Einst war die Stahlbranche eine der Säulen der britischen Industrie, doch zumindest an Highend-Mountainbikes findet man den Werkstoff kaum noch. Hat das stählerne Swarf Contour 115 mm 29er trotzdem noch seinen Platz in der Welt? Oder sollte es getrost in der Vergangenheit zurückgelassen werden?

Swarf Contour | 1.950 £ (Rahmen inkl. RochShox Monarch RT) | 3,20 kg (nur Rahmen)

Tief in der schottischen Council Area namens Scottish Borders finden wir uns selbst eingequetscht zwischen Drehbänken und Einspannvorrichtungen zur Montage von Rahmen wieder – dicht zusammengedrängt um einen einzelnen Montageständer. In der Luft liegt der beißend scharfe Geruch von verglühtem Schweißdraht, während ein Hauptrahmen gemächlich Rauch aus seinem Reynolds 853-Sitzrohr ausstößt. Dieser einfache Montageständer ist der Geburtsort jedes einzelnen Swarf-Bikes. Adrian Bedford, der Mann hinter Swarf Cycles, ist gegenwärtig der Unterhaltung entschwunden, während er sorgfältig die akkurate Schweißnaht untersucht – ein wunderschönes Band aus geschmolzenem Stahl.

Es herrscht keinerlei Hektik oder Gefühl von Zeitdruck, sondern jede Fügung wird akribisch hergestellt und dann geprüft. Stahlbikes verströmen immer eine Aura der Nostalgie und konkurrieren mittlerweile mit Aluminium, Titan und Carbon als Rahmenmaterial. Und doch ist Stahl in der MTB-Branche alles andere als verschwunden. Stahl ist schwerer, elastischer und bei schlechter Behandlung anfällig gegenüber Rost. Allerdings lässt er sich einfach bearbeiten und gibt Konstrukteuren von maßgeschneiderten Rahmen – wie Adrian – die Möglichkeit, das Bike ihrer Träume herzustellen.

In einer Welt voller aufgeblähter Carbonfaserrohre und Alubikes mit ebenso korpulenten Rahmen sticht ein dünnes Stahlbike heraus wie ein Gepard aus einer Herde Elefanten.

Während wir über all die aktuellen Neuerungen im Bereich der Geometrie diskutieren, wird schnell klar, dass Adrian Bedford wirklich etwas von seinem Fach versteht. Kein Wunder, schließlich ist er ehemaliger Raumfahrtingenieur und Mountainbike-Guide. All seine Rahmen werden im UK auf Bestellung handgefertigt. Wir sind hier, weil das Team von Swarf gerade sein neuestes Bike herausgebracht hat, das 115 mm Swarf Contour 29er. Ein Bike, das nicht für Rennen konzipiert wurde, sondern für die Berge. Das Swarf Contour verfügt über eine unverwechselbare Silhouette: Die schlanken Sitzstreben schmiegen sich perfekt ans Oberrohr an, um ein Hardtail-artiges Profil zu erzeugen, das sowohl elegant als auch stabil aussieht.

Es ist definitiv eines der elegantesten Bikes, die wir je gesehen haben. Geometrie-Nerds werden bei einem Blick auf den Hinterbau das Single Pivot-Design bemerken und erkennen, dass die Anlenkung dem Dämpfer mehr Progressivität verleiht. Doch etwas werden sie vermissen – am Ausfallende des Swarf Contour fehlt schlicht ein Lager. Stattdessen nutzt das Contour den natürlichen Flex der abgeflachten, dünnen Sitzstreben, um die 6 mm an Bewegung in der Vertikalen aufzunehmen. Die Sitzstreben aus 4130 CrMo-Stahl sind vorgebogen, um die Federung in Richtung des SAG-Punktes zu ziehen. Stahl ist äußerst resistent gegen Materialermüdung und durch diese Methode konnte Adrian etwas Gewicht sparen und die Anzahl der Lager im Rahmen reduzieren – immer eine gute Sache.

Das Swarf Contour ist ein interessantes Bike, das der Wegwerfkultur – in Form von Modelljahren bei Bikes – trotzt.

