Was hat ein iPad mit dem OPEN U.P. gemeinsam? Die Frage mag absurd klingen, betrachtet man aber beide Produkte genauer, findet man viele Gemeinsamkeiten. Aber dazu später mehr.
Einem Mountainbiker mag das OPEN vermutlich genauso befremdlich erscheinen wie einem Rennrad-Fahrer: Mountainbike-Reifen, Scheibenbremsen, 1×11-Antrieb und Rennrad-Optik. Was soll dieser Bastard von Bike?
Aufgeschlossene und moderne Zweirad-Sportler werden hingegen eine große Chance und neue Möglichkeiten in dem U.P. sehen – genau wie im Jahre 2011 bei der Premiere des iPad. Einem Produkt, das seinen eigenen Markt geschaffen hat. Genau wie das iPad greift das OPEN auf bestehende Technologien zurück, setzt diese in einen neuen Kontext und schafft ein vollkommen neues Produkt. Ein Produkt, von dem keiner wusste, dass er es tatsächlich einmal brauchen oder wollen würde. Ein augenöffnendes Erlebnis.
Das Jagdgebiet
Gravel-Roads, Wildnis oder Asphalt? Die natürliche Heimat des OPEN, dessen Kürzel U.P. für „Unbeaten Path“ steht, ist nicht ganz einfach zu definieren und hängt maßgeblich vom Aufbau ab.
So ist es mit 700c Straßen-, Gravel- und Crosslaufrädern (bis 40 mm) sowie 27,5″-Mountainbike-Laufrädern mit bis zu 2,1″ breiten Reifen kompatibel. Die 420 mm kurzen und steifen Kettenstreben sorgen für eine direkte Kraftübertragung, während superdünne Sitzstreben ein deutliches Plus an Komfort bieten. Die X12-Steckachse gewährleistet Steifigkeit und Stabilität am Hinterrad. Der wunderschöne Rahmen glänzt mit seinen klaren Linien, die durch die interne Zugführung noch unterstrichen werden, und der auffälligen Lackierung. Unser Testbike wog 8,26 kg.
Das Fanes-Gebiet mit seinen malerischen Bergpässen, ausgewaschenen Almwegen, flowigen Singletrails und einsamen Straßen mit teils rauem Asphalt dient als Testrevier. Startpunkt ist das Bergdorf San Vigilio auf der Südseite des Kronplatz. Vom Hotel aus geht es über Kopfsteinpflaster und Teer in Richtung Pederü. Auf der Straße zeigt das Rad nicht nur optisch, sondern auch in Sachen Fahrgefühl seine Rennrad-Gene: charakteristischer Dropbar-Lenker, gestreckte Sitzposition mit 120-mm-Vorbau, puristische Ausstattung. Trotz der „Traktorreifen“ fühlt sich der knallorange Blitz noch immer leichtfüßig auf Asphalt an – deutlich schneller als jedes noch so leichte Hardtail. Verwindungssteif, spurtreu und bei hohen Geschwindigkeiten mit präzisem Fahr- und Kurvenverhalten.
Neben dem Attackieren hat das Rad aber noch andere Stärken: Cruisen und Streckemachen sind dabei die neu entdeckten Qualitäten des OPEN U.P. für Mountainbiker. Dank der entspannten Griffposition am Oberlenker ruht man quasi auf dem U.P. und das schafft wunderbaren Freiraum, bei Langstrecken auch die Schönheit der Natur zu genießen. Schotterstraßen werden mit dem OPEN zum Tempel der Besinnung. Plötzlich geht es nicht mehr nur um den nächsten Trail und wie man diesen am schnellsten erreichen kann. Der Tunnelblick, den wir Mountainbiker häufig auf der Suche nach dem nächsten Kick entwickeln, entfällt mit dem OPEN U.P. komplett. Der Weg ist das Ziel, so abgedroschen es klingen mag.
Ein Bike für alle Fälle
Geometrie und Sitzposition machen einen spürbaren Unterschied. Mit dem OPEN U.P. ist Kilometerfressen fast schon Pflicht – egal ob auf Asphalt oder im Gelände. Die für Mountainbiker gestreckte Sitzposition untermauert den Vorwärtsdrang. Schlaglöcher und Drainage-Rinnen können dem Bike kaum etwas anhaben, es klebt astrein auf der Straße. Die 1,9″ breiten Schwalbe Racing Ralph-Reifen sind nicht nur pannensicher, sondern geben ein Plus an Sicherheit, vor allem auf nassem Asphalt. Unter widrigen Straßen-Bedingungen ist das OPEN definitiv die beste Wahl.
