DI.A 2015 Breakout Sessions | Was macht ein EWS-Racebike aus?
Wie viele Prozesse, verläuft auch die Evolution von Bikes in Zyklen, folgt bestimmten Trends und spiegelt die Veränderung des Sports wieder. Am Anfang gab es ein Bike für alles, dann kristallisierten sich mehr und mehr Spezialisten für die verschiedenen Disziplinen heraus: Es gab plötzlich spezielle Bikes für CrossCountry, Downhill, Freeride, All Mountain, Trail und Enduro. Mit jedem Jahr wurden Bikes vielseitiger und potenter. Doch wer steuert und lenkt diese unaufhaltsame Entwicklung?
Der Großteil der Innovationen stammt nicht von normalen Fahrern, sondern von denjenigen, die den Sport an neue Limits treiben. Als wir damals, in den 00er-Jahren alle fette Freerider kauften, sprang keiner von uns von meterhohen Klippen wie Josh Bender (zumindest ich nicht!), doch trotzdem wollten wir den zusätzlichen Federweg. Doch dann veränderten sich die Bikes weiter, “All Mountain” war der Trend der Stunde und der Abenteuer-Aspekt des Bikens bestimmte unser Hobby und die Entwicklungen im Bike-Design. Potente Fahrwerke kombiniert mit guten Klettereigenschaften erschlossen nicht nur neue Trails sondern auch eine neue Art zum Biken. Heute zeichnen sich bereits ganz neue Trends ab – doch wer steckt dahinter?
Man kann sagen, dass in den letzten Jahren der “Spaß und Abenteuer”-Charakter von All Mountain die Entwicklung vieler Bikes geprägt hat und sie zu effizienten Untersätzen für ausgedehnte Bergtouren gemacht hat. Es gab keine Pro-Fahrer in diesem Genre. Jetzt ist alles anders und es gibt die Enduro World Series! In nur zwei Jahren hat sich die EWS zu einer Teststätte neuer Technologien entwickelt, bei der die schnellsten Fahrer der Welt auf den neuesten Prototypen unterwegs sind. Bikes werden nun mit dem Ziel entwickelt, nicht nur lange Anstiege problemlos zu meistern sondern auch mit maximaler Kontrolle und Geschwindigkeit auf den schwersten Strecken gen Tal zu schießen, immer mit der Zeit im Nacken.
Bei unserem Design & Innovation Award 2015 hatten wir über 30 Bikes im Test und so war leicht zu erkennen, in welche Richtung sich der Trend entwickelt. Komponenten und Geometrien der neuesten Bike-Generation sind wahnsinnig potent, “flach und lang” ist das vorherrschende Konzept. Wer die Geometrie-Tabellen aktueller Bikes wälzt, wird schnell erkennen das Lenkwinkel immer flacher und Oberrohre immer länger werden. So mancher Radstand kann einem Downhillbike Konkurrenz machen. Die Erfahrung zeigt, was die Physik lehrt: Lange und flache Bikes sind super stabil bei hohen Geschwindigkeiten und kommen selbst mit den schnellsten und ruppigsten Stages der Alpen hervorragend zurecht. Doch Opfern wir hier nicht auch einen großen Teil Fahrspaß im Namen der Sekundenjagd?
Wenn neue Innovationen also immer von oben, aus dem Racing, kommen, was macht dann eins dieser Enduro World Series-Racebikes aus? Praktischerweise war EWS-Racer Nico Lau Teil der Jury und hatte sein renn-geprüftes Cube Stereo dabei und so konnten wir diese Frage beantworten. Auf den ersten Blick scheint alles klar: Racebikes sind einfach länger, tiefer und flacher – oder? Nunja, so einfach ist es dann doch nicht!
Das Cube Stereo in Größe M hat eine Oberrohrlänge von 586 mm, was im Vergleich zu den 605 mm des Yeti SB6c oder gar den 629 mm des Canyon Strive CF Race recht kurz ist. Auch der Lenkwinkel ist ein halbes Grad steiler – wie beeinflusst das die Performance des Bikes für Nico? Seine Antwort “Ich fahre ein recht kurzes Bike mit kurzem Vorbau, da ich gerne verspielt fahre, auch mal aus dem Trail springe und ständig versuche, neue Linien zu finden. Das ist einfach meine Art zu Fahren und daher wundert es mich, dass fast alle Hersteller ihre Bikes immer länger und länger machen. Ich finde kurze, verspielte Bikes viel besser!”
