Donnerstag, später Nachmittag. Feierabend. Ich klappe den Laptop zu. Noch ein kurzer privater Termin am Abend, das Auto fertig beladen, früh ins Bett und noch früher am nächsten Morgen Richtung Sölden im Ötztal aufbrechen.

Die Teilnahme an der Schnitzeljagd im Rahmen des diesjährigen Openings der Bike Republic Sölden steht an. Ein Enduro-Event, das wie ein Rennen angegangen werden kann, aber nicht muss. Der Clou ist, dass es keine vorgegebene Streckenführung gibt. Wie bei der Schnitzeljagd, die man aus Kindertagen kennt, muss man den Weg selbst finden. Dabei hilft ein Schnitzelpass, den man kurz vor dem Start ausgehändigt bekommt. Dieser weist auf einer groben Übersichtskarte des Gebiets vier Missionsstationen und fünf Checkpoints aus. Letztere können durch einfaches Abstempeln (aufpassen, nicht vorbei rasen!) erledigt werden, an den Stationen müssen hingegen witzige bis anstrengende Aufgaben erfüllt werden.

Der Missionspass muss komplett abgestempelt sein, sonst fällt man aus der Wertung.

Wer als erster im Ziel mit dem komplettierten Schnitzelpass ankommt, hat gewonnen. So weit, so einfach. Doch der Teufel liegt im Detail, sprich in der Routenplanung. Die bleibt den Teilnehmern und Teilnehmerinnen selbst überlassen. Die letzte halbe Stunde vor dem Start verbringt man also damit, je nach Gusto die schnellste, spaßigste oder Trail-lastigste Route auszuknobeln. Dabei darf auch auf drei Lifte zurückgegriffen werden, um sich kraftraubende Höhenmeter, nicht unbedingt aber Zeit zu sparen.

Das Setting ist mir angesichts der bereits neunten Teilnahme also bekannt, das Hotelzimmer im Bäckelar Wirt gebucht, alles ist im Plan.
Piep-piep. Eine WhatsApp-Nachricht reißt mich aus der eigentlich entspannten Abendgestaltung. Es ist Mitstreiter Aaron mit einer Hiobsbotschaft. Er verbringt unfreiwillig mehr Zeit in der „Keramikabteilung“ als ihm lieb ist und sagt seine Teilnahme ab. Das stellt mich erstmal vor Probleme, denn eine weitere Besonderheit der Schnitzeljagd ist, dass man diese als Zweier- oder Dreier-Team bestreiten muss. Und eine Einzelperson ist nun einmal kein Team.

Wo bekomme ich in der Kürze einen Teampartner oder eine Teampartnerin her? Hier muss auch vorsichtig abgewogen werden, sollen doch schon Freundschaften und gar Beziehungen buchstäblich auf der Strecke geblieben sein, wenn Erwartungshaltungen und/oder Fähigkeiten auseinanderklafften.

Nach einigen Absagen bleibt die Hoffnung, bis zum nächsten Abend Lisa zu überreden, die eigentlich zum Opening mit Freunden verabredet ist. Die zeigen sich aber verständnisvoll und sprechen ihr Mut für ihre erste Teilnahme zu. Das, und ein bisschen Flunkerei, das Rennen total entspannt anzugehen, bewegt sie zur Zusage. Insgeheim weiß ich auch um ihren Ehrgeiz und sowohl das Level bergab wie bergauf sollte bei uns beiden zusammenpassen.

Beste Voraussetzungen also, als wir Samstagvormittag mit etwa 220 anderen Teams an der Bergstation der Gaislachkogel-Bahn stehen und den Schnitzelpass ausgehändigt bekommen. Begleitet von guten Tipps seitens Holger Meyer vom Veranstalter „Die Rasenmäher“ bin ich mir meiner Verantwortung der langjährigen Erfahrung bewusst, übernehme die Routenplanung und lasse ganz selbstlos den fundierten Input der studierten Geographin mit einfließen.

