Special | Lonesome Rider – ein Wochenende Offline
Seine Beine sind übersät mit Mückenstichen, sein Rücken schmerzt, er ist todmüde und sich doch sicher: Das war der beste Trip, den er seit Langem unternommen hat. Und das aus nur einem Grund: Diesmal war Andi allein unterwegs!
Noch nie waren wir besser vernetzt als heute. Unsere Smartphones versorgen uns mit aktuellen News aus aller Welt, empfangen die kurzen Textnachrichten unserer Freunde, die E-Mails der Arbeitskollegen und zeigen uns die Likes unseres letzten Statusupdates auf Facebook an. Wichtiger als den Haustürschlüssel einzupacken ist es, vor dem Verlassen der Wohnung die Akkukapazität des iPhones zu checken, mit ihm könnte man schließlich zur Not auch den Schlüsseldienst rufen.
Wir lieben diese Vernetzung, sie vermittelt uns Sicherheit und eine Form von Geborgenheit, wenn auch nur digital. Egal wo wir sind, wir sind nie allein, unsere Freunde und Bekannten sind schließlich immer nur einen Klick entfernt. Gleichzeitig belastet diese ständige Erreichbarkeit aber auch – Andreas zumindest. Die Grenze zwischen Privatleben und Arbeit verschwindet, wenn wieder einmal eine Push-Benachrichtung abends um halb neun die Ankunft einer neuen E-Mail verkündet, während man eigentlich gerade bei einem Glas Rotwein auf der Couch den Tag ausklingen lassen wollten.
Mach mal wieder Offline
Freitag, Feierabend: Andi, der Mediengestalter unseres Teams, fährt seinen iMac runter, schaltet sein Handy aus und startet den Selbstversuch: zwei Tage offline, zwei Tage auf sich allein gestellt, zwei Tage Einsamkeit. Worauf er nicht verzichten will: ganz klar, ein Fahrrad! Die Wetterprognose ist gut und so startet er direkt. Am Abend geht es mit dem Auto in Richtung Alpen und nachdem er noch eine Nacht in einem miefigen Zimmer mit bestickter Bettwäsche und karierten Vorhängen in einer kleinen Pension verbracht hat, wechselt er morgens von vier auf zwei Räder und setzt sich aus eigener Kraft in Bewegung – ohne Handy, ohne Begleiter und ohne Stress.
Vorbereitung – der Schlüssel zum Erfolg
Andi hat Erfahrung im Bike-Reisen, er war letztes Jahr mit Kumpels in Südamerika unterwegs und hat dabei einiges an Höhenluft geschnuppert. Wie es sich gehört, natürlich mit einem Fatbike. An seinem Equipment, das er bereits am Vortag in unserem Büro auf dem Eichenparkett ausgebreitet und im Anschluss in einige der zum Teil maßgefertigten Packtaschen verstaut hat, lassen sich die Abenteuer, die er bereits erlebt hat, ablesen. Alles ist bewährt: egal ob das ultraleichte Ein-Mann-Zelt, der kompakte Daunen-Schlafsack, der Spirituskocher oder das edle, aber bereits ordentlich abgenutzte Titangeschirr.
Diese Erfahrung zahlt sich jetzt aus: Gerade einmal 18 kg bringt das Rocky Mountain Sherpa, das er für diesen Trip gewählt hat, mit all dem Equipment auf die Waage. Ein sehr guter Wert, speziell wenn man bedenkt, dass Andi es geschafft hat, ohne Rucksack zu reisen. „Der Rucksack sorgt bei langen Etappen im Sattel für unangenehme Rückenschmerzen“, meint er noch im Büro zu seinen Kollegen, die seine Vorbereitungen kritisch beäugten.
