Kurz vor dem Auftaktrennen in Chile konnte man den Siegeshunger der Fahrer nahezu körperlich spüren. Die Racer waren bereit, alles zu riskieren, jede Chance zu nutzen und ohne Rücksicht auf Vernunft oder Schmerzen ihr Bestes zu geben im Kampf um die alles entscheidenden Sekunden.

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Die Saison 2013 stand noch ganz im Zeichen des Kampfes zwischen konditionsstarken Fahrern und Fahrtechnik-Spezialisten. Für 2014 hatte jeder seine Lektion gelernt und an seiner Kondition gefeilt. Doch das Renngeschehen kann grausam sein und all das mühsame Wintertraining mit einem Schlag seinen Wert verlieren. Für Jerome z.B. war schon in der Sekunde, in der sein Körper bei einem Rennen auf Sicht in Frankreich auf dem Boden aufkam, klar, dass die Saison gelaufen war. Bei Fabien Barel kam die Erkenntnis zwar später, dafür aber umso heftiger: Er fuhr das Rennen in Chile noch bis zum Schluss, ohne zu wissen, dass mehrere seiner Wirbel gebrochen waren. Wir blicken zurück auf die Enduro World Series 2014 – und damit auf eine Rennsaison, die das Wort “hart” neu definiert hat und ausnahmslos jeden Fahrer an seine Grenzen brachte.

Das erste Rennen fand in Chile statt und die Spannung herauszufinden, wer sich im Winter wie stark verbessern konnte, war riesig. Alle großen Namen waren da, aber der Ausgang war ungewiss wie bei keinem anderen Rennen – schließlich hatte jeder im Winter an sich gearbeitet und die Karten waren völlig neu gemischt. Am Ende fanden sich in Chile zwar doch wieder wohlbekannte Namen auf den oberen Stufen der Treppchen, aber direkt danach folgten einige junge, neue Gesichter. Viele rechneten auch für 2014 wieder mit Zweikämpfen um den Champion-Titel: Jerome gegen Jared, Tracy gegen Anne Caro – und nach dem Rennen in Chile sah auch noch alles danach aus. Doch dann stürzte Jerome in Blausac und alles kam anders …

The reigning world champ suffered a pedal strike that sent him over the bars and out of the series.
Der amtierende World Champion wurde durch einen unglücklichen Pedalhänger über den Lenker geschickt und schied somit aus der Serie aus.

Für das zweite Rennen zog der EWS-Zirkus nach Schottland, wo viele Fahrer lernten, dass manchmal “langsam” das neue “schnell” ist. Die engen, rutschigen und steilen Trails bestraften selbst kleinste Fehler und brachten so das Ranking gehörig durcheinander: Locals dominierten die Ergebnislisten und erwischten viele Topfahrer auf kaltem Fuße. Nico Lau, schon immer Spezialist für extrem technisches Gelände, sicherte sich am Ende den Sieg. Während die Fahrer in den Lärchen- und Kiefenwäldern spektakulär um Sekunden kämpften, bot das “Tal der Bikeverrückten” auch den Zuschauern ein durchweg gelungenes Rahmenprogramm, das sie effektiv an den Sport heranführte.

Nico Lau's technical skills earned him a win in Scotland!
Nico Lau’s technische Skills brachten ihm den Sieg in Schottland ein.

Mit dem Stopp in Valloire ging es weiter auf eindrucksvolle, alpine Abfahrten auf französischem Boden. Lange, breit abgesteckte Stages durch anspruchsvolles Gelände waren für viele Fahrer wieder vertrauterer Untergrund und so meldeten sich viele Spezialisten zurück. Jared Graves unterstrich seine Ambitionen auf den Seriensieg weiter, doch mit Damien Oton saß ihm ein neuer Kontrahent im Nacken.

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In Valloire reichte es für den Devinci-Fahrer nur fast, doch beim folgenden Rennen im italienischen La Thuile wendete sich das Blatt für Oton: Nach fast 1:11:00 Race-Action auf alpinen Stages bei wechselhaftem Wetter lagen die Top 3 keine fünf Sekunden auseinander – so eng geht es inzwischen zu! Entsprechend groß war die Spannung, als die letzten Topfahrer durch die Kurven der finalen Stage sprinteten. Bis Moderator Enrico am Ende verkündete: “Der Sieg geht an Damien Oton!”

