Enduro-Bikes mit 29“-Laufrädern liegen voll im Trend und auch das SCOTT Contessa Ransom 910 checkt auf dem Papier alle Kästchen. Unsere 160 cm große Testfahrerin Antonia hat das Rad ausführlich getestet und einiges getan, um ihm sein volles Potenzial zu entlocken.
Es ist eine paradoxe Situation: Mountainbiken boomt, die bekannten Bike-Hotspots sind extrem gut besucht (zumindest wenn nicht gerade eine weltweite Pandemie herrscht, klar) und über die letzten Jahre ist an Orten wie Finale der Anteil an Fahrerinnen auf Enduro-Bikes extrem gestiegen. Gleichzeitig sinkt aber die Anzahl von Bikes, die speziell für Frauen entwickelt werden. Hatte vor wenigen Jahren noch fast jeder Hersteller ein spezielles Frauen-Modell im Angebot, sind es jetzt nur noch wenige. Einer davon ist SCOTT, der das Ransom 910 in einer Contessa-, sprich Frauen-Version, anbietet.
Was macht das SCOTT Contessa Ransom 910 zum Enduro-Bike speziell für Frauen?
Die wohl auffälligste Besonderheit des Contessa Ransom 910 sticht sofort ins Auge: seine Lackierung. Alle, die das Rad gesehen haben, würden es als altrosa bezeichnen und der Lack schimmert je nach Sonneneinstrahlung in einer etwas anderen Farbe – super nice! Der Rahmen selbst ist mit dem Männer-Modell identisch und wird in den Größen S, M und L angeboten, auf ein XL-Damen-Modell verzichtet SCOTT. Speziell an den weiblichen Körperbau angepasst sind vor allem der Sattel und die Griffe. Außerdem verbaut SCOTT einen anderen Dämpfer-Tune am Hinterbau als im Ransom Unisex-Modell in Größe L, das wir bereits im Test hatten. Weitere Anpassungen wurden aber nicht vorgenommen. So rollt das Rad auch in Größe S auf 29“-Laufrädern und besitzt einen 800 mm breiten Lenker. Auch die restliche Ausstattung des 5.499 € teuren Bikes mit 170 mm Federweg unterscheidet sich nicht vom gleich teuren Unisex-Pendant. So kommt eine FOX 36 mit FIT4-Kartusche zum Einsatz, geschaltet wird mit einer SRAM GX 12-fach und verzögert wird mit einer Shimano XT-Vierkolbenbremse. Laufräder und Cockpit kommen von Syncros und passen hinsichtlich ihrer Wertigkeit und Funktion gut ins Gesamtbild.
Scott Contessa Ransom 910
5.499 €
Specifications
Fork FOX 36 Performance Elite FIT 4 170 mm
Rear Shock FOX NUDE TR EVOL 170 mm
Seatpost FOX Transfer 125 mm
Brakes Shimano XT 4-Kolben 203/180 mm
Drivetrain SRAM GX Eagle 30/10-50
Stem Syncros XM 1.5 40 mm
Handlebar Syncros Hixon 1.5 Rise 780 mm
Wheelset Syncros Revelstoke 2.0 29"
Technical Data
Size S M L
Weight 13,78 kg
Größe | S | M | L |
---|---|---|---|
Sattelrohr | 420 mm | 440 mm | 470 mm |
Oberrohr | 570 mm | 603 mm | 633 mm |
Steuerrohr | 100 mm | 100 mm | 115 mm |
Lenkwinkel | 65,0° | 65,0° | 65,0° |
Sitzwinkel | 75,5° | 75,5° | 75,5° |
Kettenstrebe | 436 mm | 436 mm | 436 mm |
Tretlagerabsenkung | 15 mm | 15 mm | 15 mm |
Radstand | 1.181 mm | 1.214 mm | 1.248 mm |
Reach | 412 mm | 445 mm | 472 mm |
Stack | 610 mm | 610 mm | 623 mm |
Beziehungsstatus: „Verliebt“ – Der Erstkontakt
Am Anfang sah es aus wie Liebe auf den ersten Blick. Als bekennender Fan von viel Federweg und einem satten Fahrwerk hat sich unsere Testerin tierisch auf das Contessa Ransom 910 gefreut. Auch der erste Anblick war der Hammer – die Farbe sieht in echt noch besser aus als auf den Bildern. Feminin, aber nicht übertrieben, einfach etwas Besonderes. Wie wir Mädels es ja sind ;). Der spezielle Sattel und die Griffe sind tatsächlich gut gewählt und passten Toni persönlich gut. Außerdem ist super, dass SCOTT am Bike in S eine 125 mm lange Sattelstütze montiert, die sich obendrein auch noch komplett versenken lässt. Gewöhnungsbedürftig ist allerdings die Positionierung des Verstellhebels für die Stütze, gerade mit kleinen Händen muss man die Hand fast komplett vom Lenker lösen, um ihn zu betätigen.
