Rennbericht | “Forever Wild” auf der Chomolungma Challenge 2015
Einmal den Mount Everest shredden – zumindest gefühlt. Zusammen mit deinen Kumpels 10.000 Tiefenmeter an einem Tag vernichten auf besten Bikepark-Trails unter Rennbedingungen. Hört sich gut an? Dachte ich mir auch und nahm deshalb an der vierten Chomolungma Challenge in Snowshoe, West Virginia, teil.
Auf der Suche nach neuen Trails und Abenteuern an der East Coast stolpert man fast zwangsläufig über Snowshoe Mountain in West Virginia. Gut ein Jahr lebe ich nun in den USA und noch immer fühle ich mich wie zu Zeiten des Goldrauschs: Je mehr Rider ich kennenlerne, umso mehr Nuggets finde ich. Und Snowshoes Bikepark ist eine wahre Goldgrube, wenn es ums Shredden geht.
Der kleine Skiort sitzt wie ein überdimensionierter Adlerhorst auf der höchsten Erhebung der Region, mitten im bildschönen Pocahontas County in den wilden Allegheny Mountains. 360° Panoramablick und endlose Bergketten, so weit das Auge reicht. Weißwedelhirsche und Schwarzbären in der Abenddämmerung. Die Welt scheint noch in Ordnung in dieser dünnbesiedelten Region der Appalachen.
Snowshoes Bikepark zählt zu einer der Top-Adressen für Gravity-Biker im Osten der USA. Zwar erfüllt das Ressort mit seinen Ferienappartements, Restaurants und Bars die Definition von Massentourismus, aber davon merkt man im Sommer nicht viel. Das „kleine Whistler“ an der East Coast ist fest in der Hand von Bikern: zwei schnelle Liftanlagen, ca. 40 Biketrails, Bike- und Verleihshop sowie Familienspaß für Groß und Klein sind die infrastrukturellen Pluspunkte.
Für mich sind vor allem die Trails entscheidend und davon hat Snowshoe reichlich. Die beiden Sessellifte bedienen meine Ansprüche zu Genüge, doch will man Berge aus eigener Kraft bezwingen, eröffnen sich einem mehr Trailkilometer, als man an einem Wochenende fahren kann. Das liegt vor allem daran, dass richtig Back-Country und Tiefenmeter vorhanden sind. Auf der westlichen Seite, dem Western Territory, sind bis zu 500 m pro Abfahrt garantiert. Das erinnert bereits an alpine Bikeparks und fühlt sich auch so ähnlich an: Armpump und körperliche Erschöpfung nach mehreren Stunden Ballern sind so gut wie sicher.
Das Beste ist, dass nicht nur Brechsand-Trails geboten werden, die man von einem typischen Bikepark erwarten darf. Klar gibt es Jumplines (Skyline) mit vielen Tables und meterhohen Anliegern. Aber für seine maschinengebauten Achterbahnen, die glatt wie ein Babypopo sind, ist Snowshoe nicht wirklich berühmt. Sondern für seinen harten East Coast Gnar und seine wilden, scheinbar ungepflegten Trailschneisen mitten durch den Wald. Ehrliches Downhill- und Enduro-Country: bis hin zum Double Diamond-Schwierigkeitsgrad, technisch, verspielt und anspruchsvoll. Vor allem die Ostseite, „The Basin“, bietet von diesem Gemetzel mehr als genug.
Die Trails haben trotzdem irgendwie Flow, eine aktive Fahrweise vorausgesetzt. Überall finden sich alternative, schnellere Lines, die man gerne beim ersten Anflug übersieht. Pop und Airtime sind gefragt. Wer passiv bleibt und seine Bremsen zu sehr liebt, kommt leicht ins Stottern. Der gute Zustand der Trails erstaunt: Es gibt kaum Bremswellen oder Matschlöcher, die einem den Speed rauben oder vor dem Absprung unnötig Stress verursachen. Ohne Frage, die Trailbuilder verstehen ihr Handwerk. Denn Snowshoe befindet sich klimatisch betrachtet in einer Zone des gemäßigten Regenwaldes. Niederschlagsmengen über 2.000 mm pro Jahr sind Standard. Es regnet viel und häufig und trotzdem sind die Trails auf Topniveau.
The Challenge
In dieser Arena soll ich mein erstes Ausdauer-Downhillrace bestreiten. Ich bin nervös, denn die Chomolungma (der traditionelle tibetanische Name für den Mount Everest) Challenge ist alles andere als normal: 20 lange Laps im Western Territory. 10 Runs auf dem Pro DH-Kurs und 10 auf der Kombinationsstrecke, genannt „Powerline“. Entweder alleine oder mit einem Teampartner. Insgesamt fast 10.000 Tiefenmeter an einem Tag – das Äquivalent zum höchsten Berg der Welt.
Pro DH ist ein gemäßigter Downhill-Track, der oft bei Amateurrennen zum Einsatz kommt. Schnell, nicht übermäßig technisch, aber tückisch, wenn man nicht bei der Sache ist. Die Powerline bietet von allem, was Spaß macht, etwas und wird einem klassischen Bikepark-Track schon eher gerecht. Deutlich mehr Airtime, mit vielen Berms und einer schnellen Geröllpassage.
Da ich Naturtrails von Europa gewöhnt bin, liegen meine Hoffnungen voll auf dem Pro DH-Kurs. Die Powerline soll 2 min länger und angeblich auch kräftezehrender sein. Mir sind vor allem die Sprünge nicht geheuer: Beim letzten Besuch musste ich im letzten Teil kämpfen, um einen Crash zu vermeiden. Da das Terrain in Snowshoe hardcore ist und ich mehrere Stunden am Limit fahren werde, entscheide ich mich für mehr Federweg und damit für mein Transition TR450. Viele haben zu einem leichteren Trailbike statt dem robusten Arbeitsgerät geraten, um Kräfte zu sparen. Doch für mich geht es eher ums Durchkommen als ums Siegen, weshalb mein Enduro für diese Materialschlacht zu Hause bleibt.