A well-deserved victory for Damien Oton.
Ein wohlverdienter Sieg für Damien Oton.

Langstreckenflieger brachten die Racer nach Colorado, wo mit den super-schnellen und flowigen Bikepark-Abfahrten des Winterpark-Ressorts wieder gänzlich andere Anforderungen warteten. Diese Runde kam auf jeden Fall den Downhill-Spezialisten zugute. Am Ende trug das Podium die Farbe türkis: Mit neuem Yeti, neuer Technik und auf vertrauten Trails konnten sich Jared Graves und Teamkollege Richie Rude die beiden ersten Plätze teilen – ein Traumwochenende für das Team!

The unique challenges of each venue played to the strengths of different racers, making every race suspenseful.
Jeder der Austragungsorte brachte unterschiedliche Herausforderungen – das machte die Rennen so spannend

Nur zwei Wochen später stellte das legendäre Bikemekka Whistler die Kulisse für den sechsten EWS-Halt und polarisierte das Fahrerfeld. Ultra-lang und ultra-technisch brachten die Stages in Whistler auch die stärksten Fahrer an – und oft auch über – ihre Grenzen. Für die einen das beste Rennen der Saison, die anderen beschwerten sich über die nicht enden wollenden Uphills. Für Cecile Ravanel zahlte sich ihre Hartnäckigkeit und ihr aggressiver Fahrstil aus: Whistler brachte ihr nach einigen dritten Plätzen in den Rennen davor endlich den ersten Sieg. Auch Curtis Keene fand endlich zu seiner Form und konnte vor heimischem Publikum das erste Mal auf das Podium fahren. Um Graves und Lau zu schlagen, reichte es jedoch noch nicht ganz.

Curtis Keene enjoying practice. EWS 6 2014 Whistler. Photo by Matt Wragg

Die Welt war bereist und das unausweichliche Saisonende nicht mehr weit: Auf den berühmten Trails rund um Finale Ligure ging es das letzte Mal zur Sache. Ein weiteres Mal hallte Enricos Moderation über die freskenverzierten Plätze der malerischen Altstadt. Jared hatte zwar einen Vorsprung, doch noch war nichts entschieden. Jeder rechnete damit, dass er etwas Gas rausnehmen würde – doch in einem Feld, in dem bereits wenige Sekunden mehrere Plätze ausmachen können, war das keine Option. Graves wurde in diesem Rennen Zweiter hinter Fabien Barel, der sich zur Überraschung aller nach seiner karrieregefärdenden Verletzung mit einem Sieg zurückmeldete.
Bei den Damen machten Tracy und Anne Caro regelmäßig die ersten beiden Plätze unter sich aus, doch am Ende war es Tracy, die die italienische Küste als erste erreichte und sich so den Championtitel ein weiteres Jahr sicherte.

You might expect for Fabien to come back gently from his broken back in the first round this year, he defied all odds with a win!
Nach einem gebrochenen Rücken in der ersten Runde 2014 kommt Barel langsam aber sicher zurück. Am Ende ein Sieg, mit dem er sich über alle Schwierigkeiten hinweg gesetzt hat.

Wir haben also wieder verdiente Enduro World Champions: Tracy Moseley und Jared Graves, zwei Athleten die sowohl durch ihre Hingabe an den Sport als auch durch ihre Disziplin glänzen konnten.

In ihrem ersten Jahr ging es bei der Enduro World Series noch darum, zu lernen. Die Saison 2014 stand dagegen im Zeichen von Wachstum: Es wurden Kontinente verbunden, Grenzen verschoben und Locations vorgestellt, die für Abenteuer und Entdeckergeist stehen. Nächstes Jahr sind mit Neuseeland (Zona Zoro) und Irland wieder neue Austragungsorte dabei – wir freuen uns auf eine weitere grandiose EWS-Saison.

Series champions EWS 7 2014
Series champions EWS 7 2014

Text: Trev Worsey Fotos: Matt Wragg


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