Der Puls rast, die Hände sind schweißnass und in Gedanken stürzen wir bereits über den Lenker – Mist! Mountainbiken ist mehr als nur ein physischer Sport. Es ist eine mentale Herausforderung, ein ständiges Ringen mit den eigenen Grenzen und Ängsten. Doch wie behält man einen kühlen Kopf, wenn der Druck wächst und der Trail immer anspruchsvoller wird?

Dass heutzutage im Sport nicht nur körperliche Fähigkeiten, technisches Können oder das richtige Material entscheidend sind, ist kein Geheimnis mehr. Es kommt auf einen weiteren Aspekt an, und der sitzt ganz oben: der Kopf. Blockiert er, geht nichts mehr, und das beste Material und das härteste Training sind zunichte.

Mentale Blockaden, Mangel an Motivation und Selbstvertrauen oder Alltagsstress begleiten uns alle durchs Leben. Selbst beim Biken. Dabei wollen wir doch unseren Kopf abschalten, wenn wir auf`s Rad springen … Zeit also, hinter die Kulissen zu schauen, in die Welt der mentalen Stärke einzutauchen und herauszufinden, wie wir Zweifel und Ängste in Motivation und Selbstvertrauen umwandeln.

Aber keine Sorge, wir schmeißen jetzt nicht mit gefährlichem Halbwissen und neunmalklugen Sprüchen um uns, sondern haben das getan, was die meisten Profisportler und -sportlerinnen schon längst in ihre Trainingsroutine integriert haben. Wir haben uns stundenlang mit Sportpsychologinnen, Psychotherapeutinnen und Mental Coaches unterhalten. Dabei haben wir wichtige Tipps bekommen, spannende Themen beleuchtet und gelernt, mit den richtigen Werkzeugen unser Mindset zu stärken.

Mit Veronika Mayerhofer und Caja Schöpf haben wir die perfekten Gesprächspartnerinnen gefunden, die nicht nur durch ihre Arbeit, sondern vor allem durch ihre persönlichen Erfahrungen wertvolles Wissen und spannende Insights vermitteln können. Durch ihre Karriere als Skilangläuferin im Weltcup und der Teilnahme an den Olympischen-Spielen in Sochi hat die gebürtige Österreicherin Veronika hautnah erlebt, was es heißt, unter großem Druck und mentalem Stress zu stehen. Doch nachdem sie die Chance ergriffen hatte, an einem Athleten-Programm für Studierende in den USA teilzunehmen, wurde ihr schnell klar, wie die richtige und individuelle Unterstützung und ein passendes Umfeld die eigene sportliche Leistung extrem steigern können. Mit der Motivation, anderen Athleten dieses Wissen und ihre Erfahrungen weiterzugeben, hat Veronika nach ihrem abgeschlossenen Master in Psychologie und der Zusatzausbildung zur Sportpsychologin mehrere Jahre im Red Bull Performance-Center als Mental-Performance-Specialist gearbeitet. So konnte sie Erfahrungen mit Top-Athleten sammeln, wie z. B. mit Hard-Enduro-Phänomen Mani Lettenbichler und Freestyle-Skifahrerin und Olympiasiegerin Mathilde Gremaud. Dabei erhielt Veronika Einblicke in die unterschiedlichsten Disziplinen und Denkweisen von Profisportlern. Mit ihrem gesammelten Erfahrungsschatz gründete sie daraufhin ihre eigene sportpsychologische und psychotherapeutische Praxis und betreut nun weiterhin Top-Athleten, aber auch Einsteiger oder Vereine. So konnte sie spannende Insights und Erfahrungswerte aus ihrer bisherigen Arbeit mit uns teilen und uns einen Ausblick in die Zukunft der Sportpsychologie geben.

