Ruben Torenbeek, Denker und Macher bei RAAW, hat uns schon vor drei Jahren im Interview angedeutet, dass sein viel beachtetes Madonna einmal einen Spielgefährten bekommen könnte. Mit dem neuen RAAW Jibb 2021 präsentiert er uns nun einen Hund – und zwar einen reinrassigen Terrier!

RAAW Jibb 2021 | 150/135 mm Federweg (v/h) | 15,2 kg (Größe L) | 29’’ | 5.490 € | Hersteller-Website

Bei RAAW in den bayerischen Alpen rollt nun ein Bike vom Hof, das mit seinen geraden Linien und seinem klar lackiertem Aluminium unverkennbar an das Madonna V2 erinnert, ja, auf den ersten Blick sogar mit ihm zu verwechseln ist. Doch der zweite Blick macht deutlich, dass dieses Gefährt die Dinge anders angeht als die hauseigene Enduro-Ballermaschine – und dabei nicht weniger wild sein will. Richtig, auch das Jibb ist aus Aluminium gefertigt, steht auf 29‘‘-Laufrädern und federt hinten via Horst-Link-Hinterbau ein und aus. Aber schon sein überschaubarer Federweg von 150 mm vorne und 135 mm am Heck grenzt es klar vom Madonna ab. Das RAAW Jibb kommt weniger als Dampfwalze, sondern vielmehr als Partymaschine daher, die angeblich ein paar Prozent brachialer Abfahrtsqualität lieber in Agilität, Pop und Airtime investiert. Um diesen Ansatz genauer zu beschreiben, müssen wir über Hunde sprechen.

Das neue RAAW Jibb ähnelt auf den ersten Blick stark dem Madonna V2, ist aber deutlich verspielter ausgelegt.
RAAW hat einen Hund abzugeben. Aber Vorsicht – es ist ein echter Terrier!

Hundezüchter beschreiben den Jack Russell Terrier als energiegeladenen Vollblutjäger ohne Furcht und mit einem gewissen Hang zum Größenwahn, der konsequente Erziehung braucht und vor allem erfahrenen Haltern Spaß macht. Was sie nicht wissen: Es gibt ihn jetzt auch aus 6066er-Aluminium! Denn viele der Charaktermerkmale, die diesen bulligen kleinen Vierbeinern nachgesagt werden, sollen wir im RAAW Jibb tatsächlich wiederfinden. Da hat sich also jemand wirklich gut überlegt, welches Tier das Oberrohr zieren soll. Ein Trail-Bike explizit auch für den Park freizugeben und das Antlitz eines wilden Jagdhundes aufs Oberrohr zu pinseln, ist ja eine nette Idee. Und klar: Kein Hersteller will „einfach nur ein Trail-Bike“ gebaut haben. Beim RAAW ließ uns aber stutzen, wie auch die eigenen Fahrer dieses Rad interpretieren: Beim ersten Jibb, das wir bei einem gesponsorten Fahrer gesehen haben, war die Leitung der Vorderbremse durch Steuersatz und Gabelschaft verlegt. Zusammen mit einer extralangen Leitung der Hinterradbremse werden so Barspins und Tailwhips möglich. Und das klingt dann tatsächlich nicht mehr so sehr nach klassischem Trail-Bike! Meint es das RAAW Jibb am Ende also ernst mit seinen Ambitionen, ein Hardcore-Spiel-Bike zu sein?

Ist das ein Trail-Bike? Als Antwort zieht der Terrier die Lefzen hoch und knurrt gereizt.

