Hello America! | Part #3 – Goodbye Germany
Die Faszination am Mountainbike prägt Steffens Leben schon seit jungen Jahren. Als Teenager ging’s Ende der achtziger Jahre auf dem Bike über Wanderwege im Schwarzwald, am Gardasee und vor allem in den Tiroler Alpen. Höhenmeter waren damals Pflicht, verständnisvolle Liftbetreiber und Bikeparks unbekannt. XC wurde das genannt, aber im Grunde ging es nur darum, gute Trails bergab zu shredden. „Riding mountain bikes“ bedeutet für Steffen Flucht vor der Zivilisation, die Besinnung auf das Wesentliche.
Mit dem Studium in Berlin (Geschichte, Amerikastudien) kamen das Flachland und die biketechnische Depression. Da brachte glücklicherweise Do-it-yourself-Guiding in den Alpen die Erkenntnis: „mach deine Leidenschaft zum Beruf!“ Das Start-Up-Unternehmen fahrrad.de suchte im Jahr 2006 jemanden mit MTB-Sachverstand. Und so erlebte Steffen dann vom Verkauf über die Shopleitung bis zum VOTEC-Brandmanagement sieben Jahre so ziemlich alles bei Deutschlands größtem Fahrradversender.
Doch das Biken kam wie bei vielen Jobs zu kurz. Also knallhart „back to the roots“! Nach dem Ausstieg blieb mehr Zeit zum Flüchten. Enduros sind genau das Richtige für Steffen: EIN Bike für alles! Die Heirat mit Amerikanerin Caroline verschlug ihn 2014 an die Ostküste der USA. Von dort berichtet er über seine Erfahrungen auf zwei Rädern in der Neuen Welt.
Goodbye Germany
Wo sollte ich in diesem Moloch ordentliche Trails finden? Auf den ersten Blick flach und ohne erkennbare Berge war die gesamte Ostküste der USA ein Niemandsland für mich.
Auswandern und von „scratch“ ganz neu anfangen klingt nach echtem Abenteuer und vielleicht auch Mut. Aber Heimat, Familie und gute Freunde hinter sich zu lassen und kopfüber in eine fremde Kultur zu stürzen ist nicht jedermanns Sache. Mir hat es jedenfalls ordentlich Respekt eingejagt, als irgendwann klar wurde, dass ich in die USA ziehen würde.
Ganz ehrlich: Ich war kein großer Fan von dem Land der Waffen, krassen Gegensätze, des billigen Fast Foods und der latenten Gewalt. Zwar liebe ich amerikanische Mountainbikes, gutes BBQ und stehe schon mein halbes Leben auf Skateboards und Hardcore-Musik. Aber in der Neuen Welt leben und Deutschland auf Dauer verlassen? Ganz schön heftig … Doch was macht man nicht alles für seine bessere Hälfte!? Im Deathgrip ins Steinfeld sozusagen. Augen zu und durch, wird schon schiefgehen.
Spannend war es natürlich schon, so ein persönliches „All-In“ macht man nicht alle Tage. Ich war skeptisch und aufgeregt zugleich, als ich im August 2014 ohne Lebensplan und festen Job im Flugzeug Richtung Amerika saß. Halbwegs frisch verheiratet, mit der Frau aus North Carolina an meiner Seite, ging es ins Ungewisse – an die mir unbekannte East Coast, mitten in Amerikas Zentrum der Macht, Washington D.C. Der komplette Hausstand inklusive Bikes und SUV steckte in einem rostigen 40-Fuß-Container und war auf dem Weg per Schiff über den Atlantik.
Den Wald vor lauter Beton nicht sehen
Neben dem unvermeidlichen Klima- und Kulturschock (abartige, schwüle Hitze bzw. eisige Temperaturen dank Klimaanlagen, beinahe tägliche Schusswechsel und Schülermorde in der D.C.-Area) und der zehrenden Sehnsucht nach deutschem Brot und Bier stand für mich von Anfang an eine zentrale Frage im Raum: Wo um Himmels willen sollte ich hier ordentliche Trails finden? Die gesamte Ostküste der USA war für mich ein weißer Fleck auf der globalen Landkarte, wenn’s ums Biken ging. Colorado, Californien und der Westen der USA sind bekannte Hotspots für Biker. Dort steht die Wiege des Mountainbikesports: Kultschmieden wie Ibis, Specialized, Intense oder Santa Cruz stammen von der West Coast und Biken auf Slick Rocks soll auch Spaß machen. Aber von der amerikanischen East Coast hatte ich noch nie etwas gehört. Mich beschlich die heimliche Sorge: Kann man in Virginia überhaupt biken?
