Hardtails aus Titan waren schon immer die Kirsche auf dem Sahnehäubchen der Begehrlichkeit. Aber kann das neue Kingdom Vendetta Boost beweisen, dass die Schönheit auch tiefer reicht? Wir durften ein Exemplar auf die härtesten Trails Schottlands ausführen, um genau das herauszufinden!
Das Kingdom Vendetta Boost
Wir haben alle vom neuen Kingdom Switch gehört, einem vollblütigen Titan-Endurobike. Aber das Vendetta-Hardtail ist dabei irgendwie hinten runter gefallen. Der erste Rahmen wurde vor sieben Jahren geschmiedet und hat seitdem eine kleine, aber an einen Kult erinnernde Anhängerschaft. Über die Jahre hat er sich stetig weiterentwickelt, das Innenlager kam näher zum Boden und die Winkel wurden aggressiver und einschüchternder. Der Kunde kann nun aus drei Plattformen die wählen, die ihm passt: 27,5, 27,5+ oder 29+. Wir im ENDURO-Büro sind Fans der Balance aus Agilität, Grip und geringem Rollwiderstand, den die 27,5+ Reifen mitbringen und freuten uns daher, das Boost 27,5+ testen zu dürfen. Eine Steckachse von 148 x 12 mm am Heck und ein 5 mm abgesenktes Innenlager bei erhöhter Bodenfreiheit bedeuten, dass man das Bike sowohl mit 27,5 als auch mit 27,5+ Reifen fahren kann. Und als wäre das noch nicht genug, betonen die Reifen dank einer Breite von bis zu 2,8″ die Vielseitigkeit dieses Bikes.
Spezifikationen des Kingdom Vendetta Boost
Das Kingdom Vendetta Boost gibt es nur als Rahmenkit zu einem Preis von 1.599 €, weshalb wir uns darauf konzentrieren werden. Unser Testbike hatte eine absolut kampfbereite Ausstattung, die wir selbst nicht besser hätten wählen können: eine 150 mm RockShox PIKE RCT3, SRAM Guide RSC-Bremsen und exzellente Velocity Dually-Felgen mit 39,5 mm Innenbreite, auf denen Schwalbe Nobby Nics in 2,8″ aufgezogen sind. Das neue längere Oberrohr (wir hatten den Medium-Rahmen im Test) erlaubt die Montage eines 50-mm-Vorbaus, der einen breiten Burgtec-Lenker fasst. Der Rahmen ist für ein einzelnes Kettenblatt konzipiert und wir fuhren einen SRAM 1×11-Antrieb mit einem 34er-Kettenblatt, das gut zur knackigen Kraftübertragung passte.
Die Geometrie des Kingdom Vendetta Boost
Größe | M | L | XL |
---|---|---|---|
Lenkwinkel | 65° | 65° | 65° |
Sitzwinkel | 73° | 73° | 73° |
Oberrohrlänge | 612 mm | 632 mm | 652 mm |
Steuerrohrlänge | 115 mm | 117 mm | 120 mm |
Sitzrohrlänge | 400 mm | 462 mm | 495 mm |
BB drop | -25 mm | -25 mm | -25 mm |
Kettenstrebenlänge | 421 mm | 421 mm | 421 mm |
Radstand | 1154 mm | 1177 mm | 1195 mm |
Stack | 611 mm | 613 mm | 616 mm |
Reach | 417 mm | 439 mm | 456 mm |
Man muss nur die nackten Zahlen betrachten, um zu wissen, dass das Vendetta Boost nicht klein beigeben wird: 65° Lenkwinkel und 421 mm Kettenstreben sprechen eine deutliche Sprache. Der Reach ist etwas länger geworden, mit 417 mm beim Medium-Rahmen aber noch in der Norm. Das Vendetta gibt es in drei Größen: Medium, Large und Extra Large. Da der Überstand sehr gering ist, sollten Fahrer, die zwischen zwei Größen stehen, zur größeren greifen, da sie dort vom längeren Oberrohr profitieren können, was auf verblockten Trails mehr Laufruhe bringt. Die 73°-Sitzwinkel fühlen sich beim Treten steiler an und maximieren trotz sehr angenehmer Sitzposition die Effizienz bergauf.
