnis: Das erwartet euch
- Die drei Arten der Zugverlegung an einem MTB
- Der feuchte Traum für Heimschrauber: Die externe Zugverlegung
- Darf’s ein bisschen eleganter sein? Die (klassische) interne Zugverlegung
- Der große Aufreger: Interne Zugverlegung durch den Steuersatz
- Keep it simple: Die „klassische“ Lösung von Acros
- Das Spaghetti-Monster: FOCUS CIS
- Scotty, integrier’ mich hoch: Die SCOTT-Lösung
- Spanische Speziallösung: Die Eigenkreation von Orbea
- Welche Vor- und Nachteile hat die interne Zugverlegung durch den Steuersatz?
- Quick fire: Kurze Fragen und Antworten zum Thema Zugverlegung
- Was erwartet uns in der Zukunft?
- Fazit zu den verschiedenen Systemen der Zugverlegung
Wirft man aktuell einen Blick in die Bike-Foren, bestimmt vor allem ein Thema die Diskussionen: die interne Zugverlegung durch den Steuersatz. Der Grund dafür ist, dass immer mehr Hersteller ihre Bikes mit dieser neuen Art der internen Zugverlegung auf den Markt schicken. Wer sich einige Jahre zurück erinnert an die dunklen Zeiten bis Mitte des 2010er-Jahrzehnts, dem könnte diese Diskussion so oder so ähnlich bekannt vorkommen. Denn bereits damals hat sich an der „normalen“ Zugverlegung durch den Rahmen ein ähnlicher Kulturkampf entbrannt. Wie der ausgegangen ist, zeigt ein Blick auf die schier endlose Zahl an Bikes mit interner Zugverlegung, die es heute auf dem Markt gibt. Und auch die Diskussionen darum sind trotz der anfänglich großen Skepsis wieder abgeflaut. Der Großteil der Biker hat sich daran gewöhnt und vielleicht ja sogar das Gute darin gefunden. Kurz: Es ist zur neuen Normalität geworden.
In Sachen Integration lohnt sich wie bei vielen anderen Themen auch der Blick über den eigenen Vorbau – äh … Tellerrand – hinaus, denn die verschiedenen Bike-Kategorien können noch viel voneinander lernen und haben das in der Vergangenheit bereits fleißig getan. So findet man mittlerweile etwa an jedem Rennrad Scheibenbremsen. Im Fall der Zugverlegung und der cleanen Optik sind uns die Roadies – ja genau, die mit den engen Klamotten und den viel zu schmalen Reifen – allerdings bereits weit voraus. Es findet sich kein modernes Rennrad mehr, das die Leitungen noch offen zur Schau stellt. Alles verschwindet direkt in den Rahmen und bleibt auch dort bis zum entsprechenden Bestimmungsort. Was zugegebenermaßen schon verdammt gut aussieht. Natürlich sind Mountainbikes aber keine Rennräder, haben ganz andere Ansprüche und Probleme, und es wäre fatal, einfach jedem Trend blind hinterherzulaufen.
Für uns ist der Fakt, dass immer mehr Hersteller auf den Zug der Leitungsverlegung durch den Steuersatz aufspringen, der perfekte Anlass, mal alle gängigen Systeme genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn sind wir mal ehrlich, aktuell schwirrt sehr viel Meinung bei wirklich sehr wenig Ahnung herum. Und die wenigsten, die an der Tastatur hart diskutieren, haben die Systeme schon mal wirklich in der Hand oder gar in der Werkstatt gehabt. Wir wollen mit den Vorurteilen über die einzelnen Systeme und Lösungen aufräumen und euch objektiv die Vor- und Nachteile aufzeigen. Dafür haben wir unsere unzähligen Erfahrungen über die letzten Jahre gesammelt, die gängigsten Systeme im Praxistest auseinander- und wieder zusammengebaut, reichlich geflucht, Aha-Erlebnisse gehabt und können euch sagen, auf was es ankommt.
Die drei Arten der Zugverlegung an einem MTB
Im Großen und Ganzen lassen sich die gängigen Arten der Zugverlegung in drei Klassen einteilen. Angefangen bei der externen Zugverlegung: Hier laufen die Leitungen außen am Rahmen entlang bis zu ihrem Bestimmungsort. Davon ausgenommen ist meist die Leitung der Dropper, die intern läuft, da sie von unten im Rahmen angesteuert werden muss.
