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Als 2005 in den USA die ersten Fatbikes zu sehen waren, hielten viele die dicken Schlappen für einen kurzfristigen Trend. Inzwischen haben sich die Räder zusehends Raum erobert. In den USA haben sie bereits ihren festen Platz auf dem Markt, in Europa sieht man sie seit zwei Jahren auch immer öfters. Aber sind die optisch auffälligen Bikes eher als extravagante Kuriosität zu sehen, als spezialisierte Fahrzeuge mit einem sehr beschränkten Einsatzzweck, oder sind sie eventuell auch für den normalen Allround-Biker eine interessante Alternative? Um das herauszufinden sind wir die Dinger ausführlich testgefahren und haben für euch mit professionellen Weltklasse-Athleten, Vertretern aus der Industrie und Endkunden gesprochen.

Mit den dicken Reifen sind Fatbikes auffällige Eyecatcher
Mit den dicken Reifen sind Fatbikes auffällige Eyecatcher

Auf der Eurobike diesen Herbst waren die Fatbikes nicht zu übersehen. Kaum ein Hersteller, der keines als Eyecatcher ganz vorne auf seinem Stand positioniert hatte. So gut wie immer mit jeder Menge Messebesuchern, die interessiert um die Bikes herumstanden. Entsprechend beliebt waren die Räder auch auf dem Testparcours. Auf die Frage nach dem ersten Fahreindruck und ob ein Fatbike eventuell auch als persönliches Bike in Frage kommt, erhielten wir meistens die gleiche Antwort: Überraschend spaßig zu fahren, in der persönlichen Anschaffung als Dritt- oder Viertbike aber zu teuer.
Das gleiche Bild erhielten wir auch von den Herstellern: Fatbikes stellen durchaus eine interessante Erweiterung der bisherigen Mountainbikepalette dar und die meisten Kunden sind aufgeschlossen und interessiert an den dicken Reifen. Eher wenige würden sich aber getrauen, ein Fatbike als Hauptfahrrad zu kaufen und als Ergänzung zum normalen Fuhrpark wollen die meisten bisher nicht so viel Geld ausgeben.

An die Optik der extrabreiten Gabeln muss man sich erst mal gewöhnen
An die Optik der extrabreiten Gabeln muss man sich erst mal gewöhnen

Wie aber fahren sich Fatbikes eigentlich? Wir sind verschiedene Modelle – mit und ohne zusätzlicher Federung – auf verschiedenen Strecken mit unterschiedlichen Untergründen gefahren. Von den ersten Metern an hat uns der immense Grip der dicken Reifen beeindruckt. Die voluminösen Mäntel können sich durch den geringen Luftdruck (im Extremfall unter 0,5 Bar) perfekt dem Untergrund anpassen und erzeugen so eine Bodenhaftung, an die man sich erst einmal gewöhnen muss. Immer wieder mussten wir uns auf losem und rutschigem Untergrund ganz bewusst dazu zwingen, unsere gewohnten Schräglagen zu überschreiten. Wo normale Reifen schon längst am Wegrutschen gewesen wären, gab uns die große Auflagefläche der Fatbikereifen immer noch einen mehr als ausreichenden Halt. Auf Sand und weichem Waldboden ließen sich die Fatbikes ungewohnt zügig und leicht vorwärts treten. Wo sich schmälere Reifen tief eingraben würden, rollen die voluminösen Schlappen souverän und spaßbringend drüber.

Auch auf sehr steilen, technisch schweren Abfahrten waren wir von den Möglichkeiten der großen Reifen begeistert. Plötzlich konnten wir Steilstufen langsam und kontrolliert meistern, die wir mit normalen Bikes immer schneller werdend überrollen mussten. Auch Fatbikes ohne zusätzliche Federung bieten hier ausreichend Komfort und schlucken viele grobe Unebenheiten unbeeindruckt weg.

Durch das große Volumen können die Reifen mit extrem niedrigen Drücken um 0,5 Bar gefahren werden. Die Folge ist ein beachtlicher Grip auch auf anspruchsvollen Untergründen.
Durch das große Volumen können die Reifen mit extrem niedrigen Drücken um 0,5 Bar gefahren werden. Die Folge ist ein beachtlicher Grip auch auf anspruchsvollen Untergründen.