Uphills sind mit dem Ransom trotz des vielen Federwegs eine echte Freude. Ermöglicht wird das durch das TwinLoc-System, mit dem sich das Fahrwerk in drei Positionen verstellen lässt. Bergauf sind wir das Rad immer im Traction-Mode gefahren. Dadurch wird der Federweg reduziert, wodurch man hinten weniger einsackt und sehr zentral sitzt. In der offenen Einstellung wippt das Heck hingegen spürbar – sie ist bergauf nicht empfehlenswert. Den kompletten Lockout haben wir nur auf asphaltierten Anstiegen gewählt. Im Traction-Mode ist die Sitzposition zentral, das Vorderrad steigt nie und die Übersetzung ist gut gewählt. So sind auch lange Anstiege echt entspannt zu bewältigen.
Bergauf macht dem Contessa Ransom niemand was vor – dank TwinLoc am Heck klettert das Rad trotz der 170 mm Federweg hervorragend.
Beziehungsstatus: „Es ist kompliziert“ – Die ersten Wochen mit dem SCOTT Contessa Ransom 910
Die rosarote Brille, mit der unsere Testfahrerin das Contessa Ransom ganz am Anfang betrachtet hatte, verschwand leider nach den ersten Fahrten. Es wurde schnell kompliziert. Denn trotz des großzügigen Federwegs und der großen Laufräder fühlte sie sich auf dem Rad nicht wohl. Sie war deutlich mehr Passagier, als sie es von den vielen Test-Bikes gewohnt war.
Bei Schlägen war sie nicht eins mit dem Rad: Erst reagierte immer die Front, dann mit Verzögerung das Heck. Es herrschte keine Ruhe im Fahrwerk und in Kurven fehlte es spürbar an Kontrolle über das Vorderrad – und das trotz eines sehr aktiven Fahrstils. Auch den Federweg an der Gabel konnte sie trotz korrekt eingestelltem Luftdruck nicht ansatzweise ausnutzen – es fiel ihr schwer, überhaupt genug Druck aufzubauen. Fahrer, mit denen sie normalerweise mithalten kann, waren plötzlich schneller und statt dem erhofften Selbstvertrauen stellten sich Zweifel ein – was war hier los?
Überforderung! Die großen Laufräder sind in Kombination mit massig Federweg für kleine Fahrerinnen einfach zu viel!
Es folgten einige Sofortmaßnahmen, um das Rad besser an ihre Statur anzupassen. Der Lenker wurde gekürzt, die Tokens aus der Federgabel entfernt, das Heck minimal schneller abgestimmt – das brachte alles etwas Besserung, doch unsere Testfahrerin wurde noch immer nicht warm mit dem Rad.
Beziehungsstatus: „Wir arbeiten an uns“ – Sind gemischte Laufräder die Lösung für kleine Fahrerinnen?
