„In der blauen Ecke, mit 12 Gängen und einem Gewicht von 1.515 g: der Hammer aus Japan, Shimanos XTR M9100!“ „In der roten Ecke, ebenfalls mit 12 Gängen und einem Kampfgewicht von 1.510 g: der kalifornische Killer mit deutschen Wurzeln, SRAMs X01 Eagle!“ „Boxers, ready?“ „Fight!“

Shimano XTR M9100 | 1.409 € | SRAM X01 Eagle | 1.385 €

Fanatische Loyalität ist weit verbreitet in der Welt der Schaltungen. Zitate wie „Shimano ist zuverlässig, SRAM ist Schrott“ oder „Shimano ist doch Schnee von gestern, SRAM ist das einzig Wahre“ schwirren in jeder Forendiskussion über Antriebe herum. Angesichts der Tatsache, dass beide Schaltgruppen exakt die gleiche Aufgabe auf nahezu identische Weise erfüllen, sind solch kontroverse Ansichten seltsam. In der Anfangszeit des Mountainbikens dominierte Shimano über Jahrzehnte hinweg den Markt von Schaltungen. Als Kassetten über die Jahre langsam und systematisch extra Ritzel hinzu gewannen, erschien jedoch wie aus dem Nichts SRAMs Eagle und plötzlich änderte sich alles. Mit 12 Gängen und einer Kassette mit 10–50 Zähnen erschuf SRAM die Eagle mit einer Bandbreite, die auf der Stelle die Notwendigkeit eines Umwerfers an einem Mainstream Trail-Bike obsolet machte. Shimanos Vorherrschaft lag in Trümmern. Mehrere Jahre lang hatte Shimano dem nichts entgegenzusetzen. Zwar wurde die XT-Kassette etwas größer, aber es schien, als sei kein Kampfgeist mehr vorhanden. Doch dann betrat Shimanos neue 12-Gang XTR M9100 den Ring.

Die Shimano XTR M9100 im Detail


Preis 1.410 €
Gewicht 1.515 g
Info bike.shimano.com


Die Shimano XTR M9100-Kassette ist sogar größer als die der SRAM Eagle und trumpft mit 10–51 Zähnen auf, was ihr 10 % mehr Bandbreite verleiht. Und noch viel wichtiger: Sie bietet mehr Bandbreite oberhalb und unterhalb der aktuellen 11–46 Shimano-Kassette.
Die XTR M9100 wurde von Grund auf neu designt, einschließlich des neuen MICRO SPLINE Shimano-Freilaufs. Durch die neue SCYLENCE-Technologie läuft der Freilauf vollkommen lautlos – Wanderer, seht euch vor!
Shimano hat sich auf gleichmäßige Gangsprünge konzentriert und ist auf Direct-Mount-Kettenblätter mit Narrow-Wide-Zahnprofil umgestiegen, um erstklassigen Kettenhalt zu garantieren
Das 12-Gang XTR M9100-Schaltwerk besitzt eine stärkere RD+ Dämpfung und größere Leit- und Spannrollen mit 13 Zähnen, die dabei helfen, die Kette zu zähmen
Shimano nutzt jetzt ein Quick-Link-Kettenschloss, das die Montage der Kette deutlich vereinfacht
Shimanos XTR M9100 hat den Kniff in Sachen Ergonomie raus, die langen Schalthebel mit gummierten Traction Pads sind grandios

Die SRAM X01 Eagle im Detail


Preis 1.358 €
Gewicht 1.510 g
Info sram.com


Die einst bahnbrechende Bandbreite von 500 % ist noch immer gigantisch und stammt von der tellergroßen Kassette mit 10–50 Zähnen
SRAMs Spitzen-Schaltgruppe für Trail- und Enduro-Piloten ist die X01 Eagle. Sie zielt auf Fahrer, für die Performance und Haltbarkeit wichtiger sind als Erschwinglichkeit.
Das X01 Eagle Schaltwerk besitzt eine straffere Dämpfung und riesige Röllchen, um die Kette auf rauem Untergrund zu stabilisieren
Wenn es um die Kontrolle der Kette geht, hat SRAM die Performance des Zahndesigns seiner X-SYNC Narrow-Wide-Kettenblätter bewiesen
SRAMs X01 Eagle besitzt eine wunderschöne Carbon-Kurbel und spart damit Gewicht. Crank-Boots sind Standard, um den Schaden durch Pedalaufsetzer zu minimieren.
Der SRAM X01 Eagle Schalthebel ist eleganter und stylischer, kann aber mit der Ergonomie des Hebels der Shimano XTR M9100 nicht mithalten

