Schottland: Abenteuerliche Trailsuche auf der grünen Insel
Ein Roadtrip bringt immer neue Erkenntnisse – über sich, über andere oder zumindest über das bereiste Land. So auch der Trip von Daniel Oberauner (trailproof.com) und seinen Gefährten auf der grünen Insel. Eine davon: Um in Schottland auf Trailsuche zu gehen, braucht man eine gewisse Portion Leidensfähigkeit. Über diese und weitere Erkenntnisse, berichtet Daniel in seinem Reisebericht – außerdem erfahrt ihr, was es mit der Armee der Finsternis auf sich hat!
„Verdammt, wo sind die roten Linien?!“ Vergebens suche ich die OS Wanderkarte nach den vertrauten Trail-Indikatoren ab. Zu Hause ist es einfach: rot heißt Wanderroute, wobei die durchgezogenen Linien oft eine langweilige Forststraße entlang führen; Wandern ist auch nicht mehr was es einmal war. Ab rot gestrichelt wird es aber interessant – Trails! Aber hier in Schottland? Nichts. Okay, Karte umgedreht und auf die Legende gelugt. Paths, also Pfade sind schwarz gestrichelt, das ganze doppelt bedeutet „other road“, ich nehme an Schotterstraße. Nicht so ins Auge stechend wie rot, aber, wenn man sich erst mal eingelesen hat, absolut zuverlässig diese Ordnance Survey Karten.
Der nächste Schreck: wo in Österreich dutzende rote Linien die Karte in ein Spinnennetz aus Wegen verwandeln, herrscht hier eindeutig Wildnis vor. Wenige durchgängige Pfade, fast keine Straßen für den Uphill, und meist endet das Ganze irgendwo im Dickicht. Wandern scheint nicht Volkssport Nummer eins bei den Briten zu sein. Zumindest nicht das Wandern wie wir es kennen. „Walks“ heißen die Touren hier. Das bedeutet für unser Vorhaben also: walking…
Unser Vorhaben, hmmm. Ach ja, ein Roadtrip durch Schottland sollte es werden. Trailcenter so gut es geht links liegen lassen, natürliche Trails suchen und unterwegs auch ein paar Gipfel mitnehmen. Gleichzeitig auskundschaften, ob sich so ein Trip auch als geführte Tour anbieten lässt. Schon lange hatten wir beschlossen den Horden am Gardasee und in den bekannten Alpendestinationen den Rücken zu kehren und das Trailglück im Norden Europas zu suchen. Das hat mehrere Gründe: Erstens, man hört nicht an jeder Ecke deutsche Biketouristen über die Vor- und Nachteile von mehr Federweg oder 29ern diskutieren. Zweitens werden, unserer Erfahrung nach, die Leute um so freundlicher, je härter das Klima wird. Und drittens gibt es keine Worte, die die landschaftliche Schönheit von Skandinavien, Schottland oder Island auch nur annähernd beschreiben könnten. Also Flug gebucht, Bikes verpackt, Lieferwagen gemietet, noch schnell eine Matratze gekauft – Biketransporter inklusive Wohn- und Schlafzimmer also. Wildcampen ist, ähnlich wie in Norwegen, meist kein Problem und der Ford Transit in Basisausstattung ist nicht teurer als ein Wagen der Golfklasse.
Den schottischen Bikern kann eine gewisse Leidensfähigkeit nicht abgesprochen werden. So gehört Schieben und Tragen des Bikes zum Tourenalltag und wird in den Guidebooks lapidar als „some pushing“ deklariert. Und der Typ in der alten, zerschlissenen Lycra und T-Shirt auf dem Trail Hardtail zeigt dir bergauf und bergab locker das Hinterrad. Bei uns würde es eine Tour mit anderthalbstündigen Schiebestrecken nie in einen offiziellen Bikeführer schaffen. Wie sich herausstellt sind die schottischen Guidebooks durchaus mit den aus der Schweiz bekannten zu vergleichen, und halten, was sie versprechen. „Challenging“ bedeutet wirklich hart, und wenn da steht Schieben, dann heißt das auch bitte absteigen – keine Weicheier diese Highlander. Dass Biketouren in Großbritannien etwas anderes sind als in den Alpen ist weithin bekannt, dass es zwölf Kilometer lange Trails gibt die komplett flach verlaufen, dich fahrtechnisch und körperlich aber doch total vernichten können, war auch uns neu und verlangte einiges an Ausdauer, Durchhaltevermögen und Flexibilität in der Tourenplanung. Letztlich könnte man die Schotten auch sprachlich als die Tiroler Großbritanniens bezeichnen: kernige Naturburschen, für die fünf Grad plus die perfekte Temperatur für „kurz/kurz“ ist, und deren Sprache mit dem markanten „r“ sie eindeutig als Bergvolk outet.
