Ich kniff angestrengt die Augen zusammen und versuchte, einen Punkt im Raum zu fixieren, der sich nicht drehte. Äußerlich gelassen lächelte ich dem Tourguide der Lagavulin-Distillery freundlich zu, während ich innerlich einen erbitterten Kampf gegen die Trunkenheit ausfocht. Ich hatte die ersten sechs Gläser meiner Whisky-Wallfahrt hinter mir und das hier erwies sich immer mehr als ein wahres Bikepacking-Abenteuer.

Wie jeder echte Whisky-Kenner weiß, ist es eine völlig einzigartige Erfahrung, an einem Islay Malt zu nippen. Der Abgang am Gaumen: eine ganze Schar komplexer Geschmacksnuancen, und dann ein ordentlicher Wumms Lagerfeueraroma. Berühmte Whiskys wie Lagavulin, Laphroaig, Ardbeg und der rauchigste von allen, der Bruichladdich Octomore, sind Pflichtstationen auf jeder Reise über diesen Whisky-Highway in Schottlands Westen. Diese feinen Tropfen zu Hause im Lieblingssessel zu verkosten ist eine Sache, eine völlig andere ist es, wenn man dabei in der Laphroaig-Distillery steht, wo der Torfgeruch schwer in der Luft hängt.

Die Reifung eines perfekten Single Malt braucht viel Zeit, sie lässt sich nicht beschleunigen. Ganz ähnlich sieht es mit dem perfekten Bikepacking-Trip aus, deshalb hatten auch wir jede Menge Zeit mitgebracht. Bikepacking ist die beste Methode, eine Gegend zu erkunden, die man noch nicht kennt: Man hat die Möglichkeit, große Distanzen zu überwinden, doch man ist nicht im Auto isoliert wie in einem Kokon. Man ist gezwungen, sich selbst zu versorgen, den Moment auszukosten und vor allem: mit der Umwelt in Kontakt zu treten. Welches Transportmittel könnte sich besser eignen für eine Pilgerreise auf die Insel Islay, das raue Ende von Schottlands Whisky-Spektrum? Und nicht zu vergessen: Wenn man nicht Auto fahren muss, ist es auch nicht mehr unverantwortlich, vormittags um 11 mit dem Trinken anzufangen.

Islay, das vor der Westküste Schottlands liegt und nur 40 km lang ist, beherbergt acht Destillerien. Ich erinnere mich noch genau an das erste Mal, als ich einen Islay Malt probiert habe – eine zufällig entdeckte offene Flasche zehnjährigen Laphroaig irgendwo hinten in einer halb vergessenen Hausbar. Meine Whisky-Erfahrungen bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich angefühlt wie sanfte Umarmungen, das hier war eher ein Kinnhaken von Mike Tyson. Dieser Zufallsfund änderte alles; er entfachte meine Leidenschaft, Whiskys zu entdecken und zu probieren, meine Frau anzuschwindeln, was den Preis dieser oder jener Flasche anging, und schließlich auf diese kleine, schottische Insel zu reisen, die südlichste der Inneren Hebriden.

Viele Jahre nach dieser ersten Begegnung fand ich mich nun also an der Fähranlegestelle in Port Ellen wieder. Wir schoben unsere schwer beladenen Bikes die Laderampe hinab, der Geruch von Seetang und Sand hing in der Luft; ich atmete tief ein und stellte mir vor, ich könne einen Hauch vom „Angels’ Share“ in der Luft riechen – das ist der Teil des Whiskys, der während der Lagerung im Fass durch Verdunstung verloren geht. Die wenigen Autos, die mit uns auf der Fähre waren, fuhren hin, wo auch immer Leute auf Islay so hinfahren, und wir blieben allein zurück, bereit, das geschäftige Treiben von Port Ellen zu erkunden, womit wir vier Minuten später fertig waren. Wir waren auf einer Pilgerfahrt, um die Whiskys der Insel zu probieren. Also eigentlich war das nur mein Ziel, aber durch meisterhaftes Verhandlungsgeschick war es mir gelungen, meine Whisky hassende Frau zu überzeugen, dass es eine tolle Idee war. Ich weiß immer noch nicht, wie ich das hinbekommen habe …

  Die Entdeckung des Whiskys war ein glücklicher Zufall: Frühe Bierbrauer stellten fest, dass die klare Flüssigkeit, die während des Brauprozesses an den kalten Fenstern kondensierte, extrem viel Alkohol enthielt. Und so lernte eine Nation, die bereits im Alkohol schwamm, wie man noch betrunkener werden konnte.