Das Swarf Contour im Detail

Das Swarf Contour ist konzipiert für 130-mm-Federgabeln und besitzt 115 mm Federweg am Heck. Das Einbaumaß des Dämpfers beträgt dabei 200 x 51 mm. Es besitzt außerdem ein geschraubtes Tretlager mit einer Gehäusebreite von 73 mm und wird sowohl mit Boost-Hinterbau (148 x 12 mm) als auch mit klassischer Einbaubreite von 142 x 12 mm verfügbar sein. Das Rahmengewicht beträgt 3,2 kg ohne Dämpfer und Kabelführungen und mit Ausnahme des Eingangs für die Teleskopsattelstütze sind alle Züge außen verlegt. Im Hinterbau ist Platz für Reifen bis zu einer Breite von 2,5”. Die Preise starten bei 1.950 £ für den Contour-Rahmen mit einem RockShox Monarch RT3-Dämpfer. Mit dem Cane Creek DB Air werden 2.150 £ fällig und der DB Coil-Dämpfer schlägt mit 2.250 £ zu Buche.

Ununterbrochen
Die Linien des Rahmens beschreiben eine perfekte Hardtail- Silhouette – clean und elegant.
Eleganz
Der Rahmen ist schön clean, mit klaren Linien und interessanten Features. Die verkleideten Ausfallenden sind kleine Kunstwerke und doch steht Funktion über der Form.
Doppelt abgesichert
Keine flach eingedrehten Schrauben ohne sichtbaren Überstand, stattdessen findet man anständige 5-mm-Edelstahlschrauben mit tiefer Einschraubtiefe für einfache, langfristige Wartung.
Offene Lager
Leicht zu reinigen oder aber ein Rezept für Desaster – das Team von Swarf ist sich seiner Sache sicher, dass offene Lager in der Praxis länger halten als schlecht abgedichtete Alternativen.

Die Geometrie des Swarf Contour

Größe S M L XL
Sattelrohr 385 mm 410 mm 445 mm 490 mm
Oberrohr 580 mm 600 mm 628 mm 668 mm
Steuerrohr 90 mm 100 mm 110 mm 120 mm
Lenkwinkel 66,50° 66,50° 66,50° 66,50°
Sitzwinkel 75,57° 75,50° 75,43° 75,36°
Kettenstrebe 445 mm 445 mm 445 mm 445 mm
BB Drop 41 mm 41 mm 41 mm 41 mm
Radstand 1168 mm 1189,5 mm 1220 mm 1251 mm
Reach 420 mm 438 mm 465 mm 495,5 mm
Stack 610 mm 619,5 mm 629 mm 638,5 mm

Wie fährt sich das Swarf Contour?

Wir haben den schmalen Lenker des Testrades gegen einen 780 mm breiten Renthal Fatbar-Carbonlenker getauscht und uns auf Größe Large sofort zu Hause gefühlt (Größe des Testers: 1,80 m). Mit einem Reach von 465 mm fällt die Fahrposition geräumig aus und kombiniert mit dem nur 445 mm langen Sitzrohr können kleinere Fahrer sich aussuchen, ob sie den nächst größeren Rahmen fahren wollen, wenn sie mehr Reach wünschen. Durch den langen Reach und die langen Kettenstreben sitzt man sehr zentral im Bike und dank der heftigen Tretlagerabsenkung von 41 mm kommt man dem Erdboden gefährlich nahe. Solltet ihr in einer Gegend mit felsigen Anstiegen wohnen, könnt ihr euch darauf einstellen, dass eure Pedale öfter Bodenkontakt haben werden. Andererseits lassen sich Kurven herrlich souverän fahren, was wir uns einfach immer wünschen würden. Obwohl es sicherlich nicht das leichteste Short-Travel-Bike ist, klettert es bergauf zügig und effizient. Der Anti-Squat liegt mit einem 32er-Kettenblatt am SAG-Punkt nahe an 100 % und in jedem außer dem größten Ritzel verhält sich die Federung komplett neutral. Uns ist aufgefallen, dass wir bei vertrauten Anstiegen regelmäßig 2 Gänge höher unterwegs waren als sonst und lange Tage im Sattel als Kinderspiel empfanden. Das Contour ist die Sorte Bike, die sich über eine harte Kletterpartie auf einer einstündigen Feierabendrunde genauso sehr freut wie darauf, bei einer gewaltigen, siebenstündigen Tour in den Bergen durchgeschüttelt zu werden. Sogar bei unseren hobbitbeinigen Testern lag ein beachtliches Stück der Sattelstütze frei, daher sollten sehr große Fahrer am besten in eine lange Teleskopsattelstütze investieren, um die gewünschte Höhe zu erreichen.