Bothy Nights
Der dritte Durchschlag innerhalb von 20 Minuten. Verdammt! Was ist mit diesem scheiß Hinterrad los? Dass ich die beiden Ersatzschläuche mit meiner mehr als zwanzigjähriger Erfahrung vielleicht doch nicht sauber genug gewechselt haben, und ich selbst die Ursache der Pannen sein könnte, übersehe ich dezent. Und so schimpfe ich abwechselnd auf die mit Steinen verstärkten Abflussrinnen und das ach so veraltete Bike. Nur die Fahrkünste meiner Begleiterin lasse ich, den Trail- und Familienfrieden immer im Hinterkopf, unangetastet. Wir befinden uns auf 400 Metern Seehöhe, was im Norden Schottlands durchaus alpin bedeutet. Nur noch ein Schlauch befindet sich in meinem Rucksack, der letzte Riegel hat schon vor Stunden unseren Verdauungstrakt passiert und bis zur Zivilisation sind es mindestens eineinhalb Stunden. Mit Zivilisation ist übrigens eine Strasse gemeint, kein Haus oder gar Dorf. Früh am Morgen waren wir an einem Parkplatz der A869 gestartet. Unser Ziel: eine fahrtechnisch herausfordernde Runde ins Glen Carron, unterwegs zwei, drei Trails abchecken die in der Karte vielversprechend aussehen, und im Schatten des Ben Damph zurück ins Glen Torridon. Highlight: die Übernachtung in einem heimeligen Bothy, einer von über 100 Hütten oder Unterständen die vom Eigentümer nicht genutzt und somit der Mountain Bothies Association zur Verfügung gestellt werden. Diese Hütten sind unversperrt und stehen Wanderern und anderen, die auf der Suche nach Einsamkeit sind, gratis zur Verfügung – Einhaltung des Verhaltenskodex vorausgesetzt.
Da ist sie endlich, die Straße. Fünf Kilometer rollen wir noch dann sehen wir die Erlösung, ein kleines Café mit angeschlossenem Shop. Wir hatten die Dauer dieser Tour, die sich aber immer mehr zur Schiebepartie mit Stop and Go Abschnitten entwickelt hat, maßlos unterschätzt. Jetzt weckt eine wärmende Suppe die Lebensgeister wieder, und mit Verpflegung für den Morgen nehmen wir die letzten 300 Höhenmeter zu unserem Bothy in Angriff. Die kleine Hütte ist fast leer, nur ein kanadisches Pärchen hat bereits Quartier in der idyllischen Unterkunft bezogen. Und so verbringen wir den Abend mit Reisegeschichten.
Armee der Finsternis
Eine Stunde sind wir erst unterwegs, und schon sind sie wieder da. Ich hasse sie, ich hasse sie, ich hasse sie! Egal ob mikroskopisch klein, oder fett wie ein fünf Cent Stück – Midges, das Kampfgeschwader der schottischen Luftwaffe und hinter Bikern her wie die heimischen Jäger. Diese beißenden, stechenden, saugenden und Juckreiz verursachenden Biester können einem echt die schönste Tour vermiesen. Zwar beschränkt sich ihre Aktivität auf die Monate Mai bis September, aber dafür geben sie in dieser Zeitspanne richtig Gas, und so nimmt man zumindest von der Lunchpause oder der kurzen Reparatur einige Andenken mit in sein Bed&Breakfast. Repellents, wenn möglich natürliche, sind unbedingt zu empfehlen, und nicht selten sieht man Wanderer und Radler mit Moskitonetzen vorm Gesicht.
Jetzt geht es aber in den finalen Downhill. Ein Traum von einem Trail, der sich durch das unglaublich griffige, aber nicht zu scharfkantige Gestein zieht. Nie zu schwierig und mit einer Aussicht für die es keine Worte gibt. Wie schon in Skandinavien begleiten Unmengen von Wasser unseren Weg, der sich entlang von Bächen, neben Wasserfällen, um kleine Lochs kurvend, selbst natürlich wie ein Rinnsal, seinen Weg gen Tal sucht. Wenn in mittlerer Zukunft einmal Wasser zum wertvollsten Gut wird, verdienen sich die Nordländer eine goldene Nase. Und dann sind wir am Meer.
Ich habe selten etwas idyllischeres gesehen. Diese alte Ruine, die saftig grüne Wiese, die neugierige Schafherde, all das strahlt eine derartige Ruhe aus, dass sich eine tiefe Zufriedenheit in uns breitmacht. Schweigend bringen wir die letzten Kilometer bis zum Van hinter uns, überwältigt von den Impressionen der letzten Tage. Im Norden ziehen Regenwolken auf, Zeit für uns weiter zu ziehen. Zurück zum Flughafen, zurück zu Arbeit, Internet, Handys und Alltag. Zwei ereignisreiche Wochen liegen hinter uns. Wer braucht schon rote Linien auf einer Karte wenn er seine eigene Trailmap aus Wildnis, Abenteuer und Stille in seiner Erinnerung zeichnen kann.
Mehr Informationen auf www.trailproof.com
Text: Daniel Oberauner | Bilder: Stefanie Scheikl, Daniel Oberauner
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