Mit einem Diplom in Psychologie, einem Master in Wirtschaftspsychologie und einer Zusatzausbildung zur Sportpsychologin konnte uns auch Caja spannende Erfahrungswerte und hilfreiche Werkzeuge im Bereich der Sportpsychologie mitgeben. Durch ihre Karriere als Ski-Freestyle-Athletin auf Weltcup- und WM-Niveau kann sie auf großes Wissen zurückgreifen und sich in die Situationen der Top-Athleten versetzen. Mit ihrem eigenen Sportpsychologie-Podcast „Sport im Kopf“ hat sie zudem spannende Gäste im Gespräch und dabei die unterschiedlichsten Sichtweisen erlebt.

Die junge Generation als Vorreiter

In den letzten 5 bis 10 Jahren hat die Anerkennung der Sportpsychologie im Profi- und Amateursport erheblich zugenommen – zum Glück! Was früher als unwichtiger oder gar lächerlicher Aspekt des Trainings abgetan wurde, ist heute ein wesentlicher Bestandteil der Vorbereitung und Leistungssteigerung geworden. Diese Veränderung ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass immer mehr Athleten offen über ihre psychischen Herausforderungen und Erfahrungen sprechen. Das hat dazu geführt, dass mentale Gesundheit im Sport kein Tabuthema mehr ist und dass Sportpsychologie als legitim, notwendig und schlicht leistungssteigernd anerkannt wird.

Die Offenheit, mit der Athleten über ihre psychischen Herausforderungen sprechen, hat anfangs viele überrascht. Sie wurde jedoch sehr positiv aufgenommen und hat seitdem nicht nur zur Konsequenz, dass sich Sportler intensiver mit dem Thema auseinandersetzen, sondern hat sie auch dazu ermutigt, ihre eigenen Erfahrungen zu teilen. Prominente Beispiele wie die beiden Profi-Radsportlerinnen Tahnée Seagraves und Jenny Rissveds haben deutlich gezeigt, wie entscheidend der mentale Zustand für den Erfolg und das Wohlbefinden von Sportlern im Performance-Bereich ist. So verbessert sich auch das Verständnis der Öffentlichkeit und der Medien für die Bedeutung der psychischen Gesundheit im Allgemeinen.

Trotz dieser Fortschritte gibt es weiterhin deutliche Unterschiede in der Akzeptanz und Integration der Sportpsychologie in verschiedenen Generationen und Sportarten. Ältere Generationen, die in einer Zeit aufgewachsen sind, in der psychische Stärke oft mit mentaler Härte gleichgesetzt wurde, zögern manchmal noch, die Unterstützung eines Sportpsychologen in Anspruch zu nehmen oder darüber offen zu sprechen. Für sie dominiert der Gedanke, dass mentale Probleme ein Zeichen von Schwäche sind, die überwunden werden müssen, anstatt sie als Teil der menschlichen Erfahrung zu akzeptieren. Obwohl diese Generation unter den Athleten allmählich zurücktritt, gibt es weiterhin viele Trainer, Manager und Angehörige mit fragwürdigen Ansichten.

Jüngere Athleten hingegen sind meist offener für neue Ansätze und Techniken. Sie wachsen in einer Ära auf, in der die psychische Gesundheit zunehmend im Mittelpunkt steht und die Akzeptanz dafür viel höher ist. Diese Generation sieht die Sportpsychologie nicht nur als Mittel zur Leistungssteigerung, sondern auch als wichtigen Faktor für das allgemeine Wohlbefinden und die Persönlichkeitsentwicklung. Sie sind sich bewusst, dass die mentale Stärke nicht nur darin besteht, harte Zeiten durchzustehen, sondern auch darin, rechtzeitig Unterstützung zu suchen und proaktiv an der eigenen mentalen Gesundheit zu arbeiten. Ein wichtiges Stichwort: Resilienz, also die Fähigkeit, mentalen Druck auszuhalten, ihn aber gleichzeitig auch beurteilen zu können. Nur so kann auch die Entscheidung getroffen werden, wann eine mentale Grenze erreicht ist und ob eventuell sogar eine Pause eingelegt werden muss.