Naturgemäß fehlt dem OPEN U.P. aber der Drang zum absoluten Speed – es ist kein Racebike, auch wenn man damit locker ein Jedermann-Rennen bestreiten kann. Sobald man in die untere Position des Dropbar-Lenkers greift, kommt durchaus echtes Rennrad-Feeling auf. Ein Mountainbike kann da nicht mehr mithalten. Die Explosivität eines 6-kg-Rennradrenners sollte man jedoch auch nicht erwarten. Mit fast schon bombensicheren 650B-Laufrädern und bis zu 2,1″ breiten Pneus sind dem OPEN U.P. aufgrund der höheren rotierenden Masse physikalische Grenzen gesetzt. Kompromisslose Beschleunigung sieht anders aus, aber den Deal zugunsten sorgenfreier Off-Road-Einsätze sollte man akzeptieren können.
Back to the roots
Auf Schotter und Trails fühlt sich das OPEN U.P. an wie eine Reise zurück in die Anfänge des Mountainbikens. Beste Jugenderinnerungen an die ersten Hardtails werden wach. Alurahmen waren damals noch eine Rarität, Stahlflex, Knubbelreifen und einfache Federgabel die einzigen Komfortaspekte, die ein Mountainbike Anfang der 90er-Jahre zu bieten hatte. Direkt, puristisch und ziemlich ehrlich – so fährt sich das OPEN. Jede Bodenwelle gibt Rückmeldung an den Fahrer, kleine Fels- oder Wurzelkanten werden zur ungeahnten Herausforderungen. Aktive Fahrweise ist Trumpf, statt sattem Federweg ist Lockerheit im Oberkörper angesagt. Das lehrt ordentliche Bikebeherrschung, saubere Linienwahl und macht zudem verdammt Spaß. Manchmal ist weniger einfach mehr!
Man ertappt sich dabei, das Gelände neu zu lesen und unablässig damit zu spielen, um das Potenzial des Rades und die eigenen Grenzen auszuloten. Das Limit ist im Grunde nur die eigene Fahrtechnik, denn der hochwertige Carbonfaserrahmen der Schweizer Edelschmiede nimmt vieles extrem gelassen. Als Mountainbiker muss man das Trailbiken zwar nicht neu lernen, aber doch grundlegend an das Rad anpassen. Wer mit Dropbars und der ungewohnten Bremshebelposition schnell und sicher auf Trails unterwegs sein will, muss lernen, umzudenken und sich an die dezentrale, gestreckte Sitzpositionen zu gewöhnen. Aber genau darin liegt auch der Reiz.
Details des OPEN U.P.
Das OPEN U.P. will mehr als nur ein stabiles Rennrad sein. Dieses Rad lässt bewusst die traditionellen Grenzen zwischen Rennrad und Mountainbike verschwimmen und öffnet seinem Besitzer neue Horizonte. In diesem Schmelztiegel der konkurrierenden Bikekonzepte ist etwas vollkommen Neues entstanden, das zwar aussieht wie ein alter Bekannter, aber das Potenzial hat, die Ära einer neuen Fahrradgattung einzuläuten.
Die Evolution des Cyclocross-Bikes setzt OPEN mit dem Unbeaten Path sehr gelungen um und zeigt, dass man manchmal unorthodox und ohne Rücksicht auf geltende Konventionen die Sinnfrage stellen muss. Es bleibt der Eindruck, dass bei der Entwicklung des U.P. intensiv nachgedacht wurde, wie man ein Rad bauen kann, das für Rennradfahrer und Mountainbiker gleichermaßen attraktiv ist. Und diese neue Gattung zeichnet sich bereits im Renn- und Eventbereich ab: So entstehen aktuell neue Rennrad- bzw. Gravel-Rennformate wie das kalifornische Grinduro oder das italienische Superenduro B-Road, die ähnlich wie Enduro-Rennen aus gezeiteten Stages und Verbindungsetappen bestehen, den Asphalt verlassen und den Spaß und lokale Entdeckungsreisen in den Vordergrund stellen.
Fazit
Das OPEN U.P. ist ein Rad für ambitionierte Allrounder, für Minimalisten und Puristen, die sich auf und abseits der Straße, vor allem aber außerhalb der bisher gültigen Limitierungen bewegen wollen. Das perfekte Bike für Individualisten, die sich nicht entscheiden wollen. Und da sind wir auch wieder beim iPad: Das Tablet ist weder Smartphone noch Laptop, sondern funktional irgendwo zwischendrin – und dafür minimalistisch nur mit dem Wichtigsten und Simpelsten ausgestattet. Das macht die Benutzung so einfach und vielseitig. Wie ein Schweizer Taschenmesser – ein zivilisiertes Tool mit dem Nötigsten, was man zum Überleben im Alltag oder der Wildnis benötigt. Egal was kommt.
Infos
Preis: 2.900 € (Rahmenset)
Gewicht: 8,26 kg
Mehr Infos gibt es auf der OPEN Website
Text: Robin Schmitt/Steffen Gronegger Bilder: Christoph Bayer
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