Bernd ist kein Profi, er hat keine World-Cup-Rennen gewonnen, keine Sponsorenverträge in der Tasche, keine Millionen auf dem Konto und noch niemanden das Leben gerettet. Trotzdem ist er jemand, den wir uns alle als Vorbild nehmen sollten. Sein Kumpel Kirsten verrät, warum.

„Als ich das erste Mal mit dem Fahrrad in München unterwegs war, hatte ich ein Schlüsselerlebnis. Es hat mir in der Stadt dieses immense Maß an Freiheit gegeben – gut, ich muss ehrlicherweise zugeben, dass man mir vorher meinen Führerschein gezwickt hatte.“ Nach diesem Satz lacht Bernd kehlig, trinkt einen Schluck Weißbier. Wir sitzen in einer Kneipe im Münchner Glockenbachviertel, es ist Donnerstagabend, Stammtisch.

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Kennengelernt habe ich Bernd vor 11 Jahren in der Provence im Springride Camp von Stefan Herrmann. Spät am Abend standen wir in einer Runde zusammen und irgendwer musste damals eigentlich immer noch etwas am Bike schrauben. Es war die Zeit, als Techtalk noch angenehm und kein Glaubenskrieg war, und man über elementare Dinge diskutierte, z. B. wie lange wohl der Rahmen den Belastungen noch standhalten würde.

Bernd war damals schon ausgebildeter Mechaniker und arbeitete in einem Bikeshop. Und hörte trotz seines beruflichen Hintergrundes jedem Aspekt des Gesprächs zu, aufmerksam wie ein Schuljunge, und ließ dann – immer gefolgt von einem sympathischen Lächeln – seine Ansichten einfließen. Keine Spur von Besserwisserei oder Belehren. Keine Art der Selbstdarstellung oder gar der Profilierung.

Alter ist nur eine Zahl

„Bernd hat einiges an Mühe investiert, um bei Facebook und Co. sein Geburtsdatum löschen zu lassen.“

Seit dieser Zeit waren wir zusammen in den Bergen, an der Isar, im Bikepark, auf der Insel La Palma oder auch mal abends auf ein Bier unterwegs. Philosophiert man mit Bernd über die großen und kleinen Dinge des Lebens, begeistert er einen immer wieder mit seinen lebensbejahenden Ansichten. Er redet und schwärmt wie jemand, der Mitte zwanzig ist – dabei ist er davon meilenweit entfernt. Wie alt? Ein Geheimnis!

Bernd hat einiges an Mühe investiert, um bei Facebook und Co. sein Geburtsdatum löschen zu lassen. Keiner soll ihm zu seinem Ehrentag gratulieren oder ihn auf sein Alter ansprechen. Aber bitte versteht mich nicht falsch, Bernd ist nicht einer dieser Menschen, die zum vierten Mal behaupten, 39 zu werden oder die das Älterwerden nicht wahrhaben wollen. Er blendet es einfach aus. Es spielt für ihn keine Rolle und das wirkt sich auch automatisch auf sein gesamtes Umfeld aus. Du bist so alt, wie du dich fühlst – bei Bernd ist dieser Spruch tatsächlich Programm. Dass sein Lebensstil jeden Gesundheitsfetischisten und Ernährungsberater zum Weinen bringen würde, ist umso erstaunlicher, weil ich kaum jemanden kenne, der so fit ist und so gut auf dem Bike hockt – und ich weiß, wie hoch sein fast biblisches Alter wirklich ist.

Warum ein verlorener Führerschein manchmal ein ziemliches Glück ist

War das Fahrrad zuerst nur eine Möglichkeit der Mobilität in der Stadt, so wurde es nach dem Besuch eines Fahrtechnik-Camps im Jahr 2004 zu seiner großen Leidenschaft.

