Das Vergleichen von Spec-Listen, Kinematik-Charts und Geo-Tabellen verrät euch so viel über ein Bike wie ein Tinder-Profil über euer erstes Date. Ihr könnt in den meisten Fällen beurteilen, wie das Rad in der Realität aussieht, aber noch lange nicht, wie es sich auf dem Trail verhält. Wir haben euch die 7 wichtigsten Erkenntnisse aus unserem Date-Marathon aka Enduro-Bike-Vergleichstest zusammengestellt.

Wir haben hinter die Schokoladenseite an aktuellen Enduro-Bikes geschaut und nach unserem großen Vergleichstest einen Strich gezogen. Hier verraten wir euch die wichtigsten Erkenntnisse, zentrale Trends und alles, was ihr über die neuen Enduro-Bikes und ihre Zukunft wissen müsst.

Diva oder Easy-going – Das Handling begleitet euch überall

Das Handling eines Bikes ist sozusagen ständiger Begleiter in der Abfahrt. Egal ob in flachen Kurven, High Speed-Passagen oder kniffligen Spitzkehren und vor allem im Grenzbereich kommt das Handling eines Bikes zur Geltung. Wichtig hierfür ist eine ausgeglichene Balance zwischen Front und Heck und ein guter Stand im Bike, was euch mit wenig Körpereinsatz sicher den Berg runterbringt. Bikes wie das Canyon Strive CFR oder MERIDA ONE-SIXTY 8000 lassen sich in allen Situationen einfach beherrschen und bringen so nicht nur Sicherheit auf den Trail, sondern ermöglichen es euch, noch schneller zu fahren – selbst wenn ihr schon den ganzen Tag auf dem Bike sitzt. Im Gegensatz dazu stehen Bikes wie das Mondraker Carbon Foxy RR oder das Santa Cruz Megatower CC X01 AXS, die eine aufmerksame und aktive Fahrweise und präzise Gewichtsverlagerung benötigen, um Grip zu bekommen und auf der Linie zu bleiben. Das kostet Körner und benötigt Erfahrung, kann aber unter einem geübten Piloten dennoch verdammt schnell und spaßig sein. Das Handling lässt sich jedoch nicht auf dem Papier ablesen, sondern nur auf dem Trail in Erfahrung bringen. Erneut gezeigt haben das die beiden Bikes von Santa Cruz im Test, die eine beinahe identische Geometrie und identische Ausstattung besitzen, sich aber vor allem im Handling stark unterschieden. E-Mountainbikes wie das Yeti 160E T1 haben sich zudem für Mountainbiker als sehr anfängerfreundlich erwiesen, denn das hohe Gewicht mit einem tiefen Schwerpunkt bringt Traktion und Stabilität.

Grip or Slip – Der richtige Bodenkontakt ist ausschlaggebend

Die Wahl der Reifen, der Karkasse und der Gummimischung haben einen großen Einfluss auf das Fahrverhalten des Bikes auf dem Trail. Klar, wir könnten allen Bikes im Test die gleichen Reifen aufziehen, um noch besser vergleichbare Bedingungen zu schaffen. Aber Reifen landen ja nicht einfach so auf einem Bike, sondern die Hersteller bzw. deren Produktmanager haben sich ja etwas dabei gedacht. Das wollten wir natürlich auch testen. Dennoch haben wir uns nicht nehmen lassen, die Reifen während eines Tests zu tauschen, um euch z. B. sinnvolle Tuning-Tipps zu geben. Denn Reifen lassen sich günstig tauschen oder müssen früher oder später ohnehin gewechselt werden. So habt ihr die Chance, das Bike perfekt auf eure Bedürfnisse anzupassen. Dabei haben Reifen einen riesigen Effekt, denn durch eine stabile Karkasse kann ein niedriger Luftdruck gefahren werden, ohne den Pannenschutz zu senken. Dadurch schmiegt sich der Reifen besser dem Untergrund an und kann so mehr Traktion und Grip generieren und zudem feine Schläge filtern. Eine weiche Gummimischung – die besonders an der Front wichtig ist – generiert zusätzlich Grip und bringt an der Front dank der geringen Belastung im Uphill keine konkreten Nachteile mit sich.

Länge ist nicht alles – Sind kürzere Kettenstreben besser?

