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Wer sucht, der findet. Der Spruch gilt für gute Trails wie für alles andere in meinem Leben. Manchmal muss man dem Glück kräftig in der Hintern treten, um aus seiner kleinen Welt auszubrechen. Denn Zufälle sind meist kein Zufall.

Ungeduldig warte ich, bis die ersten warmen Tage Mitte März die Saison 2015 einläuten. Noch kenne ich niemanden, aber das muss sich ändern. Enduro grassroots Rennen stehen hoch im Kurs in den USA – oft nur auf lokalen Facebook Gruppen ausgeschrieben. Ich finde eines im Shenandoah Valley: das ‘March15 Shenduro’ Race bei Harrisonburg. Seit Monaten nicht im Sattel gesessen, nehme ich teil. Diese maßlose Selbstüberschätzung bezahle ich mit acht Stunden Leiden… aber das ist eine andere Geschichte. Ich knüpfe ersten Kontakt zu Bikern aus D.C.. Und die Jungs wollen wissen, wo genau ich lebe: ‘Tysons Corner? Oh man, that sucks… but there is some nice trail riding around. Check out Lake Fairfax Park!’

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Tage später habe ich mich erholt vom Shenduro und erinnere mich an den Tipp – mein Bike ist geputzt, die Sonne lacht. Es ist einer dieser Tage, wo du dir sagst: “Tu’es, es wird gut!” Auf Trailsuche in unbekanntes Terrain zu gehen, kann stressig sein: Kein Flow, ständiges Anhalten, Position und Navigation überprüfen, nicht wissend, ob was Brauchbares bei rauskommt. Doch nichts ist besser, als gute Trails zu finden und zum ersten Mal zu fahren. Der Pioniergeist zählt!

Amerikanische Entdeckungsfahrt

In meinem Fall stand erstmal eine Grenzerfahrung: Radfahren auf amerikanischen Schnellstraßen. Ich wählte den direkten Weg, vier Meilen entlang der Virginia State Route 7. Keine Radwege vorhanden, dichter Verkehr, fette Trucks und LKWs mit 100 Sachen. ‘Share the Road’ ist zwar Gesetz in Virginia, aber kaum jemand ‘gives a fuck’: ich werde von der Fahrbahn abgedrängt, mittels Hupe über mein “Fehlverhalten” aufgeklärt und am Ende tatsächlich noch mit einer Büchse ‘Coors Light’ beworfen! Leer, aber das ist vielleicht auch besser so.

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Als ich in ein Wohngebiet abbiege, wird es ruhig und grün. Luxuriöse Prachtbauten amerikanischer Besserverdiener. Latinos kümmern sich um die Grünanlagen, Schulkinder spielen Basketball im Driveway. Der “American Dream”, zumindest für die Oberschicht… doch nicht für mich, ich kann den Zugang zu dem verheisungsvollen Trail Park nicht finden. Die Baumwipfel sehe ich hinter den Villas bereits, doch Warnschilder mit ‘No Trespassing’ und Virginias laxe Waffengesetze lassen mich wieder abdrehen. Viele Amerikaner nehmen ihr Recht, eine oder mehrere Schusswaffe zu besitzen, ziemlich Ernst. Und wer auf fremdem Eigentum unterwegs ist, läuft durchaus Gefahr, damit ungute Bekanntschaft zu machen. Am Ende einer Sackgasse ist der Wald irgendwann zugänglich und endlich: ein erster Trail. Braun, flach und mit MTB Reifenspuren übersät. Nach eineinhalb Stunden bin ich am Ziel… Lake Fairfax Park in Reston, VA.

‘Worlds colliding’

Noch bevor ich einen Meter auf dem reizenden Trail in die Pedale treten kann, beginnt mein iPhone Geräusche von sich zu geben, die ich nicht gewohnt bin. Mein Facebook Messanger poppt auf – ich chatte fast nie auf FB. Irgendein Nave fängt an, mich mit Textnachrichten zu bombardieren – auf Englisch. “Are you in NOVA?” Was ist Nova, wer ist der Typ? Ich antworte irritiert, kann Nave nicht zuordnen, aber lest den Rest besser selbst…

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Ich hatte “Nave” Wochen zuvor per Zufall eine Freundschaftsanfrage auf Facebook geschickt – und bald schon wieder vergessen. Fremde Leute “anfreunden” mache ich sonst nie, aber ein alter Kumpel hatte mir Evans (Naves richtiger Name) GoPro Video geschickt. Zu sehen war, wie Evan mit ein paar Locals auf einer neu gebauten Line auf “meinem” alten Hometrail in Stuttgart fährt. Da das “Kid” shredden kann, hatte ich dem vermeintlichen Ripper aus Stuttgart die Freundschaft angeboten. “Nave” akzeptierte kommentarlos – mehr Kontakt gab es nicht. Ich hatte keine Ahnung, dass er Amerikaner ist und aus der gleichen Ecke stammt, in der ich nun mein neues Leben aufbauen sollte. Dass er mir exakt in dem Moment über den “Weg” läuft, als ich sprichwörtlich auf einem seiner Hometrails stehe, war eine seltsame, wenn nicht sogar schicksalshafte Erfahrung. Das Trailmaterial, mit dem mich Evan seitdem versorgt, ist sensationell und lässt mich D.C. in anderem Licht sehen. Wir wären uns sicherlich auch später begegnet, aber es sollte wohl genau an diesem Tag sein.

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Was ich nach dieser Konversation noch im Lake Fairfax Park erleben sollte, ist besser als alles, was ich je in Stuttgart gefahren bin. ‘Hands down’ – dieser Trailcheck hatte sich mehr als gelohnt! Mit Evans Hometrails in Northern Virginia (NOVA) kann ich bestens leben und fühle mich heimischer denn je. Keine zehn Kilometer von Tysons entfernt, alles Singletrail vom Feinsten – kilometerlang, viel Benchcut und bestens gepflegt. Die Trails zwingen zum Angriff, der Puls rast, die Beine brennen. Keine brutal steilen, anspruchsvollen Passagen, aber ein ständiges Auf- und Ab mit viel Flow, Steinfeldern und verspielten Features. Trailspaß in Runden, mit klar ausgewiesenen Karten, unterteilt nach Schwierigkeitsgraden. Gebaut von einer Armee von Freiwilligen und M.O.R.E., einer U.S. Mountainbike Vereinigung, deren Motto so simpel wie gut ist: ‘Riding Bikes and Building Trails since 1992’. Das gleiche Jahr, in dem ich mein erstes richtiges Mountainbike gekauft habe – ein amerikanisches Manitou HT. Zufälle gibt’s…!

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Text & Bilder: Steffen Gronegger


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