Hello America! | Part #4 – Flowtrail Stromberg, Germany
Plopp!! Der Kronkorken sprang mir ins Gesicht und fiel auf den Boden. Warmes, schäumendes Bier strömte aus dem Flaschenhals über meinen Schoß und den Autositz. Die drei Typen in dem Fiat nebenan lachten mich aus, aber ich wusste, eigentlich waren sie bloß neidisch.
Ich sah über drei Fahrspuren hinweg zu meiner Frau, die dabei war, neue Leute kennenzulernen, und meinen Kindern, die an der Leitplanke spielten, und rief „Schatz, du musst den restlichen Weg fahren.“
Wir steckten zwei Stunden auf der Autobahn fest, weil etwa ein Kilometer vor uns sein Unfall passiert war. Definitiv frustrierend, aber mein Tag war sicher besser, als der von den Fahrern, die da vorne ihre Autos zerstört hatten. Außerdem hatte ich Bier. Es war warm, aber es war Bier, und kalte Pizza hatten wir auch dabei. Das erinnerte mich an meine Zeit an der Uni. Ich hätte wissen müssen, dass das Zeug überlaufen und alles einsauen würde, aber es war lange her, dass ich ein warmes Bier aufgemacht hatte.
Wir waren in diesen Stau geraten auf dem Rückweg eines Familien-Wochenendausflugs, auf dem wir uns einige Burgen am Rhein westlich von Frankfurt angesehen hatten. Ich nehme eigentlich immer Fahrräder mit, wenn wir irgendwo hinfahren, denn das ist eine sehr gute Möglichkeit, die Kinder müde zu kriegen, und manchmal ergibt es sich, dass ich alleine losziehen und die Gegend erkunden kann. Eine so schöne Bike-Überraschung wie an diesem Wochenende hatte ich aber vielleicht noch nie erlebt. Ich hatte keine Ahnung, wo wir hinfahren würden, und war unsicher, für welches Bike ich mich entscheiden sollte. Ich liebe mein Stahl-Hardtail von Independent Fabrication, weil man damit einfach super rumfahren kann, aber ich wusste, dass es eine hügelige Gegend war, und hatte keine Lust, am Ende ständig das Rad den Berg hochzuschieben. Ich entschied mich also für mein Specialized Enduro, denn das funktioniert tendenziell in jeder Umgebung. Also wurden vier Fahrräder, zwei Kinder, der Hund und meine Frau in den Van gepackt, und los ging’s zu unserem langen Wochenende über diesen deutschen Feiertag namens „Christi Himmelfahrt“. Jesus fuhr also zum Himmel, auch wenn ich vorher nicht wusste, dass er überhaupt irgendwo hingefahren ist, und wir fuhren nach Stromberg.
Im Nordosten und mittleren Westen der USA gibt es diese Region, die als „Rust Belt“ (Rostgürtel) bezeichnet wird, wegen des Niedergangs der einstmals blühenden Industriestädte. Die Bundesstaaten Pennsylvania und Ohio sind sehr schön, mit mittelgroßen Bergen und mäandernden Flüssen. Hier gibt es tolle Mountainbiketrails, und das Wetter ist das ganze Jahr so, dass man gut fahren kann. Als wir von Frankfurt aus nach Westen fuhren, überkam mich dieses Gefühl, als würde ich durch den Rust Belt fahren, nur dass die Fabriken hier noch immer florieren. Die Gegend sieht ein bisschen aus wie in Allentown oder Reading – wobei es dort natürlich weit und breit keine Burgen oder Schlösser gibt.