Meinen Teampartner Nathan, genannt „Shorty“, kannte ich vorher nicht. Wir wurden über Freunde und Facebook zwei Tage zuvor verkuppelt. Er gilt als erfahrener Snowshoe Local, raceerprobt und schnell. Ich bin dankbar, denn sonst hätte ich das Solo-Rennen absolvieren müssen und auf 20 Runden bin ich nicht unbedingt scharf. Trotzdem, im Team mit einem ambitionierten Fahrer kommt gleich etwas mehr Druck auf. Die Nervosität vor dem Startschuss ist da.
In der Ruhe liegt die Kraft
Bestes Wetter, etwas Frühtau, griffige Trails. In der Ortsmitte von Snowshoe unter dem Red Bull-Torbogen startet das Rennen kurz nach 9 Uhr. Ein kurzer Sprint, dann eine kleine Treppen-Kombo. Beinah kommt „Urban Downhill Feeling“ auf, auch wenn wir nicht durch die steilen Gassen einer brasilianischen Favela preschen. Kurzer Uphill, dann geht es auf den ersten Trail. Nur nicht hetzen am Anfang … In der Ruhe liegt die Kraft. Meine Rennstrategie ist simpel: konstant fahren, Crashs und Defekte vermeiden. Vor mir kracht es gleich mal, ein Mitstreiter fällt den ersten Wurzelfallen zum Opfer. Anfangsnervosität, aber alles okay.
Die kürzere Pro DH-Strecke ist meine erste Wahl. Tags zuvor bin ich den Kurs mit Freunden und der Kamera abgelaufen. Die Spionagetour hat sich gelohnt: Die meisten Ideallinien sind wie eingebrannt vor meinem inneren Auge. Ich treffe „meine“ Lines, kann den Speed gut halten und mache kaum Fehler. Vertrauensbildender erster Run, ich bin pumped. Nach ca. 6 min erreiche ich das Ziel, meine Lochkarte wird abgestempelt. Noch 19 Abfahrten.
Lift schnappen und 10 min entspannen, bis ich wieder oben am Start bin. Nathan wartet, sodass ich beide Strecken einmal absolvieren kann. Die Powerline ist, wie gesagt, nicht mein Favorit, aber es läuft besser als gedacht. Doch ich werde bereits müde und spiele viel zu viel mit der Bremse. Etwas Armpump, einige unnötige Fahrfehler. Loch Nr. 2, noch 18 Abfahrten.
„Getting loose“
Shorty übernimmt, ich bekomme eine Verschnaufpause. Er fährt volle drei Runden, der Typ ist gut unterwegs. Vor allem arbeitet er die von mir ungeliebte Powerline ab. Dann bin ich wieder am Zug: Unter den Anfeuerungsrufen der anderen Teams trete ich in die Pedale. Racing unter Freunden, super Atmosphäre, von ernstem Konkurrenzkampf keine Spur. Weitere zwei Runden auf dem Pro DH. Es läuft immer besser, das Selbstvertrauen steigert sich zur Überheblichkeit. Ich lasse es laufen, double mehr und bin ziemlich loose. Sechstes Loch, noch 14 Runs.
So geht das ungefähr bis Runde 13. Mittlerweile habe ich meinen ersten Crash zu verzeichnen. Nathan handelt sich drei (!) Platten ein, was mich gefühlt zum Solofahrer werden lässt, während er seine Reifen wechselt. Dann zieht am Horizont ein „Slowmover“ auf: graue Gewitterwolken. Willkommen im gemäßigten Regenwald. „Wenn dir das Wetter nicht gefällt, dann warte einfach eine Stunde“, sagen mir die Locals grinsend. Zunächst „Weather Watch“, dann mit dem ersten Donnergrollen „Weather Hold“. Nichts geht mehr, der Liftbetrieb muss eingestellt werden.
Wenn’s schief geht, dann richtig
30 min Wolkenbruch – willkommene Erholungspause. Von da an verwandelt sich das Race in eine Schlammschlacht und damit zur echten Challenge. Ich gehe in einem Steinfeld über den Lenker, der Helm fängt das Bike ab. Hart, aber herzlich – keine Verletzung. Wir sind noch immer gut dabei, ca. eine Abfahrt hinter den führenden Teams. Vielleicht 30 min Rückstand bei einem Sechs-Stunden-Rennen … damit kann ich leben. Mittlerweile ist es fast 16 Uhr.
Dann schlägt Murphy’s Law gnadenlos zu. Ich nehme die letzte matschige Powerline, Abfahrt Nr. 19 und bei der Übergabe kommt es zum eklatanten Missverständnis. Nennen wir es Sprachbarriere oder schlecht beschriftete Lochkarte: Pro DH wäre Shortys letzter Run gewesen, aber ich schicke ihn aus Versehen nochmal auf die Powerline. Er fährt konsequent eine Runde umsonst. Damit landen wir unter den letzten Teams, was uns aber immerhin zu den moralischen Siegern des Tages macht.
Egal, wir alle hatten einen Höllenspaß auf super Trails und die drei besten Teams sind mit ordentlich Preisgeld davonmarschiert. Ein mehr als gelungenes, bestens organisiertes Rennen, das seinesgleichen sucht. Snowshoe, keep up the good work!
Check: Chomolungma Challenge 2015
Text: Steffen Gronegger Bilder: Steffen Gronegger / Kurtis Schachner – Snowshoe Mountain
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