Die Länge der Kettenstreben ist für viele ein wichtiges Indiz für das Handling eines Bikes. Für ein gelungenes Handling kommt es jedoch nicht auf diesen isoliert betrachteten Wert an, sondern auf die stimmige Balance zwischen Hauptrahmen und Hinterbau. Die Kettenstrebenlänge unseres Testsiegers Yeti SB160 T3 verändert sich z. B. analog zur Rahmengröße und liegt bei 441 mm in Größe L. Damit steht sie in einem sehr guten Verhältnis zum Reach (485 mm) des Bikes. Stimmt das Verhältnis zwischen Hauptrahmen und Hinterbau nicht, führt das dazu, dass ihr z. B. mehr über dem Heck hängt. Dadurch steht ihr tiefer im Federweg und müsst die Front aktiver belasten oder im anderen Extremfall bekommt ihr die Front nur schwer hoch. Deshalb ist es der falsche Ansatz, Werte isoliert zu betrachten und nach möglichst kurzen Kettenstreben zu suchen. Spannenderweise hat z. B. das Santa Cruz Nomad, das ein kleineres 27,5”-Hinterrad besitzt und somit noch kürzere Kettenstreben ermöglichen würde, eine längere Kettenstrebe als das Santa Cruz Megatower – obwohl beide auf denselben Hauptrahmen setzen. Das zeigt, dass Santa Cruz ihren Fokus stark auf die Balance setzt, statt darauf, stupide bestimmte Geo-Werte zu erreichen.

Shoppen oder fahren – Die Ausstattung muss zu seinem Bike passen

Die Qualität, die Haltbarkeit und der Serviceaufwand eines Bikes spielen eine große Rolle beim Kauf – oder sollten es zumindest! Schließlich besitzen die meisten von euch ihr Bike ca. 3 Jahre lang, das hat unsere Leserumfrage ergeben. Zumindest in Sachen robuster Ausstattung hat sich etwas getan und im Gegensatz zum letzten Enduro-Vergleichstest finden sich im Test immer mehr richtig geile Ausstattungen – in ganz unterschiedlichen Kombinationen. Außerdem setzen immer mehr Hersteller auf robuste Kombinationen, große Bremsscheiben und teils sogar auf Reifen mit Downhill-Karkasse. Dennoch gibt es einige Bikes in diesem Test, bei denen noch Luft nach oben ist, und wir erhoffen uns in Zukunft mehr Ausstattungen, die dem Einsatzgebiet der Modelle gerecht werden. Zudem helfen Features wie Kabelkanäle oder große Öffnungen – z. B. im Bereich des Tretlagers – beim Service am Bike und ersparen euch Schweißausbrüche in der heimischen Werkstatt.

We like to move it – Lange Dropperposts und niedrige Sitzrohre

Ein niedriges Sitzrohr ist leider nichts, was sich im Nachhinein an einem Fahrrad anpassen lässt. Deshalb sollte euch bereits vor dem Kauf bewusst sein, welche Vor- oder Nachteile sich daraus ergeben. Besitzt ein Bike ein im Verhältnis zum Reach niedriges Sitzrohr, bei dem sich die Sattelstütze dennoch vollständig versenken lässt, habt ihr eine höhere Bewegungsfreiheit. Das vermittelt besonders in steilem Terrain eine größere Sicherheit und ihr könnt schnell euer Gewicht über das Hinterrad verlagern. Bei Modellen mit niedrigem Sitzrohr könnt ihr außerdem die passende Rahmengröße anhand der Bike-Länge auswählen. Dadurch habt ihr die Möglichkeit, euer Bike besser an eure individuellen Ansprüche anzupassen. Wichtig: Ohne die passende Variostütze mit möglichst großem Hub bringt euch auch ein kurzes Sitzrohr – zumindest ohne eine manuelle Verstellung – auf dem Trail nichts.
Geil zu sehen ist, dass nicht nur die Sattelrohre niedriger werden, sondern auch der Hub der Sattelstützen länger: Der Durchschnitt lag bei diesem Vergleichstest bei stolzen 191 mm Hub.

Hype oder Flop – Sind High-Pivot-Bikes die Zukunft?

