Testbericht | Das Liteville 301 in der Enduro- und Marathon-Edition
In letzter Zeit gab es einige Bikes, bei denen wir uns fragten, „Gibt es doch das eine Bike für alles?“ – aber bis jetzt war noch keins dabei, das sowohl im Enduro als auch im XC auf höchstem Niveau performen konnte. Die meisten Firmen bieten verschiedene Bikes für verschiedene Fahrergruppen an, aber Liteville geht hier einen anderen Weg und bietet drei verschiedene Aufbauten auf Basis desselben Rahmens an. Das ist auch nicht so verwunderlich, denn Liteville macht schon seit vielen Jahren alles etwas anders als der Rest. Wir hatten die Gelegenheit, zwei Versionen ihres Aushängeschilds, des 301-Rahmens, auszuprobieren – einmal als Enduro aufgebaut, und einmal als kilometerfressende XC-Feile. Unterschiedlich große Laufräder, ein spannender Ansatz – wir waren gespannt, was Liteville zu bieten hat.
Der Liteville 301-Rahmen ist ein moderner Klassiker und geht nun ins zehnte Jahr. Anlässlich dieses Jubiläums hat Liteville eine besondere ‘Ten Year Edition’-Reihe angekündigt, die drei sehr unterschiedliche Modelle auf Basis desselben 301-Rahmen umfasst: eine Marathon-Edition mit 120mm Federweg und der hervorragenden Rockshox RS1 Federgabel, dann eine 140mm All Mountain Edition mit einer RockShox Revelation Federgabel, und schließlich die 160mm Enduro Edition mit der Rockshox Pike – alles auf Basis desselben Rahmens. Das Gewicht variiert zwischen 10.6 und 11.9kg und die Preisspanne bewegt sich zwischen 4480 € und 4850 €. Wir konnten es also kaum erwarten, zu sehen, wie ein einziger Rahmen mit so weit auseinanderliegenden Einsatzzwecken zurechtkommt.
Bevor wir uns detailliert mit den verschiedenen Versionen beschäftigen, wollen wir uns den Rahmen doch mal genauer anschauen. Auch wenn er schon zehn Jahre lang hergestellt wird, er hat immer noch einige einzigartige und – besonders für Technik-Nerds – ziemlich aufregende Features. Das Herz des Rahmens ist das einzigartige Hinterbau-Konzept, der Dämpfer wird beim Liteville von vorne angelenkt. Dadurch, so Liteville, lässt sich die Krafteinwirkung auf den Rahmen minimieren.
Zusätzlich wirkt die eingeleitete Kraft gegen die vom Fahrer über das Sitzrohr in den Rahmen eingeleitete Kraft und hebt diese zum Teil wieder auf. Ein Elite-Racer und stolzer 301-Besitzer, den ich kenne, sagte, er sei 3000 km mit den Originallagern gefahren – beeindruckend. Die vier Drehpunkte sind so platziert, dass der Kettenzug von der Bewegung der Hinterradfederung entkoppelt ist, mit dem Resultat, dass sich der 301 beim Pedalieren sehr neutral verhält, selbst bei komplett offener Dämpfung.
Viele der kleinen Details hinterlassen ebenfalls Eindruck, man merkt dem Rahmen an, dass in den 11 Generationen seiner Entwicklung sehr viel Hirnschmalz hinein geflossen ist. Uns gefiel die DynaLevel SAG-Anzeige, sie ermöglicht es, den SAG visuell im Sitzen zu prüfen, so dass es einfach ist, zu checken, ob die Einstellungen passen, wenn man mal Extragepäck dabei hat. Die Federung hat 8 doppelt gedichtete Edelstahlkugellager kombiniert mit 2 gedichteten Nadellagern im Oberrohr und je zwei gedichtete Nadelhülsen mit seitlichen Anlaufscheiben im Federbein. Außerdem gefiel uns auch die X-12-Steckachse – sie wiegt nur 39 Gramm und trägt so zum geringen Gewicht des Liteville 301-Rahmens (2320g) bei. Und auch das Schaltauge zeigt, welchen Blick fürs Detail man bei Liteville hat: Die Befestigungsschraube fungiert hier als Sollbruchstelle – wenn ihr irgendwo draufknallt bricht sie und schützt so Rahmen und Schaltauge. Eine Reserveschraube befindet sich im Tretlagergehäuse – die kann einem im Zweifelsfall die Tour oder gar den Urlaub retten.