Über die Jahre sind Bikes mit externer Zugverlegung immer seltener geworden und wurden immer mehr von Bikes mit interner Zugverlegung verdrängt. Durch Ports am Rahmen – die meistens im Bereich des Steuerrohrs positioniert sind – laufen die Kabel in den Rahmen hinein und dort bis zu ihrem Bestimmungsort. Je nach Bike können die Züge auch am Hinterbau oder auf dem Weg schonmal in der Gegend des Tretlagers ein Stück außerhalb des Rahmens laufen, um den Übergang der sich bewegenden Rahmenteile zu vereinfachen. Im Rahmen laufen die Kabel entweder ungeführt oder durch eingearbeitete Kabelkanäle.
Die neueste Form der Zugverlegung ist die interne Zugverlegung durch den Steuersatz. Im Prinzip ist das meiste gleich wie bei der herkömmlichen internen Zugverlegung, allerdings laufen die Züge durch den Steuersatz in den Rahmen. Je nach Hersteller verlaufen die Züge hier durch den Vorbau, die Steuersatzabdeckung, die Spacer oder eine eigene Abdeckung in den Steuersatz. Dadurch braucht es keine Ports am Rahmen mehr, und die Züge werden enger am Lenker geführt.
An die Werkzeuge, fertig, los: Die verschiedenen Zugverlegungen in der Praxis
Der feuchte Traum für Heimschrauber: Die externe Zugverlegung
Bikes mit externer Zugverlegung findet man nicht mehr allzu häufig, und trotzdem haben sie eine glühende Fangemeinde. Warum? Sie sind der feuchte Traum aller Heimschrauber, aber dazu gleich mehr … Auch bei externen Zugverlegungen gibt es einige Unterschiede in der Ausführung, manche schöner und andere weniger schön gelöst. Angefangen bei der Klemmung der Züge am Rahmen: Hier reichen die Optionen vom einfachen, aber nicht gerade ästhetischen Kabelbinder bis zu schönen verschraubten Klemmungen. Allgemein findet man externe Zugverlegung hauptsächlich noch an recht günstigen Bikes oder an Modellen kleinerer Hersteller, die sich einfachen Service und Wartung auf die Fahne schreiben, wie etwa RAAW, NICOLAI oder Privateer.
Denn was ein wenig zu Lasten der cleanen Optik geht, ist im Gegenzug ein Segen für jeden, der am eigenen Bike schraubt – sei es aus Spaß oder reinem Pragmatismus. Die Verlegung von neuen Zügen geht hier super einfach von der Hand. Ganz egal, ob ihr eine neue Schaltzughülle oder Bremsleitung montieren müsst, nur ein paar Kabelbinder abgeknipst oder Führungen aufgeschraubt – fertig. Kein Stochern im Dunkeln, keine Lager, die euch entgegenkommen. Sogar eine neue Bremse könnte man hier am Stück und ohne Entlüften montieren, auch wenn die Leitungen hier meist eh noch gekürzt werden müssen. Dazu kann der Steuersatz ganz normal genutzt und gewartet werden. Nur auf Scheuerstellen zwischen Zügen und Rahmen sollte man achten, wenn einem der schöne Lack heilig ist.
Am meisten profitieren also Heimschrauber, die an ihrem Bike auf die ganz cleane Optik gut verzichten können, von der externen Zugverlegung. Daneben auch Fahrer, die einfach sehr viel fahren und entsprechend oft am Bike schrauben müssen. Und Racer, die ohne eigenes Team und Mechaniker unterwegs sind, freuen sich über die Möglichkeit, wenn die Zeit mal richtig drängt, schnell und unkompliziert eine gerissene Schaltzughülle oder Ähnliches auszutauschen, ohne riesiges Gefummel.
Darf’s ein bisschen eleganter sein? Die (klassische) interne Zugverlegung
Eleganter, schicker und wesentlich häufiger zu sehen als die externe Zugverlegung ist die interne Zugverlegung durch den Rahmen. Hier verschwinden die Züge durch Ports am Rahmen und können dann im Rahmen auf zwei verschiedene Arten weiterlaufen. Einerseits, was die deutlich weiter verbreitete Variante ist, ohne zusätzliche Führungen im Rahmen und andererseits durch Kabelkanäle im Rahmen. Was zuerst wie ein recht kleiner Unterschied klingt, macht in der Handhabung einen ziemlich großen Unterschied. Ohne Kanäle im Rahmen laufen die Züge nur durch einen Port rein und an einer anderen Stelle durch einen Port wieder raus. Klingt nicht kompliziert, oder? Ist es in der Handhabung aber! Will man neue Leitungen verlegen, muss man im Dunkeln stochern und hoffen, dass die Leitung an der Stelle wieder das Tageslicht erblickt, an der sie das soll – meistens aber nicht tut … Deswegen gibt’s hier verschiedenste Tricks von Magneten über Drähte, Schnüre und das Zusammenkleben der alten Leitung mit der neuen. Was einen bereits beim normalen Schrauben im Keller zum Fluchen bringt, treibt einem im Rennstress nochmal ganz anders den Puls in die Höhe. Zu finden ist diese Art der internen Zugverlegung an sehr vielen Bikes – ganz egal, ob eher günstig oder teuer. Beispiele hierfür sind etwa das Canyon Strive CFR oder das Specialized Stumpjumper EVO Elite Alloy.
