Die Trans Savoie ist eines der härtesten Etappenrennen der Welt – 6 Tage lang geht es quer durch die Alpen, wo die Teilnehmer auf langen, technischen Stages durchgehend gefordert werden. Kerstin Kögler von der BMC Factory Trailcrew war auch dieses Jahr wieder am Start und schildert uns hier, wie es ihr erging.

Packen für die Trans Savoie – nicht einfach und auf 120 Liter Dufflebag beschränkt! Wie soll da alles reinpassen? Wo ist hier der Mädelsbonus? Also wird gequetscht und gedrückt bis alles drin ist und immer wieder taucht das Gefühl auf, etwas vergessen zu haben. Nachdem der Wetterbericht für die ersten beiden Renntage gelinde gesagt OBERMIES war, erhöhte sich die Regen-und Fleece-Bekleidungsmenge nochmals.

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Trans Savoie – eine Woche Abenteuer im schroffen Westalpenterrain! Das Rennen hat sich in den letzten beiden Jahren einen Ruf als technischstes Enduro Rennen der Welt erarbeitet. Mehr als 25.000 Tiefenmetern in 6 Tagen und pro Tag 5-6 gezeitete Stages fordern die Fahrer physisch und psychisch. Dabei geht es durch die Region Savoie – von Val d’Isere nach St. Gervais/Mont Blanc und in der Woche durchqueren wir unter anderem auch bekannte französische Skiorte wie: Les Arcs, Courchevel, Meribel, Tignes, Beaufort, Alberville oder Megeve. Die täglichen Ausblicke sind atemberaubend – gewaltige Gletscher drücken sich an den Bergflanken herab und der Mont Blanc thront weiß über allen anderen Bergen. Mich motivieren solche Ausblicke unglaublich und hier liegen auch meine Wurzeln – manchmal habe ich das Gefühl mehr „Berg als Biker“ zu sein und lange Zeit war ich mit dem Bike einfach nur soviel wie möglich in den Bergen unterwegs bevor der Schritt in den Rennsport folgte. Berge und Gletscher – das ist ein großes Stück Freiheit für mich.

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Etappenrennen heißt auch immer – man lernt viel über sich selbst. Man erreicht seine eigenen Grenzen ob physisch oder psychisch und muss mit sich auch in schwierigen und herausfordernden Situationen klarkommen. Ein kühler Kopf ist gefragt. In einer ganzen Rennwoche kann vieles passieren: Materialdefekte, falsches Abbiegen und Verfahren, Grenzen die einem der eigene Körper aufzeigt, Regen, Kälte, Wespenstiche oder eine Magen Darm-Grippe die durchs Camp zieht. Alle kämpfen gemeinsam – mit sich, für sich und der Spirit wächst mit jedem Tag. Gleichzeitig wächst auch der Stolz über bewältigte Tage, Spitzkehren, Stages … am schönsten ist es für mich immer die Erlebnisse mit den anderen teilen zu können, gemeinsam zu lachen und sich zu motivieren.

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Tag 1

Route: Val d’Isere, Tignes, St. Foy, Séez | Distanz: 48.5km
 | Gezeitete Höhenmeter bergab: 2.500 m
, 6 Stages

Tag 1 sollte uns auf die Woche einstimmen und zum Glück war die erste Abfahrt nicht allzu technisch oder grob. Die letzten beiden Wochen war ich als Fahrtechnikcoach/Guide/Ausbilderin bei der DIMB Trailscout Ausbildung in Aschau und dem BMC Ladies Bike Camp in der Lenzerheide. Jetzt hieß es wieder vom gemütlichen Tourentempo in den Rennmodus schalten – nicht immer leicht! Es war zwar kalt und regnerisch und eine Gewitterfront drohte – doch das Wetter entwickelte sich besser als es der Wetterbericht gemeldet hatte. Wir alle waren aufgeregt – wie wird die Woche, wo stehe ich, was erwartet uns? Ich beschloss von Anfang an nicht volles Risiko zu gehen, in einer Woche kann viel passieren und die Strecken sind allesamt unbekannt. Man weiß nie was nach der nächsten Kurve oder dem nächsten Stein kommt und es ist eine tägliche Gratwanderung zwischen Risiko, Mut oder Desaster.