Zwischen den Sportarten variieren die Ansichten über die Sportpsychologie ebenfalls erheblich. Das mag daran liegen, dass in körperlich dominierten Sportarten oft der Glaube vorherrscht, dass körperliche Fähigkeiten und Techniken ausreichen, um erfolgreich zu sein. Jedoch ist auch hier ein Wandel zu sehen, da immer mehr Trainer und Athleten erkennen, dass mentale Stärke entscheidend sein kann, um in kritischen Momenten Bestleistungen zu erbringen.

Insgesamt zeigt sich, dass die Sportpsychologie nicht nur ein temporärer Trend ist, sondern eine nachhaltige Veränderung in der Art und Weise darstellt, wie Sportler und Trainer den Weg zum Erfolg betrachten. Besonders wichtig ist hierbei die Nachwuchsförderung, sowohl im direkten Kontakt mit einzelnen Athleten als auch in der Zusammenarbeit mit Vereinen und Organisationen, um eine frühe Sensibilisierung zu fördern. Caja und auch Veronika sprechen durchgehend positiv über ihre Arbeit mit jungen Sportlern und deren Akzeptanz und Interesse daran.

Ein maßgeblicher Unterschied zwischen den Generationen liegt in der Nutzung von Social Media und dem daraus entstehenden Druck. Diese Plattformen bieten eine Bühne für Selbstinszenierung und erzeugen den Zwang, Perfektion zu präsentieren, was sowohl die sportliche als auch die mentale Verfassung der Athleten beeinflusst. Der Druck, sich ständig mit anderen zu vergleichen, nimmt zu, da die permanente Verfügbarkeit von Trainingsdaten und Erfolgen anderer Sportler zu einem unerbittlichen Wettkampf führt. Gleichzeitig verstärken Hasskommentare und Anfeindungen die Unsicherheit, mit der die ältere Generation in dieser Form noch nicht konfrontiert war. Daher ist es umso wichtiger, dass junge Sportler lernen, den Balanceakt zwischen Wettkampfdruck und persönlichem Wohlbefinden zu meistern, indem sie Techniken zur Stressbewältigung und Achtsamkeit in ihren Alltag integrieren.

Der mentale Werkzeugkoffer

Leistungsdruck ist für viele Athleten, aber auch für Hobbysportler ein ständiger Begleiter. Besonders im Spitzensport, wo Erfolg die Ausnahme und nicht die Regel ist, können Druck und Erwartungen überwältigend werden. Doch dieser Druck beschränkt sich nicht nur auf den Sport. Auch im privaten und beruflichen Leben kann der ständige Anspruch an die eigene Leistung eine belastende Rolle spielen. Athleten berichten oft, dass der Druck, sowohl sportliche als auch persönliche Erwartungen zu erfüllen, ihnen die Freude am Sport nehmen kann. Veronika beschreibt das Dilemma vieler Athleten passend: „Der Antrieb, immer besser zu werden, kann zur Obsession werden, die alle anderen Aspekte des Lebens überlagert.

Verletzungen sind eine weitere Herausforderung, mit der sowohl Profisportler als auch Amateursportler konfrontiert werden können. Sie sind quasi unvermeidlich und können uns nachhaltig beeinflussen. Natürlich können wir mit präventiven Maßnahmen wie einem spezifischen Training das Verletzungsrisiko mindern. Aber wer macht schon gerne ätzende Übungen, nur um sein Hobby besser auszuführen? Mit der Arbeit für den Kopf sieht es hingegen anders aus, denn mentales Training lässt sich oft einfach einbinden und ihr könnt euch bereits vor einer möglichen Verletzung mit den Eventualitäten beschäftigen.

Wenn eine Verletzung eintritt, könnt ihr auf eure mentale Vorbereitung zurückgreifen – von dem Moment des eigentlichen Geschehens und dem ersten Schock bis hin zur Rehabilitation und dem ersten Wiedereinstieg. In solchen Situationen ist es besonders wertvoll, die Unterstützung eines Sportpsychologen in Anspruch zu nehmen, der euch nicht nur in der Akutphase begleitet, sondern auch langfristig zur Seite steht. Diese Arbeit trägt nicht nur dazu bei, die körperliche Genesung zu fördern, sondern stärkt auch die mentale Stabilität, um wieder auf die Beine zu kommen und sich neuen Herausforderungen zu stellen.

Aber jetzt zurück zu uns und unserem rasenden Puls. Denn die meisten von uns werden vor allem während des Bikens mit mentalen Problemen zu kämpfen haben. Schaffe ich die Abfahrt? Bin ich schnell genug für den Sprung? Und lohnt sich das Risiko, an den Kumpels dranzubleiben oder sollte ich lieber direkt abbrechen und mein eigenes Ding machen? Hier hilft es, seine Aufregung und das Adrenalin gekonnt unter Kontrolle zu bringen. Denn weder zu viel noch zu wenig ist hilfreich. Mit Selbstinstruktionen habt ihr die Möglichkeit, euer Mindset gezielt zu steuern. Ob das durch kontrollierte Atemübungen, positive Gedanken, das Abschirmen von Ablenkungen oder die Visualisierung von Bewegungsabläufen geschieht, bleibt euch überlassen. Denn ihr kennt euch selbst am besten und könnt herausfinden, welches dieser Werkzeuge für euch am effektivsten ist.

Was kann ich gegen meine mentalen Blockaden tun?

Autosuggestion: Legt euch selbst einen Glaubenssatz zurecht wie „Ich steh das Ding“ oder „Das klappt easy“, um euer Mindset durch positives Denken zu stärken. Steht ihr dann vor einem gruseligen Feature, könnt ihr euch genau diesen Satz ins Gedächtnis holen.

kontrollierte Atemübungen: Durch eine kurze Abfolge von Atemübungen könnt ihr den Adrenalinausstoß und somit den Stress in den Griff bekommen. Ein Beispiel: Setzt euch hin oder stellt euch ruhig hin und atmet dreimal tief ein, als würdet ihr die Luft in euren Kopf lenken, und noch tiefer wieder aus. Wiederholt das dreimal für die Brust und dann dreimal für die Beine. Schließt dabei am besten die Augen und lasst euch nicht ablenken. Danach ab aufs Bike!

Visualisierung: Augen zu, Hände an den imaginären Lenker. Stellt euch vor, wie ihr gleich auf das neue Feature zurollt, den Körper anspannt und die benötigte Bewegung ausführt. Genießt die Zeit in der Luft und vergesst die Landung dabei nicht ;)

CCC: Oder besser gesagt: Catch, Check und Control. Eine besonders effektive Methode – die uns Caja ans Herz gelegt hat. Nehmt euch dafür kurz Zeit und versucht, die negativen Gedanken zu erkennen. Habt ihr sie erwischt, könnt ihr sie bewusst herausfiltern und kontrollieren.

Routine: Besonders im Wettkampf oder wiederkehrenden Situationen helfen euch Routinen und Anpassungen im Umfeld, um unvorhersehbare Probleme auszumerzen und den Fokus zu behalten. Frühstückt, was euch bekannt ist, hört euren Lieblingssong oder wärmt euch mit den gewohnten Übungen auf.

Selbst wenn ihr nicht gerade auf dem Weg zu den Olympischen Spielen oder dem nächsten Kadertraining seid, stehen euch Sportpsychologinnen wie Caja und Veronika zur Seite. Vermutlich machen die beiden euch auch schneller und sicherer auf dem Bike als der neue und funkelnde Carbon-Laufradsatz, mit dem euer Bike jetzt 100 Gramm und euer Konto 2.000 € leichter sind.

Wenn ihr stark auf dem Trail sein wollt, müsst ihr nicht nur körperlich fit sein. Ein tiefes Verständnis der eigenen Psyche und die Bereitschaft, sich mit den eigenen Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen, machen euch nicht nur schneller, sondern auch sicherer. Die Lösung dazu sitzt in eurem Kopf, und mit der richtigen mentalen Technik fliegt ihr nicht über den Lenker, sondern über den Trail!


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Text: Peter Walker Fotos: Julian Lemme