Testbericht | 86 Gramm, 280 Euro: Der ENVE Mountain Carbon Vorbau
Carbon-Vorbauten sind an sich nicht neu auf dem Markt und werden bereits seit Jahren an Rennrädern- und XC-Bikes verbaut. Ein Carbonvorbau, der auch für den härteren Traileinsatz robust genug gewesen wäre, ist uns allerdings bis vor Kurzem noch nicht untergekommen. Nach jahrelanger Forschungs- und Entwicklungsarbeit haben die Carbonkünstler von ENVE nun aber die Regeln umgeschrieben und bringen den ENVE Mountain Stem auf den Markt, einen robusten Enduro Vorbau, der unglaubliche 86 Gramm leicht ist. Ebenso gigantisch ist allerdings auch der Preis. Wir hatten das edle Stück im Test.
Wenn man sich Gedanken über mögliche Upgrades macht, übersieht man leicht den Vorbau in seiner Schlichtheit, doch ist seine Funktion im Cockpit essentiell. Mit seiner Position in der Mitte der Verbindung zwischen Fahrer und Rad überträgt er nicht nur einen Teil des Gewicht und die Lenkimpulse des Fahrers aufs Bike, seine Steifigkeit hat auch große Auswirkungen auf das Lenkgefühl. Ein guter Vorbau muss daher steif und robust sein, den Lenker sicher an Ort und Stelle halten, und wenn er dann auch noch leicht ist, ist das ein Bonus obendrauf.
Da die meisten kurzen Vorbauten im Premiumsegment um die 140-150 g wiegen, waren wir schwer beeindruckt, dass es ENVE gelungen ist, das Gewicht des Mountain Vorbaus auf 86 g zu drücken (in der getesteten 40 mm Version). Machen wir uns nichts vor: ein sicherheitsrelevantes Produkt zu entwickeln, das 30% leichter ist als etablierte Konkurrenzprodukte ist alles andere als billig – und deshalb hat der Mountain Vorbau auch einen nahezu beängstigenden Preis von 280 €. Wenn man aber bedenkt, dass er komplett in-house in Ogden, Utah, produziert wird und M5 Titan Schrauben sowie Carbontechnologie auf dem allerneuesten Stand enthält, um nicht ein einziges einsparbares Gramm zu verschenken, dann ist schon nachvollziehbar, woher der schwindelerregende Preis kommt.
Der Vorbau setzt auf die Standard 31,8 mm Lenkerklemmung und ist in Längen von 40, 55, 70 und 85 mm erhältlich. Der moderate Rise von +/- 6 Grad und der umkehrbare Schriftzug ermöglichen es, den Vorbau auch umgekehrt zu montieren, wenn die Front niedriger sein soll. Mit einer Höhe von 37 mm ist er schön kompakt und lässt so alle freiheiten, die Lenkerhöhe mit Spacern weiter anzupassen.
Vorbauten sind durch Biege- und Torsionsmomente sowie Scherkräfte Belastungen von allen Seiten ausgesetzt, und das macht es schwierig, die gewichtssparenden Eigenschaften von Carbon, das immer nur in eine Richtung besonders stark ist, in vollem Umfang einzusetzen. Die bisher erhältlichen Carbon-Vorbauten bestanden aus so viel Material, dass die Gewichtsersparnis marginal blieb. Der ENVE Mountain Vorbau ist aus unidirektionalem Carbon gefertigt, und die Luftblasen wurden aus dem Material entfernt, um das Verhältnis von Gewicht und Widerstandsfähigkeit zu optimieren.
Die Erstmontage ist ein klein wenig aufwändiger als bei einem herkömmlichen Vorbau. Wir mussten feststellen, dass die Klemmung um den Gabelschaft auf bei nicht-angezogenen schrauben schon sehr eng ist. Außerdem sollte man bei der Montage unbedingt auf das richtige Drehmoment achten, um die Carbonfäden nicht zu sehr zu belasten. ENVE setzen hier weiterhin auf eine Vorderplatte aus kaltgeformtem Aluminium um das benötigte Drehmoment bei der Lenkerklemmung zu verringern, aber man muss penibel darauf achten, dass die Abstände oben und unten an der Frontplatte gleich groß sind. ENVE empfiehlt die Verwendung von Spacern ober- und unterhalb des Vorbaus, um sicherzustellen, dass es genug Kontakt gibt um ein Verrutschen zu vermeiden. Wir verwendeten zudem Anti-Rutsch-Paste am Gabelschaft. Probleme mit Verdrehen hatten wir zu keinem Zeitpunkt.
Wir testeten den Vorbau in 40 mm-Version in Kombination mit dem neuen RSR Lenker von ENVE (Bericht dazu folgt). Es ist immer schwer, die Performance eines Vorbaus zu beurteilen, denn wenn sie nicht gerade völlig versagen, machen die meisten kurzen Vorbauten ihre Sache gut. Was Lenkpräzision und Vibrationsdämpfung angeht, hat die Wahl des richtigen Lenkers einen sehr viel größeren Einfluss. In Kombination mit dem neuen ENVE RSR Lenker fühlte sich das Cockpit wirklich hervorragend an – im direkten Vergleich mit einem Aluminium-Vorbau und -Lenker lagen hier Welten dazwischen. Vibrationen in hoher Frequenz wurden unglaublich gut gefiltert. Das Lenkverhalten war schön präzise und akkurat. Als wir einen Aluminum-Lenker mit dem Carbon-Vorbau ausprobierten, ging einiges von diesem überragenden Feeling verloren, was zeigt, dass für einen bedeutenden Teil davon der Carbon-Lenker verantwortlich war.
Bottom line
Die Montage des ENVE Mountain Carbon-Vorbaus erfordert mehr Achtsamkeit als üblich, und ist sicher nichts für Gorillas mit zwei linken Händen. Und hat ein Vorbau aus Carbon beobachtbare Auswirkungen auf die Fahrqualitäten des Bikes? Nein, nicht wirklich! Aber dieses Exemplar sieht einfach verdammt gut aus, ist wunderschön verarbeitet und außergewöhnlich leicht. Das sollte für viele Fahrer ausreichen, den hohen Preis zu rechtfertigen. Wir gehen außerdem davon aus, dass die meisten Kunden, die sich den ENVE Mountain Vorbau anschauen werden, auch darüber nachdenken, in einen ENVE Lenker zu investieren – und beides zusammen ergibt ein unschlagbares Cockpit. Unfassbar leicht, akkurat und präzise, mit genügend Nachgiebigkeit, um den auftretende Vibrationen rauszufiltern. Ja, er ist verdamt teuer, aber für die Puristen, die sich stets das Leichteste und Beste wünschen, wird Geld hier keine Rolle spielen.
Mehr Information findet ihr auf der ENVE website
Text & Fotos: Trev Worsey
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