Es heißt ja, das Leben fange mit 40 erst an. Aber wenn Mountainbiken immer deine Leidenschaft war, hast du mit 40 eher das Gefühl, dass die besten Jahre schon hinter dir liegen. Kann man als Mountainbiker mittleren Alters und mittlerer Fähigkeiten das Beste aus seiner Midlife-Crisis rausholen und ein besserer Fahrer werden?

Die große 4.0 hängt über den Mittdreißigern wie ein Damoklesschwert. Manche beginnen, die eigene Vergänglichkeit zu spüren, sehen ihr dünner werdendes Haupthaar und den graugefleckten Bart, träumen von lang vergangenen ruhmreichen Zeiten und verpassten Chancen. Nein danke! Das ist die gefährliche Art von Denke, damit schliddert man schnurstracks auf Socken in den Sandalen und T-Shirts mit Aufschriften wie „Old Guys Rule“ zu. Ich war zwar 39 und starrte in den Abgrund des mittleren Alters, doch mein Glas war halbvoll; 40 war ja wohl nur das Ende vom Anfang. Es war Zeit, noch einen draufzusetzen und der Welt (und mir selbst) zu beweisen, dass man wirklich immer nur so alt ist, wie man sich fühlt. Ein kurzer Blick auf den Kontoauszug bestätigte: Ich konnte mir weder einen Sportwagen leisten noch eine Harley Davidson. Was ich brauchte, war eine Challenge, etwas, das mich motivierte, zusätzlich zum Familienleben und zur Arbeit. „Warum nicht mal wieder ein Rennen fahren?“, sagte die Stimme in meinem Kopf. Und ehe ich wusste, wie mir geschah, lag vor mir die ausgefüllte Anmeldung zu Schottlands Antwort auf die Megavalanche, dem MacAvalanche. Gut, dann halt Midlife-Crisis.

Kann ich mich mit 40 noch als Fahrer verbessern?

Ich fahre schon fast 30 Jahre Fahrrad, bin immer noch super glücklich, wenn ich auf dem Bike sitze, und möchte, dass es noch weitere 30 Jahre so bleibt. Aber im Vergleich zu meinem jüngeren Ich habe ich nun mal weniger Zeit und andere Prioritäten. Und in jedem Sport braucht man, wenn man ihn lange ausüben will, Training und Einsatz. Nach der Geburt meiner Tochter löste sich meine Bike-Zeit in Luft auf und mein Körper ersetzte in Windeseile Muskeln durch Fett. Überraschend schnell hatte ich einen sitzenden Lebensstil angenommen und war viel zu müde, um es auch nur zu bemerken – bis ich mal wieder fahren ging und mir auffiel, dass ich plötzlich der Typ ganz hinten war. Es musste sich was ändern, ich musste den Verfall aufhalten und wieder fit werden! Doch wie sollte ich das mit meinen anderen Verpflichtungen unter einen Hut bekommen?

Meine größte Herausforderung würde darin bestehen, mein Selbstvertrauen zurückzugewinnen. All die Jahre voller Stürze, Brüche und ausgekugelter Gelenke hatten in meinem Kopf Spuren hinterlassen – ich wusste, dass ich schneller fahren konnte, ich glaubte bloß nicht daran. Mir war auch schmerzlich bewusst, dass es jetzt länger dauern würde, bis Verletzungen ganz verheilt sein würden. Ich machte mir Sorgen, wie wir nach einem Sturz die Rechnungen bezahlen würden und wie ich mich um meine kleine Tochter kümmern sollte. Dabei war sonnenklar: Natürlich würde ich irgendwann stürzen. Wenn ich regelmäßig ins Fitnessstudio ginge, könnte ich meinen Körper ein Stück weit „sturzsicherer“ machen, doch wie sichert man den Kopf gegen die Sorgen um mögliche Folgen?

Und schließlich stellte ich mir die Frage, ob mir Racen noch Spaß machen würde. Ich machte mir keine Illusionen, es ging nicht um Ruhm und Erfolge, ich wollte einfach ins Ziel kommen und die Erfahrung genießen. Doch ich würde mich vorbereiten müssen und mir Ziele setzen, auf die ich hinarbeiten konnte.

Meine Ziele für die Midlife-Crisis:

1. fitter werden

2. mein Selbstvertrauen steigern

3. wieder racen


Aus Scheiße Gold machen

Ziel Nr. 1: fitter werden

Die Zeit war der entscheidende Faktor. Die „tote Zeit“, in der ich im Auto saß oder anderweitig inaktiv war, musste auf ein Minimum reduziert werden. Ich musste den Winter nutzen, um fit zu werden, aber auf eine Weise, die sich mit meinem Leben in Einklang bringen ließ. Mountainbiken erfordert eine Kombination aus Kraft, Ausdauer und technischem Können, aber „einfach nur fahren“ strapaziert den Körper sehr, wenn man erst mal in der Mitte des Lebens angekommen ist. Ich entschied mich also für einen ganzheitlichen Trainingsansatz mit Enduro-Elementen, um nachhaltiger fit zu werden. Radfahrer haben tendenziell starke Gesäß- und Beinmuskeln, aber Rumpf- und Oberkörpermuskulatur sind schlechter in Form. Diesem Ungleichgewicht verdankte ich Rückenschmerzen und Flexibilitätsprobleme, und das wiederum hatte Auswirkungen auf mein Selbstvertrauen beim Fahren. Dazu kamen Probleme mit der Beweglichkeit, die daher rührten, dass ich als jüngerer Mann nicht auf meinen Physiotherapeuten gehört hatte – und alles in allem sah es so aus, als ob ich schon zufrieden damit sein müsste, wenn ich die nächsten 10 Jahre einfach so weiterfahren könnte wie bisher …