Vielleicht haben wir im Elite-Racing einfach den Punkt erreicht, an dem letztlich nur noch entscheidend ist, wie gut ein Bike zu den persönlichen Präferenzen des Fahrers passt. Nico zu seinem besten Rennen der Saison: “Mein Bike war wie geschaffen für die Strecken der EWS in Schottland und auch mir kam das Terrain sehr zugute. Gleiches gilt für die Strecken in Whistler. Bei diesen beiden Stopps hatte ich meine besten Ergebnisse. Dort wo die Stages verwinkelt und technisch sind, funktioniert das Stereo hervorragend! Natürlich gilt umgekehrt auch, dass ein längeres Bike bei den schnellen amerikanischen Strecken mit den vielen Anliegern besser funktioniert hätte. Ich denke, dass es vor allem wichtig ist, ein Bike zu wählen, dass zum eigenen Fahrstil und der Art der Strecken passt, die man am meisten fährt!”
Wie aber sichern sich die Top-Teams ihren Vorsprung, wenn es keine Geometrie gibt, die ein Bike schnell auf allen Strecken macht? Vielleicht liegt die Antwort im Federweg: Während die meisten mit 160 mm an Front und Heck unterwegs sind, hat Nico eine 180 mm Gabel in sein 160 mm Stereo gebaut und auch schon mit dem 180 mm Cube Fritzz experimentiert. “Mir hat die 180 mm Gabel im Stereo gut getaugt, also habe ich auch mit dem Fritzz 180 mm-Bike experimentiert. Es wiegt nur 400 Gramm mehr und solang die Tretposition stimmt, sehe ich den zusätzlichen Federweg als Vorteil. Das 180 mm Bike ermöglicht es, Abschnitte öfter zu trainieren ohne müde zu werden und geht noch immer gut bergauf. Bergab habe ich dann ein echtes Downhillbike unter mir. Ich steh voll auf das Gefühl eines Downhill Bikes mit dem Gewicht eines Enduros. Man hat alles was man braucht, um schnell zu fahren und das Bike bleibt durch das geringe Gewicht noch immer verspielt.”
Oder liegt das Geheimnis eines Sieger-Bikes gar in den Komponenten? Was ist wichtiger, ein gutes Fahrwerk oder eine passende Geometrie? Und was erwartet uns in der Zukunft? Nico erklärt: “Wir Teamfahrer arbeiteten hart mit Fox und Cube zusammen um das beste Setup zu finden. Letztes Jahr kam dabei ein spezieller Ausgleichsbehälter für den Dämpfer im alten Rahmen heraus. Wir haben einige neue Gabeln getestet, die super funktionierten und Cube hat einen Hauptrahmen extra für uns Teamfahrer entworfen – die nächste Evolutionsstufe des Stereo. Ich bin ein großer Fan von innovativen Neuheiten und mag zum Beispiel das Pro-Core System von Schwalbe. Auch werde ich nächste Saison zu den wenigen Glücklichen gehören, die den 2×11 XTR Di2 Antrieb mit nur einem Shifter fahren werden. Aber ich denke, das allerwichtigste an einem Racebike ist, dass es bis zur Ziel-Linie durchhält. Egal ob man Rennen fährt oder einfach nur an einem schönen Ort unterwegs ist, ein defektes Bike ist das schlimmste was passieren kann. Deswegen setze ich auf Reifen mit Downhill-Karkasse und größere Bremsen. Im Moment teste ich die neue Shimano XTR-Bremse und werde sie auch bei Events mit weniger Höhenmetern fahren so wie Schottland oder Irland, doch für alpines Gelände bevorzuge ich noch immer die Shimano Saint-Bremsen.
Es scheint also, dass es kein ultimatives Rezept für das perfekte Siegerbike gibt, sondern dass eine Kombination aus einer Vielzahl von Faktoren und natürlich dem richtigen Fahrer auf den richtigen Trails zum Erfolg führt. Wir sind mit Sicherheit an einem Punkt angelangt, an dem EWS-Bikes unglaublich vielfältig sein müssen. Sie müssen sowohl mit 2000 Höhenmeter langen Anstiegen klarkommen als auch mit den härtesten Trails bergab. Mit Elite-Racern als treibende Kraft für Neuentwicklungen und der sehr abwechslungsreichen Enduro World Series, können wir uns auf weitere, spannende Neuerungen an unseren Bikes freuen!
Text: Trev Worsey / Aaron Steinke Fotos: Christoph Bayer
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