Wir kamen im Resort Stromberg an und checkten in unsere Ferienwohnung ein, ein Zweizimmerappartement mit einem kleinen Garten. Das Resort ist voller Bäume und ziemlich ruhig. Aber nebenan hatte eine Familie mehrere Wohnungen gemietet und feierte einen Geburtstag im Hof. Die Party war ziemlich laut, deshalb konnte ich mir sicher sein, dass die Kinder keinen Ärger kriegen würden, wenn sie ein bisschen durchdrehen und wie wild durch den ganzen Gebäudekomplex rennen würden. Nachdem ich einen Haufen Gepäck und die Bikes ausgeladen hatte, konnte ich mich endlich hinsetzen, ein Bier aufmachen und entspannen. Ich schlug die Broschüre des Resorts auf, und BÄM – auf der ersten Seite war eine Anzeige für den „Flowtrail Stromberg“.
Flowtrail Stromberg – was soll das sein, fragte ich mich. Denn obwohl es eine Anzeige dafür war, war auf dem Foto nicht wirklich was zu erkennen. Zum Glück gibt’s Internet. Meine Verbindung war langsam, aber ich gelangte schließlich auf eine Seite, aus der unmissverständlich hervorging, dass ich mich nur wenige hundert Meter von einem speziell angelegten Mountainbiketrail entfernt befand. Es gab einen Flowtrail, einen Pumptrack, und eine DH-Linie mit Sprüngen. Ich fühlte mich, als hätte mir jemand einen Schlag auf den Hinterkopf versetzt. Das ergab irgendwie keinen Sinn. War es ein Traum? Ein Witz? Oder eine verfrühte Geburtstagsüberraschung für mich von meiner Frau?
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, machte ich mich sofort auf zu einer kleinen Erkundungstour, während meine Frau Frühstück für die Kinder machte. Ein kurzer Anstieg im Wald führte mich am Pumptrack und dem Übungsparcours vorbei zu einer Trailkreuzung. Ich bog nach links ab, und ich wusste sofort, dass ich so etwas wie das letzte Einhorn Deutschlands gefunden hatte, ein Fabelwesen … einen Singletrail. In meiner Heimatstadt in den USA gibt es überall Singletrails, die ich seit meinem Umzug nach Deutschland schmerzlich vermisse. In Baden-Württemberg, wo ich nun lebe, gibt es ein Gesetz, dass man Trails von unter zwei Metern Breite nicht nutzen darf, es sei denn, sie sind in einem langwierigen Prozess autorisiert worden. Ich berichte darüber noch ein anderes Mal genauer, aber worauf es ankommt – Singletrails sind meistens illegal. Stromberg ist aber in Rheinland-Pfalz und hier sind die Gesetze wohl anders. Mir wurde schnell klar, wie sehr ich das vermisst hatte. Hier handelte es sich um einen schönen Singletrail, der sich über Wurzeln und Steine und zwischen Bäumen den Hang entlang schlängelte. Ich rollte über Holzstücke und duckte mich unter tief hängenden Ästen hinweg, als ich durch den Wald pedalierte. Wo ich her komme, gibt es solche Trails überall, aber es war viel zu lange her, dass ich einen gefahren war.
Der nächste Abschnitt heißt “Wild Hog”, eine Abfahrt voller Anlieger und Sprünge. An jedem der mittelgroßen Features gab es noch eine alternative Linie, die genauso spaßig war. Ich muss wirklich zugeben, ich konnte auf dem gesamten Trail nicht aufhören zu lachen. Die Beschilderung war super, und es machte einfach einen Riesenspaß. Als nächstes kam ein Stück traditioneller XC-Singletrail, und es ging den Berg wieder hoch. Dann verlief er ein Stück auf einer Forststraße, und ich sah ein paar ziemlich große Sprünge im Wald – den „No Jokes“-Trail. Wow. Was für ein gut gewählter Name für einen Trail voller großer Doubles und Drops. Ich fuhr parallel dazu den Berg hinauf, aber ich konnte ihn jetzt nicht ausprobieren, ich war ja nur auf einer ersten Erkundungstour. Ich wusste, ich würde wiederkommen. Meine erste Runde hier hatte etwa eine Stunde gedauert, ich war nicht alles gefahren, aber war mir sicher, dass sich eine Rückkehr lohnen würde. Aber jetzt waren erstmal die Burgen und meine Familie dran.
