Vergleichstest: Neun Enduro-Bikes 2015 im Test
Es scheint fast so, als ob der Bikeindustrie langweilig wäre: Ständig sprießen neue, teils unklare, teils unnötige Bikekategorien und Trends aus dem Boden. Doch eine ist schon länger in aller Munde und hört nicht auf, weltweit Biker zu begeistern und zu vereinen: Enduro. Aber was genau ist ein Endurobike überhaupt? Viele würden jetzt sagen, ein Enduro ist ein Racebike, doch die wenigsten Käufer fahren damit tatsächlich Rennen, sondern ziehen vielmehr mit den Kumpels los, um Trails zu surfen. Und da drängt sich die berechtigte Frage auf: Muss es immer nur um Geschwindigkeit und darum gehen, wie schnell ein Bike ist? Und wenn so viele ein Enduro kaufen und nicht oder nur selten am Renngeschehen teilnehmen, was sind dann die Aufgaben eines Enduros?
Update August 2016: Dieser Vergleichstest ist von 2015, verpasst nicht unseren Enduro-Vergleichstest 2016!
Ein Enduro ist viel mehr als ein Racebike, es ist die Wildcard für unzählige Abenteuer.
Die meisten von uns wünschen sich ein Bike, das mit allem klarkommt, was sich in den Weg stellt: von den gelegentlichen Bikeparkausflügen mit Freunden über das ein oder andere Rennen bis hin zu fordernden Trailorgien am Wochenende. Und ja, auf den Hometrails muss das Bike natürlich genauso funktionieren, wo wir die Strava-Zeiten unserer Kumpels schlagen wollen.
Doch der Markt bietet einige Bikes, die – wirft man einen Blick auf die Eckdaten – geradezu nach Downhill schreien. Mit kompromisslos auf High-Speed ausgerichteten Geometrien und massig Federweg stellt sich zwangsläufig die Frage, wie alltagstauglich so ein Mini-Downhiller ist.
Kann eine aggressive Racegeometrie auch Komfort auf epischen Tagestouren bieten oder ist ein etwas gezähmteres Rad die bessere Wahl für die meisten Biker? Unser erfahrenes Testteam von zehn (!) internationalen Fahrern bestand aus Top-10-EWS-Racern, Worldcup-Downhillern sowie mehreren „normalsterblichen“ Bikern/Bikerinnen und war begierig, die Antworten auf all diese Fragen zu finden.
Wir wollten die ultimative Endurowaffe in einem großen Vergleich ermitteln und haben dafür 9 der besten Bikes dieser Kategorie nicht nur gegen die Uhr getestet, sondern auch auf epischen Big-Mountain-Rides im rauen englischen Hinterland. Nach über 500 Stunden an kumulierter Testzeit stand ein klarer Sieger fest – aber dazu später mehr.
Anstatt eine Vorauswahl zu treffen, ließen wir es den Herstellern bei diesem Vergleichstest offen, mit welchem Modell sie ins Rennen gehen würden. Zudem setzten wir kein (unteres wie oberes) Preislimit fest, sondern definierten vielmehr ausführlich unsere Erwartungen und Testkriterien dieses Vergleichstests (siehe unten). So schickte Cannondale das leichte und effiziente Jekyll Team Carbon ins Rennen, das mit Jerome Clementz schon mehrmals auf dem obersten Treppchen der EWS stand. Canyon stellte uns die Raceversion des Strive CF 9.0 mit einer unglaublich aggressiven Geometrie und sagenhaftem Spec für den Test bereit. Wohlwissend, dass auch Geld ein entscheidender Faktor dieses Vergleichstests ist, schickte uns Giant das günstigste Modell der Reign-Familie, dessen Geometriedaten alles andere als Kinderspielchen sind und fast schon an einen ausgewachsenen Downhiller erinnern. Trek schaffte es, uns noch eines der superbeliebten Slash 9 zukommen zu lassen. Dank des praktischen Online-Konfigurators des Bocholter Direktversenders ROSE erhielten wir ein leicht individualisiertes UNCLE JIMBO 3 mit einem sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnis.
