Laut ihrem Twitter-Account strebt sie die Weltherrschaft an – und wir trauen ihr das voll ganz und zu! Katy Winton hat mit Anfang 20 schon Erstaunliches geschafft: Sie hat einen Profivertrag in der Tasche, liegt weltweit auf Rang 6, smasht ein Rennen nach dem anderen. Und ist trotz all dem auf dem Boden geblieben. Wie schafft sie das?

Heute habe ich was Neues gelernt: die höfliche Art, ein Pferd zu begrüßen, ist, ihm auf die Nase zu pusten. Ich bin sicher kein Pferdeflüsterer, aber ich hätte gedacht, das sei ein todsicherer Weg, einen Huf ins Gesicht zu kriegen. Doch meine Begleitung dort auf dem matschigen Feld in den Scottish Borders war niemand Geringeres als die Trek Factory-Teamfahrerin Katy Winton, und wenn sie über Pferde so viel weiß wie übers Racing, dann war ich wohl in guten Händen.

Ich weiß noch, wie ich Katy kennenlernte. Es war das erste EWS-Rennen überhaupt, 2014 in Punta Ala. Auf dem Weg vom Flughafen sprudelte die damals 19-jährige Katy fast schon über vor Aufregung, sie feuerte Fragen ab wie ein Maschinengewehr, das Auto füllte sich mit aufgedrehtem Geplapper. Während die Crew vorsichtig die ersten EWS-Stages aller Zeiten austestete, fuhr Katy drauflos wie eine Besessene, raste von Sturz zu Sturz auf wilden sketchy Lines. Wir machten uns solche Sorgen, dass wir uns gezwungen sahen, zu intervenieren und auf sie einzureden: „Easy, Katy, mach mal langsam!“

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Sie ließ es dann zwar tatsächlich etwas langsamer angehen, doch die wilde Entschlossenheit in ihrem Blick ließ sich nicht verbergen – eines Tages würde sie Profifahrerin sein.

Nur drei Saisons später könnte sich die gelassene, fokussierte Frau, die mir in diesem lauten Café gegenübersitzt, kaum mehr von dem aufgedrehten Mädchen damals unterscheiden. Der jugendliche Enthusiasmus und die Leidenschaft sind noch da, doch mittlerweile hat Katy gelernt, diese Eigenschaften zu kontrollieren und gezielt einzusetzen. Sie ist gerade mal 23 und hat schon so viel Racing-Erfahrung gesammelt, wie viele im ganzen Leben nicht erreichen – und das an unterschiedlichsten Orten rund um den Globus Nun fährt sie für eines der wichtigsten Teams in diesem Sport. Nach der EWS-Saison 2016 liegt Katy auf Rang 6 weltweit, und sie geht stärker denn je in die Saison 2017.

Aufgewachsen ist sie in einer bikeverrückten Familie im bikeverrückten Tweed Valley. Da war es quasi unvermeidlich, dass Katy eines Tages wahnsinnig schnell auf dem Bike werden würde.

Katy ist bemerkenswert bescheiden, wenn es um ihre Erfolge geht, doch sie hat auch das Selbstvertrauen, das mit der Erfahrung kommt. Sie hat den Racing-Lifestyle nicht irgendwann übernommen, sie ist damit aufgewachsen. Lange bevor die EWS Enduro zu „dem Ding“ machte, fuhr sie schon auf höchstem Niveau mit. Sie startete bei der Junior-XC-Welt- und Europameisterschaft, erreichte zwei Titel bei den britischen XC-Meisterschaften und gewann innerhalb eines Jahres je eine Silbermedaille bei der schottischen Rennrad-Meisterschaft und der schottischen Downhill-Meisterschaft. Aber trotz ihres Erfolges in diesen unterschiedlichen Disziplinen war es das Enduro-Racing, das ihr Herz erobern sollte.

Angesichts der Weltklasse-Trails vor ihrer Haustür ist es wohl kein Wunder, dass Katy sich vom Endurosport angezogen fühlte.

Sie selbst erzählt es so: „Ich zog mit 13 ins Tweed Valley, und dass ich hier eine solche Bandbreite an Trails und eine so wunderbare Gruppe talentierter Fahrer um mich hatte, änderte alles.“ Selbst die Geographie trug zu ihrer Motivation bei und zu ihrem eisernen Willen, hoch hinauszukommen – schließlich war sie von Bergen umgeben. „Ich fand es schon immer toll, oben auf einem Berg zu stehen“, sagt Katy und fügt schmunzelnd hinzu: „Vielleicht, weil ich so klein bin, das eröffnet mir ganz neue Perspektiven.“

Wo wir beim Thema Perspektive sind: Wenn man ein Hobby zum Beruf macht, geht die Liebe dazu oft verloren. Doch auch nach drei Jahren Wettkampf auf höchstem Niveau merkt man Katy an, dass sie immer noch an jeder Kurve Spaß hat.

„Ich glaube, ich habe immer fürs Racing gelebt, das ist ein Teil von mir“, sagt Katy. „Egal ob es ein kleines Spaßrennen mit Freunden ist oder bei der EWS, ich liebe es, an meine Grenzen zu gehen und sie zu verschieben. Erst in letzter Zeit habe ich durch Rennen wie die Trans Provence eine andere Seite des Bikens kennengelernt – was ich noch nicht so viel gemacht habe, ist, eine Gegend mit dem Bike zu sehen, zu entdecken.“ Der Effekt dieser kleinen Entdeckung ist groß: „Das bringt mich zurück zu den Wurzeln, zum Wesentlichen, dem Grund, warum ich fahre. Es hat mir wirklich die Augen geöffnet, und wenn jetzt ein Rennen nicht so gut läuft, kann ich immer noch mein Bike fahren, was einfach wirklich cool ist. Man muss das Ganze zu schätzen wissen, das Wesen des Sports sehen, es ist etwas, das man zum Spaß machen kann oder auch professionell, das macht es so großartig.“

„Ich kann immer noch mein Bike fahren. Was einfach wirklich cool ist.”

