Der französische Wintersport-Hersteller Rossignol wagt sein Debüt auf dem Mountainbike-Markt. Das neue Enduro-Bike Heretic bietet größenabhängige Laufradgrößen, 160 mm Federweg an Front und Heck und eine gute Ausstattung zum fairen Preis. Kann Rossignol ihr Schnee-Know-how auf Loam übertragen? Wir haben es in einem ersten Test herausgefunden.

Rossignol Heretic XT 2022 | 160/160 mm (v/h) | 15,96 kg in Größe L | 4.699 € | Hersteller-Website

Heretic – zu Deutsch Ketzer – ist laut Definition eine Person, die eine andere als die allgemeingültige Meinung vertritt. Bringt das neue Rossignol Heretic XT also einen komplett neuen Ansatz für Enduro-Bikes? Was kann man von dem Debüt des französischen Wintersport-Herstellers erwarten?
Rossignol hat eine sehr lange Unternehmensgeschichte, ist heute einer der größten Wintersport-Marken weltweit und bietet Skier in allen Sektoren sowie Schuhe, Bindungen und Snowboards an. 2022 steigt die Firma mit dem Launch eines Trail-, Enduro- und E-Mountainbikes in die Mountainbike-Branche ein. Auch ein EWS-Team rund um Clément und Estelle Charles war an der Entwicklung des Enduro-Bikes beteiligt und hat bereits für erste Spy Shots gesorgt. Das Rossignol Heretic kommt je nach Größe auf 27,5”- oder 29”-Laufrädern, bringt 160 mm Federweg an Front und Heck mit und überzeugt auf dem Papier mit einer soliden Ausstattung zu einem fairen Preis. Auf den ersten Blick erscheint das Bike eher unauffällig, ist optisch also keine Revolution, doch wie sieht es fahrtechnisch aus?

Das Rossignol Heretic XT 2022 im Detail

Steht das Rossignol Heretic vor einem, kommt einem zunächst ein anderes Attribut als ketzerisch in den Sinn – eher konventionell. Ein Alu-Bike mit klassischem Horst-Link-Hinterbau, dünnen Rohren, einer großen Verstrebung am Sitzrohr und einer hohen unteren Dämpferaufnahme. Der Rahmen bietet so genug Platz für einen Flaschenhalter und auch ein Tool-Mount ist am Oberrohr zu finden. Bei genauerer Betrachtung fallen dann kleine Schwächen in der Verarbeitung auf: Die Schweißnähte sind besonders am Hinterbau dick und unästhetisch. Die Farben von Hauptrahmen und Hinterbau passen nicht richtig zusammen und man kann an einer klaren Kante oben am Sitzrohr erkennen, dass der komplette Rahmen in eine dicke Schicht Klarlack getaucht ist. Hier ist also durchaus noch Luft nach oben. Die Kettenstreben sind mit einem großzügig dimensionierten Schutz aus Gummi versehen, der seinen Job gut macht und das Rad beim Fahren so schön leise hält. Hingegen ist das Unterrohr – abgesehen von 3 cm Klarlack – ungeschützt und so Beschuss durch Dreck und Steinen ausgesetzt. Rossignol will hier nachbessern: Im nächsten Produktions-Batch soll ein Unterrohrschutz aus Gummi angebracht sein.

Dicke Schweißnähte und große Verstrebungen. Der Look des Heretic ist eher altmodisch.
Der großzügige Kettenstrebenschutz hält das Bike leise. Die Kabelführung ist nicht sehr elegant, aber effektiv.

Alle Leitungen laufen durch den Hauptrahmen und treten hinten am Tretlager aus einer kleinen Plastikabdeckung aus. Ab hier laufen sie außerhalb des Rahmens und sind lediglich mit Kabelbindern fixiert. Das ist funktional, jedoch nicht sehr elegant und trägt zu dem etwas überholten Look bei. Dazu gesellt sich auch die Führung des Dropper-Kabels, das ebenfalls aus der Plastikkappe des Unterrohrs austritt, dann aber kurz darüber wieder in das Sattelrohr geleitet wird.