Ganz wichtig: auf dem Weg zur Gondel eine gute Figur machen!
Team Enduro Mag beim obligatorischen Selfie vor dem Start.
Wo sind die Checkpoints? Was ist die Beste Route? Hier wird noch gegrübelt.
Eine gute Positionierung des Bikes für den Start ist hilfreich, wenn man sich in der ersten Abfahrt etwas weiter nach vorne orientieren will.
Veranstalter Holger Meyer mit guten Tipps…
…und gekonntem Product Placement für Sponsor Bitburger.
Traumhafte Kulisse und perfektes Wetter für den Massenstart, ein paar Minuten später geht es hier dicht gedrängt zur Sache.
Auch das ist die Schnitzeljagd: entspannte Atmosphäre mit neuen Freunden und alten Bekannten.

Minuten später dann der Startschuss. Angesichts einer Zahl von fast fünfhundert Fahrern und Fahrerinnen lässt sich der aus den vergangenen Jahren bekannte LeMans-Massenstart nicht mehr realisieren. Und so zwängt sich die Masse durch den Torbogen auf die Schotterpiste Richtung Mittelstation. Hier trennt sich bereits die Spreu vom Weizen. Während manche es ruhig angehen lassen, kann es von Vorteil sein, die Bremsen ein bisschen offen zu lassen und zu versuchen, vorne mitzufahren, um ungewollte Bremsmanöver oder Kollisionen sowie Staub zu vermeiden. „Häng Dich einfach an mich dran, dann passt das schon!“ hatte ich Lisa vor dem Start noch mitgegeben. Das klappt auch die ersten wenigen Kehren gut, bis sie etwas Tempo rausnimmt, da bereits einige aufgrund von Bremsversagen, überhöhter Kurvengeschwindigkeit oder Entkräftung rechts und links vom Weg abkommen. So kann ich auch etwas Risikominimierung betreiben, die Jagd ist noch lang und muss ja nicht unbedingt auf den ersten Metern bereits beendet sein.

Der Start ist erfolgt…
…und knapp fünfhundert Biker schießen auf die erste Kurve zu.

Neunhundert Tiefenmeter später stehen wir, immer noch gut platziert, an der Mittelstation. Lisa will wegen brennender Oberschenkel und verlorenem Druckpunkt an der Hinterradbremse erstmal nicht weiter bergab fahren. Und auch ich bin insgeheim froh, nicht gleich bergabwärts weitere Kräfte zu lassen. Doch richtig Verschnaufen ist eh nicht drin, es geht nach einem anstrengenden Transfer über Bärtigs Bödele und die Gletscherstraße hoch zur ersten Missionsstation.

An der Missionsstation von Continental hieß es für den eine „blasen“, für den anderen „spritzen“. Der anzügliche Wortwitz lässt uns nur kurz schmunzeln.

Nach einer kurzen Abfahrt erreichen wir die Langeggbahn. Der Sessellift, der dieses Jahr zum ersten Mal Biker transportiert, bringt uns zum Einstieg der neuen Ollweite Line.

Der neu eröffnete Sessellift wartet mit modernsten Tagesystemen für vier Räder auf.
Ein erstes Mal durchschnaufen…
…während man die Aussicht auf den Gletscher genießen oder die bevorstehende Abfahrt schon einmal in Augenschein nehmen kann.
An der Leatherman Station warten scharfe Messer auf die Jäger und Jägerinnen…
…die sich damit eine kleine Jausn zubereiten mussten.

Der mit sieben Kilo- und siebenhundert Tiefenmetern längste Trail des Gebiets ist konditionell eine Herausforderung. Da ist es auch nicht hilfreich, auf den ersten der zahlreichen in den Berg gefrästen Anliegerkurven noch die Reste der trockenen Semmel im Mund zu haben, die auch mit viel Wasser einfach nicht die Speiseröhre runterrutschen wollen. Der Checkpoint in der Mitte des Trails bietet eine willkommene Möglichkeit, die Hände auszuschütteln, doch ich mahne vorsichtig zur Beibehaltung unseres Tempos. Das ist aber leichter gesagt als getan, vor allem, wenn die Kette am Fahrrad der Mitstreiterin nicht mehr da ist, wo sie eigentlich hingehört und erstmal entknotet werden muss.

Die neue Ollweite Line…
…lockt mit zahllosen Anliegern…
…und einigen Steinpassagen.

