In den letzten Jahren gab es im Mountainbikebereich eine erstaunliche Anzahl neuer Entwicklungen. Bei vielen dieser Neuerungen ist der direkte Nutzen offensichtlich (z.B. Teleskop-Sattelstützen), andere dagegen sind technisch komplex, sehr spezifisch und arbeiten “im Hintergrund”. Viele Mountainbiker verstehen schließlich kaum die genaue Funktionsweise ihres Dämpfers, geschweige denn haben sie Lust, sich selbst um die Wartung desselben zu kümmern. Der überwiegende Teil von ihnen möchte sich darauf beschränken, ab und zu die Reifen aufzupumpen und die Kette zu ölen. Wie weit also wollen wir uns mit technischen Neuerungen auseinandersetzen?

Many of us don't even take the time to lube our chain properly!
Viele von uns nehmen sich nicht mal die Zeit, die Kette richtig zu ölen!

Vielleicht sind Mountainbikes technisch ja schon so weit entwickelt wie nötig – schließlich wollen ja die meisten von uns einfach nur Spaß haben, sich auf den Trail konzentrieren und sich eben nicht damit aufhalten, was die Technik unter unserem Hintern genau macht. Wenn wir hier Produkte testen, konzentrieren wir uns meist auf Dinge wie Performance, Gewicht, Schaltung, Fahrwerk, die Bremsen und so weiter. In dieser Breakout Session geht es um Designmerkmale, die meist weniger Beachtung finden: Ergonomie und Benutzerfreundlichkeit.

Ein gutes Beispiel sind Schuhe und Pedale. Als ich mir ein paar richtige Flatpedal-Schuhe gekauft hatte, musste ich mir endlich keine Sorgen mehr über abrutschende Füße machen. Durch den zusätzlichen Halt und den Grip, den das Gummi auf den Pins bietet, blieben meine Füße sicher auf den Pedalen, selbst in ruppigem Gelände. Anstatt aber einen Bericht über meine neue Errungenschaft zu schreiben, vergaß ich sie einfach, und das ist wohl das größte Lob, das ich ihr aussprechen konnte.

Riding should be fluid and second nature, sometimes the best improvements are the ones we don’t notice.
Biken sollte fließend und intuitiv sein, deshalb sind die besten Veränderungen oft die, die wir kaum bemerken

Vielleicht sollte der Fokus also darauf liegen, die Technik eher nutzerzentriert zu machen. Als sie an Experten auszurichten. Die US-Designfirma IDEO verfolgt diese Philosophie. Es geht ihr um einen Designprozess, in dem die Bedürfnisse, Wünsche und Beschränkungen der Endverbraucher in jeder Phase intensiv berücksichtigt werden.

“Der größte Unterschied zu anderen Ansätzen ist, dass das nutzerzentrierte Produktdesign das Ziel hat, Produkte darauf hin zu optimieren, wie die Nutzer sie verwenden können, wollen oder müssen, anstatt umgekehrt von ihnen zu verlangen, ihr Nutzungsverhalten an das Produkt anzupassen. „

Ruben Torenbeek, Design-Ingenieur bei SCOTT, und ich analysierten im Rahmen des Design & Innovation-Award 2015 in Südtirol zusammen einige der Produkte. Da wir beide einen Produktdesign-Hintergrund haben, ergaben sich schnell ausführliche Gespräche über Ergonomie im Bikebereich. Im Folgenden einige Beispiele für Produkte, die in die richtige Richtung gehen, und für andere, bei denen bei der Usability noch einiges verbessert werden.

Ergonomie

The modern hydraulic brake, one of the greatest successes of mountain biking technology.
Die modern Hydraulikbremse, eine der größten Errungenschaften der Mountainbiketechnik.

Diejenigen, die schon so lange dabei sind, dass sie noch die mechanischen Scheibenbremsen oder V-Brakes von früher kennen, wissen die moderne Hydraulik zu schätzen. Denn was hat man von einem schnellen Rad, wenn man vor der Kurve nicht rechtzeitig bremsen kann? Heute hat man jederzeit genug Power und das Bike selbst mit einem Finger stets unter Kontrolle . Auch das Einstellen von Druckpunkt und der Wechsel von Belägen ist heute kein Problem mehr, es braucht nichtmal Werkzeug.. Darüber hinaus müssen die meisten Hydraulikbremsen nicht oft entlüftet werden, und wenn, dann ist auch nicht kompliziert.

Our thumbs naturally hook under the bars, so why is the lever located up here?
Unsere Daumen finden ihren Platz intuitiv unterm Lenker – warum ist der Hebel dann hier oben?

Wer von euch ist schon mal beinahe gestürzt während ihr dabei wart, am Remote-Hebel der Teleskopstütze herumzufummeln? An manchen Bikes befindet er sich genau außerhalb der Reichweite, die man mit dem Daumen hat, so lange man den Lenker sicher im Griff hat. So ist man gezwungen, die Position der Hand zu ändern, und das ist nicht nur ineffizient, sondern auch potentiell gefährlich. Außerdem sind die Hebel mitunter nur mit etwas Kraftaufwand zu bedienen, was am Ende einer langen Rennstage oder bei Kälte schwierig sein kann. Über solche Sachen sollte die Technik doch eigentlich mittlerweile hinweg sein? Das Problem liegt darin, dass wir ziemlich gut darin sind, über ergonomische Mängel hinwegzusehen und uns an sie anzupassen. Insbesondere wenn es um modernste Premiumprodukte geht, sind wir bereit, für ein Plus bei der Performance derartige Schwachpunkte in Kauf zu nehmen.