Die Instagram-Feeds der Racer vermitteln uns das Bild, dass das Pro-Leben vollgepackt ist mit großartigen Bikes und Reisen an großartige Orte. Und natürlich ist da was Wahres dran – aber es ist eben nur die halbe Wahrheit. „Man denkt bei Training erst mal ans Fitnessstudio und ans Bike, das habe ich anfangs auch so gesehen“, erklärt Katy. „Mittlerweile verstehe ich aber, dass es da noch um wesentlich mehr geht. Ich musste lernen, mich auf die kleinen Dinge zu konzentrieren, wie viel ich schlafe, die Regeneration nach Verletzungen, was ich esse. Von einer Entscheidung zur nächsten, das ist eine komplette Umstellung des Lebensstils. Alles, was ich tue, muss auf den Fortschritt ausgerichtet sein, da kann man nicht um fünf Feierabend machen.“

Katy steht nun vor dem beneidenswerten Dilemma, zwischen zwei sehr potenten Racebikes wählen zu müssen: dem Trek Slash 29er und dem Trek Remedy 27,5er. Sie möchte sich für die Saison 2017 weitgehend auf eines davon festlegen. Alles, vom Bremshebel bis zu den Federelementen, muss Racern in Fleisch und Blut übergehen – wenn man mit Vollgas in ein Steinfeld ballert, nachdem man zuvor 10 min lang bergauf alles gegeben hat, hat man keine Zeit zum Überlegen. Katy ist noch am Ausprobieren, aber es ist offensichtlich, dass sie einen Favoriten hat: „Ich liebe das Slash, es gibt mir mehr Selbstvertrauen und ich habe das Gefühl, ich kann jederzeit ans Limit gehen. Man kann die verrücktesten Lines damit fahren, es ist einfach unglaublich.“

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Für jeden ehrgeizigen Racer ist die Aufnahme in ein siegreiches Team wie das Trek Enduro Racing Team eine super Eintrittskarte in den Rennzirkus. Doch sie bringt auch einen gewissen Erfolgsdruck mit sich.

Die Herausforderungen ihres neuen Lebens erklärt Katy so: „Trek unterstützt mich sehr und das Team versteht, dass ich mich in einer Entwicklung befinde. Ich habe ihnen von Anfang an gesagt, dass es nicht so laufen wird, dass ich aufkreuze und gleich Rennen gewinne – so gern ich das würde, es ist einfach nicht realistisch. Die Leute bei Trek wollen mir helfen, voranzukommen, und sie erwarten nicht, dass ich auf dem Podium stehe. Den Druck mache ich mir selbst.“ Nach zwei Saisons, in denen sie mit knappem Budget im Campingbus gelebt hat und von dort ihre Rennen gefahren ist, brilliert sie nun im Profi-Team. Doch Katy will mehr: „Ich weiß, dass ich schneller werde, aber es ist schwierig im Feld der Frauen. Ich bin etwas enttäuscht darüber, wie langsam ich mich durch das Feld hindurch bewege, aber die Schritte zwischen den einzelnen Rängen sind groß, weil die Abstände im Feld so groß sind.“

Anders als damals in Punta Ala bin ich mir sicher, dass Katy mich heute weit, weit hinter sich lassen würde. Die Arbeit mit Tracy Moseley und die Erfahrung mit zahllosen anderen Top-Sportlern hat nicht nur ihr Tempo extrem in die Höhe getrieben, sondern sie auch eine wichtige Lektion gelehrt.

Katy erzählt von dieser Zeit: „Tracy ist mir immer eine große Hilfe: was sie weiß, woher sie kommt, was sie erreicht hat … Sie ist ein wunderbarer Mensch. Sie ist immer dabei, Leuten zu helfen, beantwortet Fragen, gibt Ratschläge, und sie kennt die Branche so gut. Ich verdanke ihr so viel.“ Dabei stehen Tracys beachtliche Erfolge als Racerin noch nicht einmal im Vordergrund: „Ich möchte gerne mehr so sein wie sie, und ich rede jetzt nicht von ihren Erfolgen, ich meine so wie sie als Mensch ist. Als wir beim ersten EWS-Rennen der Saison 2016 in Irland ankamen, war sie überhaupt nicht nervös oder gestresst, sie war einfach da, um Biken zu gehen und Spaß zu haben. Natürlich hat sie uns alle stehen lassen, aber sie hat sich vorher keinen Kopf drum gemacht – das ist es, wonach wir streben sollten, das ist das Geheimnis.“

Als ich die Rechnung bezahle und wir gerade das Café verlassen, bleibt Katy stehen, um kurz mit zwei jungen Fans zu plaudern. Es ist schon verrückt, dass jemand, der selbst noch so jung ist, schon ein Vorbild für die nächste Generation von Bikern ist. Sie ist in jeder Hinsicht eine Lokalmatadorin; durch Schulbesuche, Coaching und Workshops für Kinder in Vereinen hat Katy eine ganze Armee von kleinen Nachwuchs-Bikern inspiriert und auf ihrem Weg bestärkt, indem sie ihnen ihr Geheimnis verriet: Dass es am Ende vor allem um den Spaß geht.


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