Am Ende der Murmelbahn angekommen geht es nach einem weiteren Transfer auf den ersten eher naturbelassenen Trail des Tages, was uns eigentlich besser gefällt. Und während wir so dahin rumpeln, höre ich ein „Stopp!“ von hinten. Braucht meine Teampartnerin vielleicht eine Pause? Das vielleicht auch, aber vor allem wedelt sie mit irgendetwas rotem in ihrer Hand herum. Es handelt sich dabei um ihr linkes Klickpedal, das sich aufgrund eines gebrochenen Gewindes von der Achse gelöst hat. Ohne Rücksicht auf Verluste trete ich den Pedalkörper wieder dahin zurück wo er hingehört. Jetzt dreht sich das Ding nur noch widerwillig, aber mir doch egal. In Gedanken sehe ich uns schon einen unfreiwilligen Boxenstopp im Tal einlegen, daher treibe ich weiter an. In Lisas Gesicht kann ich noch keinen Missmut erkennen und schließe folgerichtig, dass sie trotz ramponiertem Antrieb motiviert mitziehen will.

Angekommen an der Leiterbergalm und damit der nächsten Missionsstation übernehme ich dann pflichtbewusst die Aufgabe. Trackstand ist gefordert, zehn Sekunden muss man durchhalten. Die Aussicht einen Helm zu gewinnen, wenn man länger als alle anderen durchhält, passt nicht in unser Konzept. Vermutlich hätte auch das Skillset nicht ganz ausgereicht, denn wie wir bei der Siegerehrung erfahren, hat sich den Preis jemand redlich verdient. Ganze 45 Minuten Trackstand hat er in der prallen Sonne durchgehalten. Wahnsinn. Wie viele Weißbier sich seine beiden Teamkameraden während des Wartens eingeflößt haben, ist nicht überliefert.

Mindestens zehn Sekunden im Trackstand waren an der Endura Station gefordert.

Nach dem nächsten abgehakten Checkpoint und einem weiteren Kettenverlust entscheidet sich Lisa, dass ein funktionierendes Pedal doch gar nicht so wichtig ist, schon gar nicht für den unvermeidlichen Gegenanstieg. Leicht skeptisch, aber froh um die eingesparte Zeit, die wir für einen Pedalwechsel benötigt hätten, machen wir uns auf den Weg hoch zur Stallwiesalm. Gut fünfhundert Höhenmeter in praller Mittagssonne. Irgendwann rette ich mich nur noch von einem mickrigen Baumschatten zum nächsten, während Lisa nach vorne aus meinem Blickfeld entschwindet. Ich schiebe es auf die Hitze, die ich nicht vertrage, oder den Heuschnupfen, der mich plagt, aber vermutlich werde ich im Leben einfach kein guter Bergauffahrer mehr. Während in anderen Teams schon Worte wie „Dann fahr doch alleine weiter!“ fallen hat meine Teampartnerin ein Herz und wartet auf mich.

Die ein oder andere hatte scheinbar sogar Spaß im Gegenanstieg.

Ich zeige mich erkenntlich, indem ich krampfgefährdet die folgende Aufgabe übernehme und mit einem Kinderrad einen Parcours samt Wippe und Sprung abfahre. „Send it!“ ertönt es vom Scott-Stand, wo die Missionswächter ein Weißbier genießen. Ich gebe mein Bestes und versuche mich zumindest irgendwie auf dem viel zu kleinen Rad zu halten.

Prost! Entspannte Stimmung an der Scott Station.
Mehr oder weniger fahrend musste auf einem 12-Zoll-Kinderrad…
…ein Hindernisparcours absolviert werden.

Kurze Atempause, aber die nächste Abfahrt wartet schon. Ich höre immer noch keine Klagen, und so lasse ich es ohne große Pausen gen Tal laufen. Das rächt sich nach dem dritten Checkpoint beinahe, Lisa mag die Natur und umarmt daher beinahe einen Baum. Wir beschließen, etwas Gas rauszunehmen, und ich bin auch froh, dass wir uns die Kraft für den Rest einteilen. Die langen Abfahrten am Stück kosten Körner. Und außerdem bleiben so Frieden und Spaß im Team erhalten.