Ausstattung und Modelle des Rossignol Heretic 2022

Das Heretic wird in drei Ausstattungsvarianten angeboten, die sich alle den gleichen Alu-Rahmen teilen und mit Shimano-Schaltung und -Bremsen ausgestattet sind. Alle Modelle besitzen ein RockShox-Fahrwerk und die gleiche MAXXIS Reifen-Kombination. Allerdings setzt nur das Top-Modell Heretic XT auf die robustere EXO+ Karkasse am Hinterrad, obwohl diese in unseren Augen für das Bike die angebrachtere Karkasse ist. Preislich bewegen sich die Modelle, die direkt online bestellbar sind, zwischen 2.799 € und 4.699 € und richten sich so vorwiegend an Einsteiger und Budget-bewusste Biker.

Ausstattung unseres Rossignol Heretic XT 2022-Test-Bikes

Im Test hatten wir das 16,0 kg schwere Top-Modell Heretic XT. Wie der Name vermuten lässt, ist es mit reiner XT 12-fach-Schaltgruppe und XT-Vierkolbenbremsen ausgestattet. Beide XT-Gruppen haben sich in der Vergangenheit bewährt und liefern auch am Heretic eine starke Performance ab. Gepaart sind die Bremsen mit Shimanos 200 mm ICE-TECH-Scheiben an Front und Heck. So nennt Shimano ihre Bremsscheiben und -beläge, die bessere Wärmeableitung und somit weniger Fading und konstantere Bremsleistung gewährleisten sollen. Der Fokus auf Bremspower gefällt uns. Damit die Kette nicht vom Kettenblatt springt, ist eine E*thirteen-Kettenführung verbaut. Ein SRAM UDH-Schaltauge sorgt zudem für eine einfache Ersatzteilbeschaffung im Falle eines Schadens.

Große 200-mm-Bremsscheiben vorne und hinten geben dem Heretic ordentlich Bremspower.
Die Shimano XT-Schaltung ist uns gut bekannt und ein Favorit in der ENDURO Redaktion.

Das Fahrwerk wird von RockShox gestellt und besteht aus einer ZEB Ultimate-Gabel und einem Super Deluxe Ultimate-Luftdämpfer. Die Gabel ist mit der hochwertigen Charger 2.1-Kartusche ausgestattet und bietet Verstellung von Rebound und High- und Low-Speed-Compression. Am Dämpfer gibt es die Möglichkeit, Rebound und Low-Speed-Compression einzustellen, sowie einen Lockout.

Die RockShox ZEB Ultimate mit Charger 2.1-Kartusche bietet viel Einstellmöglichkeiten.
Am Heck arbeitet der RockShox Super Deluxe Ultimate-Luftdämpfer.

Rossignol setzt auf ein Aluminium-Cockpit von E*thirteen mit einem 800 mm breiten Lenker und einem 50 mm langen Vorbau. Schaltung und Dropper sind per I-SPEC an den Bremsschellen befestigt und sorgen so für einen aufgeräumten Look. Allerdings ist die KS LEV INTEGRA-Sattelstütze mit 150 mm Hub sehr kurz und schränkt bei der Abfahrt somit die Bewegungsfreiheit auf dem Bike ein. Durch die ungewöhnliche Leitungsführung im Bereich der Kurbel muss man zudem beim Verstellen der Sattelhöhe darauf achten, das Kabel gut nachzuführen. Die Shimano-Remote für den Dropper lässt sich aber trotzdem mit wenig Kraft bedienen.

Das Cockpit ist durch I-SPEC-Befestigungen aufgeräumt.
Der Dropper bietet nur 150 mm Hub und schränkt so zusammen mit dem hohen Sattelrohr die Bewegungsfreiheit ein.