Wir wohnen in „America’s Next Great City“, Tysons Corner (VA), in einem dieser supermodernen Geschäftsviertel im Randbereich der großen Stadt mit langweiliger Büro- und Hotelarchitektur, riesigen Shopping Malls, Chain-Restaurants und Anbindung an fast jeden Highway der Hauptstadt. Gehsteige, Spielplätze oder Parks hatte man bei der ambitionierten Stadtplanung vor 20 Jahren oft vergessen. Radwege? Mach dich nicht lächerlich, hier ist „perfektionierte“ Infrastruktur für Autos an der Tagesordnung! Zur Rushhour gibt es jede Menge Stau mit lustiger Road Rage und an der roten Ampel steht man bis zu fünf Minuten. Aber Tysons bietet zumindest relative Sicherheit dank seiner „Gated Communities“, der abgeschotteten Wohngebiete mit Videokameras hinter meterhohen Zäunen. Außerdem ist es halbwegs ruhig nach 20 Uhr und die Mietpreise sind etwas weniger verrückt als in Richtung Downtown.
Doch vor lauter Beton- und Highway-Konstrukten sieht man kaum, wo man eigentlich ist. Als wir in den USA ankamen, war ich fest davon überzeugt, dass ich in dieser Nachbarschaft das Biken an den Nagel hängen konnte. Ade, geliebte Hometrail-Afterwork-Runde! Sollte Mountainbiken nur noch an den Wochenenden stattfinden oder gar zur seltenen Urlaubserinnerung verblassen? Miese Vorstellung, wenn man seit mehr als 25 Jahren auf Stollenreifen und Dreck steht. Fast schon dumm, die schöne Schwäbische Alb, den dunklen Schwarzwald oder die Trails der Kalmit hinter mir gelassen zu haben. Von meinen Alpen samt uralter Berghütte im Tiroler Oberinntal mit Blick auf den neuen Bikepark in Serfaus will ich gar nicht sprechen.
Don’t judge a book by its cover!
Was hatte ich mir nur dabei gedacht, in eine Großstadt und noch dazu an die Ostküste zu ziehen? Ohne Trails fehlt dir was … Erstes Heimweh setzte ein, nagendes Unbehagen, am falschen Ort zu sein. Hatte ich die falsche Entscheidung getroffen? Langsam fing ich an, den Sprung über den Atlantik in die amerikanische Trailöde bitterlich zu bereuen. Das war die Zeit, als Google Maps und das Internet zu meinen besten (und einzigen) Freunden wurden. Ich kannte niemanden, hatte kaum Freunde, keine Trailbuddys und erst recht keine Trails. Fuck! Nächtelang begann ich fieberhaft mit der Suche nach der Droge Trails: Einschlägige US-Bikeforen, Trailregister und Kartenmaterial wurden durchforstet und analysiert.
Und bald war klar, so furchtbar und düster sieht’s hier gar nicht aus! Selbst in der Millionen-Metropole Washington D.C. sind gut ausgebaute Trailnetzwerke mit satten Kilometern vorhanden. Wenig Höhenmeter, stark auf XC ausgelegt, doch kreativ und absolut fahrenswert laut den Berichten im Internet. Immerhin! Zwar kein alpiner Abfahrtsrausch, aber meine Laune besserte sich allmählich. Die weitere Recherche brachte mich gen Westen: Knapp eine Autostunde entfernt liegen die ersten Ausläufer der Appalachen. Nicht wirklich ein Hochgebirge, aber mit über 2.400 km Länge von Nord nach Süd muss dieser endlose Gebirgszug das Licht am Ende des Tunnels sein. Ich stieß auf alte Hochburgen des Mountainbikens an der Ostküste wie Harrisonburg (Virginia), Snowshoe (West Virginia) und Asheville (North Carolina). Einige Stunden entfernt, aber das ist ja keine Distanz in den USA … Erste Euphorie kam auf!
Nun konnte ich es kaum mehr abwarten, bis unsere Bikes aus Europa eintrafen. Aber das Container-Schiff brauchte länger, der U.S.-Zoll war misstrauisch und verzögerte die Auslieferung in Baltimore. Ende September standen sie dann endlich wohlbehalten vor uns. Doch dann drückte schon bald der Jetstream aus Alaska feucht-kalte Luftmassen in Richtung Virginia. Welch ein bitterer Winter, Schnee und Frost bis zu minus 20 Grad über Wochen. So verstrichen die ersten Monate in der neuen Heimat, ohne dass ich auch nur einen Meter Hometrails suchen konnte. Shit happens.
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Text & Bilder: Steffen Gronegger
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