Die Verarbeitung des Kingdom Vendetta Boost
Ein Titan-Hardtail hat etwas Besonderes an sich, wie ein maßgeschneiderter Anzug oder eine teure Flasche Whisky. Es ist etwas, das man genießen muss, das einen als Besitzer mit Stolz erfüllt. Wenn man das Vendetta in seiner Ti3Al2.5V-Legierung betrachtet, merkt man, dass es Kingdom genauso geht. Die Schweißnähte, Kabeleintritte, die Sattelklemme und die generelle Machart zeugen von der Handwerkskunst, die diesen Rahmen hervorgebracht hat. Jede Verbindung und Verstärkung, jedes Ausfallende und Rohr sind ein Kunstwerk und wert, die verschlungenen Insignien am Steuerrohr zu tragen. Die edle Silhouette und aufgeräumte Designsprache wirken zugleich klassisch elegant und modern. Der 1,8 kg schwere Rahmen kommt mit interner Kabelführung (optional beim Kauf) und der Vorbereitung für eine Stealth Teleskop-Sattelstütze. Die Kabelführung ist wohl durchdacht, wir konnten bei unserem Test kein Klappern feststellen. Das Einzige, was etwas fehl am Platz wirkt, sind die zwei billigen Schrauben, die das Schaltauge halten. Wir würden uns wünschen, dass sie zum Rahmen passenden Titanschrauben Platz machen würden. Kingdom bietet eine begrenzte lebenslange Garantie an, die mit einer großzügigen Sturz- und Ersatzpolitik verbunden ist. Eure Investition sollte euch also ein Leben lang begleiten.
Mit dem Kingdom Vendetta Boost gen Gipfel
Das Setup war schnell erledigt, zwei Bottomless Tokens in der PIKE (der Rahmen ist übrigens auf Gabeln mit 130–150 mm Federweg ausgelegt) bei 75 psi, Reifendruck checken und los geht’s! Das gesamte Testteam war sich sicher, dass der leicht und robust wirkende Rahmen gut bergauf gehen würde, wir waren aber alle überrascht, wie unglaublich effizient er tatsächlich war! Mit seinen 12,2 kg (ohne Pedale) marschierte unser Kingdom Vendetta Boost den Berg hoch, als wäre ein wilder Bär hinter ihm her. Jeder, der denkt, Plus-Bikes wären lahm, sollte dieses Bike fahren. Der Vorwärtstrieb ist enorm und sowohl die leicht rollenden Reifen als auch der durchdacht gewählte Sitzrohrwinkel verwandeln jedes Watt Muskelschmalz in puren Vortrieb. Wenn ihr eure Kumpel auf dem Vendetta nicht besiegen könnt, könnt ihr das Radfahren genauso gut aufgeben und zum Cricket wechseln.
Das sehr kompakte Heck hält das Fahrergewicht stets über dem Hinterrad, sodass die Plus-Reifen ordentlich Grip entwickeln können und kurze technische Sektionen und Ausflüge jenseits der Waldwege zur Kür werden. Natürlich klettert es wie ein Hardtail, aber eben wie ein gutes. Wenn es steil wird, neigt das Vorderrad ein wenig zum Steigen wenn man nicht genug Druck auf die Front bringt, was bei einem Bike mit einer solch flachen Geometrie aber nicht überrascht. Wie ein Spürhund auf Fährte springt das Vorderrad von Seite zu Seite – was aber nicht weiter stört, da euer Grinsen das Einzige sein wird, was euch interessiert, wenn das Vendetta seinen Bergauf-Skills freien Lauf lässt. Das Oberohr ist für einen Medium-Rahmen ziemlich kompakt und unsere 180 cm großen Tester würden definitiv zur Größe Large greifen.
Das Kingdom Vendetta Boost auf der Abfahrt
Gut, bergauf macht es schon mal eine gute Figur, aber was ist mit den Abfahrten? Wie jedes andere Hardtail ist das Kingdom Vendetta Boost kein Bike zum blind Drauflosschießen. Aber wenn man es clever anstellt, kann man einiges an Speed mitnehmen, besonders in hängenden und engen Kurven. Die aggressive Geometrie und die langhubige Gabel erlauben es, auch bei fiesem Geballer im Zentrum des Bikes zu bleiben und es über den Trail zu pushen, statt hinterm Sattel zu hängen. Die 421 mm kurze Kettenstrebe verleiht dem Heck Agilität und erlaubt kontrolliertes Driften. Die flexible Titankonstruktion der Streben schwächt gröbere Einschläge merklich ab und reduziert die Erschütterungen von unten. Dabei bewahrt es sich eine persönliche Note, die deutlich nachgiebiger ist als das harte und undefinierte Feeling bei den meisten Carbon- oder Aluminiumrahmen.
