Was macht Jérôme Clementz so schnell?
Es ist eine Frage, die sich sehr viele Biker stellen: Was macht Jerome Clementz so extrem erfolgreich? Ist es sein knallharte Training? Ist es seine Erfahrung? Oder steckt doch etwas ganz anderes hinter seinem Erfolg? Wir haben ihn in seiner Heimat besucht, um seinem Erfolgsgeheimnis auf die Schliche zu kommen – und das Ergebnis hat uns dann doch etwas überrascht.
Es ist Mittwochmorgen, als ich gemeinsam mit meinen Kollegen Klaus und Frank von SRAM vor einem unscheinbaren Einfamilienhaus am Ortsrand von Guebwiller im Elsass haltmache. „Hausnummer 32, das muss es sein“, sagt Frank. Klaus und ich schauen uns etwas ungläubig an. Hier soll Jerome wohnen? Wir hatten von einem der schnellsten Fahrer der Welt wahrlich ein etwas fürstlicheres Anwesen erwartet. Doch auf dem Weg zur Haustür erhärten sich die Fakten. Durch die vorhanglosen Fenster kann man auf dem Tresen die Siegertrophäe der Enduro World Series 2013 sehen. Als sich nur wenige Sekunden später dann das Fenster im ersten Stock öffnet und Jerome uns mit einem dicken Grinsen im Gesicht und den Worten „Bonjour! How are you doing?“ begrüßt, ist uns klar: Einen Hausbesuch im Stil von MTV-Cribs werden wir hier nicht produzieren. Dafür lässt aber bereits die herzliche Begrüßung auf einen sehr spaßigen und entspannten Tag schließen.
Bisher kannte ich Jerome lediglich von einigen kurzen Smalltalks bei Rennen undaufgrund seiner Posts auf Social Media. Heute soll sich das ändern. Bei einer Tasse Kaffee besprechen wir das Programm des Tages: biken, gemeinsam abhängen und ein feines BBQ. Jerome und seine Freundin Pauline Dieffenthaler wissen einfach, wie ein guter Tag auszusehen hat.
Hier sind wir also, im Haus der französischen Enduro-Ikone. Natürlich wollen wir unbedingt mehr über ihn erfahren und so schweifen unsere Blicke durch das modern eingerichtete Wohn-/Esszimmer. An den Wänden hängen Bilder von seinen Reisen, auf dem Wohnzimmerregal steht ein riesiger Pokal und auf dem Tresen zwischen Küche und Esstisch sind die Trophäe des Gesamtsiegs der EWS 2013 ausgestellt. Die meisten anderen Pokale hat Jerome dem lokalen Bike-Club, bei dem auch er seine ersten Erfahrungen im XC- und Downhillrennsport gemacht hat, geschenkt. Das Einzige, das Jey von jedem Rennen, das er bisher gefahren ist, aufgehoben hat, ist die Startnummer. Mit diesen Startnummern hat er sein Treppenhaus in Richtung Keller tapeziert und es lässt sich aufgrund der enormen Vielzahl erahnen, wie viel Erfahrung der 31-jährige Franzose im Rennbusiness besitzt – doch ist das sicher nicht der alleinige Schlüssel seines Erfolgs.
Also geht es weiter mit der Suche nach seinem Geheimnis. Wir packen die Bikes in den Teambus und fahren gemeinsam zu einem von Jeromes Hometrails. „Wenn ich Gas gebe, bin ich von hier oben in gut 12 Minuten wieder zu Hause“, sagt er. Wir brauchen an diesem Tag gut vier Stunden für diese Strecke! Klar, das liegt natürlich überwiegend an den vielen Stopps, die wir für Foto- und Filmaufnahmen auf dem extrem abwechslungsreichen Trail einlegen. Aber dennoch ist es uns ein Rätsel, wie man diese Abfahrt in derart kurzer Zeit schaffen soll.
Suchte man nach der Definition einer perfekten Enduro-Rennstage – hier würde man sie finden! Dieser Weg beinhaltet einfach alles, was uns Biker glücklich macht: einen gelungen Mix aus Flow und technischem Anspruch, aber auch kurze Gegenanstiege, verteilt über eine Höhendifferenz von rund 1.000 Höhenmetern. Auf einer Wiese machen wir halt. Während Klaus die Drohne startklar macht, gibt Jerome eine schnelle Runde Geographie-Unterricht und erklärt uns, welche Berge wir gerade sehen und wo die Staatsgrenzen in dem Drei-Länder-Eck verlaufen. Die gesamte Region scheint mit ihren sanften, aber dennoch hohen Bergen ein optimales Trainingsgebiet zu sein und so verwundert es nicht, dass auch andere erfolgreiche Racer wie Nico Lau oder Remy Absalon hier ihre Wurzeln haben. Mit ihnen pflegt Jerome übrigens ein sehr gutes Verhältnis. Beide starten regelmäßig bei den Rennen, die Jerome gemeinsam mit Pauline hier im Elsass veranstalten.
Was während der Foto- und Videoproduktion auffällt, ist der extrem saubere Fahrstil von Jerome. Ähnlich einer Katze heizt er flink, agil und dennoch extrem sanft durch selbst gröbstes Geläuf. Alles wirkt extrem geschmeidig, schnell, fast schon verspielt und gleichzeitig materialschonend. „Laufräder oder Reifen zerstöre ich eigentlich nie“, bestätigt Jey beim gemeinsamen Putzen unserer Bikes nach der Ausfahrt unsere Beobachung. Ein sicher ebenfalls wichtiger Punkt, denn wie sagt schon eine alte Racer-Weisheit: „You have to finish first to finish first!“
Bisher haben wir zwar schon einige Punkte gefunden, die sicher maßgeblich dazu beitragen, dass Jerome so schnell ist. Doch für die konstante Leistung, die er seit Jahren abliefert, muss es noch einen weiteren Grund geben. Dieser wird uns erst nach dem langen, intensiven Tag beim gemeinsamen Grillen auf der Terrasse bewusst: Jerome hat einfach verdammt viel Spaß an allem, was er macht! Er genießt das Reisen, liebt es, neue Länder zu erkunden und andere Kulturen zu erleben. Seine Philosophie: „Bei jedem Wettkampf ist es wichtig, am Ende zwar erschöpft, aber dennoch mit einem Grinsen im Gesicht über die Ziellinie zu fahren, egal ob bei einem Hobby- oder Enduro World Series-Rennen! Denn ohne Spaß auf dem Bike zu haben, kann ich einfach nicht schnell fahren!“ Und das scheint tatsächlich das wahre Geheimnis hinter Jeromes Erfolg zu sein. Ein wichtiger Punkt, den auch einige Veranstalter und Organisatoren diverser Rennen nie vergessen sollten. Denn trotz aller Professionalisierung schöpft der Endurosport seine gewaltige Kraft aus der Begeisterung des Neuentdeckens, dem Spaß an der Sache und der Vielfältigkeit. Und genau das vermittelt Jerome auf und neben dem Bike. Genauso seine Rennen – denn vielleicht gehören deshalb die von Jerome und Pauline veranstalteten Rennen im Elsass zu den beliebtesten und besten, die wir (und alle Teilnehmer) je gefahren sind. Einfach, wenig Dicke-Hose und Medien-Tramtam, sondern Kumpels, Fahren auf Sicht und geile, abwechslungsreiche Strecken. Zum Abschluss typisch elsässische Kost und ein Bier. Ein Prost auf dieses Rennformat, pardon, auf diese Lebensqualität!
Text & Bilder: Christoph Bayer
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