Toll ist auch, dass die innenliegende Kabelführung mit durchgehenden Schalthüllen in voller Länge ausgestattet ist – das hilft bei der Wartung, verlängert die Lebensdauer der Kabel und sorgt dafür, dass beim Schalten alles reibungslos läuft. Der Rahmen ist mehrfach konifiziert, durch die Oversized-Bauweise wirkt alles solide. Schrauber werden sich freuen, dass ausschließlich 4mm-Schrauben verwendet wurden (sogar die an den Griffen) was Wartung und Reparaturen doch sehr vereinfacht. Abgerundet wird das Angebot durch eine 10-Jahres-Garantie (kostenloser Ersatz in den ersten 5 Jahren und 50% Nachlass auf den Rahmen in den folgenden 5 Jahren), die sogar auf Zweitbesitzer übertragbar ist.
Das vielleicht interessanteste und außergewöhnlichste Feature ist das Scaled Sizing. Liteville vertritt die Ansicht, dass Vorder- und Hinterrad sehr unterschiedliche Aufgaben haben, und dass – die Physik lässt grüßen – das Überrollen von Hindernissen hinten um einiges einfacher ist also vorne. Das Mantra bei Liteville hierzu lautet “Hinterrad so groß wie nötig, Vorderrad so groß wie möglich”. Das kleine Hinterrad unterstützt die Beschleunigung, und wirkt sich positiv auf Gewicht und Steifigkeit aus, und das große Vorderrad sorgt für leichtes Rollen und viel Grip. Die Laufradgrößen sind auf die Rahmengröße angepasst und kommen in Kombis von (vorne/hinten) 26”/24” in XS bis hin zu 29”/27.5” in XXL.
Die Ausstattung der Marathon- Version (€4850) 10.6kg
- Rahmen: Liteville 301, MK 11, 120 mm Federweg
- Federgabel: RockShox RS1 29“, 120 mm Federweg
- Antrieb: SRAM XX1 1×11
- Bremsen:Shimano Deore XT
- Laufräder: Syntace M-Series W30
- Reifen: Schwalbe Racing Ralph Lite Skin 2.25
- Lenker: Syntace Vector Carbon, 740mm
- Sattelstütze: Syntace P6 Carbon HiFlex
Die Ausstattung der Enduro-Version (€4580 + €130 Reverb-Upgrade) 11.9kg
- Rahmen: LLiteville 301, MK 11, 160 mm Federweg
- Federgabel: RockShox Pike RCT3 160 mm Dual Position
- Dämpfer: Fox Float CTD
- Antrieb: SRAM XX1 or XO1
- Bremsen: Shimano Deore XT
- Laufräder: Syntace M-Series W35 / ScaledSizing
- Kettenführung: Syntace Megaforce 2
- Lenker: Syntace Vector Carbon, 740 mm
- Sattelstütze: Optionales Upgrade auf die RockShox Stealth 125 mm oder 150 mm
Auf dem Trail
Wir haben hier also zwei Räder auf Basis desselben Rahmens – würden beide einen allzu großen Kompromiss darstellen, oder kann das 301 wirklich alles? Das erste, was uns auffiel, ist wie unglaublich sensibel der Hinterbau anspricht. Es macht Spaß, hinter dem 301 zu fahren, weil man genau sehen kann, wie gut das Ansprechverhalten ist.
Die effiziente Plattform und die sensible Hinterradfederung sorgen gemeinsam für ungeheuer viel Grip, und dank der Kombination mit der nicht zu tiefen Innenlager kann man das 301 quasi überall hochjagen. Auch die Enduro Edition verfügt über solide Klettereigenschaften, das 26-Zoll-Hinterrad beschleunigt fix und das große Vorderrad sucht sich seinen weg und rollt leicht über Hindernisse auf dem Trail. Die Marathon-Version ist ein paar Kilo leichter, eine veritable Bergziege, die Anstiege ganz entspannt meistert.
Die RS1 ist leicht und bleibt hoch im Federweg, und auch lange Tage im Sattel machen Freude. Die gute Bodenfreiheit, die sich daraus ergibt, dass das Tretlager etwas höher sitzt als bei den meisten Bikes auf dem Markt, und die sichere Federung macht es einfach, verblockte Abschnitte zu bewältigen. Wir haben alle diese Videos gesehen, wo Leute mit dem 301 unfassbar technische Trails in den Dolomiten fahren, und wir wissen jetzt, warum: such dir einfach eine Linie und das Liteville wird es schon richten – ein echter Meister auf technischen Trails.