Etwas anders sieht die Welt aus, wenn die Züge im Rahmen durch vorbereitete Kabelkanäle laufen. Hier werden die Leitungen in kleinen Röhren geführt, bis sie an der Öffnung wieder austreten. Das hat den sehr großen Vorteil, dass man mit den Leitungen nicht mehr im Dunkeln fischen muss, sondern sie einfach durchschieben kann. Was diese Art der internen Zugverlegung zur elegantesten Form macht, macht sie allerdings auch zur aufwändigsten und damit teuersten für die Hersteller. Denn die Kabelkanäle müssen aufwändig in den Carbon-Rahmen mit eingearbeitet werden, was dazu führt, dass man sie nur an eher teuren Bikes findet. Santa Cruz etwa spendiert seinen Modellen wie dem Megatower X01 AXS RSV und dem 5010 CC X01 AXS RSV MX die innenliegenden Kabelkanäle. Dasselbe Spiel spielt Specialized bei seinen S-Works Modellen wie dem Stumpjumper EVO S-Works oder dem S-Works Enduro. Auch die Bikes der amerikanischen Edelschmiede Yeti wie das SB160 T3 oder SB140 TLR T3 führen die Kabel in innenliegenden Kanälen.
Die Vorteile der internen Kabelführung liegen auf der Hand: einerseits die schicke und cleane Optik, die die Züge gekonnt aus eurem Blickfeld verschwinden lässt und andererseits auch der Schutz der Züge. Im Rahmen sind sie der Witterung weniger ausgesetzt und sind auch bei Stürzen besser geschützt. Dass allerdings nicht alles Gold ist, was glänzt, zeigt die Verlegung ohne interne Kabelkanäle. Hier habt ihr beim Schrauben einen ordentlichen Mehraufwand und ein gutes Plus an Frustpotenzial gegenüber extern verlegten Zügen. Mit Kabelkanälen im Rahmen sieht die Welt hier allerdings schon wieder deutlich rosiger aus. Dazu kommt noch, dass unsere Erfahrung gezeigt hat, dass es viele Hersteller nicht schaffen, ihre interne Zugverlegung klapperfrei zu bekommen, was an vielen Bikes zur nervigen Geräuschentwicklung auf dem Trail führt. Hier macht auch die Klemmung der Züge an den Leitungseingängen einen großen Unterschied. Ist diese hochwertig gelöst, herrscht meist Ruhe – bei einfachen Plastikstöpseln oder lieblosen, großen Öffnungen entwickeln die Leitungen oft ein größeres Mitteilungsbedürfnis.
Der große Aufreger: Interne Zugverlegung durch den Steuersatz
Und jetzt zum großen Aufreger, dem Sprengsatz für die Kommentarspalten, dem im Steuersatz verkörperten Teufel: die interne Zugverlegung durch den Steuersatz. Die offensichtlich cleanste Lösung mit dem integriertesten Look unter den Kabelführungen verzichtet komplett auf Kabelports am Rahmen und lässt die Züge direkt durch den Steuersatz verschwinden. Wir haben uns hier für euch einige der gängigsten Systeme, die von verschiedenen Herstellern verbaut werden, mal genauer angeschaut, auseinandergebaut, die Spacer hin- und hergeschoben und ordentlich im Steuersatz durchgeputzt, um wirklich jedes Szenario durchzuspielen. Dafür, dass wir euch jetzt die Vor- und Nachteile der verschiedenen Systeme genau aufzeigen können, hat sich das teils lautstarke Fluchen beim Schrauben allemal gelohnt.
Der Grundaufbau der verschiedenen Systeme ist durch die Bank sehr ähnlich. Herzstück ist immer ein Plastik-Spacer, der im Steuerrohr zwischen dem Gabelschaft und dem Lager sitzt – hierdurch laufen die Leitungen durch den Steuersatz, ohne die Lager oder den Gabelschaft zu tangieren. Deutlich unterschiedlicher wird es da bei dem, was über dem Steuersatz passiert. Denn hier gibt es verschiedene Lösungen, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Einerseits Lösungen, bei denen die Züge direkt in die obere Lagerabdeckung laufen und andererseits Systeme, bei denen die Züge bereits durch den Vorbau, die Spacer oder eine spezielle Abdeckung in den Vorbau laufen. Wo nun genau die Unterschiede in der Handhabung zwischen den einzelnen Systemen liegen, lest ihr im Folgenden.