Dass Santa Cruz mit dem Nomad antreten würde, war klar, und so kam die günstigere „C“-Version des Nomads (einfacheres und schwereres Carbonlayup als beim Top-Modell „CC“) mit X01-Antrieb in unser UK-Office. Yeti setzte auf deren heiß begehrtes und sündhaft teures SB6c: Würde das neue Switch Infinity-Federungssystem den hohen Preis rechtfertigen? Ein begeistertes Raunen ging durch die Redaktion, als wir das sexy YT Capra mit seiner aggressiven Optik erhielten.
Die Hersteller FOCUS, Radon und Specialized sagten ihre Teilnahme am Vergleichstest ebenfalls zu, schafften es aber nicht rechtzeitig, uns ihre Testkandidaten zukommen zu lassen.
Die idealen Testbedingungen
Wenn man wissen will, wie sich ein Bike in anspruchsvollstem Terrain schlägt, führt kein Weg an Schottland, genauer gesagt an den schottischen Highlands, vorbei. Im nordwestlichsten Zipfel der britischen Insel ist jeder Trail eine Herausforderung und wer die kargen wie erbarmungslosen Berge von Torridon oder die technischen EWS-Strecken des Tweed Valley kennt, weiß, mit welch schwierigem Gelände man es hier zu tun hat. So mussten sich die neun Bikes bei über 500 Betriebsstunden auf legendären und mindestens genauso anspruchsvollen Trails wie Kinlochleven, Ciaran Path, Coire Lair und der brutalen Downhillstrecke in Fort William bewähren. Ideale Bedingungen also, um den Testbikes wirklich alles abzuverlangen. Auf diverse liftunterstützte Downhills, mehrere 8-Stunden-Touren durch unwegsames schottisches Hinterland und Battles auf EWS-Stages folgten nächtelange Feedbackrunden, in denen die Eindrücke und Ergebnisse jedes Testers besprochen und hitzig diskutiert wurden. Doch am Ende stand fest: Wir haben einen klaren Sieger, das ultimative Endurobike.
Bike | Federweg | Gewicht | Laufradgröße | Preis |
---|---|---|---|---|
Cannondale Jekyll | 160 / 160 mm | 12,68 kg | 27.5 | 7.499 € |
Canyon Strive CF 9.0 Race | 160 / 163 mm | 13,15 kg | 27.5 | 4.299 € |
Giant Reign 2 | 160 / 160 mm | 14,79 kg | 27.5 | 2.299 € |
Rose Uncle Jimbo 3 | 160 / 165 mm | 13,55 kg | 27.5 | 4.102 € |
Santa Cruz Nomad X01 | 160 / 165 mm | 13,69 kg | 27.5 | 7.430 € |
Trek Slash 9.0 | 160 / 160 mm | 13,39 kg | 27.5 | 5.229 € |
Vitus Sommet VRX | 160 / 155 mm | 14,61 kg | 27.5 | 3.099 € |
Yeti SB6C X01 | 160 / 152 mm | 12,88 kg | 27.5 | 7.390 € |
YT Capra Pro Race | 170 / 165 mm | 13,55 kg | 27.5 | 4.399 € |
Tops
Flops
Fazit
Also, welches ist nun das beste Endurobike? Die Frage ist komplizierter als es auf den ersten Blick scheinen mag. Der sehr vielseitige Testverlauf unter unterschiedlichsten Bedingungen und Streckenverhältnissen enthüllte die Stärken und Schwächen jedes einzelnen Bikes. Zudem machte er deren teils stark unterschiedlichen Charakterzüge deutlich, die auf die ein oder andere Weise ihre Vorteile haben. Doch nicht nur die Performance spielte eine Rolle, sondern ebenso das Preis-Leistungs-Verhältnis, sodass speziell die sehr teuren Kandidaten unter Beweis stellen mussten, dass sie den hohen Anschaffungspreis auch tatsächlich wert sind.
Das Cannondale Jekyll ist ein sehr interessantes Bike, das in vielerlei Hinsicht einen einzigartigen Ansatz wählt. In der Bergaufwertung ungeschlagen war die Abfahrtsperformance besonders in technischen Passagen aber nicht ganz konkurrenzfähig.
Das Vitus Sommet hat viel Potenzial, wäre an ihm nicht die unzureichende Marzocchi NCR 350 verbaut, die mit der an sich guten Charakteristik des Hinterbaus nicht Schritt halten konnte, wodurch das Bike stets unausgeglichen wirkte.