Wir Mountainbiker denken meist nicht lange darüber nach, Geld für schicke Teile auszugeben, damit das Bike schön rund läuft. Doch wenn es um uns selbst geht, sitzt das Geld nicht so locker in der Tasche. Ich musste mich um frühere Verletzungen kümmern, wenn ich neue vermeiden wollte, also investierte ich in einige Massagen bei einem Sportphysiotherapeuten. Das zahlte sich schnell aus, bügelte die Macken meines Körpers etwas aus und reduzierte den Stress, den das tägliche Training für meine Muskeln bedeutete. Ich begann im Crossfit-Studio zu trainieren, im Freien und bei jedem Wetter. Die Kombination aus Gewichtheben und intensivem Ausdauertraining passte perfekt zu meinen körperlichen Anforderungen als Mountainbiker und ich konnte auch nachts trainieren gehen oder im Winter oder wenn ich nur eine Stunde Zeit hatte. Gleichzeitig drängte mich meine Frau, mit ihr Yoga zu machen, und obwohl es mir nie wirklich Spaß machte, spürte ich, wie sich meine Beweglichkeit in den Schultern und Armen verbesserte – und ich konnte endlich meine Zehen berühren!

Da Zeit zum Fahren eines meiner Hauptprobleme war, investierte ich in ein E-MTB, damit ich auch dann ein paar DH-Runs für die technische Form einlegen konnte, wenn ich nur eine Stunde Zeit hatte. Wann immer ich anderthalb Stunden Zeit hatte, heizte ich auf dem Endurobike oder dem Rennrad, was das Zeug hielt, um in diesem knappen Zeitfenster möglichst viele Kilometer runterzureißen. Nach 6 Monaten kontinuierlicher Arbeit an Kraft und Ausdauer war es mir gelungen, den körperlichen Verfall aufzuhalten, und ich fühlte ich auf dem Bike stärker und fitter. Doch um Ziel Nr. 2 zu erreichen, musste ich mich mit meinem Fahrstil auseinandersetzen und falsche Gewohnheiten ablegen.

From Zero to Hero

Ziel Nr. 2: mein Selbstvertrauen steigern

Mountainbiken ist ein Sport, der Hingabe belohnt und Zaudern bestraft. Je herausfordernder das Gelände, desto mehr lohnt sich ein professionelles Fahrtechniktraining mit dem Ziel, auch bei hohen Geschwindigkeiten und in supertechnischem Gelände kontrolliert zu fahren – ein entscheidendes „Upgrade“, über das die meisten nicht einmal nachdenken. Ich fuhr schon jahrzehntelang Mountainbike, hatte aber niemals ein Fahrtechniktraining absolviert. Dadurch hatte ich jede Menge Zeit gehabt, mir schlechte Gewohnheiten anzueignen. Ich hoffte, dass die Analyse meines Fahrstils und das Aufdecken von Verbesserungspotenzialen mir helfen würden, mein Selbstvertrauen zu stärken und smoother, schneller und sogar sicherer zu fahren. Ich bat also Ben Cathro – YouTube-Legende, Profi-Fahrer und Inhaber von Sick Skills MTB Coaching – einen Tag mit mir zu verbringen und war gespannt, ob er mir auf meine alten Tage noch etwas Neues beibringen könnte. Bens Mantra lautet „Be a Boss!“: Wenn das Gelände ruppig wird, dann fahr aggressiv und bügel es einfach mit deinem Bike weg. Zunächst lief es bei mir alles andere als bossmäßig. Ich fuhr defensiv, verlagerte das Gewicht nach hinten, fuhr viel übers Hinterrad und zog an jeder Kante oder jedem Sprung ab. Das machte Spaß, aber wenn man die Reifen nicht auf dem Boden hat beim Bremsen oder in Kurven, kann das ganz schnell blöd werden – besonders, wenn man schnell oder auf steilen Abfahrten unterwegs ist.

Dinge loszuwerden, die man unbewusst seit Jahrzehnten macht, ist keine leichte Aufgabe. Wenn man sich auf einen Bereich des Fahrstils konzentriert, vergisst man den nächsten. Doch nach einigen Runden machte es Klick und ich spürte den Unterschied in Sachen Kontrolle. Die Resultate der nächsten paar Runs waren durchwachsen, doch es war klar, dass das Training etwas nützte. Es gibt diese Lines, bei denen man nur zwei Optionen hat: loslassen oder sein lassen. Ben rät dazu, sich vorzubereiten, sich auf das sichere Gefühl auf der anderen Seite zu konzentrieren, die Bremsen loszulassen und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu haben. Erfolgserlebnisse sorgen für weitere Erfolgserlebnisse und jedes Mal, wenn ich mich entspannte und einfach losließ, konnte ich mich über eine gut getroffene Linie freuen.