Die Trails von Stromberg liegen ganz in der Nähe des Rheins sowie mehrerer idyllischer mittelalterlicher Städtchen. Unsere ganze Familie, inklusive Hund, verbrachte den Rest des Tages damit, durch Städte und Burgen zu schlendern, die aus dem 13. Jahrhundert stammen, teilweise sind sie sogar noch älter. Wenn man der Familie ein wenig Unterhaltung bieten will, ist das hier das ideale Ausflugsziel. Wir machten eine Schifffahrt auf dem Fluss, klettern alte Treppen hoch, aßen auf Burgen und Schlössern, es war super. Aber ich wollte zurück zu diesen großen Sprüngen.
Am nächsten Morgen drehte ich noch eine schnelle Runde alleine auf dem Haupttrail, und kehrte später mit der Familie zurück. Wir verbrachten einige Zeit auf dem Pumptrack, und die Kids hatten eine super Zeit. Ich finde, Pumptracks eignen sich sehr gut für Kinder, weil sie relativ sicher sind und weil man dort gut grundlegende Fahrtechniken üben kann. Ich fragte die Jungs, ob sie sehen wollten, wie Papa ein paar Sprünge nimmt, und sie waren begeistert. Ihr müsst aber wissen, die beiden sind es gewohnt, meinen Freunden zuzuschauen, und die sind viel besser als ich. Meine Kinder haben also kein Problem damit mir zu sagen, wenn ich sch… fahre. Wir fuhren den Singletrail hinunter, bis wir zum No-Jokes-Trail kamen, und erkundeten ihn zunächst zu Fuß. Wir beschränkten uns auf den ersten Teil des Trails, aber der war einfach geil. Die Sprünge waren gut gebaut und hatten die richtige Größe für die Geschwindigkeit des Trails. Der größte von ihnen war zwar nicht riesig, aber er hatte einen recht steilen Absprung, der mich etwas nervös machte. Ein DH-Bike oder wenigstens ein Fullface-Helm wären gut gewesen, aber beides hatte ich nicht, und man muss das Beste aus dem machen, was man hat. Allerdings bin ich auch schon alt, und normalerweise muss ich nicht für mich selbst das Versuchskaninchen spielen, weil ich meistens irgendeinen 20-jährigen Shredder dabei habe, der bereit ist, sich todesmutig auf jeden Sprung zu stürzen. Aber es war ein Glückstag, ich fuhr den ganzen Abschnitt ohne einen Crash vor meiner Frau und meinen Kindern hinzulegen, und hatte unglaublich viel Spaß dabei. Ich hätte noch den ganzen Tag auf diesem Trail verbringen können, aber so funktioniert das leider nicht mit Familienausflügen – für mich ist es immer ein Erfolg, wenn ich zwischen Sightseeing und Abendessen die ein oder andere kleine Runde unterbringen kann. Das hier war ein MEGAErfolg.
Mit meinen Triumphgefühlen war es allerdings vorbei, als ich den Wagen auf der Autobahn anhalten musste. Solange man im stockenden Verkehr ganz langsam fährt, kann man unruhig oder wütend werden– aber wenn man gezwungen ist, komplett anzuhalten, dann hat man keine Chance außer einfach loszulassen. Genau das taten wir. Ich schaltete den Motor aus, aber ließ die Musik an und öffnete die Türen. Und dann fiel mir der Kasten Kölsch im Kofferraum ein. Es war zwar warm, aber es war deutsches Bier, und ehrlich gesagt, ein warmes deutsches Bier schlägt die meisten kalten US-Biere immer noch um Längen. Und so saß ich da, mit warmen schaumigen Bier auf der Hose, und einem dicken Grinsen im Gesicht, denn mein „Jesus-fährt-zum-Himmel-Kurzurlaub“ hatte sich zu einem richtig geilen Wochenende entwickelt.
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Text & Bilder: Evan Phillips
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