Perfectly shaped shifter levers.
Die bequemen XTR Di2- Hebel sind deutlich besser als die meisten anderen Schalthebel

Was gute Designer ausmacht, ist, dass sie das Gewohnte, Akzeptierte hinterfragen und so Verbesserungspotential erkennen. Die XTR Di2-Schaltung, die gerade dabei ist, die Mountainbikewelt zu verändern, ist ein hervorragendes Beispiel für eine solche Entwicklung, und ich spreche jetzt nicht nur von der Elektronik. Auch die Hebel sind eine willkommene Abwechslung von dem, was man so kennt. Sie sind kleiner und liegen näher am Lenker, so dass man nicht so weit greifen muss. Die Gummioberfläche bietet Grip, und der untere Hebel ist so gestaltet, dass man nicht abrutscht. Das sind vielleicht alles keine extrem spektakulären Fortschritte, aber sie tragen dazu bei, dass der Schaltvorgang unbewusst ablaufen kann.

Und wo wir gerade dabei sind, wieso brauchen wir eigentlich zwei Hebel zum Schalten? Weil das eben so ist, oder? Das gehört zu den produktivitätshemmendsten Dingen, die man als Designer denken oder sagen kann.

Thinking outside the "BOX"
Thinking outside the “BOX”

Box Components hat das gezeigt, in dem sie eine Schaltung mit nur einem Hebel auf den Markt brachten. Wenn man ihn nach vorne drückt, schaltet man nach oben, zum Lenker hin nach unten. Das ist so benutzerfreundlich, man vergisst ganz schnell, dass da ein zweiter Hebel ‚fehlt‘.

Wartung:

Usability and durability for the win!
Ein Hoch auf Usability und Belastbarkeit

Effizientes nutzerorientiertes Design muss ganz genau hinschauen, wie Nutzer Produkte verwenden – manchmal tun sie das auf eine Weise, die bei der Entwicklung überhaupt nicht beabsichtigt war, oder es wird sichtbar, dass es noch sehr viel Verbesserungspotential gibt. Zum Glück sind die meisten (alle?) Designer im Mountainbikebereich auch selbst Fahrer. Die Nutzung der Produkte beschränkt sich auch nicht auf die Zeit, die man damit auf dem Trail verbringt. Auch die Perspektive des Mechanikers muss mitbedacht werden, und zwar unabhängig davon, ob der Besitzer diese Aufgaben selbst übernimmt oder nicht. Selbst die besten Produkte fallen mal aus, und Reparatur und Wartung sollten im Designprozess berücksichtigt werden. Ein sehr gutes Beispiel ist die Vecnum MoveLoc Teleskopsattelstütze. Sie ist so designt, dass sie auch dann noch gewartet und bedient werden kann, wenn der Remote-Mechanismus versagt. So steckt man nicht auf einer Höhe fest, falls das Ding während eines Rennens den Geist aufgibt. Dafür gibt es von uns einen Gold Award!

When pushed, the pin near the main hinge takes tension off the chain.
Mit dem Knopf neben dem Hauptgelenk lässt sich die Spannung von der Kette nehmen.

Irgendjemand bei SRAM muss es satt gehabt haben, dass man drei Hände oder einen Kabelbinder brauchte, um das Schaltwerk oder die Kette zu wechseln. Der cage lock-Mechanismus ist eine verblüffend einfache Lösung für ein Problem, mit dem wir uns viel zu lange herumgeplagt haben. Auch ist er ein sehr gutes Beispiel für Design, das über Performancegewinn hinausgeht und auch Aspekte betrifft, die oft übersehen werden, obwohl sie essentiell für die Benutzerfreundlichkeit sind.

Simple sag Indicators have made it easier to set up our suspension.
Einfache SAG-Markierungen erleichtern das Einstellen der Federung erheblich.

Und warum sind eigentlich die Befestigungssysteme für Sattelstützen immer noch nicht besser?! Abgesehen vom I-Beam-System haben wir immer noch die Zwei-Bolzen-Lösungen, bei denen man nicht nur drei Hände, sondern auch die Präzision eines Neurochirurgen braucht, um einfach nur den Sattel zu wechseln..

Angesichts der technischen Fortschritte fällt es mitunter schwer, noch Verbesserungspotential zu sehen – die Mountainbiketechnik hat eine lange Entwicklung hinter sich und ist heute auf einem sehr beeindruckenden Niveau. Um die großartigen Bikes, die wir heutzutage fahren, noch weiter zu verbessern, müssen die Hersteller unsere Nutzungsgewohnheiten aus verschiedenen Blickwinkeln eingehend betrachten. Die Entwickler müssen den Kenntnisstand und die Werkzeugausstattung der durchschnittlichen Nutzer ebenso im Kopf behalten wie deren Zeitbudget. Das ultimative Ziel ist doch, dass wir einfach fahren können und uns über nichts anderes Gedanken machen müssen. Wenn wir es schaffen, dass Wartung, Einstellung und Gebrauch der Technik so einfach werden wie irgend möglich, dann könnte dieser Traum tatsächlich wahr werden.

Text: Tyler Malcomson Fotos: Various


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Über den Autor

Aaron Steinke

Aaron war der erste Mitarbeiter unseres Unternehmens, hat es tatkräftig mit aufgebaut und dabei den Auftritt und die Ausrichtung unserer Magazine maßgeblich mitgeprägt. Seit Mitte 2020 verfolgt er eigene Projekte, berät und unterstützt uns aber weiterhin bei Marketing- und Technik-Themen. Viele Jahre lang konnte man Aaron vor allem auf spaßorientierten Enduro-Rennen finden, in letzter Zeit auch vermehrt auf dem Rennrad – es lebe die Freiheit auf zwei Rädern!