Der Whisky ist für Schottland ein großes Geschäft. Über 38 Flaschen werden pro Sekunde exportiert und Gerüchten zufolge befinden sich in den über das Land verteilten Lagerhäusern mehr als 20 Millionen Fässer Malt im Reifeprozess, vier für jeden Einwohner – verratet das den Schotten lieber nicht, sonst gibt es einen Aufstand.

„Das geht aufs Haus.“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Mir war klar, dass wir ein wenig verlottert aussahen in unserer „Ein-Satz-Bikeklamotten-für-alles“-Montur, doch ich hätte nicht gedacht, dass wir vollends als Obdachlose durchgingen. Doch nachdem er unsere Bikes entdeckt hatte, wollte der Betreiber des Distillery-Cafés partout kein Geld mehr für unseren Kaffee haben. Das Leben auf der Insel läuft langsamer als woanders, und wer auf dem Bike unterwegs ist, bewegt sich auch langsamer. Das schafft eine andere, herzlichere Verbindung zu den Einheimischen. Man ist nicht einfach noch einer von diesen Touristen, die katalogweise Selfies machen und das Leben nur durch das Handydisplay wahrnehmen. Als Bikepacker ist man nicht isoliert, sondern mittendrin, man verfällt automatisch in den Rhythmus der Locals.

Whisky enthält nur drei Zutaten: Malz, Hefe und Wasser. Aber das Geschmacksspektrum, das sich daraus ergibt, ist ungeheuer breit. Das Malz wird mit heißem Wasser vermischt und gemaischt, um die Stärke herauszulösen. Dabei entsteht die Würze, eine Flüssigkeit, die reich an Stärke und Malzzucker ist. Die Würze wird dann in riesige, teils bis zu 50.000 Liter fassende Gärbottiche gegeben und es wird Hefe hinzugefügt. Die Reaktion ist derart heftig, dass das Brodeln und Schäumen der Brühe die mächtigen Bottiche fast aus den Angeln hebt. Die Gärbrühe, die daraus entsteht, wird anschließend durch Rohre ins Herz der Destillerie geleitet, in die gewaltigen kupfernen Destillierblasen, deren Formgebung variiert und so zum einzigartigen Geschmack jedes Whiskys beiträgt. Die Hitze verdampft Aromen aus der Flüssigkeit, die dann durch das Kupfer wieder flüssig werden. Ein erfahrener Brennmeister (Stillman), entscheidet, wann der perfekte Punkt erreicht ist. Dann darf der Alkohol für mindestens drei Jahre in Eichenfässern ruhen.

  Das Leben auf der Insel ist so anders. Ich fragte die Hotelbesitzerin, wo ein sicherer Ort für unsere Bikes sei, und ihr Vorschlag (hinterm Haus, unabgeschlossen) beunruhigte mich nicht nur ein bisschen. Aber natürlich passierte ihnen gar nichts.

Die Zeit vergeht langsamer, wenn man kein WLAN hat, und wir hatten die Muße, einfach dazusitzen, die Umgebung und die einzigartigen Farben Schottlands auf uns wirken zu lassen. Manche sagen ja, der Weg sei wichtiger als das Ziel, aber nachdem wir unsere Bikes zwei Stunden lang getragen, geschoben und angeflucht hatten, waren wir überglücklich, unser Ziel zu erreichen: das An Cladach Bothy. Wir hatten es ganz für uns allein – oft besteht der Reiz einer Bothy-Übernachtung zwar gerade darin, welch „Unikate“ man dort trifft, doch es ist auch immer schön, eine der kostenlosen Hütten zur exklusiven Verfügung zu haben. Eine Weile betrachteten wir wilde Otter beim Krabben Verspeisen, dann sammelten wir Feuerholz und richteten uns häuslich ein. Das Feuer heizte uns mächtig ein, der abendliche Absacker war eingeschenkt und die mittelmäßige Pasta, die wir auf dem Herd zubereiteten, würde uns in dieser rustikalen Umgebung zwischen grünen Hügeln ganz sicher vorzüglich schmecken.