Die Ernüchterung mit den ungefederten Bikes kam dann aber etwas auf den schnellen Abfahrten, welche nach einer aktiven und dynamischen Fahrweise verlangen. Hier kamen die Räder schnell in ein unkontrolliertes Hüpfen und verloren so viel an Grip. Logisch: Ein normales gefedertes Fahrwerk taucht bei Schlägen erst ein und baut im Ausfedervorgang dann die aufgenommene Energie durch die Öldämpfung ab. Letztere wird durch die Zugstufe eingestellt, wodurch der Charakter eines Bikes grundlegend geändert werden kann. Ein ungefedertes Fatbike hat diese Möglichkeit nicht. Die Reifen geben bei Schlägen zwar nach und können so erstaunlich grobe Unebenheiten schlucken. Die aufgenommene Energie wird dann aber mehr oder weniger unkontrolliert wieder abgegeben und bringt das Bike zum Springen – ähnlich wie bei einem Flummi. Mit einer angepassten Gummimischung der Reifen lässt sich zwar auch Einfluss auf das Dämpfungsverhalten nehmen, allerdings sind die Hersteller darauf angewiesen, einen Kompromiss zwischen guter Eigendämpfung und akzeptablem Rollwiderstand zu finden.

Zusammen mit Federgabel und Dämpfer werden die Reifen in Übergröße zur alles glattbügelnden Spaßmaschine
Zusammen mit Federgabel und Dämpfer werden die Reifen in Übergröße zur alles glattbügelnden Spaßmaschine

Dementsprechend brachten dann die ersten Fahrten mit einem vollgefederten Fatbike auch einen ziemlich großen AHA-Effekt. Die dicken Reifen erzeugten immer noch einen beachtlichen Grip und Laufruhe. Zusätzlich ließ sich aber das von den Hardtails bekannte Springen nach etwas Einstellungsarbeit an Gabel und Dämpfer sehr weit reduzieren. So konnten wir die uns bekannten Trails plötzlich in einer komplett neuen Fahrweise runterbügeln. An Stellen, wo es sonst genau die richtige Linie zwischen groben Felsen zu treffen galt, konnten wir nun einfach den Lenker festhalten und geradeaus drüberwalzen. Die schweren Reifen verleihen den Fatbikes dabei eine Souveränität, die einen sehr aggressiven Fahrstil zulassen. Ganz nach dem Motto: Draufhalten statt Ausweichen.

Ganz ähnlich sieht das auch Joe Parkin, Mountainbike Legende aus den USA: “Fatbikes machen Spaß! Selbst wenn die dicken Reifen unter dir noch kein Grinsen in dein Gesicht gebracht haben, der vertrauenserzeugende Grip und das Überrollvermögen werden es! Es ist wichtig daran zu denken, dass die dicken Reifen nicht dazu gedacht sind, Rennen zu gewinnen. Aber wie viele Biker brauchen wirklich ein Rad das dafür optimiert ist? Mit den voluminösen Reifen können schwere und grobe Stellen zwar nicht unbedingt schneller, aber plötzlich viel flüssiger gefahren werden. Der normale Biker wird damit in der Lage sein, Anstiege und technische Downhills zu fahren, die davor zu schwer für ihn waren.”
Genau hier sehen auch wir eines der Haupteinsatzgebiete der Fatbikes. Vor allem für Gelegenheitsfahrer oder Späteinsteiger kann die Spurstabilität der schweren Reifen eine tolle Möglichkeit darstellen, mit viel Spaß Abfahrten zu meistern, die ansonsten zu herausfordernd sind.

Auch auf groben Downhillstrecken kann man es dank dem überragenden Dämpfungsvermögen von Reifen + gefedertem Fahrwerk so richtig laufen lassen!
Auch auf groben Downhillstrecken kann man es dank dem überragenden Dämpfungsvermögen von Reifen + gefedertem Fahrwerk so richtig laufen lassen!


Wir finden, dass Fatbikes eine spannende Sache sind und sie angesichts der kommenden Plus-Reifen (https://enduro-mtb.com/en/di-a-2015-breakout-sessions-650b-wheels-are-they-the-future/ ) eine wichtige Vorreiterrolle einnehmen, welche die Akzeptanz und Entwicklung dieser neuen Reifengröße massentauglich voranbringt. In der Zwischenzeit dürft ihr euch auf diverse Einzeltests und Stories rund um Fatbikes freuen.

Text: Tobias Döring Bilder: Christoph Bayer


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