Das Duell

Shimano geht in direkte Konfrontation mit der formidablen SRAM X01 Eagle hinsichtlich Preis und Zielgruppe: Die XTR M9100 zielt auf anspruchsvolle Trail-Biker, die das Beste vom Besten wollen. Um herauszufinden, welche der beiden Schaltungen der King im Ring ist, haben wir beide Schaltgruppen in unserem knallharten schottischen Outdoor-Testlabor auf die Probe gestellt: Bergauf und bergab, bei Regen und Sonnenschein, mit guter und schlechter Schalt-Technik – und waren dabei alles andere als zimperlich. Wir fuhren beide Antriebe nur mit einem 32er Kettenblatt in Front und ohne Kettenführung. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass ihr nun aufhören könnt zu lesen, falls ihr euch für Zweifach- oder Dreifach-Antriebe interessiert: Denn Shimanos XTR M9100 ist die einzige Schaltung für euch, die in einer Vielzahl an Konfigurationen erhältlich ist. Doch falls ihr euch, wie die meisten von uns, nach dem ultimativen Einfach-Antrieb umschaut, solltet ihr wissen, dass sich die SRAM X01 Eagle ihre herausragende Performance bereits in unserem Dauertest bewiesen hat. Lasst den Kampf beginnen!

Shimanos Freilauf mit SCYLENCE-Technologie ist eine Offenbarung. Begleitet nur vom Geräusch der Reifen durch die Wälder zu hämmern, ist eine fast schon unwirkliche Erfahrung – vor allem wenn man an das wahnsinnige Kreischen einer teuren Freilaufnabe gewöhnt ist.

Runde 1: Ketten-Management

Fakt ist: SRAMs X01 Eagle hat die Notwendigkeit von Kettenführungen zunichte gemacht – außer vielleicht für die gröbsten Hooligans. Das X-SYNC 2-Kettenblatt mit einem Narrow-Wide-Zahnprofil krallt sich hartnäckig an der Kette fest. Wir haben die Kette in über einem Jahr der Nutzung nur durch Störfaktoren wie Stöcke und hartnäckigen Schlamm verloren. Shimanos XTR M9100 nutzt ein neues Dynamic Chain Engangement+, das in unseren Augen nahezu identisch aussieht wie SRAMs älteres Zahnprofil und – wenig überraschend – sehr effektiv ist. Wenngleich wir noch kein ganzes Jahr mit Shimanos XTR M9100 unterwegs gewesen sind, haben wir trotz aller Bemühungen wie idiotische Schaltvorgänge und unsere besten Künste im Rückwärts-Kurbeln die Kette nicht dazu gebracht, vom Kettenblatt herunterzuspringen. Shimanos XTR M9100-Schaltwerk besitzt eine stärkere RD+ Clutch, welche die Kette spürbar fester hält und lautloses Fahrvergnügen abliefert. Jedoch ist ein längerer Testzeitraum nötig, um zu sehen, ob sie ihre Laufruhe verschleißbedingt verliert, wie es bei der aktuellen M9000-Gruppe der Fall ist.