Das Pensum, das wir an diesem Tag absolvierten, hätte auch locker für eine Woche Training gereicht; mein Körper war danach völlig erschöpft und mein Hirn fühlte sich an wie Pudding. Aber ich wusste nun, dass ich besser werden konnte. Ich sah glasklar, was ich alles falsch gemacht hatte, und die moderaten Erfolge dieses einen Tages hatten mir schon jetzt mehr Selbstvertrauen verliehen. Nach dem ganzen Input war es an der Zeit, das neu Gelernte auf vertrautem Gelände zu üben und wirklich einzuschleifen. Ich hatte nur noch 10 Tage bis zu meinem ersten Rennen, und so blieb mir nicht viel Zeit, um daran zu arbeiten.

Ganz oder gar nicht

Ziel Nr. 3: wieder racen!

Das letzte Rennen war ich mit 16 gefahren – würde ich mein inneres Tier rauslassen, mich mit erfahrenen Racern messen können? Ich setzte mir realistische Ziele. Der Begriff „Veteran“ mag für manche nach „alt und langsam“ klingen, doch alle Ü-40-Fahrer, die ich kenne, racen schon, seit man noch mit Modem ins Internet musste, und sind schneller unterwegs als viele der jüngeren Athleten. Dementsprechend würde mich eine Platzierung in den oberen 25 % schon sehr zufrieden machen.

Schließlich kam der Tag des MacAvalanche. Das Mac’ ist Schottlands brutalstes Enduro-Rennen, aber es ist auch einfach ein großartiges Event mit Massenstart auf einem Schneefeld. Während ganz Großbritannien sich bei untypisch warmem Mai-Wetter entspannte, bereitete ich mich gemeinsam mit 349 gleichgesinnten Idioten frierend darauf vor, die erbarmungslosen Felsen des verschneiten Glencoe hinunterzuheizen. Wir standen in einer Hunderte Meter langen Schlange und ertrugen tapfer die arktischen Windböen, die die Bergflanke hinunterpeitschten. Nervös stampften wir mit den Füßen wie schlecht tanzende Pinguine, damit uns der Schnee nicht jegliches Gefühl entzog. Das Klappern meiner Zähne war alarmierend, doch ob es von der Kälte oder vom Adrenalin kam, konnte ich nicht sagen. Alle Augen waren auf die Fahrer gerichtet, die sich einzeln wie debile Lemming aufmachten zu den 150 Metern voll weichem Frühjahrsschnee, auf denen der Start zu Stage 1 stattfinden würde. Und plötzlich war ich in „the zone“: Konzentriert und entspannt heizte ich durch den Schnee und fand sogar die Line, die ich geplant hatte. Cathros Mantra „Be a Boss“ lief in Dauerschleife in meinem Kopf, als ich scharf bremste, um dann loszulassen und in einen Anlieger zu brettern.

Die vielen Monate Crossfit halfen mir bei Kompressionen in Anliegern und bei harten Schlägen. Überraschenderweise lief es fantastisch, das Adrenalin erreichte Maximalwerte, während ich kontrolliert Risiken einging, immer auf der Suche nach der schnellsten Line. Mir wurde plötzlich klar, dass ich nicht mehr defensiv fuhr, sondern das Selbstvertrauen gewonnen hatte, wirklich zu attackieren. Egal wie ich am Ende abschneiden würde, ich hatte bereits gewonnen!

Noch lang nicht tot

Mein Ziel war es, zu racen, aber der Weg dorthin hat dazu geführt, dass ich mich noch mal neu ins Mountainbiken verliebt habe. Weil ich nicht nur in mein Bike investiert hatte, sondern auch in mich selbst, wurde ich fitter als je zuvor. Durch das Training lernte ich neue Skills und erwarb eine Art von Selbstvertrauen, die ich alleine nie gefunden hätte. Für mich hat es wirklich funktioniert, die Dämonen zu konfrontieren, die mich zurückgehalten hatten – und für dich kann es das auch. Kannst du mit 40 noch Fortschritte als Fahrer machen? Klar kannst du! Fängt das Leben mit 40 erst an? Meins schon.

Dieser Artikel ist aus ENDURO Ausgabe #035

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Text: Thomas Corfield Fotos: Trev Worsey

Über den Autor

Thomas Corfield

Nach fast 30 Jahren auf dem Bike und einer Karriere im Vertrieb einer Fahrradmarke begeistert mich das Thema Mountainbike noch wie am ersten Tag. In meiner Heimat in der Nähe der schottischen Grenze genieße ich Solo-Abenteuer in den Bergen ebenso wie Nightrides in größeren Gruppen.