Hello America | Teil #13 – Washington D.C.s Urbane Trails
Eine Diva muss man mit Samthandschuhen anfassen. Sie ist außergewöhnlich gut, einzigartig, einfach göttlich. Aber sie weiß es auch, lässt sich entsprechend feiern und kann ganz schön zickig sein. So verhält es sich auch mit den Fountainhead Trails bei Washington D.C. – von den Locals mehr oder weniger liebevoll „Diva Trails“ genannt.
The „Head“
Vom Fountainhead Project hatte ich vor unserer Abreise in die USA bereits gehört. Klar war nur, dass die Trails irgendwo im D.C.-Ballungsraum sein mussten – in Northern Virginia, am Ufer des Occoquan Reservoir. Eine bürokratisch anmutende Webseite, die die jahrelange Projekt- und Bautätigkeit der professionellen Trailbuilder und Freiwilligen, der Sponsoren und der staatlichen Parkverwaltung darstellte, war alles, was ich auf die Schnelle finden konnte.
Doch der Spot schien reizvoll: flowige Trails, Holzkonstruktionen und sogar eine Jumpline. Fast wie ein kleiner Bikepark am Rand der großen Stadt – nur ohne die in meiner Vorstellung notwendigen Höhenmeter. Topografische Trailkarten hingegen sahen typisch nach Cross-Country aus: Auf ca. zwei Quadratmeilen hatte man ein beachtliches Singletrackband in die Bachtäler des Stausees gezimmert. Eine sich windende Anakonda, mit vielen giftigen Anstiegen, Spitzkehren und pfeilschnellen, aber kurzen Abfahrten. High Intense Interval, so wie ich mir Biken in den USA immer vorgestellt hatte – optimiert auf schnelle 29er und XC Hardtails. Gestriegelte Trails, ohne echte Herausforderungen, mit kindgerechtem Gefälle. Ich war skeptisch.
XC und Gravity auf einem Trail
Offensichtlich hatte Fountainhead aber aus beiden Welten etwas zu bieten. Knallhartes Ausdauertraining und verspielte Trailfeatures mit Flow und Airtime. Wie passte das zusammen? So etwas kannte ich bisher kaum aus Europa. Professionell geshapte Trails für jeden Geschmack gibt es in den mir bekannten europäischen Bikeparks äußerst selten. Auch Finale Ligure oder die Wanderwege im Pfälzer Wald haben einen anderen, wilderen Charakter.
Meine Sorge, keine brauchbaren Trails in D.C. zu finden, war zwar nicht aus der Welt, aber „The Head“ weckte Hoffnung in mir. Keine zwei Tage, nachdem wir in den USA gelandet waren, überredete ich meine Frau samt Schwiegermutter, einen kurzen Abstecher in den „Park am See“ zu machen. Ja, manchmal muss man(n) kreativ sein … Das Naherholungsgebiet im Süden D.C.s bietet Top-Bedingungen für Angler und Wanderer mit Bootsverleih, Picknick-Tische und Grillplätze unter schattigen Bäumen. Mitten im Familienparadies sollte sich ein veritabler Bikespot verstecken? Ich war noch immer skeptisch … bis ich die ersten Schilder des Fountainhead MTB-Trailhead vor mir hatte.
„Bike Trail Entrance“, „No Helmets, No Riding, No Excuses“ – yeah, das liest sich gut! Grüne, blaue und schwarze Runde, gebaut von M.O.R.E., den „Mid-Atlantic Off-Road Enthusiasts“. Knapp 22 km Singletrail mit „man-made features“, unzählbaren Anliegern und Flow, bis die Beine platzen. „Man kann sich nie ausruhen, man gibt immer Vollgas“, schwärmte Evan, mein US-amerikanischer Kollege bei ENDURO, über seinen alten Homespot. Die ersten Meter des Trails lief ich zu Fuß ab, auch wenn Fußgänger verboten sind. Der kurze Trackwalk reichte aus: Hier waren extrem versierte Trailbauer am Werk, das war auch ohne Bike erkennbar.
Riding the Diva
Einige Wochen später war es endlich so weit: meine erste Runde auf amerikanischem Boden! Seit Monaten war ich schon nicht mehr auf dem Bike gesessen. Egal, ich war aufgeregt, konnte es kaum abwarten, das Fountainhead-Projekt endlich anzugehen. Entsprechend zügig nahm ich die ersten Kilometer in Angriff. Das „Super-Enduro“ unter mir mit 26″-Deemax-Laufrädern von Mavic, 180-mm-Gabel und 15,5 kg Kampfgewicht fühlte sich deplatziert und gar nicht mehr so super an. Ich konnte einfach die Geschwindigkeit nicht halten, mir fehlte der Rhythmus, der für die vielen Wellen und Anstiege notwendig war. Meine Reverb war pausenlos im Einsatz, die Pro-Pedal-Einstellung des FOX-Fahrwerks stand auf Maximum. Trotzdem versickerte der Flow des wunderbaren Trails unter mir wie Wasser im Wüstensand.