Keep it simple: Die „klassische“ Lösung von Acros
Den Anfang macht die „klassische“ Lösung von Marktführer Acros, die so oder so ähnlich allerdings auch schon bei einzelnen anderen Herstellern zu finden ist. Es ist nicht nur die einfachste Variante, sondern auch die Basis, auf die die meisten anderen Lösungen setzen. Durch die Plastikabdeckung auf dem Steuersatz laufen die Züge in zwei Aussparungen in den Steuersatz. In den Aussparungen werden die Züge mit Plastikstöpseln fixiert, die über die Züge gefädelt werden. Unter der Abdeckung findet sich dann der Plastik-Spacer zwischen Gabelschaft und Steuersatz. Der hat zu den Seiten hin Öffnungen, durch die die Züge einfach eingefädelt werden können. Heißt also, dass im Falle einer Beschädigung am Plastik-Spacer die Leitungen einfach ein- bzw. ausgefädelt werden können. Dass das nicht ganz irrelevant ist, mussten wir bereits bei einem frontalen Crash gegen einen Baum feststellen, bei dem sich der Plastik-Spacer in mindestens 1.000 kleine Teile verabschiedet hat.
Nehmt ihr euch der Sache an und beginnt, den Steuersatz auseinanderzunehmen, gestaltet sich das nicht viel schwieriger als bei einem normalen Steuersatz. Löst man den Vorbau und die Schraube im Gabelschaft, kann man die Gabel nach unten herausziehen, und oben kann man die Abdeckung des Steuersatzes mit den Öffnungen für die Leitungen abnehmen. Jetzt kommt ihr an den Steuersatz heran und könnt einfache Arbeiten wie Putzen oder Nachfetten easy erledigen. Hier hat man nur etwas mehr Fummelei, weil man um die Züge herumarbeiten muss, allerdings hält sich das wirklich in Grenzen. Möchte man jetzt allerdings die Lager wechseln, muss man den Bremshebel der durch den Rahmen führenden Bremse von den Leitungen lösen. Passt der Dropper-Hebel meist noch durch das Lager, wird es beim Schalthebel schon eng, weshalb man auch hier je nach Trigger und Lagergröße die Leitung trennen muss. Das ist allerdings bei allen auf dem Markt verfügbaren Systemen so.
Einer der großen Vorteile der „klassischen“ Lösung durch den Steuersatz ist, dass ihr die Höhe des Cockpits einfach und unkompliziert über die Spacer verstellen könnt. Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen – dass das nicht selbstverständlich ist, werdet ihr gleich noch sehen. Das Zusammenbauen des Steuersatzes ist dagegen etwas fummeliger als das Auseinandernehmen. Zuerst muss man alle Kabel wieder in den Aussparungen im Plastik-Spacer unterbekommen, was je nach Anzahl der Züge schon eng werden kann. Die Lagerabdeckung, die den Steuersatz verschließt, greift über ein Loch und einen Stift in den Spacer, durch den die Kabel laufen. Dadurch, dass hier immer etwas Zug auf den Kabeln ist, wird es zum Geduldspiel, hier beide perfekt aufeinander zu setzen und entsprechend zu fixieren. Zuletzt müssen dann noch die Plastikstöpsel wieder in die Öffnungen der Lagerabdeckung gestopft werden, was gewisse Herausforderungen an die Feinmotorik stellt. Alles in allem kann an der „klassischen“ Variante durch den Steuersatz von Acros alles intuitiv von einer Person mit zwei Händen erledigt werden – keine Selbstverständlichkeit bei der Zugverlegung durch den Steuersatz, wie wir feststellen mussten.
Beispiele für Bikes mit dem „klassischen System“ auf dem Markt: SIMPLON Rapcon, CUBE Stereo ONE55, MERIDA ONE-SIXTY 8000 (gleiches Prinzip, nur mit eigenen Teilen umgesetzt).
Das Spaghetti-Monster: FOCUS CIS
FOCUS hat mit seinem CIS-System nicht nur früh auf die Zugverlegung durch den Vorbau und dann in den Steursatz gesetzt, sondern den Cockpits ihrer Bikes damit eine ganz eigene Optik gegeben. Von Oktopus, über Spaghetti-Monster, bis hin zu Alien haben wir schon alle möglichen Assoziationen zum markanten Vorbau gehört. Die Züge verschwinden hier durch eine Aussparung zwischen Lenker und Vorbauklemmung in den Vorbau und dort dann durch zwei große Löcher in weitem Bogen nach unten. Um das zu ermöglichen, werden Spacer verbaut, die auf beiden Seiten hohl sind und damit die Aussparungen bieten, die es braucht, um die Züge in den Steuersatz zu leiten. Im Steuersatz laufen die Leitungen dann durch denselben Spacer, den wir bereits aus der „klassischen“ Acros-Variante kennen.
