Einer gegen Alle – Ist das Enduro Meister aller Klassen?

„Dieses Rad klettert wie ein XC-Bike und performt in der Abfahrt wie eine Downhill-Maschine!“ Marketing-Versprechen wie dieses findet man wie Sand am Meer. Mit professionellen Testfahrern und rennerprobter Zeitmessung sind wir dieser Verheißung auf den Grund gegangen und wollten wissen: Wie vielseitig sind Endurobikes wirklich? Dafür haben wir zum knallharten Vergleich gebeten, bei dem es hieß: EINER GEGEN ALLE!

Als Arbeitsgerät des Canyon Factory Enduro Teams hat es auf den härtesten Rennstrecken der Welt bereits sein Abfahrtspotenzial bewiesen und ist dank der Shape Shifter-Technologie außerdem extrem vielseitig. Auf Knopfdruck können nicht nur der Federweg und die Kennlinie des Hinterbaus verändert, sondern auch die gesamte Geometrie des Bikes verstellt werden – Variabilität at its best. Aber genügt das, um gegen ein schnelles XC-Geschoss, ein verspieltes Bikepark-Bike oder einen Downhill-Boliden zu bestehen?

Die Herausforderer

In insgesamt vier Kategorien musste sich das Strive CF beweisen: Cross Country, Trail, Freeride und Downhill. Und für jeden Einsatzzweck haben wir einen wahren Meister seines Fachs zum Vergleich gebeten. Das BMC Fourstroke FS01, das innovative Yeti SB5C, das brandneue Specialized S-Works Demo sowie die Neuauflage des legendären Freeriders SCOTT Voltage FR – diese Bikes gehören zur Speerspitze ihrer Klasse und sind damit die perfekte Benchmark für den direkten Vergleich.

Die Gegner

Die Teststrecken

Beweisen musste sich das Canyon jeweils auf einer für den Einsatzbereich seiner Gegner angemessenen Strecke. Die perfekten Bedingungen fanden wir in Finale Ligure. Das Bike-Mekka direkt am Mittelmeer verfügt mit dem berühmten Racetrack des 24h-Rennens nicht nur über eine geeignete XC-Strecke, sondern mit dem Varigotti Downhill auch über eine extrem harte Abfahrt, auf der bereits Gee Atherton im Bikefilm-Klassiker New World Disorder 10 seine eigenen Grenzen und die Limits des Materials ausgelotet hat. Aber auch flowige Trails für den Vergleich mit einem Trailbike oder große Sprünge – das Haupteinsatzgebiet des Freeriders – findet man hier wie den sprichwörtlichen Sand am Meer.

Die Testkriterien

Neben den subjektiven Eindrücken unseres versierten Testfahrers zum Fahrverhalten der fünf Bikes zählte vor allem eines: knallharte Fakten! Wir wollten wissen, ob und wie viel ein XC- oder Downhill-Bike in seiner Paradedisziplin wirklich schneller ist und haben deshalb für den Test die Zeitnahmeprofis von SPORTident mit ins Boot geholt. Mit einem Zeitnahmesystem, wie es auch bei etlichen Enduro World Series-Rennen Anwendung findet, haben wir nicht nur die Gesamtzeit, sondern auch mehrere Zwischenzeiten auf den Strecken ermittelt, um genau zu sehen, wo welches Rad über Stärken und Schwächen verfügt. Zusätzlich waren für uns der Fahrspaß und die Fahrsicherheit entscheidende Kriterien, die wir jeweils direkt nach der Fahrt diskutiert und festgehalten haben.

Enduro vs. XC – Canyon Strive CF vs. BMC Fourstroke FS

Im Cross Country zählt nur eins: die Zeit! Beim Kampf um Podestplätze sind häufig hundertstel Sekunden entscheidend. Durch das effiziente Fahrwerk, sein geringes Gesamtgewicht und die auf Vortrieb optimierte Geometrie ist das BMC Fourstroke FS hier nicht zu schlagen. Mit insgesamt 27 s Vorsprung ließ es das Canyon Strive CF auf dem Testtrack hinter sich. Eines ist jedoch klar: Diesen Vorsprung erkauft man sich durch massive Einbußen im Bereich Komfort und Fahrsicherheit. Im Uphill eine Macht (17 s schneller), verliert man durch die gestreckte Sitzposition und die starre Sattelstütze in der Abfahrt wieder Zeit (5 Sekunden langsamer). Dennoch gilt: Wer XC-Rennen gewinnen und KOMs lieber in den Auf- als in den Abfahrten sammelt, geht besser mit einem leichten XC-Bike an den Start. Am Ende der Runde war das XC-Bike mit einer Fahrzeit von 9,45 min ganze 27 s schneller als das Enduro.