Weit entfernt von allem
Bergauf geht es gemächlich, dank des 2×10-Antriebs des Sherpa ist auch mit all dem Zusatzgepäck entspanntes Reisen möglich. Das vollgefederte Bike mit seinen 120 mm Federweg in Front und 95 mm am Heck bietet in Kombination mit den 27,5+-Reifen nicht nur erstaunlich viel Komfort, sondern begeistert Andi auch durch die hohe Fahrsicherheit. Nach einem gut 700 Höhenmeter langen Anstieg über eine Forststraße mit Schlaglöchern, die an Regentagen auch als Kinderplanschbecken genutzt werden könnten, folgt die erste kurze Abfahrt über nasse Felsplatten und rutschige Wurzeln durch den Hochwald mit seinen bemoosten Bäumen. Die 2,8″ dicken WTB Trailblazer-Reifen sorgen für ordentlich Grip und schmiegen sich dank des geringen Luftdrucks förmlich um die Hindernisse. Vollspeed wäre unangebracht, vielmehr fährt Andi kontrolliert und mit Weitsicht.
Sich ohne Handy irgendwie im Nirgendwo Hals über Kopf von seinem Sportgerät zu trennen, könnte hier unangenehme Folgen haben. Doch daran verliert er keinen Gedanken und arbeitet sich immer weiter ins Unbekannte voran. Nach einigen weiteren Stunden im Sattel voller Up- und Downhills ist Andi geschafft. Zeit für den Feierabend! Auf einer kleinen Lichtung macht er halt und beschließt, hier sein Nachtlager aufzuschlagen. Auf gut 2.000 m Höhe, umgeben von weißen Berggipfeln, presst er im Schutz einiger Bäume seine Heringe in den steinigen Boden und spannt die Zeltplane auf, um Schutz vor Wind und Wetter zu erhalten.
Komfort ist, was du draus machst
Kein iPod, kein Handy, nur ein kleines Buch hat Andi sich eingepackt. Das liest er nun im Schein seiner Stirnlampe, nachdem er sich mit dem Benzinkocher zuerst sein Nudelwasser und dann die Instantsoße erhitzt hatte. Keine Geschmacksexplosion, aber er ist satt – und das ist, was für ihn zählt. Geschlafen wird im Zelt, ist zwar weniger romantisch als unter dem Sternenhimmel, dafür ist er aber vor all den sich bereits sammelnden, blutgierigen Mücken geschützt. Die weiße Bettwäsche der Pension tauscht er gegen seinen Schlafsack, die durchgelegene Matratze gegen seine leichte Hightech-Luftmatratze und den Wecker gegen das warme Sonnenlicht, das ihn am nächsten Morgen weckt.
Wie Montag bis Freitag startet Andi auch seinen Sonntag mit einem Kaffee, dieser läuft jedoch nicht aus einem Vollautomat, sondern muss Step by Step zubereitet werden. Kocher anheizen, Wasser erhitzen, Kaffee zugeben und warten, bis sich das Pulver gesetzt hat, das ist Entschleunigung. Genauso wie die Wartezeit, bis der Tau von der Zeltplane im warmen Sonnenlicht wieder abgetrocknet ist und diese wieder verpackt werden kann.
Let’s get back to buisness
Alles wieder verpackt geht es zurück aufs Bike. Trotz des Zusatzgewichts fährt sich das Sherpa mit seiner kompakten Geometrie erstaunlich agil. Mit einer ausgewogenen Gewichtsverteilung in den beiden Packtaschen an Front und Heck lässt es sich selbst durch anspruchsvolles Terrain souverän navigieren. Als er nach einem weiteren Tag im Sattel wieder an seinem Auto ankommt, ist im klar: Einsamkeit kann etwas verdammt Schönes sein und Offline-Sein etwas sehr Entspannendes. Die automatischen E-Mail-Benachrichtigungen seines iPhones hat er zu Hause direkt deaktiviert und genießt das Glas Rotwein am Sonntagabend mit dem guten Gefühl, garantiert nicht mehr gestört zu werden. Cheers!
Text & Bilder: Christoph Bayer
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