Runde 2: Gewicht vs. Haltbarkeit

Bei diesem Kampf der Schwergewichte ist natürlich klar, dass beide alles andere als schwer sind. Die Gewichte wurden sehr effektiv verringert und jede Komponente ist auf ihre bestmögliche Form reduziert worden – man würde vermutlich mehr Fett auf der Schürze eines Fleischers finden. SRAM hat zwar die Nase vorn, aber nur um ein paar Gramm und hauptsächlich wegen der leichteren X01-Carbon-Kurbel. SRAMs einteilige Kassette mit 10–50 Zähnen ist ebenfalls ein Kunstwerk, mit einem entsprechenden Preis, aber jegliche Gewichtsersparnis wird durch das schwerere X01 Eagle-Schaltwerk zunichte gemacht. Auch wenn Shimano rein auf dem Papier im Nachteil ist, besitzt die XTR M9100 eine kleinere ungefederte Masse (Kassette + Schaltwerk) und steckt mehr Gewicht in die robustere Kurbel, wo die Extra-Gramm von Vorteil sein können. Mit einer Carbon-Kurbel lässt sich zwar Gewicht sparen, aber wir haben noch nie einen gebrochenen XTR-Aluminium-Kurbelarm gesehen – und einige aus den 1990ern sind noch immer im Einsatz. Wenn ihr also regelmäßig mit euren Pedalen aufsetzt, könnte dieser Punkt eine Überlegung wert sein. Es ist noch zu früh, um etwas über die Haltbarkeit der Kassette der XTR M9100 zu sagen, aber unsere SRAM X01 Eagle-Kassette erweist sich als außerordentlich robust.

Gewicht Kasette Schalthebel Schaltwerk Kurbel (32 Z.) Kette Gesamt
Shimano XTR M9100 363 g 122 g 252 g 540 g 238 g 1.515 g
SRAM X01 Eagle 355 g 125 g 282 g 484 g 264 g 1.519 g
Preis Kasette Schalthebel Schaltwerk Kurbel (32 Z.) Kette Gesamt
Shimano XTR M9100 399,95 € 149,95 € 299,95 € 489,95 € 69,95 € 1.409,75 €
SRAM X01 Eagle 392,00 € 146,00 € 242,00 € 540,00 € 65,00 € 1.385,00 €

Runde 3: Gangsprünge

Als die SRAM X01 Eagle herauskam, definierte sie geschmeidiges Schalten neu: Die gleichmäßigen Gangsprünge verteilen sich auf den mittleren Kassettenbereich, nur der finale Sprung auf das große 50-Zahn-Ritzel ist spürbar. Im Gegensatz dazu besitzt Shimanos XTR M9100-Kassette eine größere Bandbreite und verschiebt die größeren Sprünge zwischen die Ritzel mit 28 und 39 Zähnen. Auf dem Trail ergibt sich daraus ein sanfterer Übergang in das größte Ritzel mit 51 Zähnen, wodurch sich dieses mehr in die Bandbreite integriert anfühlt und weniger wie ein „Sicherheitsgang für den Notfall“. Etwas niedriger im Ritzelblock existieren jedoch einige größere Wechsel der Trittfrequenz. Verglichen mit SRAMs X01 Eagle schaltet Shimanos XTR M9100 auf kurzen, knackigen Anstiegen und unter Last schneller und weicher auf die größten Ritzel. Das Einlegen des „Panik-Gangs“ in letzter Sekunde ist also kein Thema. Welche Schaltung ihr favorisieren werdet, hängt stark von eurem Fahrstil und dem bevorzugten Terrain ab. Wer in welligem Terrain zuhause ist, wird die grandiose Abstufung des mittleren Gangspektrums der SRAM X01 Eagle lieben. Wer jedoch in der Nähe von steilem Gelände mit harten Anstiegen lebt, wird die sanfteren Trittfrequenz-Wechsel in den letzten drei Gängen von Shimanos XTR M9100 zu schätzen wissen. Eine eine hart umkämpfte Runde und ein weiteres Unentschieden.

Runde 4: Wartung

Es gibt keinen Zweifel daran, dass SRAMs X01 Eagle ein grandioser Antrieb ist, aber wie bei einem Supersportwagen sind sorgfältige Einstellung und Wartung nötig, um die beste Performance herauszukitzeln. Falls die B-Tension-Screw falsch eingestellt ist oder die Kabelspannung auch nur um das kleinste Maß nachlässt, beginnt sich die reibungslose Performance in Wohlgefallen aufzulösen und geisterhafte Schaltvorgänge und Verzögerungen treten auf. In unserem Test hat sich Shimanos XTR M9100 ähnlich pingelig beim Einstellen verhalten, reagierte dafür aber unempfindlicher auf ein suboptimales Setup. Während unserer Testmonate mussten wir nicht ein einziges Mal in die Werkzeugbox greifen. Selbst als wir die B-Tension etwas verstellten, blieben die Schaltvorgänge weiterhin weich und präzise. Was Setup und Zuverlässigkeit anbelangt, ist Shimano der Champion der Wartungsfreiheit.

