>> 2012 ist definitiv das Jahr der 29er-All-Mountains. Die Skepsis gegenüber den großen Rädern im Cross-Country ist noch immer präsent, sodass sich uns die Glaubensfrage stellte: Hat die 29er-Nobelversion des legendären Stumpjumper FSR das Potenzial, die Erfolgsgeschichte des Klassikers fortzusetzen?

Der Stumpjumper. Seit nunmehr 30 Jahren suchen sich die Stollen dieses Klassikers erfolgreich ihren Weg durchs Gelände, schreibt das erste Specialized-Modell die Bike-Geschichte maßgeblich mit. Mehr noch: Als das ehemals erste Serien-Mountainbike ist es auch Ikone einer Sportart. In seinen 30 Jahren Entwicklungsgeschichte – die 1993 mit dem Stumpjumper FSR eines der ersten Fullsuspension-Designs hervorbrachte – hat das Rad bis zur jüngsten Entwicklungsstufe einen weiten Weg zurück gelegt. Was anfangs der 1980er-Jahre mit schwerem Stahlrahmen, wuchtigen Motorrad-ähnlichen Bremshebeln und „zero suspension“ in Gestalt des Stumpi-Urmodells begann, soll nun die Sperrspitze der Bike-Entwicklung bilden.

Ganz konkret: Nicht irgendein, nein, „das fähigste 29er der Welt“ wollen die Ingenieure im kalifornischen Morgan Hill mit dem Stumpjumper FSR S-Works 29 geschaffen haben. Dazu strotzt ein muskulöser Carbon-Hauptrahmen nur so vor Selbstbewusstsein, den der FSR-Viergelenk-Hinterbau, ebenfalls aus Kohlefaser, ergänzt. Resultat? Ein mit rund 2300 g verblüffend leichtes Chassis (Federbein inklusive), das den hohen Belastungen im All-Mountain-Betrieb problemlos standhalten soll. Daher setzt sich der Hauptrahmen aus zwei Monocoque-Modulen zusammen, die über fortlaufende Carbon-Fasern zwischen den Rohrsegmenten hochstabil sein sollen. Die oft geäußerte Skepsis hinsichtlich der Rahmensteifigkeit von 29ern kontert Specialized ganz pragmatisch: Konstruktionsdetails wie das üppige Pressfit-30-Tretlager, das konische Steuerrohr und die 142-mm-Steckachse an der Schnittstelle Hinterrad/Hinterbau sollen über jeglichen Zweifel erhaben sein.

Nicht minder aufregend kommt das Fahrwerk des 29er-AM daher. So arbeitet der Viergelenker mit dem RP23-Federbein von Fox mit exklusiver, reibungsarmer Kashima-Beschichtung; mittels der bekannten Brain-Dämpferplattform justiert der Fahrer die Hinterrad-Federung individuell zwischen sehr aktiv/hochsensibel und digital/vortriebsorientiert. Die 130 mm Heckfederweg ergänzt die Float-Factory-F130-Gabel von Fox.

Neben dem Brain-Element verfügt der Hinterbau über ein weiteres Highlight: Die „Auto-Sag“-Funktion am Fox/Specialized-Federbein erlaubt über ein zweites Luftventil die einfache SAG-Justage. Dazu befüllt der All-Mountaineer zunächst das Federbein am Hauptventil (Körpergewicht in psi x 3), steigt aufs Rad und betätigt das rote Zusatzventil. Überflüssige Luft strömt jetzt über einen Luftport ab, was den Luftdruck in Positiv- und Negativkammer automatisch nach dem Fahrergewicht justiert.

Über soviel Detail-Liebe könnte man beinahe das Fahren vergessen… Beinahe! Die Sitzposition fällt mit 603-mm-Oberrohr und kompaktem 100-mm-Steuerrohr in Größe M schön sportlich aus, zugleich sitzt der Fahrer wunderbar zentriert „im Rad“.

