Wer mal Bock auf Bremsen hat, die nicht von den großen Herstellern aus den USA oder Japan kommen und zudem auf einen kantigen Prototypen-Look steht, der sollte sich Die Bremse von 612 genauer anschauen. Wir haben in den letzten Monaten getestet, ob sie nur ein schickes Showroom-Teil ist oder auch auf dem Trail abliefert.

612 Die Bremse | 301 g | 850 CHF | Hersteller-Website

Noch nie von 612 gehört? Kein Problem, wir greifen euch unter die Arme. Zu sagen, dass 612 ein kleiner Schweizer Hersteller ist, wäre immer noch übertrieben. Vielmehr ist es die One-Man-Show von Gründer Felix, der ein kleines Angebot an Anbauteilen anbietet. Neben Kettenblättern und Schaltkäfigen von SRAM AXS-Schaltungen führt er auch eine Bremse. Oder vielmehr: Die Bremse. Ja, das ist tatsächlich der Name. Und genauso schlicht wie der Name ist auch der Look der Bremse. Sie wirkt kantig, industriell und man könnte fast meinen, dass sie mit ihrem matten Raw-Finish noch im Prototypen-Stadium ist. Nur ein kleines Logo auf der Innenseite des Gebers verrät den Namen des Herstellers. Die Vierkolbenbremse setzt auf Stahlflex-Leitungen und wird lokal hergestellt: Die Frästeile, also die Bremshebel, Bremszangen und das Gebergehäuse, kommen aus Deutschland. Alle Drehteile, sprich Bremskolben und Dichtungen, werden hingegen in der Schweiz hergestellt. Jede Bremse wird auf Bestellung von Felix montiert und versandt. Bei einem Preis von 850 CHF (rund 870 €) pro Satz ist Die Bremse sicherlich kein Schnäppchen, im Vergleich zu anderen Edelschmieden wie Trickstuff aber wieder recht human. Und selbst die neuen SRAM CODE Stealth-Bremsen sind nicht mehr viel günstiger. Das Gewicht der Vorderbremse – inklusive 90 cm Leitung – beträgt 301 g. Damit ist sie trotz des bulligen Looks etwas leichter als die Konkurrenz von SRAM oder Shimano, kommt jedoch nicht ganz an die Trickstuff-Leichtbau-Modelle heran.

Montage und Setup der 612-Bremse

Die Installation der 612-Bremse bringt direkt eine kleine Hürde mit sich. Da die Stahlflex-Leitungen mit einem Durchmesser von ca. 6 mm etwa 1 mm dicker sind als normale Bremsleitungen, kann es zu Problemen bei den innenverlegten Zügen kommen. Da die meisten Hersteller ihre Bikes auf die Maße von Standard-Bremsleitungen auslegen, kann es vor allem an Bikes, bei denen die Züge im Rahmen durch Kanäle laufen, problematisch werden. Wir haben Die Bremse an einem Canyon Strive montiert, dies hat allerdings erst funktioniert, nachdem wir den Leitungsport etwas aufgebohrt haben, um Platz für die größere Stahlflex-Leitung zu schaffen.

Die Bremse hat einen eleganten, stark industriellen Look.
Mit ihrem matten Raw-Finish und den eckigen Kanten wirkt sie fast noch wie ein Prototyp.

Da man die Leitung beim Verlegen durch den Rahmen vom Bremshebel entfernen muss, ist es sinnvoll, Die Bremse danach zu entlüften – auch wenn sie bereits fertig entlüftet ausgeliefert wird. Alle Entlüftungskits, die eine Standard-M5-Schraube verwenden, funktionieren hier. Dazu gehören Shimano, das alte SRAM-System (also vor Bleeding Edge) und Formula. Wenn ihr eine komplette Entlüftung vornehmen wollt, empfiehlt es sich, mit demontierter Leitung und einem M6-Anschluss direkt den Sattel zu entlüften und anschließend mit montierter Leitung und M5-Anschluss in der Banjo-Schraube das Öl in Richtung Bremshebel zu drücken. Die 612 ist mit Mineralöl befüllt, im Auslieferzustand wird von Felix Bionol verwendet, aber alle regulären Mineralöle (z. B. von Shimano oder MAGURA) funktionieren ebenfalls. Auf Wunsch können GALFER Pro-Bremsbeläge direkt mitbestellt werden – diese werden von Felix empfohlen, es passen aber alle Beläge, die die Hope V4/Trickstuff MAXIMA-Form haben.