Es war ein Kampf, bevor ich überhaupt zum schwarzen Trail vorgedrungen war. Ein „Black Diamond“ Trail, „IMBA approved“: „Advanced Riders Only“ – perfekt, dachte ich und stand vor einem 20-m-Uphill-Steinfeld, einem sogenannten „Selector“ oder „Weeder“, der schwächere Fahrer abschrecken sollte, den anspruchsvollen schwarzen Trail zu fahren. Aber nicht mich, wäre ja gelacht! Also sagte ich mir: „Mit etwas Biss wird das schon passen …“ Und schob durch die verblockte Passage, während mich leichtfüßige 29er-Fahrer auf Hardtails überholten. „Bist du okay?“, fragte man mich mitleidig. „Danke Mann, hab nur … eh … mit der Hitze zu kämpfen“, war meine Ausrede. Zumindest sah man meinem hochrotem Kopf die Schamesröte nicht an. Das kratzt schon an der Ehre: Bis heute habe ich die Linie durch die Felsbrocken noch nicht gepackt …
Nach der ersten Peinlichkeit wurde der Trail immer anspruchsvoller, nicht nur konditionell. Erste kleine Drop-Batterien und Sprünge tauchten auf, dann Rockgardens und freiliegende Wurzelfelder. Das Enduro kam auf Touren, mir ging mehr und mehr die Luft aus. Doch der Trail zog mich magisch an. Eine spaßige Sektion nach der anderen – ein Pumptrack auf Steroiden, nur mit Steinen, Wurzeln und vielen Anstiegen. Man musste einfach ballern, nur nicht den Schwung verlieren!
Noch gut die Hälfte lag vor mir, was zum Teufel? Ruppige Trailsegmente wie „Collar Bone Crusher“ und „Old Shock-a-Billy“ machten ihren Namen durchaus Ehre. Die letzten Kilometer fuhr ich wie im Delirium – überhitzt, kein Wasser mehr, mit Gummibeinen. Freunde kommentierten die Bilder später mit „übernommen“, „Puls auf 180“ und „dehydriert“. Wahre Worte, die Fountainhead-Achterbahnen hatten mich geschafft. Dass ich die letzten Anstiege zum Parkplatz schieben musste, war bisher mein kleines, schmutziges Geheimnis. Was für ein Runde! Den fetten Bacon Cheeseburger bei „Five Guys“ hatte ich mir redlich verdient.
US-Trail-Protektionismus
So sehr mich Fountainhead auch begeistert hat, das Ganze hat doch einen Haken: In der Millionenstadt D.C. mit recht wenigen Trail-Alternativen und Tausenden von Bikern muss sich ein aufwendig gebautes Trailnetzwerk schützen. Und die Diva tut es auch – radikal.
Sobald es nass bzw. feucht ist oder nur die Chance auf Regen besteht, schließt der Trailpark seine Pforten, um die Zerstörung des Heiligtums zu vermeiden. Eine Hotline gibt Auskunft über den Stand der Dinge und grüßt mit „Willkommen beim Fountainhead Regional Park – wo jeder Tag großartig ist!“ Nicht wirklich! Ich hasse die freundliche Frauenstimme am anderen Ende des Anrufbeantworters schon jetzt, sie sagt einfach viel zu oft: „Die Trails sind derzeit aufgrund der Witterungsbedingungen geschlossen.“ Fuck! In Northern Virginia regnet es gerne wie im Dschungel … beinah täglich, heftig und oft über Stunden. Der Park bleibt daher oft tagelang geschlossen, auch wenn im Grunde bestes Hochsommerwetter herrscht.
Das Resultat dieses knallharten Trail-Protektionismus ist, dass man zwar super Flowtrails vor der Haustür hat, aber diese dank hoher Niederschläge oft nicht fahren kann. Aus Mangel an natürlichen Trails in der Region wird man quasi zum Schönwetterfahren verdammt. Oder man fährt doch „illegal“, und jede Matschpfütze stürzt einen in moralische Abgründe. Ein Dilemma für Biker, die die geltende Trailetiquette einhalten wollen. Aber auch ein echtes Luxusproblem: Denn man kann das eine nicht ohne das andere haben. Gute, aufwendig gebaute Trails und tausende Arbeitsstunden von Freiwilligen vertragen sich nicht mit Massenandrang und Biken bei jeder Witterung. Und für das zeitweise regnerische Wetter in NOVA (Northern Virginia) kann ja niemand etwas. Umso mehr sollte man die göttliche Diva genießen, wenn sie mal wieder richtig gut drauf ist.
Mehr Infos unter: fountainheadproject.org |
Fountainhead Project on Facebook | nvrpa.org | www.mtbproject.com | www.a1cycling.com
Text und Bilder: Steffen Gronegger
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