Plötzlich war es da: das Cannondale Jekyll 29. Während viele Hersteller die Vorstellung ihrer neuen Bikes ausgiebig zelebrieren, hat sich die 29er-Variante des Endurobikes förmlich ins Portfolio von Cannondale geschlichen. Wir haben es dabei jedoch ertappt und konnten es bereits ausführlich testen.

Cannondale Jekyll 29 1 | 150 mm/150 mm (v/h) | 14,34 kg | 6.499 €

Das Cannondale Jekyll war das erste Bike, mit dem die Gesamtwertung der Enduro World Series im Jahr 2013 gewonnen wurde. Seitdem hat es sich jedoch sehr gewandelt. Der polarisierende Pull-Shock-Dämpfer ist zwar verschwunden, dennoch setzt Cannondale weiterhin auf einen speziell entwickelten Dämpfer. Der entstand in Zusammenarbeit mit FOX und ermöglicht es, via Remotehebel vom Lenker aus die Luftkammer zu verkleinern und so den Federweg von 150 auf 120 mm zu reduzieren. Typisch für Cannondale ist das jedoch nicht die einzige Besonderheit des Jekyll. Wie beim 27,5”-Pendant kommt auch beim 29er ein asymmetrischer Hinterbau mit speziell eingespeichtem Laufrad zum Einsatz, um möglichst kurze Kettenstreben zu realisieren. Mit 442 mm fallen diese jedoch gar nicht so kurz aus. Während der Hauptrahmen des abgestützten Eingelenker-Bikes aus Carbon gefertigt ist, besteht der Hinterbau aus Aluminium. Für den Preis von 6.499 € erhält man beim Topmodell des Cannondale Jekyll 29 eine Ausstattung, die keine Wünsche offen lässt: Eine neue FOX 36 Factory GRIP2-Federgabel, ein SRAM X01-Eagle Antrieb und Stan’s NoTubes Flow MK3-Laufräder – alles Teile, die für schwitzige Bikerhände sorgen. Kritik gibt’s nur für das überladene Cockpit. Aufgrund des zusätzlichen Dämpfer-Remotes dauert es etwas, bis man intuitiv immer den richtigen Hebel betätigt.

Das Cannondale Jekyll 29 1 im Detail

Federgabel FOX 36 FLOAT Factory 150 mm
Dämpfer FOX FLOAT DPX2 Factory w/ Gemini Dual Mode 150 mm
Antrieb SRAM X01 Eagle
Bremsen SRAM CODE RSC
Lenker Cannondale C1 Riser Carbon 780 mm
Vorbau Cannondale C1 40 mm
Sattelstütze FOX Transfer Kashima 150 mm
Reifen MAXXIS Minion DHF/DHR II
Naben SRAM 900
Felgen Stan’s Flow MK3

Form follows Function
Optisch ist das Cannondale Jekyll mit dem weit oben befestigten Umlenkhebel nicht jedermanns Sache. Er schafft allerdings Platz für eine Trinkflasche
Überladen
Die zwei Modi des Gemini-Dämpfers sind zwar super praktisch, allerdings kollidieren am Lenker der Remotehebel für Dämpfer und Teleskopstütze.
Zu kurz
Der Kettenstrebenschutz reicht nicht über die gesamte Strebe. Im Bereich der Schweißnaht zeigten sich schon nach kurzer Zeit deutliche Lackplatzer.
Leise
Die Züge laufen beim Jekyll innerhalb des Rahmens, dank der Klemmung am Eingang sind sie jedoch super leise. Nerviges Klappern? Fehlanzeige!

Die Sitzposition auf dem Jekyll 29 ist angenehm zentral. Aktiviert man den Flow-Mode, wird der Hinterbau spürbar straffer, das Tretlager hebt sich und der Sitzwinkel wird steiler. Dennoch bietet das Rad weiterhin sehr gute Traktion und in Kombination mit der eher tiefen Front klettert das Cannondale selbst technische Uphills sehr willig empor. Wer längere Zeit auf einer befestigten Straße bergauf pedaliert, kann das Heck mit dem Low-Speed-Compression-Hebel am Dämpfer noch weiter verhärten und das Rad so noch effizienter machen. Im technischen Gelände würden wir das jedoch nicht empfehlen.

 Augen auf! Das Jekyll erfordert volle Konzentration, sonst geht’s schnell mal über den Lenker

So spielerisch sich das Jekyll 29 bergauf fährt, so spielerisch wirkt es auch in der Abfahrt. Allerdings ist hier ein aktiver Fahrstil gefragt. Durch das hohe Tretlager und die tiefe Front steht man als Fahrer wenig integriert im Bike. Bei Highspeed sind dadurch Einsatz und Wachsamkeit gefordert. Hier lässt das Rad trotz seines feinfühligen und definiert arbeitenden Hinterbaus sowie des flachen 65°-Lenkwinkels Laufruhe vermissen – insbesondere im Vergleich zu anderen Bikes dieser Klasse. Gleichzeitig muss man in Kurven das Körpergewicht sehr bewusst verlagern, um nicht entweder über das Vorder- oder das Hinterrad zu driften. Wer gerne loose unterwegs ist, hat mit dem Jekyll seine wahre Freude. Im steilen Gelände zieht die tiefe Front den Fahrer jedoch nach vorn, was viel Kraft fordert. Auch ein Lenker mit mehr Rise und Spacern unterm Vorbau brachte nicht die gewünschte Besserung. Zurücklehnen und das Bike einfach laufen lassen? Mit dem Jekyll gar nicht so einfach. Es braucht ein erfahrenes Händchen, um die unausgewogene Balance des Bikes zu kompensieren.

 27,5” oder 29”? Beim Jekyll finden wir das Konzept mit den kleineren Laufrädern ausgewogener

Das Fahrwerk arbeitet sehr definiert. Der Hinterbau spricht feinfühlig an, vermittelt gleichzeitig viel Feedback und sackt auch bei schnellen Kompressionen nicht weg. Wo das Rad viel Spaß macht, ist auf flacheren, flowigen Trails. Hier überzeugt es mit sehr gutem Vortrieb, viel Pop und agilem Handling.

Fazit

Das Cannondale Jekyll 29 überzeugt mit guten Klettereigenschaften, einem top Hinterbau und einer stimmigen Ausstattung. Sein unausgewogenes Handling erinnert allerdings an ein Bike aus den Anfangsjahren der 29er – hier haben wir uns mehr erwartet.

Stärken

– gute Klettereigenschaften
– top Ausstattung
– guter Hinterbau

Schwächen

– Handling unausgewogen
– überladenes Cockpit


Dieser Artikel ist aus ENDURO Ausgabe #035

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Text: Fotos: Christoph Bayer, Tobias Reiser