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Tag 2

Route: Peisey-Vallandry, Les Arcs & Montchavin-Les Coches | Distanz: 49km | 
Gezeitete Höhenmeter bergab: 5.450 m(!), 
6 Stages

Dieser Tag zog vielen die Zähne. WOW! So grob hatte ich es nicht erwartet! Trails zum Teil wie Schmierseife, große Wurzeln und Steine – oder doch besser gesagt: Felsen! Dabei fühle ich mich normalerweise im schroffen Westalpenterrain wohl und freue mich auf jede Spitzkehre. Doch viele waren heute unfahrbar und sogar das Laufen war auf den glitschigen Steinen eine Herausforderung. Wir alle kämpften an diesem Tag und die Bikes wurden stark beansprucht. Für den Shimano Race Support gab es alle Hände voll zu tun! Auf der letzten Stage des Tages zog zudem eine Wolkenfront herein und einige der späteren Teilnehmer konnten kaum die Markierungen sehen. Ich selbst bin an diesem Tag auch falsch abgebogen was mich letztendlich ca. 3 Minuten gekostet hat. Don’t get lost! Pitschnass rollte ich kaputt ins Zeltlager – und pitschnass blieben auch die Klamotten trotz Trocknungsraum. Zum Glück habe ich einen warmen Schlafsack und eingemümmelt mit Mütze und Fleecepulli schlummerte ich tief und fest trotz Regen und Kälte.

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Tag 3

Route: La Plagne – Champagny – Bozel | Distanz: 35 km
 | Gezeitete Höhenmeter bergab: 3.150 m, 
6 Stages

„Backcountrytag“. Endlich hörte der Regen auf und Sonnenschein begrüßte uns am Morgen. WOW – der Mont Blanc! Oh wie liebe ich diese Aussicht! Die erste Stage war mit guten 1.500 Höhenmetern und einem nett umschriebenen „Boulderfield“ gleich ein echter Aufwachhammer. Doch ich hatte ein gutes Gefühl auf dem Bike, kam flüssig durch die Steinpassagen im oberen Teil, powerte durch die kurzen Gegenanstiege und nahm im unteren kurvigen und spitzkehrigen Teil viel Schwung aus jeder Kurve mit. Blitzsauberer Lauf – AJUHU und Bestzeit bei den Damen. Je mehr Kehren, desto wohler für mich – nichts mag ich weniger als enge, schnelle und gerade Stages auf denen man einfach nur die Bremsen offen lassen muss. Das ist immer ein bisschen wie Engelchen und Teufelchen im Kopf und manchmal heißt es 1:0 fürs Engelchen. Auch die anderen Stages des Tags verliefen kehrig und kurvig und wir drei Ladies lagen innerhalb weniger Sekunden im Tagesranking. Insgesamt lag ich seit Tag 1 auf Rang 2 und setzte alles daran diesen Platz zu verteidigen.

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Tag 4

Route: Bozel – Meribel | Distanz: 56 km | 
Gezeitete Höhenmeter bergab: 4.830 m, 
6 Stages

Schwierigkeit 6+ von 6 möglichen hieß es am Start der ersten Stage. Fahren – abspringen – tragen – aufspringen – fahren … es reicht! Ich renne jetzt einfach durch bevor ich zuviel Zeit verliere. Grob! Felsabsätze, Spitzkehren und immer wieder Felsen die untertrieben gesagt so unrythmisch im Weg liegen, dass sie meinem Schaltwerk gefährlich nahe kommen. Im unteren Teil wird es gut fahrbar. Doch alle Stages sind heute sehr schnell und mein Brems-Engelchen ist heute dominanter als mein Speed-Teufelchen. Stage 3 entwickelte sich zur Cross Country Stage – haha, damit kenne ich mich als ehemalige XC- und Marathonfahrerin aus! Flach, tretlastig und ein langer steiler Gegenanstieg ließen mich ins Pulswochenmaximum kurbeln. Die Tage sind lang und wir kommen oft sehr spät ins Camp zurück. Duschen – Räderpflege – Essen, für mich reicht es oft nicht vor 9 Uhr zum Abendessen. Meine „Heidi“ kämpft sich tapfer durch die Tage – ich möchte in dieser Woche kein Bike sein! Ich habe noch nie ein Rennen gesehen, das derart aufs Material geht. Gewissenhaft ziehe ich jeden Abend sämtliche Schrauben nach und checke ausführlichst Laufräder, Reifen und Bremsen.