Verfolgt man die Diskussionen in unzähligen Mountainbike-Foren, bekommt man den Eindruck, dass Bikes mit High-Pivot-Hinterbau die nächste große Revolution sind. Wir können euch aber beruhigen: Sie sind es nicht. Sie funktionieren – wie jedes andere Hinterbau-Konzept – manchmal besser und manchmal schlechter. Das hängt ganz davon ab, wie sie entwickelt und vom jeweiligen Hersteller umgesetzt wurden. Und natürlich auch davon, welche Eigenschaften ihr euch von einem Bike erwartet. Die drei High-Pivot-Bikes in unserem Vergleichstest haben genau das bewiesen: Das Norco Range C1 ist eine absolute Waffe, wenn es hart zur Sache geht und der Trail auf Kurven verzichtet. Spürbar ist auch die Längung des Norco mit zunehmendem Einfedern, was wesentlich extremer ausfällt als z. B. am Hinterbau der beiden anderen High-Pivot-Bikes Hope HB916 oder Deviate Claymore. Diese beiden Bikes können dafür mit mehr Allround-Eigenschaften punkten, denn sie lassen sich trotz ihrer recht hohen Laufruhe noch agil um Kurven manövrieren. Dennoch gibt es viele andere Bikes im Testfeld, die sowohl in puncto Laufruhe als auch Agilität besser abschneiden als unsere drei Kontrahenten mit High-Pivot-Hinterbau. Das zeigt erneut, dass der Hinterbau alleine nicht ausschlaggebend für die Fahreigenschaften ist.

Mofas sind cool – Sind E-Mountainbikes die besseren Enduros?

Klar, dass sich das gesamte Testfeld in Sachen Uphill-Performance einem E-Mountainbike geschlagen geben muss, wie dem Yeti 160E T1 und selbst dem SIMPLON Rapcon PMAX TQ 170/165 – trotz seiner geringeren Motorleistung. Aber auch im Downhill bringt das höhere Gewicht eine verbesserte Traktion und Stabilität. Dennoch muss man mit E-Mountainbikes weiterhin Abstriche in Sachen Agilität machen. Im Vergleich zum letzten Jahr wird der Abstand allerdings immer geringer, denn vor allem die neue Generation an Light-E-Mountainbikes sieht nicht nur aus wie ein analoges Bike, sondern kommt auch der Fahrcharakteristik sehr nahe. Deshalb kommt es stark auf eure individuellen Anforderungen und persönlichen Vorlieben an. Fakt ist: Mehr Laps = mehr Spaß. Und zumindest in dieser Rechnung gewinnen Bikes mit Motorunterstützung immer.

Ob wir den Deckel zu unserem Topf gefunden haben? Ja, zumindest für das Modelljahr 2023, und das mit sehr gutem Gewissen. Für die Zukunft erhoffen wir uns, dass alle Bikes im Test eine Ausstattung besitzen, die zum Potenzial und Charakter passen. Zudem sollte Wert auf das Gesamtpaket, sprich die Zugverlegung, einfachen Service und Integration von praktischen Features gelegt werden. Denn wenn man schon etwas macht, kann man es auch gleich richtig machen.


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Text: Peter Walker Fotos: Peter Walker, Mike Hunger

Über den Autor

Peter Walker

Peter ist nicht nur ein Mann der Worte, sondern auch der Taten. Mit ernsthaften Bike- und Schrauber-Skills, seiner Motocross-Historie, diversen EWS-Teilnahmen und über 150 Bikepark-Tagen in Whistler – ja, der Neid der meisten Biker auf diesem Planeten ist ihm gewiss – ist für Peter kein Bike zu kompliziert und kein Trail zu steil. Gravel und Rennrad kann er übrigens auch! Das für unsere redaktionelle Arbeit wichtige Thema Kaufberatung hat Peter in Vancouvers ältestem Bike-Shop von der Pike auf gelernt und setzt sein Know-how auch im journalistischen Alltag um. Wenn er nicht gerade die Stuttgarter Hometrails auf neuen Test-Bikes unsicher macht, genießt er das Vanlife mit seinem selbst ausgebauten VW T5. Dass er dazu noch ausgebildeter Notfallsanitäter ist, beruhigt seine Kollegen bei riskanten Fahrmanövern. Zum Glück mussten wir Peter bislang nie bei seinem Spitznamen „Sani-Peter“ rufen. Wir klopfen auf Holz, dass es dazu auch nie kommen wird!