Die Madonna-DNA – Das neue RAAW Jibb im Detail

Wenn man sich ein neues Bike von RAAW anschaut, kommt man nicht um Vergleiche mit dem Madonna V2 herum, in dessen Windschatten und breiten Reifenspuren das Jibb nun angerollt kommt. Und die große optische Ähnlichkeit der beiden Räder findet sich auch in vielen technischen Lösungen wieder – erfreulicherweise! Zunächst hält das Team von RAAW am Prinzip fest, die Rahmen seiner Bikes aus Aluminium zu fertigen. Seine Gründe hierfür hat uns RAAW-Gründer Ruben Torenbeek bereits im Interview zum Madonna erläutert. Doch nicht nur der Werkstoff der Rahmen bleibt derselbe. Auch die jeweiligen Formensprachen von Jibb und Madonna V2 liegen eng beisammen: Die zwei Modelle eint die gerade Linienführung und ein puristischer, selbstbewusster Look, geprägt von klar lackiertem Aluminium oder wahlweise schwarzer Pulverbeschichtung.

Das kann nur Alu: kantige Frästeile, Hydroforming und Schweißnähte. Wir stehen drauf!

Beim genaueren Blick erkennen wir außerdem den Versuch von RAAW wieder, nicht nur leistungsstarke, sondern auch haltbare und wartungsfreundliche Räder zu bauen. Die groß gewählten Rahmenlager werden durch spezielle Lagerendkappen zusätzlich vor den Elementen geschützt. Das soll ihnen eine größere Lebensdauer und euch eine gesunde Ride-Service-Balance bescheren.

Die zusätzlich gedichteten Rahmenlager sollen deutlich länger halten als die anderer Hersteller.

Das kantige Unterrohr soll am Tretlager durch fleischigen Kunststoff angemessen gegen hochgeschleuderte Steine geschützt werden – unser Test-Bike hatte noch keinen Kunststoffschutz. Auch die Kettenstrebe bekommt mit großzügig bemessenen Gummirippen eine wertvolle Schutzschicht. Mit zwei standardmäßigen Aufnahmen im Hauptrahmen finden dort eine Trinkflasche und Ersatzmaterial oder Werkzeug Platz. Wir finden, das sollte Standard sein!

Hier sollte nicht mehr viel scheppern. Ein großzügig bemessener Protektor schützt die Kettenstrebe und eure Ohren.
Neben Platz für einen Flaschenhalter findet sich im Rahmen außerdem die Aufnahme für weiteres Werkzeug unter dem Oberrohr. Sehr praktisch!
Auch das kennen wir bereits vom Madonna: leicht zugängliche außen verlegte Züge …
… und variable Kettenstrebenlängen durch tauschbare Inserts. Die purzeln bei demontiertem Hinterrad allerdings aus dem Rahmen.

Die Modelle des RAAW Jibb 2021 – Preise und Verfügbarkeit

Das Jibb gibt es als Rahmenset und als Komplett-Bike. Die Frame-Kits sollen ab sofort weltweit verfügbar sein und starten preislich bei 2.290 €. RAAW lässt euch zwischen zwei Luft- und einem Stahlfederdämpfer wählen, die entweder von Formula oder von FOX stammen. Entscheidet ihr euch für FOX, verzögert sich die Lieferung vermutlich bis April. Als Komplett-Bikes wird es, wie von RAAW gewohnt, einen XT- und einen XTR-Build geben. Beide Ausstattungsvarianten erhalten eine FOX 36 Factory GRIP2 und stellen euch die Wahl des Dämpfers frei. Preislich liegen die beiden Varianten bei 5.490 € für den XT-Build und 7.290 € als XTR-Version.

Die Geometrie des neuen RAAW Jibb 2021

Die Eckdaten des RAAW Jibb deuten auf Spieltrieb und direktes Handling hin. Verantwortlich dafür, dass der Terrier ziemlich an der Leine ziehen soll, ist laut RAAW die Kombination aus DNA-Schnipseln des hochgelobten Madonna, reduzierten Längenmaßen und einer Kinematik für viel Gegenhalt und hohe Treteffizienz. Bei vier wählbaren Rahmen von S bis XL fällt der Reach in Größe L mit 470 mm moderat aus. Auch der Lenkwinkel von 65,5° und der Radstand von 1.240 mm rufen keine neue Geometrierevolution aus, sondern klingen im Enduro-Umfeld nach sehr kompaktem Handling. Doch Moment: Wir sprechen hier ja immer noch von einem Rad mit nur 135 mm Federweg!