Hatten unsere Tester lange Kletterpassagen zu absolvieren, dann erfreute sich das Slash 9 großer Beliebtheit; schließlich verfügt es über eines der besten Hinterbaukonzepte im gesamten Testfeld. Trotz des vielversprechenden Rock’n’Roll-Namen kam das Trek allerdings in wirklich anspruchsvollem Gelände an seine Grenzen. Das mit Abstand günstigste Bike im Test war das Giant Reign, doch konnte es im Testfeld gut mithalten. Bergab ist das Giant ein wahres Monster, doch leider ist es das – nicht zuletzt aufgrund des höheren Gewichts – auch bergauf. Nichtsdestotrotz bekommt man hier eine ehrliche und tadellose Performance zum Spitzenpreis.
Das ROSE UNCLE JIMBO war bei den Testern ebenfalls sehr beliebt und alle waren sich einig, dass dieses Bike sehr viel Spaß vermitteln kann und ein ehrliches wie superattraktives Gesamtpaket liefert.
Bleiben also noch vier Kandidaten übrig, bei denen die Meinungen der Tester, wer auf das Siegertreppchen steigen dürfte, auseinander gingen. Alle vier Bikes sind wirklich einzigartig und bieten unglaublichen Fahrspaß, wobei jedes einen eigenen Charakter hat und in vollkommen unterschiedlichen Preisligen spielt.
Ginge es nur um Performance, Qualität und Attraktivität, wäre das Yeti mit Sicherheit der Top-Anwärter auf den Gesamtsieg. Das Bike lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen, bleibt aber stets agil und wendig. Das Maß an Traktion und Kontrolle, welches das überragende Switch Infinity-Federungssystem selbst in gröbstem Geläuf vermittelt, ist traumhaft. Das böse Erwachen kommt aber mit dem Blick auf das Preisschild. Bei dem exorbitant hohen Preis müsste das Yeti doppelt so gut sein wie die Konkurrenz. Und das ist nicht der Fall!
Das Santa Cruz Nomad ist ebenfalls sehr aggressiv und souverän im Downhill. Obwohl es sich bei dem Nomad C um die Version mit günstigerem Carbonlayup handelte, tat dies der Anziehungskraft des kalifornischen Alleskönners keinen Abbruch. Die Tatsache, dass es über eine verhältnismäßig billige Ausstattung verfügt, warf die Frage auf, ob ein Markenname im Vergleich zum übrigen Testfeld einen Aufpreis von über 3.000 € rechtfertigen kann? Wir sagen ganz klar: nein!
Damit sind nur noch zwei Bikes im Rennen. Das YT war ein heiß gehandelter Favorit und stellte eindrucksvoll seine außerordentliche Downhillperformance unter Beweis, wobei es sich etwas lethargisch im Uphill verhielt. Mit einem Preis von 4.399 € ist es ein verdammt heißer Deal. Und wenn du Berge nur dafür erklimmst, um mit maximaler Performance bergab zu fahren, dann ist das Capra mit seinen Mini-Downhiller-Qualitäten eine super Wahl.
So stand der Sieger schließlich fest. Am Ende war es die beeindruckende Vielseitigkeit der Shape Shifter-Technologie in Verbindung mit dem perfekt ausbalancierten Fahrverhalten, die dem Canyon Strive CF 9.0 Race den Testsieg sicherte. Mit einer superdurchdachten Ausstattung und einem Preis von 4.299 € erhält es zudem den begehrten Kauftipp. Nach dem Motto „The Winner takes it all“ ballert das Canyon die härtesten Abfahrten hinab und verwandelt sich mit nur einem Klick in Sekundenschnelle in eine effiziente Bergziege, um die Berge dieser Welt zu erklimmen. Nicht zu Unrecht hat das Strive CF die begehrte Gold-Auszeichnung des Design & Innovation Award 2015 gewonnen. Auf der Suche nach dem besten und vielseitigsten Endurobike führt am Canyon Strive CF aktuell kein Weg vorbei.
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Alle Bikes im Test: Cannondale Jekyll Carbon 1 | Canyon Strive CF 9.0 Race | Giant Reign 2 | Rose Uncle Jimbo 3 | Santa Cruz Nomad C X01 | Trek Slash 9 | Vitus Sommet VRX | Yeti SB6C X01 | YT Capra CF Pro Race.
Update August 2016: Dieser Vergleichstest ist von 2015, verpasst nicht unseren Enduro-Vergleichstest 2016!
Text & Fotos: Trevor Worsey
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