Den Part des Mechanikers hat Lisa inzwischen auch selbst übernommen, routiniert klopft sie immer wieder mit Steinen ihr Pedal fest.
Zwei Checkpoints warten noch. Um beide abzugrasen reicht eine letzte Gondelfahrt, auf der nochmal durchgeschnauft wird. Nachdem wir die Teäre Line hinter uns gebracht haben, gibt es kein Halten mehr. Zumindest nicht für Lisas Pedal. Ich frage besser nicht nach, wie es sich eigentlich anfühlt, wenn sich während der Fahrt jederzeit das Pedal samt Fuß von der Kurbel verabschieden könnte und kann der Aussage „Vielleicht sollte ich nicht mehr springen!?“ nur beipflichten.

Ein letztes, kräftezehrendes Stück bergauf, dann stehen wir vor dem letzten Checkpoint auf der Ohhn Line. Einklicken ist nun gar nicht mehr möglich, der Teil, in den die Cleats schnappen, hat einfach überhaupt keine Lust mehr, sich weiterzudrehen. Ist ihr doch egal, sie prescht davon.
Auf dem letzten Weg noch ein paar Kühe zur Seite gescheucht. Das erinnert mich doch an was? Richtig, wie ein Kuhschwanz wackelt auch das Schaltwerk am Fahrrad meiner Teampartnerin, die vor mir fährt. „So richtig Spannung ist da aber auch nicht mehr auf der Kette…“ denke ich nur und spare mir die Worte lieber für später im Zielbereich.

Dieser ist dann auch nach einer letzten Runde auf dem Pumptrack erreicht.

Die schnellsten Schnitzeljäger klatschen nach weniger als drei Stunden im Ziel ab. Leiwand!
Umgehende Rehydration.

Ok, so total entspannt war es am Ende dann wohl doch nicht… Als mir Holger im Ziel das Mikro vors Gesicht hält, bringe ich glaube nix wirklich sinnvolles mehr raus. Während unsere Transponder abgezwickt werden kommt Freude auf, als wir unsere Platzierung hören. Zwölfter Gesamtrang und mit einer guten Bierlänge Vorsprung das schnellste Mixed Team.

Als Pressevertreter kommt man damit zwar nicht aufs Podium, aber das kann die gute Laune über unsere Leistung und die immer noch herrschende Teamharmonie nicht schmälern. Bevor der Abend mit Live-Musik und der SRAM-Jam ausklingt, gibt es das obligatorische Schnitzelessen (an der vegetarischen Alternative kann man noch ein bisserl feilen) und die Siegerehrung.

Highlight und weitere Besonderheit: Preise gibt es nicht nur für die schnellsten Teams. Das Team, das am nächsten an der gemittelten Zeit der Teilnehmer liegt, gewinnt das goldene Riesenschnitzel. Zudem können sich etliche Teilnehmer und Teilnehmerinnen über Sachpreise der Sponsoren freuen, die nach Startnummern verlost werden.

Das Podium in der Damen-Wertung mit den Siegerinnen Joana Walter und Stephanie Schwabenbauer.
In der Mixed-Klasse standen Franziska Weihing und Tobias Pflumm ganz oben auf dem Treppchen.
Bei den Männern war kein Kraut gegen die Fabelzeit von Andi Nitsche und Christoph Benkert gewachsen.
Presse- und Industrie-Vertreter und -Vertreterinnen hatten mit der „Holzklasse“ eine eigene Wertung, die Andi Lipp und Berny Stoll für sich entschieden.
Die Gewinner des goldenen Riesenschnitzels.
Heimlicher Held der Veranstaltung: Der 45-Minuten-Trackstand-Mann. Da staunt selbst der bekannte Bikebergsteiger Harald Philipp nicht schlecht.

Das offizielle Video der Veranstaltung

Wer jetzt Blut geleckt hat: Es gibt noch zwei weitere Veranstaltungen dieses Jahr, die die kulinarische Trilogie vervollständigen. Zum einen die Hörnlijagd in Arosa vom 10. bis 12. August 2018 und die Knödeljagd im Grödnertal vom 07. bis 09. September 2018.

Weitere Informationen, Bilder und Ergebnislisten finden sich auf der offiziellen Schnitzeljagd Website

P.S.: Was kostet eigentlich eine Fahrradmechanikerstunde? Ich frage für einen Freund…

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Text: Daniel 'Curtis' Zeising Fotos: Christoph Bayer