Beginnt man mit dem Auseinanderbau, merkt man schnell, dass man hier nur wenig Bewegungsspielraum hat. Alles hängt eng mit Lenker und Vorbau verbunden an einem Strang, und sobald man die Gabel ausgebaut und den Lenker losgelassen hat, ziehen die gespannten Züge den halben Steuersatz mit heraus. Das Putzen und Fetten der Lager wird damit noch etwas fummeliger, weil die Züge noch mehr an den Lagern ziehen und damit auch etwas mehr stören. Wollt ihr die Höhe der Front mittels Spacern anpassen, ist es einfacher die Gabel auszubauen, weil sonst sehr wenig Platz ist, um mit den Spacern umzugehen. Die sind nämlich zweigeteilt, um ein Wechseln der Spacer möglich zu machen, ohne dass ihr dafür die Bremsen, Schaltung etc. extra öffnen müsst. Um die Spacer auseinander zu clippen, muss man sie nach oben und unten auseinander schieben – selbiges beim Einbau. Die zweigeteilten Spacer können allerdings nicht einfach oben auf den Vorbau gesetzt werden. Hier ist entweder ein herkömmlicher Spacer oben drauf erforderlich, oder der Gabelschaft muss gekürzt werden. Das Handling braucht hier recht viel Bewegungsfreiheit nach oben wie unten, die das CIS-System aber nicht wirklich zulässt. Die einzelnen Spacer greifen dann über kleine Stifte ineinander, damit sie sich nicht verschieben können. Baut man die Gabel wieder ein, wünscht man sich eine etwas stabilere Verzahnung, da der Zug durch die Kabel die Spacer ständig wieder auseinanderzieht – super nervig! Mit nur zwei Händen steht man hier schnell auf verlorenem Posten und ist um eine helfende Hand mehr als dankbar, auch als geübter Mechaniker.
Beispiele für Bikes mit dem FOCUS CIS-System auf dem Markt: FOCUS JAM² SL 9.9, FOCUS JAM 8.9, FOCUS SAM² 6.9, FOCUS JAM² 6.9
Scotty, integrier’ mich hoch: Die SCOTT-Lösung
Geht es um das Thema Integration, darf eine Marke nicht fehlen: SCOTT! Die Schweizer haben sich neben dem Leichtbau neuerdings auch das Thema Integration voll auf die Fahne geschrieben und lassen natürlich auch ihre Züge direkt durch den Steuersatz verschwinden. Das passiert über eine Öffnung direkt unter dem Vorbau. Von hier laufen die Züge dann durch die zweigeteilten Spacer mit Aussparungen in den Steuersatz, wo sie durch den altbekannten Acros-Spacer in den Rahmen kommen. Das ganze sieht bei SCOTT mit den markanten Plastikfinnen am Eingang der Züge ziemlich modern, kantig und futuristisch aus.
Den Blick ins Innere des Steuersatzes gibt SCOTT nur widerwillig preis. Schon der Vorbau ist von einer extra Plastikkappe abgedeckt, um die Steuersatzschrauben zu verstecken. Hat man den Vorbau gelöst und die Gabel ausgebaut, kommen einem dank des Kabelzugs direkt wieder sämtliche Einzelteile des oberen Steuersatzes entgegen. Vorsicht ist auch bei den Plastikfinnen am Eingang für die Züge geboten, die sind ziemlich scharfkantig und warten nur so auf unvorsichtige Finger. Das Hantieren mit den Spacern geht genauso von der Hand wie mit den Spacern am FOCUS CIS-System. Auch hier sind die Spacer zweigeteilt, und ihr braucht recht viel Bewegungsspielraum, um die Spacer auseinander- und wieder zusammenzuklipsen. Möchte man die Front absenken und entnimmt deswegen einen Spacer unterm Vorbau, kann man den aufgrund seiner Form auch nicht einfach oben drauf setzen, sondern braucht dafür dann wieder einen normalen herkömmlichen Spacer. Bei den Onepiece-Cockpits von SCOTT hat man gar nicht erst die Möglichkeit, das Cockpit abzusenken, ohne den Gabelschaft zu kürzen. Die Steuersatzpflege ist hier ebenfalls ähnlich wie beim FOCUS CIS-System etwas umständlich. Geht es daran, den Steuersatz wieder zusammenzusetzen, zeigt er seine widerspenstige Seite. Angefangen mit der Unterbringung aller Kabel im Spacer zwischen Gabelschaft und Lager. Hier hatten wir vor allem beim SCOTT Lumen eRIDE 900 wegen des zusätzlichen Kabels zum Dämpfer Probleme. Bei High-End-Bikes mit elektronischer Schaltung ist das Problem dann allerdings wieder hinfällig. Hat man den Spacer endlich fixiert, muss man die darüberliegenden Vorbau-Spacer ineinander fixieren. Das passiert über jeweils ein Loch und eine Nase, allerdings braucht man mindestens zwei Leute, um gleichzeitig alles ineinander zu fixieren und den Gabelschaft durchstecken zu können. Alles in allem eine ganz schöne Fummelei …
