Italienisch für Biker: Unterwegs am Lago Maggiore
“Trails wie hier bin ich noch nie gefahren”, sagt Stefan, als wir am See ankommen. Das will was heißen. Denn als Autor der Supertrail Maps hat er schon einiges gesehen. Das meiste vermutlich. Aber ich bin ganz seiner Meinung: Irgendwie ist das Tessin besonders. Die Seitentäler sind oft sehr schnell sehr einsam. Die Trails sind wild, rau und unberechenbar. Ich weiß gar nicht so genau warum, aber hier unterwegs zu sein, fühlt sich immer ein bisschen nach Abenteuer an. Und außerdem: Es ist der einzige Kanton der Schweiz, in dem überwiegend Italienisch gesprochen wird. Heute sind wir in der Umgebung von Locarno unterwegs, am Lago Maggiore. In aller Frühe sind wir auf die Corona di Pinz gefahren, eine nicht ganz 1300 Meter hohe Bergkette, die das Centovalli vom Lago Maggiore trennt. Der Uphill ist fast schon gemütlich, auf Asphalt geht es bei gemäßigter Steigung berghoch. Die ganze Zeit hat man tollen Blick auf den See.
Hier beginnt die Abfahrt über das Dörfchen Rasa in Richtung Intrigant. Dank Südlage und geringer Höhe gilt die Tour als Klassiker für Biker, die sich aus dem fahrtechnischen Winterschlaf rumpeln wollen. Zunächst prägen riesige Wurzelteppiche das Bild, dann geht es über zu endlosen Rock Gardens. Wir entscheiden uns heute jedoch für eine andere Variante. Schließlich wollen wir einen Film drehen und nehmen deshalb einmal die Trails auf der Seeseite unter die Lupe. Und auch hier werden wir fündig: Enge Wege, oft zugewachsen, bedeckt mit viel Laub und den omnipräsenten Kastanien. Mit meinem schweren Kamerarucksack muss ich immer wieder absteigen. Und wenn das Laubwerk zwischendurch einmal den Blick auf den See frei gibt, wandert immer wieder ein wohliges “Alaa” durch die Biker-Seele.
Unten angekommen gibt es für alle einen Espresso. Man schmeckt die Nähe zu Italien. Mit wieder aufgefülltem Koffeinspeicher machen wir uns auf den Weg zur Cardada-Cimetta. Der Hausberg Locarnos ist mit einer Gondel und einem Sessellift erschlossen.
Auch hier gibt es wieder jede Menge Panorama – und jede Menge Trail-Optionen runter in die Stadt, manche davon sogar offiziell ausgeschildert. Gebaute Freeride-Linien findet man hier keine, aber wer naturbelassene, technische Wege mag, wird auch hier auf seine Kosten kommen.
Am nächsten Tag machen wir uns auf ins Val Verzasca. Smaragdgrün schlängelt sich der Fluss durch das Tal. Dazu kleine Dörfchen und schneebedeckte Gipfel in der Ferne. Definitiv einer der schöneren Flecken Erde, in denen ich bisher war.
Wir rollen einen neu angelegten Offroad-Radweg entlang. Um es zusammen zu fassen: Ein Trail ist das nicht. Und unsere Ausflüge auf die umliegenden Wanderwege waren eher mühsam.
Aber wer mit seiner Familie eine Radtour durch atemberaubend schöne Landschaft machen will, dem sei der Abschnitt von Sonogno nach Brione wärmstens empfohlen. Allein schon wegen der grandiosen Badestellen.
Um dem Wochenende die Krone aufzusetzen, machen wir uns nach de Mittag noch auf den Weg zur Alpe di Neggia. Wir finden sogar jemanden, der bereit ist, uns zu shuttlen. Das Leben ist gut zu uns! Hier, auf der Rückseite des Monte Tamaro, zieht sich über die Alpe di Trecciura ein typischer Tessin-Trail Richtung See. Steil ist es, der raue Untergrund verborgen unter einer dicken Schicht Laub. Wir sind schwer gefordert. Aber je näher wir dem See kommen, desto flüssiger wird es. Wir öffnen die Bremsen und genießen. Als der Trail uns schließlich in Magadino ausspuckt sind wir uns einig: Ja, das hier ist ein ganz besonderer Spot für Biker. Und die Tatsache, dass uns heute noch kein einziger begegnet ist, ist ein Indiz dafür, das es hier noch viel zu entdecken gibt.
Text & Bilder: Filme von Draußen
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