Die Farben Schottlands finden sich übrigens nicht nur in der wilden Natur, auch das Gold des Whiskys gehört mittlerweile fest zur Palette dazu. Dabei ist die Flüssigkeit, die aus den Destillierapparaten kommt, glasklar – die goldenen Schattierungen entwickeln sich erst mit der Zeit. Sie stammen aus den Harzen der Holzfässer oder sie sind warme Erinnerungen an den Rum, Sherry, Port oder Bourbon, der vorher in den Fässern gelagert wurde. Diese Fässer sind es, die dem Whisky seine Komplexität verleihen. Bevor sie mit dem kostbaren Destillat befüllt werden, werden sie zuerst ausgebrannt, damit der Zucker karamellisiert und unerwünschte Aromen verschwinden. Damit aus dem Alkohol ein richtiger Whisky wird, muss er mindestens drei Jahre lagern, doch viele ruhen länger. Erst kürzlich wurden Flaschen von 70 Jahre gelagertem Mortlach abgefüllt, die nun für die schmackhafte Summe von 13.000 € das Stück erworben werden können.

Wir durchfuhren die Insel der Länge nach, wärmten uns an Feuern in Bothys, zelteten an Stränden, beobachteten Seeadler bei der Jagd in der Abenddämmerung, kauften Eier und Kuchen in „Honesty Shops“, wo man sich selbst bedient und das Geld in Tupperdosen schmeißt. Wir redeten Unsinn mit den Einheimischen und das Inselleben fühlte sich ganz schnell normal und gemütlich an. Wir standen in den Räumen einiger der berühmtesten Whisky-Destillerien überhaupt. Jede Bikepacking-Reise ist einzigartig, und das hier war meine Pilgerfahrt. Wenn auch du dem Sirenengesang des Whiskys verfallen bist, kann ich dir nur empfehlen, eines Tages das Land zu sehen, in dem er gemacht wird.

Wie man Whisky trinkt

Nur zu leicht klingt man irgendwie schnöselig, wenn man über Whisky redet, und dieses etwas Abgehobene schlägt sich auch in den zahllosen Regeln nieder, die es zum Trinken gibt. Doch wenn man gesehen hat, welche Reise der Whisky hinter sich hat, bis er ins Glas kommt, erscheint es nur angemessen, ihn richtig zu verabschieden.

  • Rieche ausgiebig dran: Riechen ist unser schärfster Sinn; wenn man den Whisky nur trinkt, erlebt man ihn nur halb. Es gibt lediglich drei Primärfarben, aber ganze 32 Primärdüfte. Lass dir den ersten Eindruck über die Nase nicht entgehen!
  • Kauf dir ein richtiges Glas: Wenn du den komplexen Duft des Whiskys wirklich genießen möchtest, sind die klassischen Tumbler völlig nutzlos. Um einen Malt wirklich erleben zu können, besorg dir ein Snifter-Glas, das unten breit und oben eng ist, damit du den Whisky richtig schwenken und mit der Nase erfassen kannst.
  • Wasser hinzugeben ist okay, aber nicht zu viel: Starker Whisky ist sehr mächtig und kann die Sinne betäuben. Ein paar Tropfen Wasser können den Whisky „öffnen“, komplexere Aromen lassen sich eventuell besser herausschmecken. Gib einen Tropfen nach dem anderen hinzu, bis es richtig für dich schmeckt.
  • Kein Eis! Die Whisky-Romantik verlangt, dass er bei einer Raumtemperatur von etwa 15 °C getrunken wird, das entspricht so in etwa einer traditionellen schottischen Stube. Das ist vielleicht etwas zu pedantisch, aber Eis verschließt die Aromen komplett. Lass das Glas in der Hand warm werden und genieße.
  • Mische niemals Single Malts mit Sodawasser – das ist ein Verbrechen.

Dieser Artikel ist aus ENDURO Ausgabe #033

Das ENDURO Mountainbike Magazin erscheint auf Deutsch und Englisch im digitalen App-Format. Ladet euch jetzt die App für iOS oder Android und lest alle Artikel auf eurem Tablet oder Smartphone. Kostenlos!


Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als ENDURO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die Mountainbike-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!

Text & Fotos: