Testbericht | Das Vitus Sommet Pro mit 155mm im Test
Mit einem irren Grinsen im Gesicht, die Hände in Todesverachtung um den Lenker gekrampft, schieße ich um die nächste Kehre, wohlwissend, dass ich mich bereits am Limit meines fahrerischen Könnens bewege. Für das Sommet PRO, auf dem ich unterwegs bin, ist dies alles kein Problem. Es vermittelt vielmehr das Gefühl, dass da noch mehr geht …
Wir haben das Vitus Sommet bereits in seiner Entstehungsphase begeleitet und im August letzten Jahres konnten wir es schließlich in der VR genannten Basisversion testen. Schon damals waren wir von dem Potenzial des Bikes überzeugt und fragten uns oft, wie gut es als Highend-Aufbau funktionieren würde.
Offenbar hat man bei Vitus unsere Wünsche erhört, denn mit der jetzt erschienenen PRO-Variante erhält man genau das: Eine kompromisslos auf den Renneinsatz ausgerichtete Fahrmaschine ohne jeglichen Schnick-Schnack, auf der man sogar Teamfahrer Dan Wolfe auf der diesjährigen EWS ins Rennen schickt. Aber wie gut wird sich ein Racebike schlagen, das nur halb so viel kostet wie die meisten seiner Mitbewerber? Die Antwort auf diese Frage ließ uns nach unserem Test etwas frustriert zurück. Im folgenden kann man erfahren warum.
Als Hausmarke von Chain Reaction Cycles profitiert man bei Vitus nicht zuletzt von niedrigen Komponentenpreisen und so erhält der Kunde mit dem Sommet PRO ein Highend-Bike zu einem konkurrenzlosen Kurs von 3.689,99 €. Top Leistung zu einem vernünftigen Preis – vergleicht man die Preise mancher Konkurrenten ist dies ein Ansatz, der durchaus Schule machen dürfte.
Der aus 6061-T6 gefertigte Rahmen des 2015er Sommet ist von Grund auf neu. Die PRO-Variante stellt nun das Topmodell der Serie dar und so wurde bei der Auswahl der Komponenten aus dem Vollen geschöpft: X1-Antrieb, Mavic Crossmax Enduro LTD-Laufräder und vielfach bewährte XT-Bremsen mit 180 mm Scheiben geben die kompromisslose Richtung vor. Das RockShox-Fahrwerk, bestehend aus einer RCT3 Solo Air mit 160 mm sowie einem RockShox Monarch Plus RC3 DebonAir, ist im Endurobereich state-of-the-art und harmonisiert perfekt mit dem Rahmen. Auch der 760 mm breite Nukeproof Warhead-Lenker und der 45 mm Funn Strippa-Vorbau konnten uns trotz des höheren Gewichtes in Sachen Ergonomie überzeugen. Eine Reverb Stealth von RockShox rundet das Ausstattungspaket ab.
Hat man einmal auf dem Sommet Platz genommen, fällt sofort der äußerst fein ansprechende Hinterbau auf. Das degressive Übersetzungsverhältnis sorgt dafür, dass der Hinterbau anfangs nahezu widerstandslos bis zum Sag einsinkt. Ab dann wird die Kennlinie deutlich progressiver und so steht das Bike stabil im Federweg ohne unsensibel zu wirken.
Seit dem das Patent auf den Horst Link frei geworden ist, fertigen immer mehr Hersteller ihre Hinterbauten nach einem ähnlichen Prinzip. Bei Vitus verfolgt man dabei eine eigene Interpretation. Die Lager der Kettenstreben befinden sich mit diesen auf einer Linie, was Kettenspannung und Pedalrückschlag deutlich reduzieren soll. Zudem ist die Achsbewegung beim Einfedern rückwärtsgerichtet, was das Überrollen größerer Hindernisse deutlich erleichtert. Das Hinterrad hat folglich mehr Bodenkontakt und verhilft dem Heck zu mehr Grip. Überzeugend ist dabei die Sensibilität, mit der kleinere Hindernisse einfach geschluckt werden. Dies ist ein Verdienst der Hinterbaukonstruktion, bei der der Dämpfer von beiden Seiten angelenkt, und somit eine lineare Federkennlinie erreicht wird.
Bergauf gibt sich das Sommet souverän und ähnlich lebendig wie sein kleinerer Bruder, das Escarpe. Selbst bei komplett geöffneter Plattform kommt nur selten Pedalwippen auf. Dennoch reagiert der Hinterbau sehr sensibel, ohne jedoch schwammig zu wirken und in Kombination mit den leichten Mavic-Rädern werden technische Anstiege zum Kinderspiel.
Dazu trägt auch die komfortable und effiziente Sitzhaltung bei, die sich aus dem langen Oberrohr (600 mm bei Gr. M) und dem steilen Sitzwinkel von 74,6° ergibt. Generell verfügt das geräumige Sommet über ausgezeichnete Klettereigenschaften und eignet sich mit den leicht laufenden Mavic-Reifen auch gut für längere Touren. Es ist schwerer und weniger direkt als ein Carbonbike in dieser Klasse, dafür kostet es aber schließlich auch nur die Hälfte.
Bergab aber schlägt die große Stunde des Sommet PRO. Einmal auf die richtige Linie gesetzt heißt es „Bremsen auf und genießen“. Souverän antizipiert es jede Art von Hindernissen mit der Selbstverständlichkeit eines Chuck Norris in einer Kneipenschlägerei. Aber auch wer einen aktiven Fahrstil sein eigen nennt, wird mit dem Sommet viel Spaß haben.
Es schreit danach, in Kurven hinein gepresst und aus diesen wieder heraus beschleunigt zu werden. Kleinste Hindernisse verleiten dazu, abzuheben, und so ist jede Menge Airtime garantiert. Dabei kommen auch weniger geübte Freerider auf ihre Kosten, da das Handling des Bikes durch die ausgewogene Gewichtsverteilung in der Tat superb ist. Sicher tragen aber auch die leichten und stabilen Crossmax-Laufräder von Mavic und der äußerst effektive Hinterbau dazu bei. In scharf angefahrenen Kurven kann man förmlich hören, wie sich die Stollen des Hinterreifens in den Boden krallen. Dabei reagiert die Federung butterweich und bleibt selbst bei scharfen Bremsmanövern stets aktiv. Messerscharf zieht das Vitus die vom Fahrer vorgegeben Linie nach. Dafür sorgen ein 66° flacher Lenkwinkel und ein niedriger Schwerpunkt. Nicht zuletzt wegen der verlässlichen XT-Bremsen und dem äußerst effizienten X1-Antrieb muss man das Vitus Sommet PRO einfach mögen.
Aber warum die eingangs beschriebene Frustration? Nun, die Entwicklung der Bikes schreitet stetig voran und ständig kommen immer noch bessere Modelle auf den Markt, was eine objektive Beurteilung manchmal sehr schwierig werden lässt. Aber wie man es dreht und wendet, das Sommet PRO ist ein gutes Bike. Ein sehr gutes Bike. Ja, vielleicht ist es sogar das beste Bike, das es zu diesem Preis zu kaufen gibt. Und dazu sieht es mit dem komplett neuen Rahmendesign verdammt gut aus. Da sollte man doch irgendwo zu recht einen Haken vermuten. Gut, der Crossmax Roam XL ist auf den schlammigen Trails Schottlands so wertvoll wie ein Taschenmesser bei einer Strassenschießerei, aber wenn die Trails in den trockenen Monaten staubig sind, hat der Pneu durchaus seine Daseinsberechtigung. Vielleicht nicht gerade für den Renneinsatz, so eignet er sich durch seine kontrollierbaren Drifteigenschaften gut für spaßorientierte Fahrer.
Das von uns ermittelte Gewicht beträgt solide 13,53 kg (ohne Pedale, Reifen tubeless), was bei den Bergabqualitäten ein durchaus akzeptabler Wert ist.
Fazit
Das Sommet PRO hat alles, was ein großartiges Bike ausmacht. Es macht Spaß, es ist unheimlich schnell und robust. Das Fahrverhalten ist sehr direkt und erlaubt eine präzise Linienwahl, was einen stets dazu ermutigt, ans Limit zu gehen. Die Ausstattungsliste gleicht einem Wunschzettel für Racebiker, doch hätte das Gewicht auch gerne etwas niedriger sein dürfen. Beim Pedalieren spielt dies jedoch keine Rolle, denn auch bergauf macht das Sommet so ziemlich alles mit.
Bisher war die Faustformel relativ einfach: „Wer viel zahlt, der kriegt viel.“ Seit diesem Test aber muss nun die Frage erlaubt sein, wofür man für manche Bikes das doppelte bezahlen muss, wenn es dieses voll ausgestattete Vitus Sommet PRO für sage und schreibe 3.689,99 € gibt?
Weitere Informationen gibt es auf der Vitus Homepage.
Hinweis: Die Preise des Bikes schwanken von Land stark, der angegebene Euro Preis bezieht sich auf Deutschland.
Text und Bilder: Trev Worsey
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