Beispiele für Bikes mit dem SCOTT-System auf dem Markt: SCOTT Genius ST Tuned 900, Scott Lumen eRIDE 910 und 900 SL, Bold Unplugged Ultimate
Spanische Speziallösung: Die Eigenkreation von Orbea
Orbea wirft seinen ganz eigenen Hut in den Ring der Zugverlegungen durch den Steuersatz und bietet damit auch das einzige System, das wir uns genauer anschauen konnten, das nicht irgendwie auf einer Lösung von Acros basiert. Von außen macht es einen sehr hochwertigen Eindruck und besteht im Gegensatz zu den anderen Systemen größtenteils aus Aluteilen statt aus Plastik. Die Züge verschwinden hier durch eine ziemlich schicke Abdeckkappe aus Alu in die Alu-Spacer mit Aussparungen für die Züge und von hier durch eine zweite Abdeckung über dem Steuersatz in denselbigen. An den Eingängen in die Abdeckkappe werden die Aussparungen mit Plastikstöpseln verschlossen, die gleichzeitig die Züge fixieren. Der Spacer zwischen Gabelschaft und Lager ist allerdings auch hier aus Plastik und auf einer Seite sogar ganz offen.
Nimmt man die Sache dennoch in Angriff und fängt an, das ganze System auseinander zu bauen, kommen einem erstmal einige Teile entgegen, und man weiß im ersten Moment nicht wirklich etwas damit anzufangen. Die zweigeteilten Spacer sind im Gegensatz zu den ähnlichen Systemen nicht miteinander verclippt und entwickeln deshalb ein Eigenleben, sobald das System nicht mehr geklemmt ist. Als kleiner Stolperstein hat sich dann noch die obere Alu-Abdeckung erwiesen, die sehr eng gefertigt ist und deshalb nur schwer vom Gabelschaft zu ziehen war. Der Blick in den Steuersatz hat dann erstmal einige sehr mitgenommene Kabel offenbart. Das liegt allerdings weniger daran, dass die Kabel durch den Steuersatz geführt werden, sondern daran, dass sie im Rahmen einen sehr großen Bogen beschreiben und deshalb an Rahmen und Gabelschaft scheuern. Das Handling der zweigeteilten Alu-Spacer geht einfacher von der Hand als bei den anderen Systemen. Dadurch, dass die Spacer über Wellen ineinander greifen und nicht verclippt werden müssen, braucht ihr zum Einbauen wie Entnehmen deutlich weniger Platz und Bewegungsspielraum. Die Euphorie des einfachen Spacer-Tauschs ist allerdings recht schnell verflogen, wenn man das System wieder zusammenbauen möchte. Hier ist die erste Hürde bereits der Spacer zwischen Gabelschaft und Lager, der direkt richtig platziert werden muss, damit danach die Öffnungen mit denen der Abdeckkappe und Spacern zusammenpasst. Da das zuerst nicht ganz klar ersichtlich ist und man sowieso schon alle Hände voll damit zu tun hat, überhaupt alle Kabel im Spacer unterzubekommen, hat man hier dann das böse Erwachen, wenn man versucht, die Abdeckkappe zu montieren. Das ist sowieso schon eine Herausforderung an sich, da beim Montieren der Abdeckung die Züge stark nach außen gedrückt werden und sich in der Folge die Spacer gern wieder verabschieden. Zu guter Letzt müsst ihr noch die Gummistöpsel in die Aussparungen mit den Zügen stopfen, was euch auch noch das allerletzte bisschen Geduld und Nerven rauben kann. Obwohl das Orbea-System einen sehr hochwertigen und schönen Eindruck macht, ist die Handhabung leider deutlich umständlicher und fummeliger als bei den Systemen der Konkurrenz. Wir haben ganze drei Leute gebraucht, um alles wieder an Ort und Stelle zu bekommen.
Beispiele für Bikes mit dem Orbea-System auf dem Markt: Orbea Rise M-LTD, Orbea WILD M-LTDt
Welche Vor- und Nachteile hat die interne Zugverlegung durch den Steuersatz?