Ein weiteres Problem, das bei der Montage auftreten kann, ist, dass die Schelle der 612-Bremse nicht kompatibel mit vielen Schalthebeln ist. Wenn bei eurem Bike also die bisher verbaute Bremse und der Schalthebel per SRAM Matchmaker, Shimano I-SPEC oder MAGURA Shiftmix verbunden ist, benötigt ihr jetzt eine zusätzliche Schelle für den Schalthebel. Da an unserem Canyon Strive die Shimano XTR-Schaltung per I-SPEC an der Bremsenschelle befestigt war, mussten wir den Schalthebel mit einer zusätzlichen Schelle anbringen. Bei Shimano ist der Schalt-Trigger für die I-SPEC-Anbringung allerdings anders geformt, sodass ein Teil von Drittanbietern benötigt wird, um es direkt per Schelle am Lenker anzubringen. Wolftooth bietet beispielsweise etwas Passendes an. Wir haben uns stattdessen für die Bastler-Lösung entschieden und eine MAGURA-SRAM Shiftmix-Schelle mit einer Standard-MAGURA-Schelle kombiniert. Den Trigger haben wir dann per Schraube und Mutter daran befestigt. Elegant ist das nicht, aber es funktioniert. Dieses Problem ist zwar hauptsächlich auf Shimanos Mist gewachsen, nervig ist es aber trotzdem.

Der Bremshebel ist an allen beweglichen Punkten gelagert.
Nicht elegant, aber funktional: So haben wir den Shimano I-SPEC-Trigger am Lenker befestigt. Es gibt aber auch passende Teile, z. B. von Wolftooth.

Zudem sind die 612-Schellen inklusive Schrauben recht klein dimensioniert. Uns ist bei einem eigentlich harmlosen, langsamen Baumkontakt mit dem Geber deshalb die Schelle und beide Schrauben verbogen. Bei einer Bremse mit so bulligem Look würde auch optisch eine etwas robustere Schelle absolut nicht stören. Die Bremshebel sind andererseits Crash-sicher(er). Die Verbindungsstange, die den Geberkolben betätigt, kann gelöst werden, was verhindern soll, dass der Hebel im Falle eines Crashs abbricht oder gar den Geber beschädigt.
Der 612-Bremssattel passt auf alle gängigen Scheiben und ist kompatibel mit Postmount-Adaptern von Shimano, MAGURA und GALFER. Welche Modelle genau, wird auf der Website von 612 genannt. Wir sind Die Bremse ohne Wechsel der Scheiben auf den 203-mm-Shimanos gefahren und hatten damit absolut keine Probleme. Felix hat uns allerdings schon verraten, dass er mit dem Gedanken spielt, eigene Scheiben zur Bremse anzubieten.
Das Justieren der Hebelweite ist stufenlos und bietet eine große Bandbreite – hier wird sicher jeder seine bevorzugte Einstellung finden. Allerdings lässt sich das nur mit einem 2er-Inbus auf der Innenseite des Gebers bewerkstelligen. Die Schraube ist nicht sehr gut zu erreichen und die Einstellung somit etwas fummelig. Der Hebel ist an allen Bewegungspunkten mit Kugellagern versehen, was eine leichtgängige Betätigung verspricht.

Im Falle eines Crashs kann der Hebel nach vorne gelöst werden, ohne dass er beschädigt wird.
Die Einstellung der Hebelweite erfolgt stufenlos mithilfe eines 2er-Inbus.