In der Vergangenheit hatte unsere Testerin bereits ein SCOTT Contessa Genius getestet und herausgefunden, dass das Rad für sie mit einem 29er-Vorder- und einem 27,5“-Hinterrad am besten funktioniert. Das Gleiche wollte sie auch mit dem Ransom ausprobieren. Das ist dank des Flip-Chips in der Dämpferaufnahme auch möglich. Also Hinterrad getauscht und die hohe Geometrie-Einstellung gewählt. Trotz der Anpassung am Flip-Chip wurden der Sitz- und der Lenkwinkel so zwar flacher, was die Kontrolle über das Vorderrad theoretisch erschwert, doch bergab war eine deutliche Verbesserung zu spüren.
Unsere Testerin fühlte sich deutlich besser ins Rad integriert, die Agilität stieg und sie hatte plötzlich viel mehr Kontrolle. Allerdings hatte das Ganze auch einen Nachteil: Bergauf sitzt man weiter hinten über dem Hinterrad, wodurch sich Uphills zäher anfühlen – hier halfen auch das TwinLoc-System und das Verschieben des Sattels nach vorne nur bedingt.
Beziehungsstatus: „In einer Beziehung“ – Kleine Laufräder = mehr Spaß und Kontrolle für kleine Fahrerinnen
Der letzte und erfolgreiche Schritt war dann, auch das Vorderrad gegen ein 27,5“-Laufrad zu tauschen. Klar, dadurch wurde das Rad sehr tief, obwohl der Flip-Chip weiter in der High-Position stand, und auf Trails bergauf musste man etwas auf seine Pedale achten. Aber das Contessa Ransom kletterte deutlich leichtfüßiger und effizienter als in der Variante mit gemischten Laufrädern. Bergab war es für unsere Testerin ein Unterschied wie Tag und Nacht – plötzlich war sie wieder die Contessa, die das Rad beherrschte. Sie stand bergab super integriert im Rad und hatte in Kurven den Grip, den sie sich von Anfang an gewünscht hatte. Auch das Fahrwerk arbeitete plötzlich satter, weil sie es bewusst be- und entlasten konnte. Jetzt spürte man auch, wie viel Federweg man zur Verfügung hat, und konnte das Bike richtig laufen lassen. Egal welche Brocken man dem Ransom vorwirft, das Rad handelt sie gelassen.
Allerdings hätten wir uns statt dem TwinLoc-System und der damit verbundenen FIT4-Kartusche an der FOX 36-Federgabel die neueste GRIP2-Kartusche gewünscht. Nicht wegen der ganzen Verstell-Optionen, sondern weil die Federgabel grundsätzlich noch feinfühliger arbeitet. Den Nachteil eines schlechteren Überrollverhaltens durch das kleinere Vorderrad beim Wechsel auf 27,5” nahm unsere Testerin gern in Kauf. Mit diesem Setup war sie happy und auch die Ausstattung leistete sich keine Schwächen. Die Shimano XT-Vierkolbenbremsen haben guten Biss, sind standfest und lassen sich gut dosieren. Positiv außerdem: Das Rad ist sehr leise.
Plötzlich wieder Herrin der Lage – der Wechsel auf 27,5” brachte wieder die gewünschte Kontrolle und verbesserte außerdem die Performance des Fahrwerks.
Das Fazit: Ende gut, alles gut?
Für kleine Fahrerinnen funktioniert das SCOTT Contessa Ransom 910 mit seinen 29er-Laufrädern leider nicht. Trotz aktivem Fahrstil ist man hier schnell nur Passagier. Allerdings schlummert in dem Rad viel Potenzial: Wenn man es es auf kleine Laufräder umbaut, klettert es für ein Rad mit so viel Federweg echt super und bietet bergab einen guten Mix aus Laufruhe und Agilität. Nächstes Jahr sollte SCOTT das Bike in Größe S auch in 27,5” anbieten, um es wirklich an die Bedürfnisse kleiner Frauen anzupassen.
Tops
- trotz viel Federweg sehr effizient bergauf
- mit 27,5“-Laufrädern sehr ausgewogen bergab
- Farbe 😍
Flops
- 29“ passen nicht bei Größe S
- Erreichbarkeit der Sattelstützen-Remote
Mehr Infos unter scott-sports.com
Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als ENDURO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die Mountainbike-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!
Text: Antonia Buckenlei Fotos: Christoph Bayer