Vorteile der Zugverlegung durch den Steuersatz?! An was sich die üblichen Forumskrieger böse verschlucken würden, entspricht nunmal der Realität. Ganz klar ist hier natürlich zuallererst die cleane Optik. Dadurch, dass sogar am Rahmen auf Kabelports verzichtet werden kann und die Leitungen näher am Lenker verlaufen, ergibt sich eine cleane Silhouette, die sich nochmal stark von Rahmen mit herkömmlicher Verlegung durch den Rahmen abhebt. Wie wichtig diese Optik jedoch ist, muss jeder selbst für sich entscheiden. Dazu kommt, dass die Kabellängung deutlich geringer ausfällt, was spürbar zur Reduktion von Geräuschen und Klappern beim Fahren beiträgt. Einige Vorteile, die auf den ersten Blick nicht ganz ersichtlich sind, ergeben sich auch für die Hersteller. Denn die müssen sich keine Gedanken mehr um Design, Platzierung, Konzeption und Produktion von Kabelports am Rahmen machen und sparen sich damit Ressourcen und Kosten, indem sie in den meisten Fällen auf ein System von einem anderen Hersteller setzen können. Ähnlich verhält es sich bei der Montage der Bikes. Hier ist im Steuerrohr mehr Platz zum Greifen der innenverlegten Züge, die dadurch einfacher durch den Steuersatz gelegt werden können als durch die kleinen Kabelports an den meisten Rahmen. Hersteller, die auch auf dem englischen Markt verkaufen, müssen sich keine extra Gedanken machen, wie sie mit der Zugverlegung der Bremsen umgehen, die ja entsprechend auf die andere Seite wandern, oder wie sie eventuelle Cable-Ports wieder verschließen, wenn sie z. B. auf eine kabellose Schaltung setzen. Die Züge können hier einfach mittig in den Steuersatz laufen.
Die Nachteile ergeben sich dann, wie zu erwarten, aus einem erhöhten Aufwand beim Schrauben. Das geht los bei Pflege und Wartung des Steuersatzes. Putzen und Nachfetten geht zwar mit etwas Fummelei problemlos, aber das Wechseln der Lager ist mit einem Plus an Aufwand verbunden. Dafür müssen die Bremshebel von den Leitungen gelöst werden, was dazu führen kann, dass ihr die Bremse neu entlüften müsst. Aber mal ehrlich: Wenn genug Zeit vergangen ist, dass ihr euer Steuersatzlager wechseln solltet, wird es vielleicht auch langsam mal Zeit, die Bremse zu entlüften. Laufen die Züge durch die Vorbau-Spacer in den Steuersatz, wird die Anpassung der Höhe eurer Front ungleich komplizierter. Trotz der Tatsache, dass die Spacer hier alle zweigeteilt sind, artet eine Höhenverstellung sehr schnell in Gefummel der unschönen Art aus. Hier braucht ihr für jedes System mehr als ein Paar Hände, was auf Dauer teuer wird, wenn ihr jedes Mal beim Schrauben Freunde mit Bier bestechen müsst, damit sie euch helfen, euren Steuersatz wieder zusammenzusetzen. Zuletzt ist auch der Plastik-Spacer zwischen Gabelschaft und Lager eine Schwachstelle, die im Falle von frontalen Crashs gern mal nachgibt – wir haben das getestet.
Quick fire: Kurze Fragen und Antworten zum Thema Zugverlegung
Warum setzen plötzlich alle Hersteller auf Zugverlegung durch den Steuersatz?
Für die Hersteller bietet die Zugverlegung durch den Steuersatz eigentlich ausschließlich Vorteile. Viele Kunden kaufen immer noch hauptsächlich mit den Augen statt mit dem Kopf, und da ist ein cleanes Erscheinungsbild definitiv ein Verkaufsargument. Dazu sparen sich die Hersteller Aufwand bei der Entwicklung der Rahmen, da sie auf Kabelports verzichten können, und Geld bei der einfacheren Montage.
Welche Art der Zugverlegung ist für mich als Heimmechaniker die unkomplizierteste? Ist der Service-Aufwand mit Verlegung durch den Steuersatz höher?
Am einfachsten schraubt es sich immer noch an Bikes mit externer Zugverlegung. Interne Zugverlegung mit Kabelkanälen bedeutet nur einen geringen Mehraufwand beim Verlegen von Leitungen. Sind die Kabel durch den Steuersatz gelegt, ist vor allem der Steuersatz-Service mit einem Mehraufwand verbunden. Schmieren und Putzen geht auch mit Kabeln recht gut von der Hand, das Wechseln der Lager geht aber mit einem Öffnen der Bremsen einher. Wer nicht selber schraubt, muss sich je nach System auf Mehrkosten im Bike-Shop gefasst machen, wenn zu einem Steuersatz-Service direkt das Entlüften der Bremsen dazu kommt.