Wir hatten Bedenken, dass ein Bike mit nur 115 mm Federweg nervös sein könnte – aber bergab wurde jeder Zweifel sofort zerstört und wir haben uns bald dabei erwischt, potentere Bikes bei technischen Abfahrten zu jagen. Der Lenkwinkel von 66,5° sowie der effektive Sitzwinkel von 75,4° bringen das Contour vom Handling her auf Augenhöhe mit einigen der besten Trail-29er auf dem Markt. Der Stack mit 629 mm Höhe sorgt für eine schön hohe Front und ein souveränes Handling. Das Swarf donnert mit totaler Gelassenheit und Ruhe durch schnelle Schläge und große Sprünge und zeigt sein kurzhubiges Herz nur bei wiederholten großen Schlägen. Das niedrige Tretlager versetzt euch direkt ins Geschehen, wenn ihr härteste Kurven durchschneidet, und die Lenkung ist gestochen scharf, so wie es bei jedem Trailbike sein sollte. Die grandios ausgewogene Geometrie und immer „gerade genug“ Federweg machen Hackfleisch aus technischen Singletrails. Man muss zwar etwas mehr arbeiten, wenn es wirklich ruppig wird, aber dafür hat man berauschend viel Spaß.

Das Contour ist wie ein Audi S6 ohne Typenbezeichnung: ein unscheinbarer Kombi, der praktisch genug für den Transport der Hunde ist – aber wenn man richtig aufs Gas tritt, hat er genug Bumms, um Fido und Rex kräftig an die Heckscheibe zu pressen.

Jersey VOID Orbit Tee | Shorts VOID Range Shorts | Helm MET Roam | Brille Smith Attack Max

Wir waren überrascht, wie leicht man dem Swarf Contour auf härteren Trails die Sporen geben konnte. Seine beeindruckende Vielseitigkeit kommt vor allem von zwei Dingen: dem dämpfungsfreudigen Rahmen, der guten Gegenhalt bietet, und der sehr progressiven Kennlinie (das Hebelverhältnis fällt von 2,85 auf 1,90). Selbst als wir das Bike äußerst unflätigen Behandlungen unterzogen haben, haben wir keine Durchschläge erlebt, nicht einmal mit minimal eingestellter Druckstufe am Cane Creek Double Barrel-Luftdämpfer (ein Stahlfederdämpfer ist auch eine Option und sollte ebenfalls ausgezeichnet funktionieren). Das Swarf Contour beweist, dass es nicht auf die Größe ankommt, sondern darauf, wie man damit umgeht – und es fühlt sich dementsprechend nach einem deutlich potenteren Bike an, als es eigentlich ist. Jawohl, es ist ein praktischer Kilometerfresser und ja, es ist großartig geeignet für lange Bike-Bergsteig-Abenteuer oder Missionen in den Alpen, aber es lediglich als „Mountain-Bike“ abzustempeln, tut ihm Unrecht. Das Contour stellt eine erfrischend andere Herangehensweise an ein hochleistungsfähiges Bike dar, denn ohne den Anspruch, ein Enduro-Racebike oder ein XC-Windhund zu sein, kann es sich darauf konzentrieren, bei allem großartig zu sein, was dazwischen liegt.

Fazit

Von ausschweifenden Tagen in den Bergen bis hin zu kompromisslosem Trail-Geballer – das Swarf Contour erfüllt immer seine Pflicht. Natürlich gibt es leichtere Trailbikes, aber jedes Gramm zusätzlich trägt zu seiner Vielseitigkeit bei. Das Swarf Contour ist ein Bike, das alle ansprechen wird, die sich nicht um „Modelljahre“ scheren und wissen, was sie wollen. Es ist kein Bike für jedermann, sondern konzentriert sich stattdessen auf Vielseitigkeit und Langlebigkeit – und es gibt einem stets das Gefühl, dass etwas Besonderes stattfindet, wenn man es aus dem Schuppen rollt.

Stärken

+ grandios ausgewogene Geometrie
+ elegante Konstruktion

Schwächen

– niedriges Tretlager: Pedal bleibt auf felsigen Anstiegen hängen
– Produktion in geringer Stückzahl


Mehr Infos findet ihr unter: swarfcycles.co.uk

Dieser Artikel ist aus ENDURO Ausgabe #035

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