Das von uns getestete Heretic rollt auf E*thirteen LG1+ Enduro Alu-Laufrädern mit Shimano XT-Nabe. Im Serienmodell wird allerdings die E*thirteen LG1+ Trail-Felge verbaut. Bei den Reifen vertraut Rossignol auf MAXXIS-Modelle mit MaxxTerra-Gummimischung: vorne befindet sich ein 2,5” ASSEGAI mit EXO-Karkasse und hinten ein 2,4” Minion DHR ll mit der upgedateten EXO+ Karkasse. Das Reifenprofil ist für den Einsatzzweck angemessen, wir würden euch allerdings ein Upgrade zu Reifen mit robusterer Karkasse wie MAXXIS Doubledown empfehlen. In den günstigeren Ausstattungsvarianten befinden sich zwar die gleichen Reifen, jedoch auch hinten nur mit EXO-Karkasse. Das macht ein Reifentausch hier noch sinnvoller. Zudem wäre vorne die weichere MaxxGrip-Gummimischung für mehr Traktion anzuraten.

Die fehlende TPI-Kennzeichnung bedeutet, dass es sich hier um die neue EXO-Karkasse handelt.
Große Stollen, aber hartes Gummi. Wir raten euch hier zu der weicheren MaxxGrip-Gummimischung.

Rossignol Heretic XT 2022

4.699 €

Specifications

Fork RockShox ZEB Ultimate 160 mm
Rear Shock RockShox Superdeluxe Ultimate 160 mm
Seatpost KS LEV INTEGRA 150 mm
Brakes Shimano XT 200 mm
Drivetrain Shimano XT 1x12
Stem E*thirteen Plus 50 mm
Handlebar E*thirteen Plus 800 mm
Wheelset E*thirteen LG1 Plus Trail 29"
Tires MAXXIS Assegai MaxxTerra EXO/Minion DHRll MaxxTerra EXO+ 2,5"/2,4"

Technical Data

Size XS S M L XL

Specific Features

Tool Mount

Geometrie des Rossignol Heretic 2022

Das Heretic wird in 5 Größen von XS bis XL angeboten. In den Größen M bis XL rollt das Bike auf 29”-Laufrädern, während bei den kleinen Größen XS und S 27,5”-Laufräder verbaut sind. Zudem ist bei diesen kleinen Größen auch die Kettenstrebe um 10 mm kürzer und der Lenker um 40 mm schmaler. Der Reach beträgt bei Rahmengröße L 477 mm, was für ein modernes Enduro ein normaler Wert ist, wenn auch auf der kürzeren Seite. Das Sitzrohr ist mit 460 mm ziemlich lang und schränkt in Kombination mit der kurzen Sattelstütze die Bewegungsfreiheit zusätzlich ein. Der Lenkwinkel liegt bei 64,5° und ist damit eher auf der konservativen Seite.

Größe XS S M L XL
Oberrohr 570 mm 580 mm 606 mm 635 mm 661 mm
Sattelrohr 380 mm 390 mm 430 mm 460 mm 490 mm
Steuerrohr 100 mm 100 mm 110 mm 120 mm 130 mm
Lenkwinkel 64,5° 64,5° 64,5° 64,5° 64,5°
Sitzwinkel 77° 77° 77° 77° 77°
BB Drop 20 mm 20 mm 30 mm 30 mm 30 mm
Kettenstrebe 435 mm 435 mm 445 mm 445 mm 445 mm
Radstand 1180 mm 1190 mm 1225 mm 1257 mm 1284 mm
Reach 422 mm 432 mm 450 mm 477 mm 500 mm
Stack 585 mm 590 mm 620 mm 630 mm 640 mm
Helm POC Tectal | Brille POC Devour | Jacke Carhartt Classic Vest Dearborn | Shirt POC Rouse Shirt | Shorts Specialized Atlas Pro Shorts | Knieschoner POC VPD Air Leg | Schuhe Crankbrothers Mallet Speedlace | Socken Stance