Aber all das würde ich wohl nie wissen, wenn Bernd damals in München nicht gezwungenermaßen (Führerscheinverlust) das Fahrradfahren für sich entdeckt hätte. Denn bevor er 2003 nach München kam, hatte er mit Fahrrädern gar nicht so wahnsinnig viel zu tun. Zuvor war er mehrere Jahre mit seinem Bruder auf den Motorsport-Rennstrecken Europas unterwegs gewesen. Sein Bruder hatte ein eigenes Rennteam und Bernd half ihm, wo es nur ging. Bernd war Fernfahrer, Mechaniker und – so wie ich ihn kenne – auch die gute Seele des Teams. Für die Möglichkeit, dieses Leben mitmachen zu können, hatte er damals seine Automechaniker-Lehre nicht abgeschlossen. Anfang 2003 kam er dann nach München, um sie doch noch zu beenden. Ohne seinen Lappen war er aufs Fahrrad angewiesen und wie der Zufall es wollte, gab es in der Berufsschule parallel zur Kfz-Lehre auch eine Ausbildung zum Zweiradmechaniker. Bernd wechselte prompt und begann schon kurze Zeit später in einem Bikeshop zu schrauben.
War das Fahrrad zuerst nur eine Möglichkeit der Mobilität in der Stadt, so wurde es nach dem Besuch eines Fahrtechnik-Camps im Jahr 2004 zu seiner großen Leidenschaft.

Seit dieser Zeit lebt Bernd das Mountainbiken intensiv – und zwar auf wie neben dem Bike. Andere gehen zum Schrauben in den Keller, Bernd macht das selbstverständlich im Wohnzimmer, von den Flecken auf dem Boden weiß sein Vermieter zum Glück noch nichts. Im Bikeshop selbst ist Bernd der Spezialist für heikle oder sensible Bikes und auch Kunden geworden. Andere würden einen Rahmen aus dem Karton nehmen, ihn montieren und schnell ausliefern. Er jedoch zerlegt jeden neuen Rahmen, fettet alle Lager und beweglichen Teile einzeln und verwöhnt sie mit allerlei unterschiedlichen Tuben und Pasten. Kein Knarzen oder Geräusch soll mehr von einem Bike ausgehen, das er für jemanden aufgebaut hat.

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Spricht man mit Freunden und Bekannten über Bernd, dann fällt immer wieder ein Wort: ausgeglichen. In all den Jahren, die Bernd nun in München und in der Bikeszene unterwegs ist, eilt ihm diese Haltung als Ruf voraus. Er ist einfach mittig, Meckern oder Bedauern hört man von ihm selten. Regnet es an einem Sonntag und er kann nicht biken gehen, dann wurmt es ihn nicht. Er macht das Webradio an und werkelt dann einfach zu Hause vor sich hin, an einem neuen Fahrwerkssetup oder an irgendwas, was er schon lange einmal ausprobieren wollte.

Auf unseren Touren erlebe ich ihn genauso. Phrasen wie „ich muss“ oder „man sollte“ fallen nicht. Kein Zwang oder übertriebener Wettbewerb. Es gibt wenige Dinge, die ihn beim Biken nerven. Wenn Leute vor ihm mehr enge Spitzkehren fahren können, rutscht ihm zwar schon manchmal ein „Du Arsch“ oder „Verdammt“ heraus. Bei Bernd klingt aber sogar das immer irgendwie nett, denn hier folgt direkt wieder ein Lachen.

Auf dem Bike bewegt sich Bernd am liebsten in technischem und steilem Gelände oder auf den Strecken von La Palma. Steile Stücke und holprige Passagen animieren ihn, sich weiter auszutesten. Dabei hat er seinen ganz eigenen Stil entwickelt, holprig, ab und zu eckig, aber immer souverän. So meistert er schwierige Strecken auf dem Bike wie im Leben. Er drängt sich nicht in den Mittelpunkt, muss sich nichts beweisen, hat immer ein offenes Ohr und ist genau deshalb bei allen so beliebt. Wir sollten alle etwas mehr Bernd sein.


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Text & Fotos: Kirsten-J. Sörries