Was wir nicht erwartet hatten, war die Geschwindigkeit, die das Vendetta Boost mit den Plus-Reifen generiert. Als wir zusammen mit einigen wirklich schnellen EWS-Fahrern aus der Top 30 unterwegs waren, begannen die Jungs auf den flowigeren Trails gut zu schwitzen und hingen dem Titanbiest hinterher. Das Vendetta beschleunigt spielend auf Höchstgeschwindigkeit und hält diese hervorragend. In Steilkurven führt der von den Plus-Reifen generierte Grip dazu, dass die einzige Grenzen, die euch gesetzt sind, eure Nerven und der altersbedingte Selbsterhaltungstrieb sind. Kurvengeschwindigkeit ist der Trumpf des Vendetta und die fehlende Kante der dicken Reifen lässt euch irgendwann merken, dass dieses Bike Grip in wahnwitzigen Schräglagen bietet. Dank der geringen Überstandshöhe könnt ihr das Bike ohne Anstrengung herumwuchten. Die Nobby Nics funktionierten super, bekamen aber leicht Löcher – wir sind mit den Plus-Reifen noch nicht ganz am Ziel, aber jeder Tag bringt uns ein Stückchen näher!
Wir gerieten irgendwann in unwegsameres Terrain, als geplant war, und auch wenn die dicken Reifen helfen, ist das Vendetta trotzdem nur ein Hardtail. Wenn man in größere Steinfelder mit eckigen Felsen gerät, stellt sich das altbekannte Hardtail-Gefühl ein – als wäre man vom Hammer getroffen. Der Titanrahmen fügt dem Ganzen aber eine gewisse Sanftheit hinzu, als hätte jemand ein Kissen unter den Hammer gelegt. Am Ende einer Tour, wenn sich die Müdigkeit einstellt und die Beine schwer werden, wird die Fahrt wild, als säße man auf einem buckelnden Stier, und man muss das Vendetta zähmen. Im groben Terrain braucht man Energie und Enthusiasmus, um das Beste aus diesem Bike herauszuholen. Aber wenn man es beim Schopf packt und zu seinem Glück zwingt, fängt das Kingdom Vendetta Boost so richtig an zu singen und belohnt euch mit einem fetten Grinsen.
Welche Fahrer würden also solch ein Bike kaufen? Jeder von uns wollte mal ein Titan-Hardtail und das Kingdom Vendetta Boost ist ein perfektes Beispiel von außergewöhnlicher Gutmütigkeit und der Eleganz, die dieses Metall bieten kann. Zusammen mit Plus-Reifen fühlt sich das Vendetta besonders auf flowigen Trails mit hängenden und Highspeed-Kurven wohl. Wenn das nach dem klingt, was ihr fahren wollt, werdet ihr kein Bike finden, das euch auf ähnliche Geschwindigkeit bringen kann! Wenn ihr nach einem Titan-Hardtail sucht, habt ihr vermutlich schon ein Fully, was das Vendetta zum perfekten Zweitbike macht. Ein begehrenswertes Luxusgut, das mehr bietet als nur eine sexy Silhouette.
Fazit
Es gibt da draußen viele Hardcore-Hardtails, die 150 mm Federweg an der Front mit einem flachen Lenkwinkel kombinieren und dabei vielleicht auch noch gut aussehen. Bei ruppigen Abfahrten verzieht man dann aber meist gequält das Gesicht, während Fully-Fahrer mühelos hinter der nächsten Kurve verschwinden. Das gutmütige und unfassbar schnelle Kingdom Vendetta Boost ist ein Hardtail, das diese Regel infrage stellt. Zusammen mit den Plus-Reifen begründet es eine Klasse für sich. Es ist ein Bike, das es mit der Fully-Fraktion aufnehmen und ihr sogar noch ein paar Tricks beibringen kann, während es vielseitig genug für längere Tagestouren oder Winterausflüge ist. Mit den Plus-Reifen ist das Vendetta eine echte Trailrakete, wenn es flowig wird und sobald man sich an die fehlende Kante der Reifen gewöhnt hat und die Finger von der Bremse lässt, entwickelt das Bike Geschwindigkeiten, von denen man zuvor nur träumen konnte!
Mehr Informationen dindet ihr auf der Kingdom Website.
Text & Bilder: Trev Worsey
Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als ENDURO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die Mountainbike-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!