Massig Gegenhalt: Das RAAW Jibb gibt sich trotz nur 135 mm Federweg enorm selbstbewusst. Selbstüberschätzung? Bottom-Outs vorprogrammiert? Der Terrier knurrt schon wieder …

Der Sitzwinkel fällt dabei ziemlich steil aus und liegt bei allen vier Rahmengrößen effektiv bei 77,5°. Die Kettenstreben wachsen beim Jibb mit der Rahmengröße mit und sind entweder 440 mm (in den Größen S und M), 445 mm (L) oder 450 mm (XL) lang. Realisiert wird das durch austauschbare Inserts an der Hinterradachse. Durch den Kauf anderer Inserts könnt ihr also auch nachträglich noch mit der Länge eurer Kettenstreben experimentieren. Passt aber gut auf die Inserts auf, denn sie sind nicht fest im Rahmen verankert und fliegen schnell heraus, wenn man das Hinterrad demontiert.

Größe S M L XL
Sattelrohr 395 mm 420 mm 445 mm 450 mm
Oberrohr 561 mm 589 mm 619 mm 648 mm
Steuerrohr 100 mm 115 mm 130 mm 145 mm
Lenkwinkel 65,5° 65,5° 65,5° 65,5°
Sitzwinkel 74,5° 74,5° 74,5° 74,5°
Kettenstrebe 440 mm 440 mm 445 mm 450 mm
Tretlagerabsenkung 35 mm 35 mm 35 mm 35 mm
Radstand 1.172 mm 1.203 mm 1.240 mm 1.276 mm
Reach 420 mm 445 mm 470 mm 495 mm
Stack 608 mm 622 mm 636 mm 649 mm

Die Geometrie des neuen RAAW Jibb 2021 mit 150-mm-Gabel. Wie wird sich das Rad wohl anfühlen? Wie ein “Short-Travel-Enduro-Trailparty-Bike”?

150 mm vorne und 135 mm hinten – wenig Federweg, aber trotzdem richtig viel Party?
Was blüht uns da? Das RAAW Jibb wehrt sich gegen Schubladen. Deshalb mussten wir selbst herausfinden, was es draufhat.

Das neue RAAW Jibb 2021 auf dem Trail

Wir haben das RAAW Jibb in Größe L, mit 15,2 kg Gewicht und FOX-Stahlfederdämpfer getestet. Schnell war klar: Das Rad positioniert seinen Fahrer im Sitzen ziemlich aufrecht. Das erzeugt in den Uphills eine entspannte Haltung und ein Vorderrad, das selbst auf steilen Rampen souverän am Boden bleibt. Insgesamt pedaliert sich das Jibb ziemlich effizient und marschiert bereitwillig vorwärts. Auch sein Gewicht von über 15 kg ändert daran nichts. Auf längeren flachen Strecken erweist es sich dafür aber als ziemlich handlastig.

Mit dem RAAW Jibb darf es gerne auch mal bergauf gehen. Das effiziente Bike geht trotz seines Gewichts gut nach vorne. Erst im Wiegetritt lässt sich Wippen provozieren.

Ist die Auffahrt erst geschafft, will der Terrier endlich von der Leine gelassen werden und seinem Charakter freien Lauf lassen. Und das bedeutet nicht, dass sich das Jibb wie von Geisterhand talwärts wendet, in der Falllinie die Bremsen aufmacht und überrollt, was immer sich ihm in den Weg stellt – das ist eher die Vorliebe des Madonna. Während das schon in der eigenen Staubwolke in Richtung Tal aus dem Sichtfeld verschwindet, zieht das Jibb auf dem Forstweg lieber erst noch einen Wheelie, fährt im Slalom neckisch zwischen den Buddys hindurch und droppt erst dann verspielt über eine kleine Wurzel in den Trail hinein. Für alle, die ihm Herr werden, geht der Spaß jetzt los! Doch Achtung: Das Jibb verlangt durchaus einen aktiven, erfahrenen Trailparty-Biker mit guter Fahrtechnik! Für viele andere wird das agile Handling zu fordernd sein.