Ein erstes Glücksgefühl stellt sich ein, das die ersten Uphills in moderater Steigung bestätigen: Dank luftiger 11,5 Kilo, Wohlfühl-Geo und 1530 g leichter Roval-Carbon-Laufräder hängt der Stumpi 29er leidenschaftlich am Gas! Der hohe Pedaldruck beweist in Steilanstiegen die überlegte Geometrie: der 74,5° steile Sitzwinkel macht sich genau jetzt bezahlt. Auf holprigem Untergrund bergauf glänzt der FSR-Hinterbau mit hoher Traktion, weshalb das Rad unterstützt von den per se traktionsstarken 29er-Laufrädern gewaltig Tempo macht. Der markante Unterschied zum 26-Zöller liegt neben der höheren Traktion auch in der fast unerschütterlichen Laufruhe und Zielstrebigkeit bergauf. Da darf der Fahrer die Ideallinie schon mal verlassen – das Bike wird es schon richten.

Der Freudenquell sprudelt am Volant des Stumpi FSR 29 auch im engen Trail-Geläuf munter weiter: Gewichts-Verlagerungen nach vorne oder hinten gelingen sehr gut, auch schnelle Richtungswechsel nimmt das Rad gelassen hin. Vertraut machen muss sich der Fahrer indes mit der speziellen Charakteristik eines 29er-All-Mountains in engen Serpentinen: Der längere Radstand will in die Kurvenfahrt einkalkuliert werden, Richtungswechsel rechtzeitig und mit entsprechender Umsicht eingeleitet werden.

Der 720 mm breite Lenker erweist sich da als „handfester“ Vorteil. Nur das von sehr aktiven, Sprung-affinen Fahrern oft angeführte 26“-Feeling kann der AM-29er nicht bieten – dazu liegt er viel zu satt und souverän auf dem Trail. Ein Eindruck, den das Stumpi FSR 29 schließlich auf Schlaglochpisten und über hohe Absätze hinweg im Downhill bestätigt: Die Kombination aus feinfühligem, sehr schluckfreudigem Fahrwerk und dem flacheren Abrollwinkel der großen Laufräder klettet Bike und Fahrer zuverlässig auf den Boden. Sogar auf Strecken, die man für gewöhnlich nur einem Enduro zutrauen würde! Die Ausstattung des Stumpi-29ers erweist sich auf der Trail-Hatz als sehr kompetent – der Bashguard schützt den Antrieb, die 30 g leichte Kettenführung „Dangler“ führt die Kette sicher und die Command-Variostütze macht Anhalten überflüssig.

Fazit: In Summe stellt das 7599 Euro schwere Stumpjumper FSR S-Works 29 ein technisches Highlight dar. In seinen Fahrleistungen ein enorm vielseitiges 29er-All-Mountain, das für einen Marathon ebenso wie für ein Enduro-Rennen oder eine technisch anspruchsvolle Alpenüberquerung funktioniert. Dem etablierten 26“-AM steht mit Rädern dieses Schlags in den nächsten Jahren potente Konkurrenz ins Haus, die mit ihren oft souveränen Fahreigenschaften nicht nur für Einsteiger echte Vorteile bietet.

Mehr Info: www.specialized.com Foto: Sebas Rombero Text: Florian Storch


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Über den Autor

Robin Schmitt

Robin ist einer der zwei Verlagsgründer und Visionär mit Macher-Genen. Während er jetzt – im strammen Arbeitsalltag – jede freie Sekunde auf dem Bike genießt, war er früher bei Enduro-Rennen und ein paar Downhill-Weltcups erfolgreich auf Sekundenjagd. Nebenbei praktiziert er Kung-Fu und Zen-Meditation, spielt Cello oder mit seinem Hund (der eigentlich seiner Freundin gehört!), bereist fremde Länder und testet noch immer zahlreiche Bikes selbst. Progressive Ideen, neue Projekte und große Herausforderungen – Robin liebt es, Potenziale zu entdecken und Trends auf den Grund zu gehen.