Die 612-Bremse auf dem Trail

Wir sind die 612-Bremse über mehrere Monate auf dem Canyon Strive gefahren. Dabei war von Hometrail-Laps über harte Enduro-Abfahrten bis hin zu Bikepark-Tagen alles dabei. Und auch wenn wir unser Bestes gegeben haben, Die Bremse zum Glühen zu bringen, hatten wir auch bei langen Abfahrten keine Probleme mit nachlassender Bremspower. Im ersten Eindruck fühlt sich der Bremshebel direkt schon ergonomisch und angenehm an. Er ist relativ breit und damit vergleichbar mit dem der Hope Tech 4-Bremse, allerdings mit mehr Krümmung. Riffelungen oder sonstige Anbringungen, die Grip am Hebel verbessern sollen, sucht man bei der 612 vergeblich, wir hatten jedoch keinerlei Probleme mit dem Halt unserer Finger an der Bremse.

Die 612 verschwindet schnell aus dem Bewusstsein und erledigt ihren Job tadellos.
Mit der 612-Bremse hat man eine top Modulation bei sehr starker Bremspower.

Testet man Die Bremse im Stehen, fühlt sie sich erstmal nicht sehr knackig an, nachdem man den Druckpunkt spürt, hat man noch relativ viel Hebelweg. Sie bietet also kein so klar definiertes Ende, wie beispielsweise eine Shimano XT. Startet man dann auf den Trail und betätigt Die Bremse das erste Mal, sind jegliche Zweifel über Bremspower aus dem Weg geräumt. Hier bietet die 612 bereits vom Anfang des Schleifpunktes eine ordentliche Anker-Wirkung, durch das weiche Feeling des Druckpunktes hat man dabei eine super Modulation der Bremskraft. So benötigt man wenig Eingewöhnungszeit und Die Bremse verschwindet schnell aus dem Bewusstsein. Und das ist etwas Gutes, denn die 612 macht ihren Job tadellos und ohne, dass man aktiv darüber nachdenken muss. Im gesamten Testzeitraum haben wir weder wandernde Druckpunkte noch sonstige Probleme mit der Bremse gehabt.

Fazit zur 612 Bremse

Die Bremse von 612 ist ein schickes Einzelstück, das sich bereits durch seinen industriellen Look von der Masse abhebt. Sie wird lokal in Kleinproduktion hergestellt und gibt jedem Bike einen individuellen Touch. Bei der Montage der Bremse muss man zwar ein paar Sachen beachten, ist das allerdings erledigt und man startet damit auf die Trails, bietet sie top Performance. Sehr hohe Bremspower und gute Dosierbarkeit machen Die Bremse zu einer starken – wenn auch nicht ganz günstigen – Alternative.

Tops

  • hohe Bremspower
  • sehr gute Dosierbarkeit
  • zuverlässige Bremsperformance

Flops

  • Hürden bei der Montage
  • Schellen und Schrauben unterdimensioniert

Weitere Infos zur Bremse findet ihr auf 612-parts.com.


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Text: Simon Kohler Fotos: Mike Hunger

Über den Autor

Simon Kohler

Simon liebt Geschwindigkeit. Als Downhill Skater ist er lange Zeit Rennen gefahren und mit seinem Longboard Alpenpässe runtergeknallt. Inzwischen hat er vier gegen zwei Reifen eingetauscht und heizt jetzt mit seinem Mountainbike auf Trails und Bikepark Lines. Bei verschiedensten Roadtrips durch die Alpen hat er seither einige der feinsten Trails Europas ausgekostet. Da er einige Zeit in Österreich gelebt hat, kennt er zudem die lokalen Bikeparks wie seine Westentasche. Durch sein Ingenieurstudium und seine Liebe zum Detail ist er ein echter Technik-Nerd und testet jetzt als Redakteur die aktuellsten Bikes und Parts auf Herz und Nieren. Als Frühaufsteher und selbsterklärter Müsli-Connaisseur lebt er sein Leben frei nach dem Motto „Powered by Oats. And also Legs.“