Enduro vs. Trail – Canyon Strive CF vs. Yeti SB5C

Diesen Vergleich haben wir auf mehreren unterschiedlichen Trails ausgefochten. Neben der schnellen XC-Strecke haben sich das Canyon Strive CF und das Yeti SB5C auch auf natürlichen und perfekt geshapten Trails duelliert. Das Yeti SB5C punktet dabei vor allem durch seine Spritzigkeit und die im Vergleich zum Enduro höhere Agilität. Wer gern an jeder kleinen Kante abspringt und Wert auf ein sehr direktes, nahezu schon verspieltes Handling legt, greift also besser zum Trailbike. Auf dem 24h-Loop bildet es den perfekten Kompromiss zwischen dem pfeilschnellen XC-Bike und dem behäbigeren Enduro. Auf ruppigen Downhills fehlt es aufgrund der leichteren Komponenten und des kürzeren Federwegs aber an Sicherheit. Wer hier Vollgas gibt, benötigt eine saubere Linienwahl und viel Kontrolle, sonst drohen Defekte und/oder Stürze.

Enduro vs. Freeride – Canyon Strive CF vs. SCOTT Voltage FR

Das neue SCOTT Voltage FR gehört zu einer schon fast tot geglaubten Spezies von Bikes: die Rede ist von Freerider-Rädern mit massig Federweg für den Bikepark-Einsatz. Dank des satten Stahlfeder-Fahrwerks, der flachen und zugleich verspielten Geometrie und der robusten Parts ist das Rad nicht nur nahezu unzerstörbar, es vermittelt auch sehr viel Sicherheit. Speziell bei großen Sprüngen, bei hohen Geschwindigkeiten und in harten Downhill-Sektionen ist man verglichen zum deutlich leichteren Enduro sicherer unterwegs. Das Bike bügelt Unebenheiten und kleinere Fahrfehler einfach weg und liegt deutlich stabiler in der Luft als das Strive CF. Wer bereits „Go Big or Go Home“ auf den Unterarm tätowiert hat und jedes Wochenende im Bikepark abhängt, greift am besten zum Voltage.

Enduro vs. Downhill – Canyon Strive CF vs. Specialized S-Works Demo

Das Specialized S-Works Demo ist aktuell eines der interessantesten und technisch aufwendigsten Downhillbikes auf dem Markt. Auf unserer extrem steinigen und losen Strecke ließ es das Enduro mit satten 10 s Vorsprung (Gesamtfahrzeit: 55 s) hinter sich. Mit der flachen Geometrie und dem potenten Fahrwerk bügelt man alles platt. Ist mit dem Strive CF die Linienwahl noch entscheidend, um die Strecke überhaupt mit Fahrfluss zu bewältigen, muss man beim Demo nur den Lenker fest umschließen und dann Vollgas geben. Neben der deutlich schnelleren Zeit ist auch die enorme Sicherheit, die ein Downhillbike in steilem und verblocktem Gelände vermittelt, erstaunlich.

The underdog – Enduro vs. Alutech Fat Fanes 1.0

Ständig präsentiert die Bikeindustrie neue Entwicklungen. Sorgten vor wenigen Jahren noch 29er für Aufsehen, waren es auf der letztjährigen Eurobike potente Fatbike-Fullys. Aus diesem Grund haben wir als zusätzlichen Konkurrenten des Strive CF das Alutech Fat Fanes auf den beiden gezeiteten Testtracks antreten lassen. Und das Ergebnis überrascht! Zwar war das Bike im Uphill wie erwartet mit 47 s Rückstand (4,13 min Canyon/5,00 min Fatbike) deutlich langsamer als die Konkurrenz, überzeugte aber speziell auf der losen und steilen Downhillstrecke mit einem enormen Maß an Traktion, wodurch es dem Bike gelang, im ersten Zwischenabschnitt das Enduro eine Sekunde hinter sich zu lassen. Das Maß an Traktion und Kontrolle ist erstaunlich und bietet eine gehörige Portion Sicherheit. Dieses Resultat ist in Anbetracht der neuen Plus-Reifengrößen extrem spannend, da diese den perfekten Kompromiss aus Fatbike-Traktion und geringem Rollwiderstand versprechen.

Fazit:

Zugegeben – es ist wenig überraschend, dass sämtliche Gegner des Canyon Strive CF dem Rad in ihrem eigenen Einsatzgebiet überlegen sind. Dennoch zeigt dieser Test eindrucksvoll, wie vielseitig moderne Endurobikes auch ohne Anpassungen der Austattung sind, da sich auch mit dem Enduro jede der Teststrecken problemlos meistern ließ. Man wird mit ihnen vermutlich weder ein XC- noch ein reguläres Downhillrennen gewinnen, doch der Spaßfaktor und die Vielseitigkeit begeistern. In Zukunft werden innovative Neuerungen wie beispielsweise Plus-Laufradgrößen den Einsatzbereich der Räder noch weiter vergrößern und so den Fahrspaß und die Fahrsicherheit auf das nächste Level heben.

Text & Bilder: Christoph Bayer

Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als ENDURO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die Mountainbike-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!