Wo liegen die großen Unterschiede zwischen den Systemen zur Verlegung durch den Steuersatz bei den verschiedenen Herstellern?
Der ganz große Unterschied liegt darin, ob die Leitungen durch die Vorbau-Spacer laufen oder nicht. Laufen die Kabel einfach direkt in die obere Lagerabdeckung, hat man kaum Mehraufwand beim Auseinander- und Zusammenbauen, und auch die Höhe der Front kann ganz normal angepasst werden. Laufen die Züge durch die Vorbau-Spacer, wird die ganze Sache deutlich komplizierter, sieht dafür aber auch nochmal sauberer aus. Hier hatten wir kein System in den Händen, das wir mit einem Paar Hände wieder zusammengesetzt bekommen haben.
Wirkt sich die Zugverlegung auf die Haltbarkeit meines Bikes aus?
Im Normalfall nicht. Bei jeder Art der Zugverlegung kann es je nach Umsetzung zu Scheuerstellen an den Zügen und am Rahmen kommen – egal, ob extern oder intern. Hier sollte man aufmerksam bleiben und auf Stellen mit Reibung achten, was natürlich bei Bikes mit externer Zugführung etwas einfacher ist. Von den hier getesteten Systemen hatten nur die Züge bei Orbea sehr deutliche Scheuerstellen. Das lag aber weniger an der Zugverlegung durch den Steuersatz als an der ungeordneten Führung am Übergang vom Steuerrohr zum Hauptrahmen.
Was erwartet uns in der Zukunft?
Werfen wir mal die Glaskugel an und wagen einen Blick in die Zukunft. Wie schon eingangs erwähnt, drängt sich hier der Blick in die Road-Welt auf. Fahren wir also alle bald Bikes, an denen kein einziges Kabel mehr zu sehen ist? Auch wenn der Trend in diese Richtung geht, haben Mountainbikes hier eine ganz entscheidende Stelle, die bei diesen Plänen (noch) einen Strich durch die Rechnung macht: die Federgabel. Hier gibt es noch keine Ansätze, wie Züge unsichtbar gelegt werden können. Für so gut wie jedes andere Bauteil sind die passenden Lösungen bereits vorhanden. Und auch die Zugverlegung direkt durch den Lenker wird mit der Führung durch den Steuersatz immer wahrscheinlicher.
Problematisch wird zumindest mit den aktuellen Systemen der erhöhte Aufwand beim Schrauben am Steuersatz bleiben. Aber auch hierfür fallen uns bereits Lösungen ein. Das Bosch ABS-System hat schon eine Bremsleitung mit Magura EasyLink Steckverbindungen, über die die Leitung einfach getrennt und wieder zusammengesetzt werden kann. Auch wenn hier in der Theorie noch entlüftet werden muss, können wir uns sehr gut vorstellen, dass das in der Zukunft auch ohne Entlüften von der Hand gehen wird. Wenn wir das an mehr Bremsen sehen werden, wird der Steuersatz-Service auch in Zukunft wieder ein Kinderspiel: Clip Leitung auf – Clip Leitung zu! Eine andere Lösung könnte ein tiefer im Steuerrohr liegendes oberes Steuersatzlager sein. So könnte man die Leitungen noch oberhalb des Lagers ins Oberrohr leiten und hätte dann gar nicht erst das Problem mit den Zügen, die durch das Lager laufen. Vom Oberrohr müssten die Leitungen dann nur noch durch das Sattelrohr laufen. Was aktuell noch problematisch ist, könnte in der Zukunft allerdings einfacher werden, wenn die meisten Bikes nur noch eine Bremsleitung durch den Rahmen leiten müssen – alles andere wird – Achtung an alle Keyboard-Warriors – über kurz oder lang elektronisch funktionieren.
Fazit zu den verschiedenen Systemen der Zugverlegung
Ohne Zweifel, kein System ist perfekt, und deswegen hat auch jede Art der Zugverlegung ihre Vor- und Nachteile. Die Zugverlegung durch den Steuersatz pauschal zu verteufeln, ist falsch, denn die Lösung ohne Verlegung durch die Spacer bietet kaum Mehraufwand bei cleanerem Look. Laufen die Züge durch die Vorbau-Spacer, wird die Handhabung schon problematischer, allerdings auch nur beim Verstellen der Höhe der Front und bei Service-Arbeiten am Steuersatz. Also kein Grund für die ganz große Aufregung …
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Text & Fotos: Felix Rauch