Runde 5: Schalten

In unserem Dauertest konnte die SRAM X01 Eagle bereits ihre beeindruckende Schaltperformance unter Beweis stellen, doch wie hat sich die neu XTR geschlagen? Auch in dem Versuch, jegliche Marketing-Übertreibungen oder kritische Kommentare zu vermeiden – was das Schalten angeht, ist Shimanos XTR M9100 einfach phänomenal. Selbst wenn man wie ein Idiot schaltet und unter Last die Gänge durch den Ritzelblock nach oben jagt: Das Schaltwerk verspottete unsere vergeblichen Versuche und arbeitete sich mit Nähmaschinen-gleicher Präzision durch die Gänge. Das Schalten ist knackig und wunderbar leichtgängig, mit gerade genug Widerstand, um eine grandiose Rückmeldung zu geben. Im direkten Vegeich zu SRAMs X01 Eagle rasten die Gänge mit Shimanos neuem Instant Release-Mechanismus unter Last schneller und geschmeidiger ein, speziell in den größten Ritzeln. Ergonomisch gesehen sind die Schalthebel der Shimano XTR 9100 mit dem langen, gummierten Bereich unschlagbar – und die Möglichkeit, mit einem langen Drücken doppelt herunterzuschalten, kann SRAM ebenfalls nicht kontern. Wenn es ums Schalten geht, setzt Shimanos XTR M9100 also den KO-Schlag.

Obwohl sie auf dem gleichen bewährten Schaltwerk-Konzept beruhen, zeigen beide Schaltungen einfach, wie weit sich die Technologie entwickelt hat – und liefern mithilfe von erstklassigen Materialien eine gigantische Bandbreite.

Ein Sieg, aber einer mit faden Beigeschmack

In diesem Duell der Schwergewichte lieferten sich die beide Kontrahenden einen Kampf auf Augenhöhe, doch am Ende kann es nur einen Sieger geben. Shimano hat den Kampf zurück an SRAMs Türschwelle getragen und trumpft mit leichteren und effizienteren Schaltvorgängen gegenüber der SRAM X01 Eagle auf. Mit zuverlässiger Performance und überragender Ergonomie auf dem Trail sichert sich die XTR M9100 verdient den Sieg. Allerdings hat sie auch eine Schwäche, eine Achillesferse und letztendlich hat das Ergebnis damit einen sehr faden Beigeschmack. Einen neuen Standard in Form des MICRO SPLINE-Freilaufs einzuführen, war kein unerwarteter Schritt – SRAM hat damals mit seinem XD-Freilaufkörper dasselbe getan. Aber da lediglich einige wenige Hersteller aktuell über kompatible Laufradsätze verfügen, werden die meisten Fahrer, die sich nach einem Upgrade umsehen – und wahrscheinlich bereits im Besitz eines teuren, jedoch inkompatiblen Laufradsatzes sind – den 7,6 Grad-Einrastwinkel der XTR-Nabe mit Konuslager als einen Schritt rückwärts ansehen. Obwohl weitere Laufrad-Hersteller bereits nachziehen, werden wir die komplette Bandbreite an Optionen vielleicht erst sehen, wenn 12 Gänge und MICRO SPLINE auch zu den marktfreundlicheren XT- und SLX-Schaltgruppen hindurchgesickert sind.

Obwohl die XTR M9100 für Shimano einen riesigen Sprung nach vorn darstellt und die Messlatte in Sachen Schalten und Ergonomie höher legt, bedeutet der MICRO SPLINE-Freilauf in puncto Kompatibilität einen Schritt zurück. Wir freuen uns schon, wenn die Technologie auch auf das SLX- und XT-Level portiert wird und mehr Laufrad-Optionen erhältlich sein werden. Lasst uns jedoch nicht vergessen, dass SRAMs kabellose Eagle eTap schon so gut wie bereit sein dürfte, den Ring zu betreten.


Dieser Artikel ist aus ENDURO Ausgabe #035

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