Das Rossignol Heretic XT 2022 auf dem Trail

Bereits beim ersten Aufsitzen fühlt man sich auf dem Rossignol Heretic XT wohl. Man sitzt angenehm zentral auf dem Bike, in einer aufrechten Position mit wenig Druck auf den Händen. Sobald man in die Pedale tritt, wippt der Hinterbau jedoch stark. Auf Forstweg-Climbs lohnt sich hier auf jeden Fall der Griff zum gut erreichbaren Lockout-Hebel. Auch bei mäßigen Steigungen ist die Körperposition sehr bequem und somit auch tauglich für lange Touren. Das Rossignol ist hier unauffällig und man kann entspannt, wenn auch durch das relativ hohe Gewicht gemächlich, seine Höhenmeter hochtreten. Wenn es richtig steil bergauf geht, sitzt man jedoch weit über dem Hinterrad und muss sich aktiv nach vorne lehnen, um Druck auf dem Vorderrad zu behalten.

Am Trail-Einstieg angekommen und in die Abfahrt gestartet, spürt man, dass das Fahrwerk sensibel anspricht. Beim Pushen in das Bike gibt der Hinterbau seinen Federweg großzügig frei, was das Bike auf Wurzelteppichen oder in offenen Kurven traktionsstark und sensibel macht. Gleichzeitig behält er aber genug Reserven, um auch größere Schläge oder Drops to Flat weg zu schlucken.

Ein Nachteil des sensiblen Fahrwerks ist, dass sich das Bike dadurch nicht verspielt fährt und wenn man an kleinen Kanten abziehen oder schnell die Linie wechseln möchte, muss man viel Input geben. Zudem spürt man, dass das Fahrwerk in starken Kompressionen wegsackt und bei Sprints geht viel Energie verloren. Auch wer sein Bike in einen Manual ziehen will, muss einiges an Kraft aufbringen. Dafür kann das Heretic mit einer guten Balance zwischen Front und Heck und intuitivem Handling punkten.

Das Rossignol Heretic XT kommt – entgegen dem, was der Name vermuten lässt – mit einem einfachen Rahmendesign und lässt in Sachen Detaillösungen und Verarbeitung zu wünschen übrig. Es ist für seinen Preis von 4.699 € jedoch solide und größtenteils passend ausgestattet und punktet mit intuitivem Handling auf dem Trail. Das macht das Heretic vor allem für Einsteiger interessant, die zudem vom sensiblen Fahrwerk profitieren, das guten Grip generiert und dennoch Reserven besitzt. Für sportliche Fahrer oder Piloten, die ein verspieltes Bike suchen, liefert das Fahrwerk allerdings zu wenig Gegenhalt.

Tops

  • hoher Tourenkomfort
  • intuitives Handling
  • sensibler Hinterbau mit großen Reserven

Flops

  • Verarbeitung des Rahmens
  • Kabelführung
  • wenig verspielt
  • hohes Sitzrohr und kurze Dropper schränken Bewegungsfreiheit ein

Weitere Informationen zum neuen Rossignol Heretic findet ihr auf der Hersteller-Website. Den Test des Rossignol Mandate Shift E-Mountainbikes findet ihr bei unsererem Schwestermagazin.


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Text: Simon Kohler Fotos: Mike Hunger

Über den Autor

Simon Kohler

Simon liebt Geschwindigkeit. Als Downhill Skater ist er lange Zeit Rennen gefahren und mit seinem Longboard Alpenpässe runtergeknallt. Inzwischen hat er vier gegen zwei Reifen eingetauscht und heizt jetzt mit seinem Mountainbike auf Trails und Bikepark Lines. Bei verschiedensten Roadtrips durch die Alpen hat er seither einige der feinsten Trails Europas ausgekostet. Da er einige Zeit in Österreich gelebt hat, kennt er zudem die lokalen Bikeparks wie seine Westentasche. Durch sein Ingenieurstudium und seine Liebe zum Detail ist er ein echter Technik-Nerd und testet jetzt als Redakteur die aktuellsten Bikes und Parts auf Herz und Nieren. Als Frühaufsteher und selbsterklärter Müsli-Connaisseur lebt er sein Leben frei nach dem Motto „Powered by Oats. And also Legs.“