Das Jibb mag Kanten, Steine und Richtungswechsel. Purer Highspeed wird ihm nicht gerecht.

Tatsächlich passt hier das Bild des Jack Russells wieder wie Arsch auf Eimer: Genauso wie es der dauergeladene Terrier einfach nicht schafft, geradeaus an anderen Hunden vorbeizugehen, gelingt es dem Jibb scheinbar nicht, Gelegenheiten zum Spielen auszulassen. Eine Wurzel? Abziehen! Ein Anlieger? Im Manual rausbeschleunigen! Ein Stein im Weg? Nosebonk! Voraussetzung dafür ist allerdings eine strenge Hand an der Leine – äh, am Lenker. Denn bei passiver Fahrweise ist das Jibb nur schwer zu beherrschen. Wird das Vorderrad nicht aktiv belastet, haut der Terrier in offenen Kurven nach außen ab.

Das RAAW Jibb soll vor allem ein Bike zum Spielen und Springen sein. Auf die Kommandos Hochziehen, Pumpen und Richtungswechsel hört es besonders gut – ein richtiger Jibbo eben.

Mit seinem agilen Handling, viel Gegenhalt im Fahrwerk und einer kompakten Position auf dem Bike motiviert das Jibb dazu, die Richtung zu wechseln und Luft unter die Reifen zu bekommen. Das Coil-Fahrwerk bietet ordentlich Pop und bietet außerdem ausreichend Reserven: Auch wenn das Jibb während unseres Tests mal tief in seinen Federweg rauschte, blieb ein harter Anschlag aus. Waren wir jetzt am Ende des Hubs? Klar zu spüren war das nicht. Und erst recht nicht, dass das nur 135 mm gewesen sein sollen! Das Jibb gibt euch das Gefühl von gehörig Reserven am Heck.

Der Hinterbau des Jibb gibt satten Gegenhalt, fühlt sich nach deutlich mehr als 135 mm an und nutzt den Federweg beim Flat-Drop, ohne harsch durchzuschlagen.
Jibb, Jibb, hurra! Versierte Fahrer können mit dem Jibb eine richtige Trailparty erleben. Für Einsteiger ist es aber schwer zu bändigen.

Unser Fazit zum RAAW Jibb 2021

Der Terrierkopf, die Party-hard-Ausrichtung und der Drang nach Bikeparks – all das hat beim neuen RAAW Jibb nichts mit Selbstüberschätzung zu tun. Der Jack Russell hat es wirklich in sich. Das spezielle Konzept eines aufgebohrten Trail-Bikes geht für versierte Fahrer auf, wird Einsteiger aber überfordern. Bei Highspeed gerät dieser Jibbo aus der Komfortzone, doch dafür gibt es eh das Madonna V2. Unterm Strich hat RAAW mit dem Jibb für echte Trailparty-Biker ordentlich einen rausgehauen.

Tops

  • gelungenes Nischenkonzept für Trailpartys und erfahrene Biker
  • effizientes Fahrwerk und gute Klettereigenschaften
  • technische Detaillösungen für Langlebigkeit und Wartungsfreundlichkeit

Flops

  • für Einsteiger sehr forderndes Handling
  • handlastige Sitzhaltung in flachen Passagen
  • Inserts der Kettenstreben nicht fest im Rahmen verankert

Für mehr Infos besucht raawmtb.com


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Text: Moritz Geisreiter Fotos: Peter Walker