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Tag 5

Route: Beaufort, Beaufort-Arêches | Distanz: 44.3km |
 Gezeitete Höhenmeter bergab: 3.560m
, 6 Stages

I lost my brain! Die Tage machen sich bemerkbar und heute habe ich das Gefühl ferngesteuert zu sein, mental und physisch platt. Sogar mein Trikot trug ich bis zur ersten Stage verkehrt herum und musste erst von den Pearl Izumi Jungs darauf aufmerksam gemacht werden. Konzentration und Motivation, wo seid ihr? Heute war Kämpfen angesagt, und die Zeit war reif für einen Cafe au lait in der Mittagspause um den Tag mit 1.700 Höhenmeter uphill zu überstehen. Die Trails waren bunt gemixt mit Downhilltrack, Bikeparkstyle und wieder technischen Naturtrails und herausfordernden Spitzkehren. Wie war das nochmal mit der Kurventechnik? Passender weise stolperte ich noch auf den rutschigen Steinen als ich mein Rad kurz schob und landete 1,5 Meter tiefer unterhalb des Trails. Nix passiert, aber eine gute Veranschaulichung meiner Koordination an Tag 5.

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Tag 6

Route: Les Contamines Mont Blanc, St Gervais | Distanz: 52.5km
 | Gezeitete Höhenmeter bergab: 2.350m, 
4 Stages

Vielen Fahrern war heute die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben einige kämpften zudem mit Magenproblemen, eine Magen Darm-Grippe zog seit Wochenstart durchs Camp. Der Mont Blanc war heute zum „greifen nah“! Ich selbst fühlte mich wieder viel besser als noch am Vortag – meine Koordination, Konzentration und Power war zurück! 1.400 Höhenmeter waren heute auf den Liaisons zu kurbeln und nach Stage 1 im Bikepark folgte eine lange Liaison die Zeit für Gedanken ließ. Was für eine Woche und heute schon Tag 6! Es verging wie im Flug!

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Von St. Gervais ging es klassisch mit der alten Tramway du Mont Blanc hinauf auf 2.000 Meter. Mehr als 45 Minuten dauerte die Fahrt – vollgestopft waren wir 130 Fahrer im Abteil, das sehr schnell einen eigenen Duft von einer Woche Trail und Schweiß hatte. Fenster auf! Was für ein Panorama um die letze Stage zu starten – 900 Höhenmeter und 10 Kilometer. Ein Knaller zum Abschluss. Und genauso knallte es auch im oberen Teil der Stage bei mir und eine Wurzel sorgte für weniger Luft in meinem Hinterreifen. Ohhh nein! Aber Anhalten gilt nicht – also surfte ich mit schwammigen Hinterrrad ins Ziel. Ob es gereicht hat? Ich hatte gute 4 Minuten Vorsprung um meinen Platz 2 zu halten. Und es hielt! YEEHAAAA Die Anspannung viel bei uns allen ab, was für eine Woche, was für ein Abenteuer, was für eine Herausforderung und was für ein Panorama!

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CHEERS! Und Glückwunsch an meinen Teamkollegen François Bailly-Maître für den 2. Platz bei den Herren!

Ergebnisse:

Men:

1. Nico Lau – 4:24:23
2. François Billy-Maître – 4:26:53
3. Jamie Nicoll – 4:30:59

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Women:

1. Meggie Bichard – 5:36:06
2. Kerstin Kögler – 5:55:26
3. Monika Büchi – 5:58:49

Trans-Savoie 2015 women's podium - winner Meggie Bichard was getting her champagne technique dialed.

Text: Kerstin Kögler Bilder: Kerstin Kögler, Trans Savoie PR


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