Abfahrt
Wenn es bergab geht, zeigt sich, wie sehr sich das Liteville 301 weiterentwickelt hat, aber eben auch sein Alter. Zu der Zeit, als diese Bikes konzipiert wurden, gab es noch kaum Bike-Parks, gebaute Anliegerkurven und Sprünge, und deshalb ist es vielleicht nicht überraschend, dass sich das 301 auf solchem Terrain am wenigsten heimisch fühlt. Durch das hohe Tretlager und den insgesamt hohen Rahmen fühlt es sich in Anliegern nicht so komfortabel an wie manche Exemplare der niedrigen und aggressiven Konkurrenz. Auf alpinen Abfahrten, natürlichen Trails und Felsen aber zeigt das 301, was es kann – und das ist eine Menge!
Die breiten (35mm Innenweite) Syntace-Felgen ermöglichen es, mit niedrigem Reifendruck zu fahren (bei uns waren es jeweils 20 psi vorne und hinten) und bieten so verdammt viel Grip und ein sicheres Gefühl. Die Enduro Edition packt auf härterem Gelände ordentlich zu, die lineare Federung schluckt Schläge einfach weg und bietet hervorragende Stabilität. Mit dem leicht erhöhten Tretlager kann man auch über felsigem Terrain noch treten und hohe Stufen abrollen. Die RockShox RS1-Gabel an der Marathon Edition kann mit der Pike in ruppigem Terrain zwar nicht mithalten, aber zusammen mit den 29-Zoll-Vorderrad meistert sie felsige Abfahrten sicher und mit Balance. Wir fanden das lineare Dämpferverhalten hervorragend und komfortabel, aber für sehr aggressive Fahrer empfiehlt es sich möglicherweise, das Volumen zu verkleinern, um Durchschläge zu vermeiden.
Stellen wir uns die Eingangsfrage also nochmal – kann ein Rahmen das alles leisten? Die Marathon Edition ist ein langbeiniger Kilometerfresser, die Enduro Edition dagegen ein echtes Monster auf technischen Abfahrten –vom Fahrgefühl hätten sie nicht unterschiedlicher sein können. Uns haben sie beide sehr beeindruckt, sie bringen gute Leistung in ihren jeweiligen Bereichen und demonstrieren die bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit dieses leichten Rahmens. Es ist schön zu sehen, dass ein Hersteller seine Designs immer weiter optimiert und sich um die Bedürfnisse seiner Kunden kümmert, anstatt jedes Jahr komplett neue Modelle auf den Markt zu werfen, die sich nicht bewährt haben und den Markt für die älteren Bikegenerationen versperren. Die nächste Entwicklungsstufe, MK12, erscheint bald, und wir sind sehr gespannt, was sich verändert hat.
Fazit
Kann ein Rahmen also zwei so verschiedenen Aufbauten gerecht werden? Wenn sich bei euch alles um KOMs und Bike Parks dreht, oder um schnelle XC-Runden, dann ist das 301 zwar ein gutes Bike, aber dann gibt es andere, die spezifischer darauf ausgelegt sind und euch schneller ans Ziel bringen. Wenn ihr euch als Mountainbiker aber in erster Linie daran messt, wie viele Gipfel ihr erkundet habt und wie viele Trails entdeckt, wenn ihr ein zuverlässiges und vertrauenswürdiges Bike fürs Abenteuer sucht, dann ist das Liteville 301 eine herausragende Wahl.
Es ist ein Mountainbike im wahrsten Sinne des Wortes. Die Liebe zum Detail begeistert und es ist eine Freude, diesen Rahmen kennenzulernen. Manche mögen sich fragen, welche Relevanz ein zehn Jahre alter Rahmen auf dem schnelllebigen Markt von heute haben kann – aber das 301 fühl sich immer noch absolut aktuell an. Es ist ein wahrer Klassiker mit einem verdienten Platz in der Mountainbike Hall of Fame, und nach wie vor eines der besten ‚All Mountain‘- Bikes da draußen.
Mehr Infos zu den Edition Bikes findet ihr auf der Liteville Website
Text und Bilder: Trev Worsey and Catherine Smith
Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als ENDURO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die Mountainbike-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!